Göbekli Tepe

Ich behaupte einfach mal, dass sich zwischen 8.000 und 4.000 v.Chr. ein gewisses Equilibrium herausbildete. Orte wurden dauerhaft in Besitz genommen. Vielleicht solche, die generell günstig für die Jagd waren. Vielleicht solche, an denen zweimal im Jahr große Herden vorbeizogen. Vielleicht auch solche, die eine Vielzahl von pflanzlichen Nahrungsquellen boten. Jedenfalls machten sie sich den Ort und den darum liegenden Raum zu eigen.

Ich würde den Zeitpunkt vielleicht noch früher sehen, den Übergang fließender.
Ab wann kann man vom Inbesitznehmen sprechen? Wenn die Jäger und Sammler im Herbst an einen Ort zurückkehrten, weil da die Herden durchzogen und der Platz geschützt war, Wasser in der Nähe etc.
Zusätzlich wurden Samen, Früchte, Wurzeln, Pilze für den nahenden Winter gesammelt und getrocknet. Da ist es einfach bequemer an diesem Ort auch das Winterlager aufzuschlagen. Diese Gruppen kannten ihre Umgebung sehr gut, die Stellen an denen Früchte, Gräser, Nüsse, Pilze wuchsen, waren bekannt und wurden immer wieder aufgesucht.

Das nach und nach erworbene Wissen über den Raum, die Möglichkeit Besitz und Vorrat anzulegen und die eingesparte Zeit und Energie, die man sonst für die Wanderschaft brauchte ermöglichten Wachstum und gesellschaftliche Differenzierungen.

Ich könnte mir vorstellen, dass es zumindest seit der Auswanderung aus Afrika im Schnitt immer einen gewissen Bevölkerungsüberhang gegeben hat, die Anzahl der Menschen stieg in jeder Generation leicht an, sonst wäre die Ausbreitung des Homo sap. über die gesamte Erde nicht erfolgt. Die Ausbreitung war um 15000 BC i.W. abgeschlossen, im Norden herrschte noch Eiszeit.

Gebrechliche, kranke oder behinderte Menschen (eine sicherlich erhebliche Last für nomadische Gesellschaften) konnten nun produktive Arbeiten übernehmen.

Sie konnten u.a. Kleinkinder beaufsichtigen. Das könnte einer von vielen Gründen gewesen sein, warum die Geburtenrate sich weiter erhöhte, die Säuglingssterblichkeit durch die seßhaftere Lebensweise zurückging.

Die Ausrottung von Raubtieren im Lebensumfeld der Siedlung war sicherlich der erste nachhaltige Eingriff in die Natur durch den Menschen. Vielleicht legten sie Pfade an, Furten, Jagdunterstände, Großwildfallen, Reusen für Fische. Während sich aber Wild mehr und mehr vom Siedlungsplatz entfernt, setzt bei Obst, Gräsern und Nüssen der umgekehrte Effekt ein: Je mehr man sammelte (und bei zurücktragen auf dem Weg zur Siedlung verlor), umso näher "wanderten" diese Jahr für Jahr an die Siedlung heran. Zudem keimten überlagerte bzw. feucht gewordene Vorräte, die wiederrum auf dem Abfallhaufen landeten und dort zu Sprießen begannen.
In der Sendung sprach die Archäologin von Bewässerung evtl. schon im Natufien Natufien ? Wikipedia
Da muß man sich keine komplizierten Kanäle und Schöpfräder vorstellen. Bei Beobachtung der Natur ist es durchaus naheliegend einer besonders geschätzten Pflanze, der man leicht ansieht, dass sie vertrocknet, Wasser zu bringen und damit eine wichtige Erfahrung zu machen.

Der einsetzende Erkenntnisprozess, dass die Natur gefügig gemacht werden kann, ist das "Revolutionäre" an der Geschichte. Und ich denke, dass er den sesshaften Menschen in der darauffolgenden Zeit ein sehr gutes und abwechslungsreiches Leben zwischen Jagen, Fischen, Sammeln und Kultivieren ermöglichte. Nur aus einem Überfluss heraus lassen sich denn auch große Aufwendungen für kultische Plätze wie Göbekli Tepe erklären.

