Flottenwettrüsten - Motive Kaiserreich

1890 wurde die Verlängerung des Rückversicherungsvertrages D-R u.a. mit Blick auf die Bündnismöglichkeit D-Großbritannien (neben Ö-U) zurückgewiesen.

1892 frz.-russische Militärkonvention als Beginn der Blockbildung, deutscherseits rezipiert im nun möglichen Zweifrontenkrieg.

Wie soll zwischen 1892 und 1904 der britische 'Beitrag', nämlich finanzielle und politische Unterstützung von Rußland ausgesehen haben, den wiederum angeblich mit Bezug auf die deutsche Flottenrüstung? Der Umfang müßte nach Deinen Ausführungen dergestalt sein, dass er geeignet war, F/R dem Deutschen Reich "auf den Hals zu hetzen".
 
Also zu einigen letzteren Beiträgen muß ich mal wieder die :grübel::Szeln.
So sind die Beiträge von admiral, jschmidt und EL_Mercenario für mich etwas unverständlich und lassen ganz neue Aspekte in der Geschichtsschreibung aufkommen. Habe ich da etwas verpasst?( Jungs, ist nicht böse gemeint, gelle.)

Eine Grundsatzfrage: Warum werden zu dem Thema immer wieder Motive für die Flottenrüstung wahlos aus dem Zusammenhang gerissen? Wäre es nicht sinnvoll die Problematik als Gesamtpaket zu sehen? Hier wird immer über die Strategie des Flottenrüstens ab der Tirpitzära gesprochen, was ist mit den 25 Jahren zuvor?

Gerade Tirpitz war es doch, der sich als der Lehrling oder Weiterführenden der Stoschen Strategie vom Aufbau der deutschen Flotte bezeichnete. Findet die Wurzeln und man sieht diverse Zusammenhänge in einem anderen Licht.

Kurz gesagt: Stosch baute eine starke deutsche Flotte auf, Caprivi legt während seiner Amtszeit mehr auf die strategische Ausbildung und Ausrichtung der Flotte wert. Die Torpedowaffe kam und wurde auch durch Tirpitz damals schon überbewertet, was in den 80igern dazu führte, das die Flottenpolitik drohte in einer Sackgasse zu enden.
Caprivi greift erstmals auch die Blockade gegen die deutsche Küste auf, die Nah- sowie die Fernblockade! Dieses Thema wurde deshalb so interessant für Caprivi, da hier festgestellt wurde, daß das Deutsche Reich zunehmend von Importen abhängig wurde.

Man beachte hierbei, dass die Flotte noch weniger als politische Waffe gesehen wurde und Deutschland in erster Linie eine Landmacht darstellte.

Diese 25 Jahre unter u.a. Stosch und Caprivi, waren entscheiden für die Entwicklung der deutschen Marine, da hier Grundlegende Szenarien und Theorien durchgespielt wurden, wie eine Zukünftige deutsche Flotte zu sein mochte. Eine große 2. rangige Marine mit dem Hang zur Bündisfähigkeit?

Erst die Dienstschrift IX von Tirpitz Mitte der 90iger Jahre rückte alles in ein anderes Licht und drängte die Marine in den militärischen Fordergrund. Poltisch wie auch finanziell. Beeinflußt wurde Tirpitz dabei immer wieder von den Theorien zur Seemacht des Mahan.

Wenn diese Gedanke vielleicht erörtert werden, könnte man nachvollziehen, warum und wieso und weshalb Tirpitz etwas zum Thema Seemacht und Flottenrüstung tat.
 
Wie soll zwischen 1892 und 1904 der britische 'Beitrag', nämlich finanzielle und politische Unterstützung von Rußland ausgesehen haben, den wiederum angeblich mit Bezug auf die deutsche Flottenrüstung?

Das habe ich mißverständlich formuliert. "Das Problem ist, dass England die deutsche Strategie hätte kontern können...", wäre besser ausgedrückt gewesen. Tirpitz hat es ja nicht geschafft, die deutsche Flotte soweit auszubauen, dass für GB ein wirklich ernsthaftes Risiko bestand, die Kontrolle über die See zu verlieren. Aber angenommen, er hätte mit seinem Risikogedanken Erfolg gehabt und genug Schiffe bauen können, dann hätte GB dem Deutschen Reich F/R wahrscheinlich "auf den Hals gehetzt". Die Tendenz war 1914 schon zu erkennen.


