Flottenwettrüsten - Motive Kaiserreich

#47
silesia, das ist doch nicht der Punkt. Es geht doch um Geschichte. Was haben die damaligen Entscheidungsträger gedacht, das ist doch die Frage. Du schreibst doch, was nach Deiner Meinung damals richtig gewesen wäre.

Der Reichstag hat sich wiederholt mit der Flottenfrage beschäftigt. Wie sah der Reichstag Deine Argumente? Hat er sie übersehen? Hat er sie gesehen, aber zurückgewiesen?

Die Sache mit den Rohstoffen hat man (auch der Reichstag?) damals anders gesehen (so verstehe ich Dich). Wie der Krieg zeigte, nicht ganz zu Unrecht (gab es nicht eine Nahrungsmittelknappheit ab 1917?).

Zum Export und zur Wirtschaft allgemein habe ich im thread "Außenpolitik" bei #85, 88 Zahlen genannt. Das Argument einer negativen Zahlungsbilanz (mir ist dieser Umstand nicht bekannt) hat doch mit dem Status einer Exportnation nichts zu tun (die Zahlungsbilanz ist doch nur ein Saldo, der Export bleibt doch auch dann, wenn der Import größer ist). Schließlich gehört Import doch auch zum Außenhandel, das ist doch hier nur die andere Seite der Medallie. Ob die Handelswege nach Deutschland rein oder von Deutschland weg führen, hat für die hier interessierende Frage keine Bedeutung.

Über das Schlachtflottenkonzept hat doch der Reichstag entschieden. Du denkst, die Entscheidung war falsch, damals dachte man anders.

Im übrigen hatte Tirpitz durchaus Vorstellungen wie die seestrategische Situation Deutschlands zu ändern ist, nämlich durch Bündnisse. Diese Gedanken hat die politische Leitung nicht umgesetzt. Tirpitz Einfluss war groß, hatte aber offensichtlich Grenzen.
 
#47
silesia, das ist doch nicht der Punkt. Es geht doch um Geschichte. Was haben die damaligen Entscheidungsträger gedacht, das ist doch die Frage. Du schreibst doch, was nach Deiner Meinung damals richtig gewesen wäre.

Der Reichstag hat sich wiederholt mit der Flottenfrage beschäftigt. Wie sah der Reichstag Deine Argumente? Hat er sie übersehen? Hat er sie gesehen, aber zurückgewiesen?

Die Sache mit den Rohstoffen hat man (auch der Reichstag?) damals anders gesehen (so verstehe ich Dich). Wie der Krieg zeigte, nicht ganz zu Unrecht (gab es nicht eine Nahrungsmittelknappheit ab 1917?).
.

Ich habe dazu eine Vorstellung.

Ich vermute , man muss die die wilhelminische Gesellschaft in ihrer
Herausbildung betrachten , um die Einstellung auch des Reichstages
zur Flottenfrage zu sichten.

Der gewonnene Krieg 1870 , die nachfolgende Gründerzeit , der allgemeine
wirtschaftliche und technische Aufschwung wurde ja auch in der Masse
der Bevölkerung wahrgenommen, wenn auch viele kaum partizipierten.
Dazu das Bildungssystem , die Wehrpflicht und Ereignisse , welche der
Masse auch Wertigkeiten suggerierte ( Koloniengründung, erfolgreiche
Teilnahme an Weltausstellungen, Propagierung der industriell- technischen
Führungsrolle, wenn auch durch Krupp zB. im Geschützbau, aber auch
Siemens, Benz und Graf Zeppelin.