Was m.E. in späteren Zeiten zu Mangel führt ist das Missverhältnis von Produktivität und demographischem Wachstum, fehlende Hygiene bei hoher Bevölkerungs- und Tierpopulationsdichte, die Überbelastung der scheinbar unerschöpflichen, natürlichen Ressourcen und die Abschöpfung des Wohlstands durch Eliten.

Das alles sehe ich aber im 9. Jahrtausend noch nicht.

Dem möchte ich zustimmen, Göbekli Tepe als Ausdruck frühen Wohlstands durch die Erfolge der sich allmählich verändernden Lebensumstände.
 
Ich stell hier einfach mal mein Exzerpt eines Aufsatzes rein:

Fred Wendorf, The Prehistory of Nubia 2,Tushka





Tushka nach Wendorf

[855]
- ungefähr 45 km nördlich Ballana kleine nubische Gemeinde Tushka auf Westufer Nil, dort erhalten eine ungefähr 4 km weite Ausdehnung von Nilschlamm der Sahaba-Formation
- Konturen legen große Einbuchtung nahe, die Wasser erhielt vom Nil während Hochflutperiode in Zeit von Sahaba-Anstieg
- vor Überflutung durch Sahaba-Schlamm war es niedrig gelegenes Gebiet kleiner Süßwasserseen
- an See grenzend, besonders Nordufer, Dünenfeld mit kleinen Teichen gebildet in den Senken zwischen den Dünen
- Seeränder und Dünen an Teichen guter Siedlungsplatz, Herdreste weisen auf das Interesse paläolithische Menschen

- 1964 Januar erstmalig untersucht: Plätze vermessen und Testgrabungen an einer Stelle (8886)
als Arbeit in Ballana beendet, Transfer des Teams nach Tushka für kurzen Aufenthalt um mehrere menschliche Skelette zu bergen, die durch Erosion offen lagen

- Gebiet wieder aufgesucht Februar 1966 und Grabungen gestartet auf größerem Platz (8905) [856]

Geologie

- 8905 3,5 km nordwestlich von Tushka auf Westufer Nil, ca. 250 km flußab von Assuan; liegt durchschnittlich über 140 m MM

geologische Entwicklung:

1. Bildung Becken im nubischen Sandstein, erstreckte sich nach Osten parallel zum rückwärtigen Hang härteren Sandsteins
2. Seebildung im Becken, Sedimente unteres Ballana setzen sich ab
Corbicula und fehlende Verdunstungsschichten weisen auf ganzjähriges Bestehen des Sees obwohl Schwankungen des Seespiegels nachweisbar
Dünenbildung am Nordufer des Sees und Schilfwuchs entlang der Korridore zwischen den Sandhügeln [864]

3. Absenkung des Seespiegels
4. Einbruch des Nil, Bildung Überschwemmungsebene von 20-25 m über gegenwärtiger Überschwemmungsebene, See wurde Nileinbuchtung
als Einbuchtung wuchs mag die Nordküste besiedelt worden sein von Population die Artefakte hinterließ

5. Verschwinden der Einbuchtung und Umkehr der Dünenbildung nach ca. 12550, Nil schnitt sein 20-25 m Flutebene und Tushka nicht länger von Flut betroffen; Erosion wirkt auf Landschaft ein
6. Oxydationsprozesse – Herde könnten zu dieser Phase gehören
7. weitere Erosion [865]

Material von 8905

- besteht aus über 100 Herden, erkennbar an Ansammlungen von durch Feuer zerstörten Steinen, teilweise in situ, teilweise verschleppt
- machen Herde mögen gleichzeitig genutzt worden sein, so scheint, dass es ein bevorzugter Platz war, der immer wieder aufgesucht wurde – keine große Gemeinschaft, sondern immer wieder aufgesucht durch kleine Gruppen
- Gebiet heute unattraktiv, damals aber reichlicher Fisch aus der Bucht, Dünen guter Lagerplatz, frisches Wasser aus dortigen Teichen
- Herde entlang Ufer und bei Herden zahlreiche Fischreste – möglicherweise Haltbarmachung durch Räuchern
- weiter vom Ufer entfernte Herde weniger Fisch, dafür Knochen z.B. Bos primigenius
- Bucht wohl in Hochwasserzeiten gefüllt, sonst sumpfiges stehendes Gewässer – günstigste Zeit unmittelbar nach Flut, wenn Fisch aus den verbleibenden Teichen gefangen werden konnte – Sommer, früher Herbst
- Teiche zwischen Dünen erlangten in Sumpfzeit Bedeutung, wenn Jagd wieder wichtiger wurde
- zur Jagd und Fischfang kam Getreidesammeln, Anzahl von Mühlsteinen gefunden, einige unter Schlamm der Bucht und andere in den verfestigten Lagen der Teiche zwischen den Dünen
selbe Orte lieferten verschiedene lunatics mit glänzenden Kanten (Sichelglanz?)