@Köbis17
Ich glaube nicht, dass Tirpitz mit der Flottenrüstung den deutschen Handel schützen wollte. Dieses Argument war nur vergeschoben. Die Flotte sollte GB im Falle eines Krieges gegen Frankreich vom Eingreifen abschrecken, oder, falls es nicht zum Krieg kam, GB zu einem Bündnis oder der Herausgabe von Kolonien erpressen. Also eine politische Flotte, wenn man so will.
Was mir nicht ganz klar ist, zu diesem Zweck hätte die Flotte so stark sein müssen, dass eine ernsthafte Bedrohung GBs gegeben war. Also im Grunde gleichstark. Eigentlich müsste Tirpitz aber gewusst haben, dass eine Flotte dieser Größe für das DR nicht auf die Beine zu stellen war, seine Strategie also von vorneherein aussichtslos. Irgendwo ist da ein Denkfehler drin. Die einzige Erklärung die ich habe ist, dass Tirpitz gehofft hat, vom 2:3 Verhältnis ausgehend, irgendwann doch noch an GB vorbeiziehen zu können.
 
@Köbis17
Ich glaube nicht, dass Tirpitz mit der Flottenrüstung den deutschen Handel schützen wollte. Dieses Argument war nur vergeschoben. Die Flotte sollte GB im Falle eines Krieges gegen Frankreich vom Eingreifen abschrecken, oder, falls es nicht zum Krieg kam, GB zu einem Bündnis oder der Herausgabe von Kolonien erpressen. Also eine politische Flotte, wenn man so will.

Das habe ich nicht behauptet.
Lies die Denkschrift IX, dann weißt Du, was Tirpitz´s Motive waren. Auf Grundlage dieser Dienschrift wurde die strategie der Marine aufgebaut, nach 1898 versteht sich.

Wenn Du dir die Flottengesetze vor Augen hälts und die Novellen von 08 und 12 mit einarbeitest, kannst Du sehen, wieviele Schiffe gebaut werden sollte.
Mir schwirrt da etwas von 40 Linienschiffen bis 1917 vor Augen! 4 aktive Geschwader und 1 Reserve. Dabei sind die Zahlen der Neubauten und der zu ersetzenden Bauten zu berücksichtigen. Aber ich glaube, ich hatte sogar etwas von 60 Linienschiffen gelesen....
Dabei wird immer von einem Dreiertempo ausgegangen, pro Jahr.
 
...seine Strategie also von vorneherein aussichtslos. Irgendwo ist da ein Denkfehler drin. Die einzige Erklärung die ich habe ist, dass Tirpitz gehofft hat, vom 2:3 Verhältnis ausgehend, irgendwann doch noch an GB vorbeiziehen zu können.

Oder man folgt dem fehlgeschlagenen Grundansatz konsequent: ist die Flotte relativ stark, ist eine Annäherung Großbritanniens (aufgrund vermuteter Interessengegensätze zwischen GB und F/R) an das Deutsche Reich zu erwarten, also einen akzeptierten Status Quo im angestrebten Bündnis.

Der Fehler liegt dann in der Prämisse.
 
@Köbis
Die Dienstschrift hab ich nicht gefunden.

@silesia
Aber man hat nach der Entente zwischen Frankreich und GB immer weiter fleißig Dreadnoughts gebaut. Wo doch eigentlich klar war, dass die "Erpressungsstrategie" gegen GB gescheitert war. Sogar noch nach 1912, wo die finanzielle Lage schon hoffnungslos war. Erst nach Kriegsbeginn hat man aufgegeben und angefangen U-Boote zu bauen.
 
Aber man hat nach der Entente zwischen Frankreich und GB immer weiter fleißig Dreadnoughts gebaut. Wo doch eigentlich klar war, dass die "Erpressungsstrategie" gegen GB gescheitert war. Sogar noch nach 1912, wo die finanzielle Lage schon hoffnungslos war. Erst nach Kriegsbeginn hat man aufgegeben und angefangen U-Boote zu bauen.

Es gab einen Flottenplan, an dem man sich zu halten hatte, egal was ausserhalb dieses Planes geschah. Deutsche Gründlichkeit.
 
Die Wahrnehmung (Erwartung?) war eine andere, siehe hier:
Von Kaiser Wilhelm verwundert das nicht weiter. Der verstand von Aussenpolitik soviel wie eine Kuh vom Schlittschuhlaufen. Aber Tirpitz hätte ich als recht clever eingeschätzt.