Zu diesen prägenden Faktoren kam das Verhalten der Monarchie -
(Platz an der Sonne , vorgeblicher Widerstand gegen Feindmächte zB.
Agadir -Panthersprung) - vermeintlich starke Bündnispartner ( Türkei,
KuK- Monarchie)

Von all dem konnte sich doch kaum ein Intellektueller freimachen,
geschweige denn der Industrie- oder Landarbeiter.
Unabhängige Information war doch kaum zugänglich.
Die Propagandamaschinen der pro-Flotte eingestellten jedoch war gut
geschmiert - Werfteigner , Reeder, Zulieferer aller Art , Flottenverein
und dazu ein Kriegsschiff- Fan wie Wilhelm II. ( irgendwo las ich, er
hätte sogar eigenhändig Bauplanskizzen zu Kriegsschiffen gefertigt)

Ich denke von diesem Smog konnten sich sogar viele Sozialdemokraten
nicht freimachen - ich sehe das in der Bewilligung der Kriegskredite 1914
bestätigt.

Diese eingeengte Sicht auf Realität und Interessen - in weiten Teilen sicher
nicht einmal absichtsvoll erzeugt, bestimmte Geschehen und Haltung -
auch im Reichstag.

Von daher...
 
#50 treibsand, die Frage ist doch aber, ob es wirklich so war. Du unterstellst doch, dass der Reichstag sich "über den Tisch ziehen ließ." Aber ich gehe davon aus, dass der Reichstag (genauer: fünf verschiedene Reichstage) Mittel und Wege hatte, sich ein sachverständiges Urteil über die Marine zu bilden. Er hatte ein denkbar starkes Mittel in seiner Hand, er konnte das Gesetz nicht passieren lassen, wenn er mit den Informationen nicht zufrieden war.

Wenn Geschichte stark mit der Gegenwart verknüpft ist, spielen politische Interessen bei der Interpretation eine Rolle. Um es mit M. Stürmer (anläßlich des Historikerstreits) zu sagen, es ist zu beachten, dass "in geschichtslosem Land die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet."

Schon der Begriff "Flottenpropaganda" stört mich. Tirpitz kannte England sehr gut, ich gehe davon aus, dass er Kenntnis davon hatte wie im englischen Parlament Gesetze durchgebracht wurden. Diese Kenntnisse dürfte er bei den Flottengesetzen benutzt haben. Nun ist aber die Arbeitsweise von Tirpitz ähnlich wie in parlamentarischen Systemen. Die Exekutive bringt ein Gesetz ein und muss hierfür eine Mehrheit finden. Diese Parlamentsmehrheit (im Reichstag sassen Personen mit höchstem Niveau) konnten nur durch Sachargumente überzeugt werden, die Opposition (die gab es) hatte Gelegenheit diese zu hinterfragen. Wenn die Überzeugungsarbeit der Exekutive (die nicht neutral ist, weder hier noch sonst in einem parlamentarischem System, man will schließlich eine politische Überzeugung - in Gesetzesform - durchbringen) als "Propaganda" bezeichnet wird, hat man eine (negative) Wertung über das Gesetz getroffen (man stelle sich vor, bei einem wichtigen Gesetz für die Bundesrepublik, z.B. Ostverträge, werden die vorgebrachten Argumente einer Seite als Propaganda bezeichnet, ein solcher Autor will doch keine objektives Urteil abgeben).

Ich habe in diesem forum die Flottengesetze verteidigt (u.a. mit dem Hinweis auf diverse Reichstagsmehrheiten). Es scheint allerdings, dass manche meinen der Reichstag sei von Tirpitz mehrfach hinters Licht geführt worden (oder das Gesetzgebungsverfahren sei mangelhaft). Das müsste eingehend begründet werden. Es könnte aber auch sein, dass der Reichstag gute Gründe für seine Entscheidungen hatte. Natürlich ist es möglich, dass der Reichstag seine Entscheidungen unter Annahmen getroffen hat, die nicht gegeben waren. Dann wäre zu prüfen, ob er dies im Zeitpunkt der Entscheidung erkennen konnte oder nicht. Es müssen allerdings die Argumente der Zeitgenossen sein.
 
Das Kaiserreich hatte mit dem Reichstag ein parlamentarisches Element in seiner Verfassung. Das Budgetrecht des Reichstags war ein beachtlicher Machtfaktor.