- Dünen und Ufer könnten reichlichen Grasbewuchs aufgewiesen haben
- zusätzlich noch reichliche Steinartefakte, Eierschalen, Bestattungen [940]

Ökonomische Aktivitäten

- Reste von Savannenfauna wie bos, hartebeest, Gazelle treten gemeinsam auf 8905 auf, teilweise zahlreich auf Plätzen wie A und C [941]
- Jagd muss wichtige Nahrungsquelle gewesen sein
- Fisch genau so verbreitet, besonders auf D, das direkt an Bucht; das meiste vom Kopf, legt nahe, dass nicht dort konsumiert, sondern nach Entfernung Kopf woanders hingebracht; Fisch kann geräuchert worden sein – wäre gute Erklärung für viele von Feuer zerstörte Steine entlang des Ufers
- sehr interessant die Mahlsteine und lunatics mit Sichelglanz an verschiedenen Orten in Teichen und unter Sahabaschlamm, dadurch also nicht später eingedrungen – somit einzigartig für diese Zeit im Nahen Osten und Nordafrika [942]
- lunates mit Sichelglanz tauchen in Nubien nur auf 8905 auf, andere lunates weisen nirgends sonst Sichelglanz auf – allerdings oft Lesefunde von Oberfläche und so aller vielleicht vorhandener Glanz durch Erosion beseitigt
- Glanzmuster deutet auf Schäftung (siehe Abb. 92b), Spuren von Klebmittel erhalten bei 92.b
- nach Experimenten entsteht Sichelglanz, wenn mit Werkzeugen Gras oder ähnliches flexible Materialien geschnitten, die Kieselerde enthalten
möglich diesen Glanz von dem zu unterscheiden, der entsteht beim Schneiden von Leder, Holz, Rohr – aber nicht ganz geklärt [943] – allerdings große Ähnlichkeiten mit Sichelklingen aus Ägypten

- Diskussion aber, ob Sichel gut für Wildgräser, deren Ähren sind spröde und verstreuen Samen bei leichter mechanischer Einwirkung, während bei domestizierten Formen dreschen notwendig (so Flannery)
da Mutation mit widerstandsfähigen Ähren ihre Samen schlechter verstreuen, setzen sich derartige genetische Merkmale unter natürlichen Bedingungen nicht durch