Es gab einen Flottenplan, an dem man sich zu halten hatte, egal was ausserhalb dieses Planes geschah. Deutsche Gründlichkeit.
Das ist nicht Gründlichkeit sondern Ignoranz. Ich hatte angenommen der Plan sei für die Zivilisten gedacht, denen man, wenn sie den Marinehaushalt kürzen wollen, den Plan entgegenhalten kann. Die Heeresleitung hat ihre Planung an die politische und militärische Gegebenheiten angepasst, warum sollte die Marineleitung das nicht machen?
 
Das ist nicht Gründlichkeit sondern Ignoranz. Ich hatte angenommen der Plan sei für die Zivilisten gedacht, denen man, wenn sie den Marinehaushalt kürzen wollen, den Plan entgegenhalten kann. Die Heeresleitung hat ihre Planung an die politische und militärische Gegebenheiten angepasst, warum sollte die Marineleitung das nicht machen?

Natürlich hat man die Planung angepasst, mit den Novellen von 1906, 08 und 12. Die Startegie, die hinter der Flottenplanung lag, war doch die Grundlage und die Rechtfertigung für den Bau der Schlachtflotte. Als der Krieg eingetreten war und die Strategie, für die die Flotte gebaut worden war nicht aufging, war man gezwungen einen neuen oder anderen Strategischen Weg zu gehen, so z.B. der Handelskrieg mit Ubooten.
 
Die Flotte wurde natürlich auch als politischer Machtfaktor gewünscht und gewollt. Großbritannien und in zunehmenden Maße auch die USA verlegten den Deutschen Reich bei der Gewinnung von Kolonien als auch von Stützpunkten den Weg . Als beispielsweise im spanisch-amerikanischen Krieg, den die USA mit einer unzutreffenden Behauptung gegenüber Spanien begonnen haben, 1898 sich die US-Flotte vor den Philippinen austobte, wurde auch eine deutsche Kreuzerdivision als Beobachter dorthin entsandt. Motivation war wohl wahrscheinlich, irgendwie aus diesem Krieg profitieren zu können, möglicherweise in Form eines Stützpunktes .Die US-Amerikaner unter dem Befehl von Admiral Dewey betrachten die deutschen Schiffe aber als feindliche, denn angeblich sollen die Amerikaner sogar auf die deutschen Schiffe Warnschüsse abgegeben haben (Manilavorfall). Die Amerikaner waren dabei die Häfen der Philippinen zu blockieren.

In der Folge kam es jedenfalls zu einer Entfremdung zwischen den USA und dem Deutschen Reich. Bereits 1902 im Zuge der Blockade Venezuelas, gemeinsam mit Großbritannien, hat in den USA große Missstimmung, vor allem gegen das Deutsche Reich, hervorgerufen, obwohl die USA für sich das gleiche Recht beanspruchten, beispielsweise gegenüber Kuba, eine Kanonenbootdiplomatie zu praktizieren. Die USA zogen sogar während der Venezuela-Krise ihre gesamt Flotte als Drohgebärde zusammen. Eine unmittelbare Reaktion auf diese Krise war jedenfalls, dass die USA eine deutliche Verstärkung der Navy auf dem Weg brachten. Die USA waren gewillt der Monroe-Doktrin mit Nachdruck durchzusetzen.

Auf deutscher Seite hat Wilhelm den Admiralstab mit der Ausarbeitung von Kriegsplänen gegen die USA beauftragt. Admiralstabschef Diederichs lieferte Argumente für die Verstärkung der Flotte hinichtlich der USA, denn nur so könne die US Navy geschlagen und vielleicht auch ein paar Hafenstädte erobert werden.

Der deutsche Generalstabschef Alfred Graf von Schlieffen hat mit großem Nachdruck von diesen abenteuerlichen Überlegungen und Plänen abgeraten, da er den Personalbedarf beispielsweise für die Eroberung von Boston mit 100.000 Soldaten oder Kubas mit immer noch 50.000 Soldaten veranschlagte. Schlieffen hielt es für unverantwortlich das Deutsche Reich so zu entblößen, denn wie würden sich dann die anderen europäischen Großmächte verhalten?

Aber auch die USA betrachten das Deutsche Reich fortan als künftigen Kriegsgegner, denn die US Navy befasste sich ebenfalls mit Überlegungen eines Krieges gegen Deutschland.
 
