Das Dollfuß-Regime in Österreich

Andachtsjodler

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Engelbert Dollfuß wurde 1932 zum Bundeskanzler des Alpenstaates Österreich gewählt. Zunächst demokratisch gewählt und agierend, wandte er ab 1933 diktatorische Mittel an und regierte auf Basis von Notstandsverordnungen. Bereits ein jahr später, 1934, wurde er im Rahmen eines von Nationalsozialisten ausgehenden Putschversuches getötet, nachdem er zweimal angeschossen wurde und in Folge dessen verblutete.

Während seiner kurzen Amtszeit setzte Dollfuß das Parlament ab und begann zunehmend mit der Kriminalisierung der Oppositionsparteien, insbesondere der Kommunistischen Partei, der Sozialdemokraten und der Nationalsozialisten. An Stelle des bisherigen demokratischen Systems trat ein System, welches heute allgemein als austrofaschistischer Ständestaat bezeichnet wird und innenpolitisch eine starke Annäherung und Kooperation mit der Katholischen Kriche, außenpolitisch jedoch mit dem Italien Mussolinis anstrebte. Nach Dollfuß Tod blieb der Austrofaschismus noch bis 1938, also bis zur Eingliederung Österreichs, bestehen.

Justizpolitisch zeichnete sich diese Ära durch die Wiedereinführung der Todesstrafe bzw. das Stützen der selbigen auf sogenannte Standgerichte. Wirtschaftlich wurde Österreich zu dieser Zeit auf einen Autarken Handel ausgerichtet, allerdings hatte diese Politik nicht den erwünschten Erfolg, vielmehr kam es durch die relative wirtschaftliche Isolation zu einer Verschlechterung der Situation und einem starken Wachstum der Arbeitslosigkeit. Obwohl der Antisemitismus anders als in Nazideutschland noch keine explizit völkische Ausrichtugn hatte, kam es zu einer starken Verdängung jüdischer Bürger aus dem Beamtentum. Außerdem kam es in dieser Zeit zu bewaffneten Auseinandersetzugnen zwischen regimetreuen Kräften und Anhängern der Sozialdemokratie. Dieser Konflikt ging als Österreichischer Bürgerkrieg in die Geshichte ein.

Die NSDAP wurde noch 1933 in Österreich verboten, vermutlich in erster Linie deshalb, um Annexionsbewegungen und Strömungen hinsichtlich Deutschlands zu ersticken. Trotzdem kam es 5 Jahre später zu dem Einmarsch Deutscher Truppen und der Eingliederung der Alpenregion.

Mich interessiert an diesr Phase der Geschichte besonders die historischen Folgen des Ständestaates: Wäre eine waffenlose Annexion Österreichs unter einem demokratischen System möglich gewesen? Oder spielte der Ständestaat, der sich selbst unter anderem als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus präsentierte, Hitler durch seine politische Arbeit in die Hände?
 
Zitat:"Obwohl der Antisemitismus anders als in Nazideutschland noch keine explizit völkische Ausrichtugn hatte, kam es zu einer starken Verdängung jüdischer Bürger aus dem Beamtentum."

Sicher das es in Ö. keine völkische Ausrichtung hatte? Soweit ich weiß, hatten die Nürnberger Rassegesetze ihr Vorbild an österreichischen Gesetzen die über 10 Jahre zuvor eingeführt wurden.
 
An Stelle des bisherigen demokratischen Systems trat ein System, welches heute allgemein als austrofaschistischer Ständestaat bezeichnet wird...
Mich interessiert an diesr Phase der Geschichte besonders die historischen Folgen des Ständestaates...

Der "austrofaschistische Ständestaat" ist eine gängige Vokabel, wobei allerdings Zweifel bestehen, ob sie die realen Verhältnisse korrekt beschreibt. Der Anspruch bestand zwar, wie aus Dollfuss' programmatischer "Trabrennplatz-Rede" (1933) hervorging: "Wir wollen den sozialen, christlichen, deutschen Staat auf ständischer Grundlage unter starker, autoritärer Führung..." (zit. b. Brauneder/Lachmayer, Österreichische Verfassungsgeschichte, S. 234). Durch die neue Verfassung von 1934 wurden aber "nur die autoritären, nicht die ständischen Elemente realisiert. Der Aufbau der berufsständischen Ordnung beschränkt sich auf die Land- und Forstwirtschaft sowie den öffentlichen Dienst ..." (S. 235).