- würde bedeuten, dass Gräser bei 8905 schon gewissen Domestikationsvorgängen unterworfen
- aktuelle Experimente zeigen aber Erntemöglichkeiten – allerdings nur, wenn Gras noch Grün (J. R. Harlan mündlich dem Verfasser)
- Harlans Experimente legen nahe, dass Sichel nicht nach Domestikation erschienen ist, sondern schon vorhanden war und sogar zum Domestikationsvorgang beigetragen haben könnte: Menschen pflanzen die Samen, die mit Hilfe der Sichel geerntet – mutierte Pflanzen wurden in dem Moment erfolgreich, als Menschen zu ernten und zu pflanzen begannen
- ist Sichel vor Domestikation erschienen, so ist sie zwangsläufig kein Domestikationsanzeiger (wohl aber vielleicht ein Indikator für eine Vorstufe, Anm. Schletze) mehr – auch nicht auf 8905
- Mühlsteine erscheinen auch an anderen Plätzen in Nubien und im selben Zeithorizont: Kom Ombo in oberen Schichten von Nilschlamm die der Sahaba-Formation entsprechen und über 14C zwischen 11 500 und 11 000 datiert [944]
- können verschiedenen Zwecken dienen: Pigmente zerkleinern, Nüsse knacken, Wurzeln zerreiben, Getreide mahlen
- zahlreich auf 8905 und Oberflächenspuren auf ihnen zeugen von regem Gebrauch – wichtig müssen sie für Ökonomie gewesen sein, da für sie und mit ihnen viel Zeit aufgewandt wurde
- neben Sammeln war sicher Aufbereitung der Nahrung wichtige Tätigkeit paläolithischer Menschen, aber kein Nachweis, das Getreide gemahlen
- Steine, wohl verwandt für mahlende oder schlagende Tätigkeit fanden sich auch auf paläolithischen Plätzen in Europa; scheinen aber auf Grund Arbeitsspuren und Anzahl der Artefakte nicht allzu bedeutend gewesen zu sein
- Steine von Nubien unterscheiden sich von Artefakten, da Mühlstein und Handstein – spezialisierte Werkzeuge
- große Anzahl an einem Platz würde sich nur bei überragenden Ressourcen wie Getreide lohnen
- entscheidend ist Vergesellschaftung von Mühlstein mit Sichelklingen – jedes einzelne kann verschiedenen Zwecken dienen, zusammen weisen sie aber auf Getreidenutzung
- dazu kommen noch Grasreste und Pollen in den Schichten – sind aber noch nicht identifiziert
- Flusstäler wurden immer unterbewertet in Hinblick auf Pflanzendomestikation, da Augenmerk auf Hochländern des fruchtbaren Halbmondes lag
- städtische Gesellschaften und „Zivilisationen“ ohne Nahrungsproduktion nicht vorstellbar
- Nutzung von Gräsern als neue Nahrungsquelle wichtig für Entstehung erster Dörfer genau wie spätere Domestikation
- aber Mühlsteine erscheinen im Fruchtbaren Halbmond sehr spät [945], die ältesten finden sich im Niltal
- im Iran fehlen sie im „Zarzian“ (14C 10 000) und erscheinen erst in Shanidar-Höhle und Zawi Chemi (14C 8920 und 8650 – so auch in Palästina
- obwohl keine Getreidereste dort gefunden wurden, Getreidenutzung in Interpretation mit diesen Artefakten verbunden
- Entwicklung läuft über intensives Sammeln von Getreide, Intensität steigert sich, bis zu den ersten Nachweisen für domestizierte Pflanzen
- dabei entsteht eine zunehmende Abhängigkeit, während Jagd und sonstiges Sammeln beibehalten werden
- für Autor überraschend, dass erster Nachweis für Beginn dieser Entwicklung im Niltal, das heute frei von größeren Wildgrasbeständen
- aufgefundene Sporen können jedoch sowohl zu Gras als auch zu Weizen oder Gerste gehören, womit abschließende Aussage nicht möglich
- im heutigen Nubien weder Weizen noch Gerste, aber möglich im Spätpleistozän [946]
- Reste großer Savannentiere, Böden, die sich zur Zeit nur entlang der Mittelmeerküste bilden; Nachweis für ganzjährige Teiche und Seen zu dieser Zeit in Zentralägypten weisen auf ein anderes Klima mit mehr Niederschlag und niedrigeren Sommertemperaturen
- im Gegensatz zur Meinung mancher Gelehrter musste es deutliche Klimaunterschiede gegeben haben; neuere Dateien weisen auf ein kälteres Klima im Südwesten des Iran um 11 000 v.d.Z. (Pollen- und Mikrofaunenanalyse) und eine folgende allmähliche Erwärmung
- ähnliche Daten kommen auch von Untersuchungen aus der Sahara, wo bis 8000 v.d.Z. von einer Feuchtsteppe auszugehen ist, mit mediterraner Flora in der Zentralsahara
 
- noch viel Arbeit, aber Wahrscheinlichkeit für klimatische Bedingungen für wilden Weizen und Gerste gegeben
- Klimawandel wird für 10 000-8000 angenommen, was auch den Abbruch der Tradition erklären würde
 
das ist interessant, @Ammianus, Wendorf und Nord-Ost-Afrika würde auch gut in http://www.geschichtsforum.de/f216/das-vorkoloniale-afrika-sprachen-und-strukturen-23011/ passen.

Die von dir zitierten Untersuchungen sind teilweise aus den 60ern, ist dir in dem Raum neueres bekannt?

Was in dem Wendorf-Excerpt wie auch in dem Link aus #73 als eine wichtige Voraussetzung erwähnt wird für die vermehrte Nutzung von Grassamen als Vorstufe zur bewußten Aussaat, ist eine Art klimatisches Zeitfenster, das eine Grassteppe begünstigt.