Turgot, dass ist ja alles richtig, aber die deutsche Flotte war von ihrer Art der Typen an Kriegsschiffen und deren taktische Ausrichtung immer auf dem Bereich der Nordsee und Ostsee beschränkt, somit aktive Gegner sollten die Engländer, Franzosen oder Russen sein. Einen Militärischen Schlag gegen die USA wahr eine große Phantasterei, denn es gab keine Mittel, weder einen schlagkräftigen Flottenverband bis zur amerikanischen Küste zu bringen und dort einsatzfähig zu halten, geschweige einen Truppentransport dieser Größenordnung durchzuführen.

Allerdings gibt es klare Anzeichen dafür, die jeweilge Stärke zur See zu demonstrieren (Roosevelt mit der Weltreise der "Großen Weißen Flotte 1908 oder die deutsche Detachierte Division 1913).

Die amerikanische Flotte hat lediglich mit ihren Typen an Großlinienschiffen ab 1906 die Konstruktionsabteilung des RMA beschäftigt.
 
Köbis17 schrieb:
Einen Militärischen Schlag gegen die USA wahr eine große Phantasterei, denn es gab keine Mittel, weder einen schlagkräftigen Flottenverband bis zur amerikanischen Küste zu bringen und dort einsatzfähig zu halten, geschweige einen Truppentransport dieser Größenordnung durchzuführen.

In der Tat: Die Überlegungen und Pläne des Admiralstabschefs entbehren doch einer gewissen realistischen Grundlage.
 
Wobei allerdings die Detachierte Division 1913(Linienschiffe SMS Kaiser, SMS König Albert und der kleine Kreuzer SMS Straßburg) nicht nur gute Erfahrungen sammelte im technischen Bereich (Turbinenanlagen wurden auf Dauerbelastung geprüft), so hatte die Reise auch Erfolg in propagandistischer Hinsicht für die deutsche Werftindustrie und darüber hinaus für das Deutsche Reich insgesamt gebracht.

Siehe hier:

http://docserver.bis.uni-oldenburg.de/publikationen/dissertation/2000/wiepre00/pdf/kap12.pdf
 
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Zu silesia # 23,24

Warum war der Aufschwung militärisch zu sichern? Seit sich Menschen zu Gemeinwesen zusammenschliessen, werden die Grundlagen des Gemeinwesens (nach innen und außen) gesichert. Warum hatte Venedig Stützpunkte auf dem Weg nach dem Nahen Osten? Was wolte England in Ägypten? Ist (Exportweltmeister) Deutschland am freien Welthandel interessiert?

Die in #24 genannten Zahlen entsprechen den mir bekannten. Die Exportorientierung des Kaiserreichs ist eindeutig: Etwa 18% des Exports gingen in die USA (beim Exportweltmeister waren es 2007 noch 8%). Der Expor bei einem rohstoffarmen, weiterverarbeitenden Land kann nur funktionieren, wenn auch importiert werden kann (die Abhängigkeit beträgt bei Rohstoffen, die in Deutschland nicht zu finden sind, logischerweise 100%).

Die Exportabhängigkeit Deutschlands war dem englischen Admiralstab bekannt. Die Blockadestrategie ist darauf begründet (ist hier jemand anderer Auffassung?). Der Erfolg zeigte sich zwar erst spät, allerdings brach die Exportwirtschaft dann vollkommen zusammen, es entstand die Hyperinflation, Massenarbeitslosigkeit, das Aufkommen radikaler politischer Parteien. Es ist nachvollziehbar, dass sich das Kaiserreich davor schützen wollte.
 
zu silesia # 23, 24

Richtig ist, dass England ein wichtiger Handelspartner von Deutschland war. War es nicht im Interesse beider Staaten dn Krieg zu verhindern? Meine eindeutige Antwort: Ja!

Deutschland konnte kein Interesse am Krieg haben. Die Überlegenheit in den zukunftsträchtigen Industrien war eindeutig (und wurde selbst durch zwei verlorene Weltkriege nicht beeinträchtigt). Auch England konnte durch den Krieg nur verlieren, und hat auch trotz seines Status als Sieger die für England so wichtige Rolle als Finanzzentrum an die USA verloren.