Nun ist es aber immer so, dass die Exekutive (aufgrund des Verwaltungsapperats und des dort angesammelten Fachwissens) Gesetztesvorschläge bei der Legeslative einbringt. Der Vertreter der Exekutive mag noch so eine dominante Person sein, die Legeslative entscheidet. Und da eine Legeslative aus vielen Personen mit den unterschiedlichsten Interessen zusammengesetzt ist, wird Tirpitz Sachargumente vorgebracht haben. Ich habe die Protokolle leider nie gelesen, aber aus den "Erinnerungen" lässt sich schliessen, dass die von mr dargestellten wirtschaftlichen Sachverhalte eingeflossen sind. Woraus ergibt sich - wie manche meinen -, dass dies nur ein Vorwand war (und das über 14 Jahre)? Gerade solche subjektiven Merkmale müssen belegt werden, wenn die Argumentation nicht beliebig werden sollte (die Angst vor Pauperismus war doch vorhanden, vgl. H. Heine, Deutschland: Ein Wintermärchen, Caput XXV).

Es ist auch nicht richtig, dass Parlamente Entscheidungen mit Langfristwirkung nicht revidieren können. Korrekturen von Entscheidungen sind doch nicht von der Staasform abhängig. Im konkreten Fall waren doch das Zweite Flottengesetz und seine Novellen Erweiterungen der Bauzahlen. Warum soll der Reichstag nicht sagen können "nein, wir haben genug Schiffe"? Was sollen den die Vehandlungen von Bethmann mit England, wenn das Programm nicht irgendwann zu stoppen gewesen wäre?
Es ist allerdings eine historische Tatsache, dass der Reichstag (in jedesmal anderer Besetzung) entschieden hat "wir brauchen eine Schlachtflotte" und viermal sagte "wir brauchen eine größere Schlachtflotte."

Hier liegt übrigens m.E. die große Schwäche des Bethmann'schen Vorstosses. Er war innenpolitisch nicht abgesichert (also unsicher) und deswegen konnten die Engländer ernsthaft gar nicht auf Bethmann eingehen.

Hierzu ist anzumerken, das Tirpitz sich gegenüber dem Reichstag einer ganz gezielten Verschleierungstaktik hinsichtlich des Verwendungszweckes der Schachtschiffe bediente. (1)

(1) Tirpitz an Wilhelm am 25.02.1904 (Aufzeichung einer Audienz bei Wilhelm) hier zitiert nach Berghahn. Tirpitz-Plan, S.367f
 
@admiral #51

Über die genauen intellektuellen Fägigkeiten der Reichstagsabgeordneten
bin ich nicht genau orientiert.
Anzunehmen ist jedoch , das es auch hier eine erkleckliche Anzahl
Hinterbänkler gab, wie in jedem Parlament.

Mir ist völlig klar , wie die Einbringung von Gesetzesvorlagen läuft,
ebenso klar ist , dass ausserparlamentarische Lobbys sowohl die Einbringung als auch die Debatte beeinflussen.
Das genau habe ich mal unter dem Begriff "Propaganda" zusammengefasst.
Und die war zur wilhelminischen Zeit erheblich beeindruckender, als
heutzutage.

Ich will jetzt nicht auf rezente Beispiele der Gesetzgebung hierzulande eingehen, da werde ich abgemahnt:D
 
Admiral schrieb:
Es gibt in der Tat das Argument, Tirpitz habe den Reichstag durch eine immense Propagandamaschine überrollt. Aber ist dies ein ernsthaftes Argument?

Zu diesem Themenkomplex empfehle ich die Lektüre des Buches von Wilhelm Deist, "Flottenpolitik und Flottenpropaganda".
 