Die eigentliche Differenz zwischen dem österreichischen und dem deutschen Regime bestand in der schon erwähnten Rückbindung an den Katholizismus, der 1934 in Österreich - z. B. in Bezug auf das Eherecht - Rechte erhielt, die er vor 1919 besessen hatte. Andics (50 Jahre unseres Lebens: Österreichs Schicksal seit 1918, S. 211) spricht vom "missionarischen Geist" bei Dollfuss: "Österreich - der Hort des deutsch-abendländischen Christentums. ... Das war gegen den Nationalsozialismus gerichtet, der den deutschen Geist antichristlich, antiabendländisch, sozusagen preußisch-protestantisch verfälschte."

Jener Katholizismus, der 1933 das Reichskonkordat mit Hitler schloss, war freilich ein Bundesgenosse, der die Selbständigkeit Österreichs nicht garantieren konnte - und der 1938 die "Heimkehr ins Reich" so frenetisch bejubelt hat wie die meisten Österreicher. Und was den zweiten Garanten betrifft, nämlich Mussolini, so erwies sich schon 1935/36 anläßlich des Abessinienkrieges dessen machtpolitische Schwäche. Auf wen sonst noch hätte ein "demokratisches System" hoffen können?
 
Sicher das es in Ö. keine völkische Ausrichtung hatte? Soweit ich weiß, hatten die Nürnberger Rassegesetze ihr Vorbild an österreichischen Gesetzen die über 10 Jahre zuvor eingeführt wurden.

Zumidnest wurden offiziell anders als in Deutschland wohl keine rassistischen Begründungen für die Maßnahmen, sondern oftmals freilich konstruierte politische Gründe wie die geistige Nähe zu der später auch verbotenen Sozialdemokratie vorgeschoben.
 
Zitat:"Obwohl der Antisemitismus anders als in Nazideutschland noch keine explizit völkische Ausrichtugn hatte, kam es zu einer starken Verdängung jüdischer Bürger aus dem Beamtentum."

Sicher das es in Ö. keine völkische Ausrichtung hatte? Soweit ich weiß, hatten die Nürnberger Rassegesetze ihr Vorbild an österreichischen Gesetzen die über 10 Jahre zuvor eingeführt wurden.

Welche österreichischen Gesetze waren es den? Kannst du die uns bitte nennen.
 
Die Nürnberger Gesetze wurden 1935 erlassen; Askan muß demnach wohl irgendwelche Gesetze meinen, die vor 1925 eingeführt worden sind, also lange vor Dollfuß...
 
Die Nürnberger Gesetze wurden 1935 erlassen; Askan muß demnach wohl irgendwelche Gesetze meinen, die vor 1925 eingeführt worden sind, also lange vor Dollfuß...

Das nehme ich schwer an. Aber wenn die Nürnberger Gesetze auf ein Vorbild österreichischer Gesetze bassiert, sollte er doch diese nennen können. :fs:
 
... Aber wenn die Nürnberger Gesetze auf ein Vorbild österreichischer Gesetze bassiert ...

Auch meinerseits: :fs:
Möglicherweise liegt auch nur ein Mißverständnis vor bezüglich der "völkischen Ausrichtung". Im Schlusskapitel seines Standardwerks "Faschismus in Österreich" (München: Fink, 1977, S. 295 ff.) zieht F. L. Carsten folgende Summe:
"Seit den Tagen Georg von Schönerers [also beginnend ab den 1880er Jahren] besaßen die Burschenschaften, die Turnerschaften und viele ähnliche Vereine eine völkische und antisemitische Ideologie - in viel stärkerem Umfang als das [zeitgleich] in Deutschland der Fall war. Vielen von ihnen führten den 'Arierparagraphen' ein, der nicht nur Juden, sondern alle ausschloß, die nicht von rein deutscher 'Rasse' waren."

Die Gründe für die Anfälligkeit in Bezug auf solche Ideologien sieht Carsten darin, dass sich "viele österreichische Deutsche ... [als Minderheit im eigenen Staat!] von einer steigenden Flut des Panslawismus bedroht (fühlten)", und in ökonomischen Krisenzeiten wuchs, da "viele Banken in jüdischen Händen waren, [...] der Antisemitismus, der von der Kirche und der entstehenden Christlichsozialen Partei gefördert wurde" (a.a.O., S. 296). Warum diese Partei, die ja ab 1920 bis zum "Anschluss" alle österreichischen Kanzler stellte, dennoch wenig mit der NSDAP gemein hat, wäre noch zu diskutieren.
 
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Ich würde besonders wegen der starken Zusammenarbeit mit der Kirche und der christlichen Prägung eher vermuten, dass der Antijudaismus dem der chrsitlichen Prägung und nciht der jüngeren rassistischen Entsprang.
 