Warum? Ich denke, weil die politisch bestimmende Klasse letztlich immer noch an der Kolonialwirtschaft nteressiert war. Dies bestand, vereinfacht gesagt, darin Baumwolle billig in Indien einzukaufen und in England weiter zu verarbeiten, dann als Textilien in Indien - Bevölkerung 1911 imerhin 303 Mio, die sich einkleiden mussten - zu veräussen. Um das Geschäft zu sichern, musste man sowohl Indien selbst wie auch den Weg dahin beherrschen. Aber das Geschäftsmodell war gegen die neuen Industrien (zB Chemie) ohne Chance. Aber wenn man mit den neuen Industrien mehr verdienen konnte (und höher entwickelte Technik brauchte), war man - in Jahrzehnten gerechnet - in denkbar schlechter Lage. Wie wollte man die Supremität aufrechterhalten? Insbesondere, wenn möglicherweise reichere Staaten ebenfalls ein - eigenes- Interesse am freien Verkehr auf (und freien Zugang zu) den Weltmeeren hatten (auch heute, 2008, werden mehr als 98% des Güterverkehrs im Schiffsverkehr abgewickelt).

Nochmals zu dem Gedanken, dass Europäer vornehmlich mit Europäern handeln. Das war und ist unbedingt richtig. Trotz allem: Zu einer Europäischen Verfassung hat es bis heute nicht gereicht und die Finanzkrise größten Ausmasses wird durch (zum Glück konzertiert) Einzelstaaten angegangen. Da muss man Verständnis für die Politiker vor 100 Jahren haben.
 
zu jschmidt #25

Ein Problem in der Betrachtung der Flottenpolitik liegt schon in der Wortwahl. Diese dient hier nämlich nicht der Vereinfachung, sondern ist Ausdruck einer politischen Gegnerschaft (und keiner geschichtlichen Betrachtungsweise). Gemeint sind Begriffe wie Tirpitz-Plan (Titel einer Habilitationsschrift aus den Siebzigern), Tirpizianer oder überhaupt der Versuch, die Flottenrüstung als das Werk eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe darzustellen. Das erlaubt es auch Hintergründe (zB wirtschaftliche) als Vorwand darzustellen. Es verführt auch dazu, aus der Flottenpolitik eine Art Verschwörung Einzelner (Tirpitz scheint für manche wie Blofeld in einem James Bond Film zu sein, der das Empire vernichten will) zu machen.

Dabei ist die Flottenpolitik dafür denkbar ungeeignet. Rechtlich ist die gesamte Flottenpolitik in Form von Reichsgesetzen ergangen, die Flottenpolitik ist also keineswegs Wille von Tirpitz (mag er sie auch in den Reichstag eingebracht haben), sondern Wille des Reichstage (der zumindest die ersten beiden Gesezte
mit annäherender Zweidrittelmehrheit verabschiedet - also diskutiert und angenommen - hat; die Abstimmungsergebnisse der Novellen sind mir nicht bekannt, vielleicht hat jemand die Ergebnisse). Dabei war der Reichstag in veränderter Besetzung 14 Jahre mit Flottenfragen beschäftigt und ist immer Tirpitz Argumenten gefolgt.

Die Flottengesetze (1898 und 1900) und die Novellen (1906. 1908, 1912) sind jeweils von andern Reichstagen (nämlich vom 9. - gewählt 1893 -, 10. - gewählt 1898 -, 11. - gewählt 1903, 12. - gewählt 1907 -, und 13. - gewählt 1912 - verabschiedet worden. Wie andere Gesetze zeigen - z.B. das BGB - waren in den Reichstagen exzellente Abgeordnete. Haben die sich fast alle vor den Karren von Tirpitz spannen lassen? Gab es da keine wirtschaftlichen Interessen, die die Abgeordneten vertreten haben (es wäre in der Geschichte die erste Vertretung ohne wirtschaftliche Interessen)?

Es gibt in der Tat das Argument, Tirpitz habe den Reichstag durch eine immense Propagandamaschine überrollt. Aber ist dies ein ernsthaftes Argument? Bestanden fünf Reichstage (für fünf Gesetze) aus Trotteln? Ich glaube das nicht (Carl Schmitt allerdings meint, dass Volksvertretungen nicht sinnvoll seien, weil sie von Partikularinteressen beeinflusst werden, vgl. Schmitt, Geistesgeschichtliche Lag des heutigen Parlamentarismus, 1923).

Nur, warum ist der Reichstag Tirpitz gefolgt? Folgte die Mehrheit der (immerhin 397) Abgeordneten einer irrationalen Machtpolitk (1912 immerhin sieben große und eine mir nicht bekannte Zahl kleinere Parteien)?