Nur, warum ist der Reichstag Tirpitz gefolgt? Folgte die Mehrheit der (immerhin 397) Abgeordneten einer irrationalen Machtpolitk (1912 immerhin sieben große und eine mir nicht bekannte Zahl kleinere Parteien)?
Der Reichstag ging vermutlich davon aus, dass Tirpitz weiß, was er da tut. Wenn Tirpitz gesagt hätte, wir bauen U-Boote, dann hätte der Reichstag genauso zugestimmt. Schließlich war Tirpitz kompetent, im Gegensatz zu den Abgeordneten. Ein Militär hatte damals ein sehr hohes Ansehen, außerdem fühlte sich der Reichstag in Sachen Außenpolitik nicht zuständig. Den Flottenbauplan niederzustimmen, weil man ihn für strategisch oder außenpolitisch für verfehlt hielt, war sehr schwierig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Natürlich betrieb Tirpitz eine Flottenpropaganda, es wird sogar behauptet, daß er der erste "Propagandaminister" war.

Und Tirpitz wusste genau, dass nach der gescheiterten Vorlage des Büchsel-Planes seine Zeit kommen würde.
(Ich wiederhole mich nur ungern) Aber mit der Dienstschrift IX zeigte Tirpitz, wie sich die Motive und Grundlagen für den Aufbau einer deutschen Flotte zusammensetzen werden.

Das dabei eine übertriebene Anzahl an Schiffen ohne entsprechendes Konzept vom Reichstag als Gesetzt niemals verabschiedet werden würden hatte der Büchsel-Plan gezeigt.

Der Grundgedanke waren min. 2 Geschwader zu je 8 Linienschiffen plus einem Flottenflaggschiff und Reserve (Siehe auch wieder Dienstschrift IX).

Somit ging man von 18 Linienschiffen als Kern der Flotte aus. Doch Tirpitz hatte schon bevor er Staatssekretär des RMA wurde den Hauptgegner der deutschen Flotte mit England benannt. Tirpitz musste also wissen, dass er mit dieser Anzahl an Schiffen, weder eine Risikoflotte besaß noch Bündnisfähig sein konnte.

Übrigens wird Tirpitz bevor er zum Amt des Staatssekretär des RMA berufen wird von der Admiralität Personell geprüft. Die Skrupellosigkeit Tirpitzes ist dabei sehr hilfreich und „gefällt“ den Admiralen.

Das 1.Flottengesetz wird am 28.3.1898 vom Reichstag mit 212 JA stimmen zu 139 NEIN Stimmen angenommen. Der Grundstein ist gelegt, so dachte sich sicherlich Tirpitz.

Außenpolitische Spannungen und Kriege um 1900 spielten Tirpitz in die Karten und er konnte die Vermehrung der Flotte schneller als Gesetzt vorlegen, mit Aussicht auf erfolg. Und auch letztlich durch die Flottenpropaganda, die sich durch alle Kreise der Gesellschaft zog.

So wurde am 12.6.1900 das 2 Flottengesetzt vom Reichstag mit 202 JA stimmen zu 103 NEIN Stimmen genehmigt. Und in diesen Flottengesetzt waren diverse Preissteigerungen sowie eine Deplacementvergrößerung der Schiffe nicht enthalten. Tirpitz konnte sich somit in weiser Voraussicht eine großen Spielraum innerhalb der Gesetzesvorlage schaffen.

Mit der Vorlage des 2. Flottengesetzes benutzt Tirpitz auch erstmals den Risikogedanken als Motiv für die Verdoppelung der Anzahl von Linienschiffen vor dem Reichstag.

Tirpitz wusste genau was er tat und wie er es tat.
 