Wird es feuchter und gibt es Restwaldbestände, kann sich Wald relativ schnell ausbreiten, so in der küstennahen Levante.
Im gebirgigen Nordmesopotamien war es trockener und die Krautsteppe ging teilweise in Grassteppe über. Solche Grassteppen könnte es teilweise auch in der heutigen Sahara gegeben haben?

Bemerkenswert finde ich den Fischfang. Könnte es sein, das eine seßhaftere Lebensweise an küsten- und flußnahen Orten, wie dem Nil, schon vor dem neolithischen Wandel einsetzte. Natürlich wurde zusätzlich gejagt und gesammelt aber durch die relative Ortsfestigkeit und Bevölkerungswachstum wanderte das Großwild ab und die pflanzliche Nahrung mußte dieses ersetzen.
 
Zuletzt bearbeitet:
@rena@

Du sprichst hier gleich mehrere wesentliche Aspekte an wie Klima und die Ernährung aus dem Meer bzw. Fischfang im Allgemeinen. Aber zuerst, neuere Forschungen dazu sind mir nicht bekannt. Müsste man recherchieren.
Über den möglichen Zusammenhang von Klimaveränderungen und Neolithisierung gibt es eine wahnsinnig interessante Doktorarbeit von:

Marion Benz, Die Neolithisierung im Vorderen Orient – Theorien, archäologische Daten und ein ethnologisches Modell. 2000.

Auch für den interessierten Laien gut zu lesen. Versorgt wird man u.a. mit einem Exkurs zur Klimaentwicklung der letzten 10 000 Jahre und einer Reihe interessanter ethnologischer Beispiele, die Zeigen, dass Ackerbau bzw. Pflanzennutzung die über das einfache Sammeln hinausgeht durchaus temporär sein kann. D.h., wenn es nicht mehr nötig ist wird es wieder aufgegeben. Ein Hinweis darauf, dass die Neolithisierung nicht als unumkehrbarer Prozess abgelaufen sein muss.

Zur Fischerei: Die japanische Yomon-Kultur liefert die frühesten menschlichen Zeugnisse der Töpferei. Diese Leute waren aber keine Ackerbauern und Viehzüchter sondern ernährten sich aus dem Meer (in Japan heute noch wichtige Nahrungsgrundlage). Ähnliche Beobachtungen lassen sich in Norddeutschland und Süddänemark bei „mesolithischen“ Kulturen wie Ertebölle machen. Hier finden sich Anzeichen für Keramik und Sesshaftigkeit, während Meerestiere scheinbar wichtigste Ernährungsgrundlage ist. Ähnliche Anzeichen teilweise auch bei der späteren Trichterbecherkultur und den „frühneolithischen“ Kulturen in den Tälern von Dnepr und Südlichem Bug in der Ukraine. Gewässer könnten durchaus eine ausreichende Nahrungsgrundlage bieten um zur Entwicklung oder Übernahme von Teilen des „Neolithischen Pakets“ ohne Ackerbau und Viehzucht zu führen.
 
Zum Fischfang zwei Anmerkungen:

Wir reden hier über eine Phase, inder die Küsten nicht stabil waren. Zwischen 10.000 v.Chr und 6.000 v.Chr. stieg das Meer um etwa 1 cm im Jahr.

nacheiszeit.gif

Das bedeutete einen enormen Erosionsdruck auf die Küstengebiete. Sandstrände und Felsküsten, wie wir sie kennen, gibt es in dieser Phase so gut wie garnicht. So in etwa könnte das am Mittelmeer ausgesehen haben:

erosion.jpg

BeachRetreat.jpg

Und so sah vielleicht die einstige Landbrücke nach England aus (Bild aus Alaska):

DrewPoint1LG.jpg

Auf der einen Seite war also die Küste am Ende des Mesolithikums ein sehr unwirtlicher (gespenstischer?) Ort, auf der anderen Seite musste man an flacheren Küsten alle paar Jahrzehnte seinen Siedlungsplatz landeinwärts verlegen.

Das bringt uns zu dem eigentlichen Problem: wie intensiv die frühen Neolithiker das Meer genutzt haben, ist schwer zu sagen, da die Küstenbereiche von damals mittlerweile 50m unter dem Meeresspiegel liegen. Welche Rolle der maritime Fischfang und das Sammeln von Krusten- und Schalentieren spielte, können wir demnach nur vorsichtig vermuten. Ich befürchte leider, es ist uns aus dieser Zeit ziemlich viel verloren gegangen. :weinen:
 
Hallo Ammianus,

in Deinem Beitrag #74 schreibst Du : -8905 (ich vermute eine Datierung?) Herde am Nilufer;

handeltes sich dabei um Funde in heutiger Uferhöhe oder deutlich drüber?
 