Oder, und das meine ich, gab es damals einfach vernünftige Gründe für die Flottenpolitik. Zum Beispiel wirtschaftliche.
 
(...)Rechtlich ist die gesamte Flottenpolitik in Form von Reichsgesetzen ergangen, die Flottenpolitik ist also keineswegs Wille von Tirpitz (mag er sie auch in den Reichstag eingebracht haben), sondern Wille des Reichstage (der zumindest die ersten beiden Gesezte
mit annäherender Zweidrittelmehrheit verabschiedet - also diskutiert und angenommen - hat; die Abstimmungsergebnisse der Novellen sind mir nicht bekannt, vielleicht hat jemand die Ergebnisse). Dabei war der Reichstag in veränderter Besetzung 14 Jahre mit Flottenfragen beschäftigt und ist immer Tirpitz Argumenten gefolgt.(...)

Sicher hat der Reichstag die Flottengesetze mit seiner Abstimmung beführwortet und als Gesetzt eingebracht. Aber dies wurde vor Tirpitz 1897, schon durch Kaiser Wihlem II und Hollmann versucht, mit einer Ablehnung der Flottenbauplanungsvorlage. Hauptgrund war eine gewisse Konzeptionslosigkeit der Planung sowie überzogene zu bauende Schiffzahlen.

Nur durch Tirpitz war es nach 1897 möglich geworden, das Flottenbauprogramm so dem Reichstag darzulegen, dass er es garnicht mehr ablehnen konnte. Ohne Tirpitz dabei "hochspielen" zu wollen, aber ohne Ihn wäre es wohl nicht so schnell zur Verabschiedung einer Gesetzevorlage zum Planmäßigen Aufbau einer deutschen Marine gekommen.
Mit der ersten Flottenvorlage die angenommen wurde 1899, hatte Tirpitz so zusagen "den Fuß in der Tür" und legt 1900 gleich noch einen drauf, in dem die Planungszahlen der Flotte verdoppelt wurden. Keine Partei der Reichsregierung konnte dazu nein sagen, wo sie doch ein Jahr zuvor dem Aufbau zugestimmt hatten.
Eigendlich geschickt eingefädelt von Tirpitz.
 
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Warum war der Aufschwung militärisch zu sichern? Seit sich Menschen zu Gemeinwesen zusammenschliessen, werden die Grundlagen des Gemeinwesens (nach innen und außen) gesichert. ...
Die Exportorientierung des Kaiserreichs ist eindeutig: Etwa 18% des Exports gingen in die USA (beim Exportweltmeister waren es 2007 noch 8%). Der Expor bei einem rohstoffarmen, weiterverarbeitenden Land kann nur funktionieren, wenn auch importiert werden kann (die Abhängigkeit beträgt bei Rohstoffen, die in Deutschland nicht zu finden sind, logischerweise 100%).
Das ist mir viel zu allgemein, es geht hier nicht um Höhle A gegen Höhle B.

- Zunächst einmal gingen nicht 18 % in die USA, sondern 18% nach Nord- und Südamerika insgesamt. Die USA nahmen davon stets rd. die Hälfte ab, in den Jahren 1907 bis 1913 stagnierend jeweils 550 bis 650 Mio. RM.

- Die Topoi vom rohstoffarmen Deutschen Reich und den Nahrungsmittelabhängigkeiten (Importe) nahmen tatsächlich einen breiten Raum in der Öffentlichkeit ein, da läßt sich von den Schriften der zweiten Hälfte 19. JH über mein Kampf bis zur Autarkiepolitik im Dritten Reich eine Linie verfolgen (ich erinnere zB an die erste Sitzung Hitlers mit der Wehrmachtsführung im Feb. 33, bei der die These fiel, diese ließe sich niemals über Exporte regeln, sondern über Raumpolitik). Wie zB der Zollkrieg mit rußland zeigt, ließen sich flugs russische durch ungarische Nahrungsmittelimporte ersetzen. Bedeutender als die USA waren für die Importe die Niederlande, Belgien, Dänemark etc.

- Im übrigen wies das "exportorientierte" Deutsche Reich ein strukturelles Handelsbilanz-Defizit auf (siehe oben betreffend europäische Länder). Hier laufen wohl mehr Legenden als substanielle Zusammenhänge in die Flottendiskussion ein, um auch nochmals die kritische Anmerkung von jschmidt aufzugreifen.