Ich frage mich, ob die ganze Frage hier nicht zu logisch und sachlich angegangen wird. So wie ich die Sache sehe - und es handelt sich jetzt wirklich nur um eine Theorie, die ich nicht mit Quellen erhärten kann - ging es bei der ganzen Flottenthematik in letzter Instanz wirklich nur, wie weiter oben bereits jemand anmerkte, um die Frage "Wer hat den Größten?" Deutschland als klar umrissenen, staatlichen Zusammenschluß hatte es bis 1871 in der Form noch nie gegeben, und über Jahrhunderte war man es nur gewohnt, sich als Spielball ausländischer Mächte zu sehen, denen man hilflos ausgeliefert war. Daß wenigstens 2 dieser Mächte, nämlich Preußen und Österreich, zumindest teilweise selbst deutsche Staaten waren spielt dabei keine Rolle, denn bis zum Aufkommen des Nationalismus war jeder, dem man nicht jährlich auf dem regionalen Viehmarkt begegnete :devil: eigentlich schon Ausländer.
Nach dem Sieg über das bis dato übermächtige Fankreich in seinem eigenen Land "war man" plötzlich "wer", und potzblitz, nach gewissen Anlaufschwierigkeiten war "man" auch nicht nur DIE Militärmacht auf dem Kontinent sondern außerdem DIE Wirtschaftsmacht und DAS Innovations- und Forschungszentrum. In so einer Situation wurden schon Bessere ganz wirr im Kopf.
Jetzt gab es nur noch einen, der zumindest im Moment besser war als man selbst (zumindest in der damaligen Sichtweise, denn Amerika war ja "kulturlos" und deshalb partout nicht ernst zu nehmen, und von Rußland wollen wir lieber erst gar nicht sprechen) - das riesige, gewaltige, über den gröten Teil der Welt herrschende England. So wollte, so mußte "man" auch sein! Und wie konnte man das schaffen? - Klar (Der Name Mahan ist ja schon gefallen) - eine Flotte mußte her! Denn wie lehrt die damals sehr wirkmächtige Theorie von der Thalassokratie: nur wer die See beherrscht kann die Welt beherrschen.
Ich will damit jetzt übrigens nicht behaupten - wie es in zeitgenössischen britischen Schmökern um die Jahrhundertwende (die damalige) oft vorkam - die Deutschen oder auch nur deren Regierung hätten konkrete Pläne zur Eroberung der Weltherrschaft gehegt, ich glaube nicht einmal unbedingt, daß diese Gedankengänge direkt bewußt abliefen, ich bin aber der festen Überzeugung, das dies eine wichtige Antriebsfeder für die Kolonialpolitik und das Flottenbauprogramm war. Immerhin war man sich damals gemeinhin einig, daß es die - von Gott, dem Schicksal, der Biologie oder sonstwem erteilte - Mission des "weißen Mannes" ist, über die "Wilden" zu herrschen und ihnen "das Licht der Zivilisation" zu bringen. Und da das Leben des Menschen ein einziger Kampf ist, in dem sich am Ende der Stärkste durchsetzen muß (der Sozialdarwinismus erlebte damals ja auch einen ersten Höhepunkt) bleibt einem quasi gar nichts anderes übrig als diesen Kampf anzunehmen und sein bestes zu geben, ihn zu gewinnen, immerhin wollte man ja nicht irgendso ein wimmerndes, schwaches "Weichei" sein, da konnte man ja gleich den Laden zumachen.
Übrigens finde ich es in diesem Zusammenhang interessant, daß das Flottenbauprogramm gerade unter Wilhelm II. aufgelegt und durchgeführt wurde, war der doch ein Enkel Victorias von England und von daher oft ebendort, nicht selten gerade dann, wenn besonders imposante Flottenparaden abgehalten wurden. Daß er bei diesen Gelegenheiten oft nicht mit dem - seines Erachtens - gebührenden Respekt behandelt wurde, und daß ihm zuhause von seinen ihm mit der Zeit immer fremder werdenden Eltern, immerhin eine englische Prinzessin und deren innigst verliebter Ehemann, öfter als nötig vorgehalten wurde, wie toll doch England und wie rückständig und primitv Deutschland war, das Land, das er ja eines Tages mal regieren sollte, dürfte in ihm gewisse Rachegelüste geschürt haben, die ja in den besten Familien vorkommen können.
So seh ich das.:winke:
 
(...)Übrigens finde ich es in diesem Zusammenhang interessant, daß das Flottenbauprogramm gerade unter Wilhelm II. aufgelegt und durchgeführt wurde, (...)

Eine sehr nüchteren Zusammenfassung, von schon vielen gesagten hier zu dem Thema, jeder findet halt andere Worte.