@Pope: Das bedeutete einen enormen Erosionsdruck auf die Küstengebiete. Sandstrände und Felsküsten, wie wir sie kennen, gibt es in dieser Phase so gut wie garnicht.

Diese Schlussfolgerung ist nicht richtig. Eine einzige Hochflut kann einen Strand verschwinden lassen oder neu schaffen. Der allmähliche Meeresspiegelanstieg im Holozän verhinderte keinesfalls frühe Sesshaftigkeit an den Küsten. @Ammianus erwähnte die Yomon-Kultur. Aber auch die Kjökkenmöddinger in Jütland und Portugal belegen frühe Sesshaftigkeit in der Mittelsteinheit bei hoher Siedlungsdichte. Die frühen sapiens, die Afrika verließen, orientierten sich zunächst an den Küsten zwischen Jemen und Sundaschelf. Im Englischen führte man für diese Gruppen die Bezeichnung "Beachcomber" (Strandräuber:D) ein.
 
Diese Schlussfolgerung ist nicht richtig. Eine einzige Hochflut kann einen Strand verschwinden lassen oder neu schaffen.

Strände bilden sich unter den Bedingungen des abrupten Meeresspiegelanstiegs so gut wie garnicht - sie sind ein Produkt der letzten 6.000 Jahre.

Der allmähliche Meeresspiegelanstieg im Holozän verhinderte keinesfalls frühe Sesshaftigkeit an den Küsten.

Verhindern tat er es nicht, nur war die Küste ein sehr instabiler Lebensraum - nicht nur für den Menschen. Die Landschaft konnte sich sehr schnell verändern. Klippen, an denen Vögel brüteten und unter denen Robben sich sonnten konnten nach wenigen Jahren abgebrochen und einfach im Meer verschwunden sein.
 
@Pope, dann sind alle die auf sandige Meeresstrände spezialisierten Tier- und Pflanzenarten erst jüngst vom Mars eingewandert? Mach mal Urlaub an der Ostsee, auf dem Darss und Hiddensee kannst du dir gern mal Küstendynamik vor Ort ansehen. 1 cm Anstieg pro Jahr ist dabei irrelevant - es gibt zuhauf alte Strandwälle landeinwärts, als während der Littorina-Transgression der Meeresspiegel etwas höher als heute war.

Betr. deiner flapsigen Bemerkung @Lynxxx, da wir bei Entstehung der Sesshaftigkeit sind, hat das schon damit zu tun. Weil an günstigen Küsten und Binnengewässern diese ohne Landwirtschaft möglich war und auch vorkam.
 
Hallo Ammianus,

in Deinem Beitrag #74 schreibst Du : -8905 (ich vermute eine Datierung?) Herde am Nilufer;

handeltes sich dabei um Funde in heutiger Uferhöhe oder deutlich drüber?

8905 ist die Bezeichnung der Grabungsstelle. Die Fundstelle liegt in einer Höhe von 140 m über NN, wie hoch die Oberfläche des Nils hier ist, kann ich nicht sagen. Radiokarbondaten liegen aus der Sahabaformation vor - natürlich unkalibriert - und decken einen Bereich von 13 500 (+/- 750) bis 10 300 (+/- 200) ab.
 
@rena@

..... Müsste man recherchieren.
Über den möglichen Zusammenhang von Klimaveränderungen und Neolithisierung gibt es eine wahnsinnig interessante Doktorarbeit von:

Marion Benz, Die Neolithisierung im Vorderen Orient – Theorien, archäologische Daten und ein ethnologisches Modell. 2000.

Auch für den interessierten Laien gut zu lesen. Versorgt wird man u.a. mit einem Exkurs zur Klimaentwicklung der letzten 10 000 Jahre und einer Reihe interessanter ethnologischer Beispiele, die Zeigen, dass Ackerbau bzw. Pflanzennutzung die über das einfache Sammeln hinausgeht durchaus temporär sein kann. D.h., wenn es nicht mehr nötig ist wird es wieder aufgegeben. Ein Hinweis darauf, dass die Neolithisierung nicht als unumkehrbarer Prozess abgelaufen sein muss.