- Die Frage wurde noch nicht beantwortet, was diese Exportvolumina mit dem Flottenbau außer damaliger Propaganda zu tun haben sollen? Wie sollten mit schiffsbau-technischem Stand 1897/1913 Handelslinien ohne Stützpunktnetz nach Nord- und Südamerika gesichert werden?


zu silesia # 23, 24
Richtig ist, dass England ein wichtiger Handelspartner von Deutschland war. War es nicht im Interesse beider Staaten dn Krieg zu verhindern? Meine eindeutige Antwort: Ja!
Deutschland konnte kein Interesse am Krieg haben. Die Überlegenheit in den zukunftsträchtigen Industrien war eindeutig (und wurde selbst durch zwei verlorene Weltkriege nicht beeinträchtigt). Auch England konnte durch den Krieg nur verlieren, und hat auch trotz seines Status als Sieger die für England so wichtige Rolle als Finanzzentrum an die USA verloren.
Bereits 1913 hatte GB diesen "Status" an die USA verloren bzw. würde ihn determiniert verlieren. In der Stahl- und Kohleindustrie (gemessen an der absoluten Leistung/Ausbringung) hatten die USA bereits GB weit überholt. Unvermeidbar war, dass durch die Verflechtungen weitere Industrien dem Fahrwasser der Schwerindustrie folgen würden, an Schluß dann die Finanzkraft bzw. der Finanzmarkt. Eine Kausalität durch den Weltkrieg würde ich daher nicht sehen, allenfalls eine Beschleunigung um ein paar Jahre.

Bezgl. der "Überlegenheit" des Deutschen Reiches ist anzumerken, dass 1914 GB inkl. Kolonien ungefähr die doppelte Bedeutung auf dem Weltmarkt nach Handelsvolumen ggü. dem Deutschen Reich einnahm. Von der behaupteten Überrundung 1913 war nichts zu sehen, wenngleich die deutsche öffentliche Wahrnehmung und die Realitäten 1913 hier etwas auseinander klafften. Der weite Abstand im Handelsvolumen GB (auch ohne Kolonien)/DR 1890/1913 hatte sich zwar etwas, aber im Niveau unbedeutend verringert.
 
Das Kaiserreich hatte mit dem Reichstag ein parlamentarisches Element in seiner Verfassung. Das Budgetrecht des Reichstags war ein beachtlicher Machtfaktor.

Nun ist es aber immer so, dass die Exekutive (aufgrund des Verwaltungsapperats und des dort angesammelten Fachwissens) Gesetztesvorschläge bei der Legeslative einbringt. Der Vertreter der Exekutive mag noch so eine dominante Person sein, die Legeslative entscheidet. Und da eine Legeslative aus vielen Personen mit den unterschiedlichsten Interessen zusammengesetzt ist, wird Tirpitz Sachargumente vorgebracht haben. Ich habe die Protokolle leider nie gelesen, aber aus den "Erinnerungen" lässt sich schliessen, dass die von mr dargestellten wirtschaftlichen Sachverhalte eingeflossen sind. Woraus ergibt sich - wie manche meinen -, dass dies nur ein Vorwand war (und das über 14 Jahre)? Gerade solche subjektiven Merkmale müssen belegt werden, wenn die Argumentation nicht beliebig werden sollte (die Angst vor Pauperismus war doch vorhanden, vgl. H. Heine, Deutschland: Ein Wintermärchen, Caput XXV).

Es ist auch nicht richtig, dass Parlamente Entscheidungen mit Langfristwirkung nicht revidieren können. Korrekturen von Entscheidungen sind doch nicht von der Staasform abhängig. Im konkreten Fall waren doch das Zweite Flottengesetz und seine Novellen Erweiterungen der Bauzahlen. Warum soll der Reichstag nicht sagen können "nein, wir haben genug Schiffe"? Was sollen den die Vehandlungen von Bethmann mit England, wenn das Programm nicht irgendwann zu stoppen gewesen wäre?
Es ist allerdings eine historische Tatsache, dass der Reichstag (in jedesmal anderer Besetzung) entschieden hat "wir brauchen eine Schlachtflotte" und viermal sagte "wir brauchen eine größere Schlachtflotte."

Hier liegt übrigens m.E. die große Schwäche des Bethmann'schen Vorstosses. Er war innenpolitisch nicht abgesichert (also unsicher) und deswegen konnten die Engländer ernsthaft gar nicht auf Bethmann eingehen.
 
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