Ich weiß nicht, inwiefern es als Indiz gültig wäre, aber im Bezug auf die Frage nach der völkischen Natur des Antisemitismus könnte es vielleicht als Indiz hilfreich sein:

http://images.google.de/imgres?imgurl=http://www.pganuszko.freeuk.com/dissertation/lanz.jpg&imgrefurl=http://www.pganuszko.freeuk.com/dissertation/nationalism.htm&h=576&w=384&sz=27&hl=de&start=3&um=1&tbnid=SVqfdP0noOaK7M:&tbnh=134&tbnw=89&prev=/images%3Fq%3Dlanz%2Bvon%2Bliebenfels%26um%3D1%26hl%3Dde%26sa%3DN

Man beachte das Kruckenkreuz. Lanz von Liebenfels formulierte bereits 1904 einen radikalen völkischen, esoterisch verklärten Rassismus. Das Symbol auf seinem Gewand, meines Wissens nach die Tracht der Neutempler, ist mit dem Kruckenkreuz der späteren austrofaschsitischen Ständestaatszeit absolut identisch.

Austrofaschismus ? Wikipedia

Ein Hinweis auf die völkische Natur des späteren Antisemitismus?
 
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Ich würde besonders wegen der starken Zusammenarbeit mit der Kirche und der christlichen Prägung eher vermuten, dass der Antijudaismus dem der chrsitlichen Prägung und nciht der jüngeren rassistischen Entsprang.

http://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Maria_Gföllner


Das vermute ich auch. In der Hirtenbrief-Affäre rief der Linzer Bischof Gföllner im Januar 1933 zu einem religiösen Antisemitismus auf, distanzierte sich gleichzeitig vom Rassen-Antisemitismus der NSDAP und Hitlers. Die Bekämpfung des schädlichen Einflusses des Judentums sei "strenge Gewissenspflicht", laut Gföllner eines jeden überzeugten Christen. Zeitungen in Wien betitelten das dann mit: "Gföllner gegen Nazi und Juden". Liberale Seiten betonten ausschließlich den Teil der Rede, der gegen die Nationalsozialisten gerichtet war, und übergingen den Rest.

Dazu kommt der Verdacht, dass auch in österrr. politischen Kreisen der These nachgelaufen wurde, mit einem verschärften Antisemitismus dem Erstarken des Nationalsozialismus entgegenwirken zu können. In diesen Kontext ist der Zeitpunkt der Rede 10 Tage vor Hitlers Machtübernahme zu sehen.

Österr. Gesetze aus den Mitzwanzigern als Vorbilder der Nürnberger Rassengesetze gab es mW nicht.
 
In einigen Quellen (zb. Wikipedia) wird auch angegeben, dass das Kruckenkreuz der Neutempler von den Zisterziensern übernommen wurde, zu denen Liebenfels ja ebenfalls einmal gehörte. Allerdings werfen sonstige Webrecherchen da seltsamerweise und leider keine weiteren Ergebnisse zu aus. Naja, es ist wiederum ein Indiz dafür, dass das Liebenfels Indiz ein Indiz bleibt. Gemeinsam bleibt sowohl dem Regime wie auch Liebenfels jedoch ein Bezug auf das Christentum bzw. christliche Versatzstücke.

Diese Theorie mit den österreichischen Vorlagen der Nürnberger Rassegesetze würde ich auch auf das Wirken solcher Personen wie Lanz von liebenfels und auch Guido von List zurückführen, die schon vor dem Ersten Weltkrieg die so genante Ariosophie begründeten und zudem beide Österreicher waren. Allerdings schufen sie keine Gesetze im juristischen Sinne, sondern formulierten "nur" extreme Thesen zur Eugenik, zumindest udn besodners, was den mehrfach erwähnten Liebenfels betrifft.
 
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In der Hirtenbrief-Affäre rief der Linzer Bischof Gföllner im Januar 1933 zu einem religiösen Antisemitismus auf, distanzierte sich gleichzeitig vom Rassen-Antisemitismus der NSDAP und Hitlers.
Es wäre nützlich, wenn man diesen Aufruf nachlesen könnte. Man könnte dann auch besser einschätzen, worin eigentlich der Unterschied - insbesondere für die Juden selbst! - zwischen "christlichem" bzw. "religiösem" Antisemitismus (oder "Antijudaismus"?) einerseits und "rassischem" Antisemitismus andererseits besteht bzw., vielleicht noch wichtiger, an welchen Punkten der eine in den anderen übergeht.
Der hier nachdrücklich zu empfehlende Friedrich Heer (Der Glaube des Adolf Hitler, München: Bechtle, 1968) zeigt an vielen Beispielen auf, dass "in den 1880er Jahren [...] sich in Wien bereits Symptome eines wahrhaft mörderischen Antisemitismus (zeigen), der auf eine physische Vernichtung der Juden zielt" (S. 70). Kernaussage z. B. des prominenten Pfarrers im Wiener 18. Bezirk, Dr. Josef Deckert, sei gewesen: "Der Rassenantisemitismus ist vereinbar mit der Kirche." (Der Hinweis auf Deckert in Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit :: Zeichen und Zusammenarbeit ist ein Musterbeispiel von Verharmlosung.)