Das ist die Archäologin aus der weiter oben verlinkten ZDF-Nachtstudio-Sendung, ich will unbedingt versuchen, mir die Arbeit zu besorgen.
 
Das ist die Archäologin aus der weiter oben verlinkten ZDF-Nachtstudio-Sendung, ich will unbedingt versuchen, mir die Arbeit zu besorgen.

Die Arbeit lohnt sich wirklich. Den Stream hab ich mir eben angesehen: der Bierbrauer sitzt in der eigenen Falle seiner Monokausalität. Das Buch ist spektakulär von Titel und Gegenstand und damit zielt er genau aufs Publikumsinteresse. Archäologische Belege kann er natürlich nicht bringen, da er davon keine Ahnung hat und zum Glück zu sehr Wissenschaftler ist um sich auf einem fremden Gebiet zu blamieren. Bei den Archäologen dann eigentlich 2 Generationen: Schmidt noch mehr das traditionelle Verständnis bei Benz und Tost dann starker Einbezug kritisch verstandener Ethnologie (ist aber nicht als Wertung zu verstehen).
Wenn Schmidt sagt, dass zwischen aneignender und produzierender Lebensweise ein neuer Band in die Menschheitsgeschichte einzufügen wäre, dann hat er da durchaus recht. Vereinbar auch mit Benz und Tost, die das ganze als eine Vielzahl sich gegenseitig bedingender Prozesse betrachten. Insgesamt verschwimmen die Grenzen. Epochenbegriffe sind menschliche Setzungen genau wie Definitionen (neolithisches Paket). Eine Betrachtungsweise, die auch auf den Übergang Neolithikum-Bronzezeit oder Antike-Mittelalter angewandt werden sollte und sich auch immer mehr abzeichnet.

P.S. Panzer, na ja. Wirkt sehr sonor auf den ersten Blick, ist aber - nach Aussage von Leuten die mit ihm beruflich zu tun hatten (Selbstzensur).
 
Ammianus;360916[FONT=Times New Roman schrieb:
Über den möglichen Zusammenhang von Klimaveränderungen und Neolithisierung gibt es eine wahnsinnig interessante Doktorarbeit von:[/font]

Marion Benz, Die Neolithisierung im Vorderen Orient – Theorien, archäologische Daten und ein ethnologisches Modell. 2000.

Es hat geklappt, ich habe die Arbeit eben per Fernleihe bestellt.... nur ein paar Wochen warten.

Hier im GF wird man auch fündig http://www.geschichtsforum.de/260447-post3.html,
in dem Beitrag wird der von @Pope erwähnte Mais angesprochen, führt in diesem Strang vielleicht zu weit.

In Nordmesopotamien/Ostanatolien gab es keinen Mais aber vielleicht zur richtigen Zeit Grassteppe und Wild, auf Fischfang/Muschelsuche können wir in der weiteren Umgebung des Göbekli Tepe wohl eher nicht hoffen, ich wage kaum den Link zum Fischteich von Urfa zu setzen Islamische Zeitung :: Die Stadt der Propheten

Deshalb die Frage, warum bauten sie dort, was könnte den Ort besonders gemacht haben?
 
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Deshalb die Frage, warum bauten sie dort, was könnte den Ort besonders gemacht haben?

Der Ausgräber von Göbekli Tepe hielt bei uns mal Vortrag. Dabei zeigte er eine Grafik mit den Verbreitungsgebieten der domestizierbaren und dann auch domestizierten Nutztiere und Pflanzen. Göbleki Tepe lag in dem Bereich, wo das sich alles überschnitt. Man darf auch nicht vergessen, dass es gerade in der Türkei eine Frage des Forschungsstandes ist. Das Land ist zwar uralter Kulturboden und hat so gewichtige Plätze wie Troja und Pergamon oder Hattuscha. Aber ein großer Teil der sichtbaren Ruinenhügel und potentiellen Grabungsstätten ist noch völlig unerforscht. Ein archäologisches Interesse wie es seit dem 19. Jh. gerade in Teilen des deutschen Bürgertums kultiviert wurde, rührige Bodendenkmalpfleger, überhaupt ein Bewusstsein für die universellen Werte der Vergangenheit, des kollektiven Menschheitsgedächtnisses, ist dort nicht so entwickelt wie bei uns. Da liegt noch vieles unbekannt im Boden.
 
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