Dazu kommt der Verdacht, dass auch in österrr. politischen Kreisen der These nachgelaufen wurde, mit einem verschärften Antisemitismus dem Erstarken des Nationalsozialismus entgegenwirken zu können. In diesen Kontext ist der Zeitpunkt der Rede 10 Tage vor Hitlers Machtübernahme zu sehen.
Also den Teufel mit Beelzebub austreiben? Wie soll man sich einen "verschärften Antisemitismus" vorstellen? An Umsetzungs-Ideen mangelte es offenbar nicht: Schon am 21.09.1933 schuf die Dollfuss-Regierung eine "Rechts"-Grundlage für die Errichtung von "bestimmten Orten" (realiter Konzentrationslagern), an denen "sicherheitsgefährliche Personen" auf unbestimmte Zeit "angehalten" werden konnten; das waren zunächst Nazis, ab 1934 auch Sozialdemokraten.

...den österreichischen Vorlagen der Nürnberger Rassegesetze...
Diese Formulierung halte ich für problematisch, weil hier ein unmittelbarer Zusammenhang konstruiert wird. (Das Beweisangebot von askan steht ja noch aus.)
 
Es wäre nützlich, wenn man diesen Aufruf nachlesen könnte.

http://www.doew.at/service/ausstellung/1938/22/22_1.html



Also den Teufel mit Beelzebub austreiben? Wie soll man sich einen "verschärften Antisemitismus" vorstellen?
Das bitte ich richtig zu verstehen: dies war Teil der öffentlichen Meinung, also der Wahrnehmung der politischen und kirchlichen Positionen am Beispiel des Gföllner-Briefes.
 
Danke! Das Dokument bricht leider ab, wenn es um die "Grundwahrheiten" geht. Auch der Text, worin der Auszug eingebettet ist, bricht vor den großen Unterwerfungsgesten Hitler gegenüber ab. :pfeif:

Das bitte ich richtig zu verstehen: dies war Teil der öffentlichen Meinung, also der Wahrnehmung der politischen und kirchlichen Positionen am Beispiel des Gföllner-Briefes.
Genau so habe ich es auch verstanden! Aber welches waren z. B. die als Verschärfung wahrgenommenen "kirchlichen Positionen"?
 
Ich erwähnte doch explizit, dass es eine Theorie sei.
Ich sollte meinen Hinweis umformulieren. Hier nochmal das
Diese Theorie mit den österreichischen Vorlagen der Nürnberger Rassegesetze würde ich auch auf das Wirken solcher Personen wie Lanz von liebenfels und auch Guido von List zurückführen ...
Was besagt "diese Theorie"? Ist damit der askan'sche Satz vom österreichischen Gesetzes-"Vorbild" gemeint oder wird Bezug auf Dritte genommen, welche in die gleiche Richtung argumentieren?
Karl Anton List (+1919) starb früh. Adolph Joseph Lanz (+1954) hat dagegen laut Wikipedia bis zu seinem Tode versucht, sich als Hitler-Vordenker darzustellen. Der wollte davon nichts wissen; andere nahmen Lanz zeitweise ernst, heute kaum noch jemand. Hat denn Lanz selbst die Nürnberger Rassegesetze als "sein Werk" in Anspruch genommen?
 
Er behauptete, Hitler persönlich begegnet zu sein, als der noch in Österreich lebte und ihm damals Ausgaben seiner Ostara-Hefte geschenkt zu haben. Nach dem Ende des Krieges äußerte Liebenfels dann gegenüber Wilfried Daim, Hitler die ideologische Vorlage geliefert zu haben, eine Schilderung, die Daim dann auch übernahm.
 
Meine Hauptreferenz für Hitlers Wiener Jugend, Brigitte Hamann, deutet an, dass Lanz in seiner Familie als verrückt galt und dass Lanz sich auch - gleichzeitig - für den Ideengeber Lenins ausgab. Allerdings räumt Hamann ein, dass Hitler Lanz' Texte aus den Ostaraheften und anderen alldeutschen Zeitungen wohl gekannt haben dürfte.
 
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