Aber die Flottenplanung bestand schon unter der preußischen Marine, nur wurde die Marine in Preußen klein gehalten und als Beiwerk des Heeres bedrachtet. Stichwort: Küstenschutz.

Erste Flottenpläne gab es Anfang der 70iger, auf die übrigens auch Tirpitz aufbaute.
Letzlich wäre noch zu erwähnen (Hab ich glaube auch schon mehrmals erwähnt) das die deutsche Flotte Mitte bis Ende der 70iger auf Rang 3 Stand, hinter England und Frankreich. Das hier mit dem begonnen Aufbau und dem Flottenbauprogramm von 1873 unter Wirkung des Admiral Stosch nicht weiter an der Flotte gebaut wurde, hatte innenpolitische Hintergründe und vorallem der fehlenden Tradition sowie dem Fehlen von Seefachmännern. So war auch Caprivi nach Stosch derer, der die deutsche Flotte "schleifen" lies, wohl auch, weil er keinen Bock auf den Job hatte, so wie er dies Bismarck mitteilte. Solange die Marine noch ein Teil des Heeres darstellt, konnte sie nicht größer werden. Dies Änderte sich zweifelsohne mit dem Amtsantritt Kaiser Wilhelm II, ab 1888 mit einer neuen Struktur innerhalb der Marine und ohne das Heer.

Das die Flottenpläne als Gesetzt festgelegt wurden, hatte m.E. nur einen Kostenpolitischen Hintergrund und dies wurde so bei fast allen seemachtführenden Staaten durchgeführt, dass ist also nichts deutsch spezifisches.
 
Tirpitz musste sich ja auch ständig der Einmischungen Wilhelm erwehren. Wilhelm war das Tempo zu gering bemessen oder er wollte schnellere Linienschiffe, insbesondere als er Kenntnis von der Geschwindigkeit der Panzerkreuzer Rivardaria und Moreno erfuhr.

Noch einmal kurz zum Thema Reichstag:

Ich denke schon, das Reichstagsabgeordnete beeinflusst worden, beispielsweise durch den Flottenverein oder das Reichsmarineamt.
 
Zuletzt bearbeitet:
(...) Wilhelm war das Tempo zu gering bemessen oder er wollte schnellere Linienschiffe, insbesondere als er Kenntnis von der Geschwindigkeit der Panzerkreuzer Rivardaria und Moreno erfuhr.
(...)

Wilhelm und die Panzerkreuzer....das war sein liebstes "Kind".

Doch durch die große Frage, was ist ein Panzerkreuzer und wie ist er in das strategische und taktische Bild der Flotte einzubinden, gab es die verschiedensten Versionen, Handelskreuzer oder Flottenkreuzer?

Tirpitz wußte um die Problematik und hielt den Typ des großen Kreuzer an der Zahl in der Flotte klein, rein schon aus Kostengründen.

Erst mit dem Schlachtkreuzer musste man gezwungenermaßen nachziehen, zum greul Tirpitzes. Zwei große Schiffstypen finanzieren, was für eine Herausforderung!
 
Eine sehr nüchteren Zusammenfassung, von schon vielen gesagten hier zu dem Thema, jeder findet halt andere Worte.

Das stimmt nicht ganz. Soweit ich die Diskussion hier gelesen habe, und wegen der Menge der Argumente kann es sein, daß mir das eine oder andere entgangen ist, geht es bisher in erster Linie um strategische Erwägungen. Und grundsätzlich seid Ihr Euch hier ja einig, mit mir übrigens auch, daß dieses Flottenbauprogramm ziemlich sinnlos und kontraproduktiv war. Worauf m.E. zu wenig bzw. fast gar nicht eingegangen wird ist die eigentliche Ausgangsfrage, die ja in etwa so lautete: "Wieso haben sich so viele offenbar intelligente und vernünftige Menschen im Kaiserreich dazu hinreißen lassen, etwas so riskantes und in letzter Instanz sinnloses wie das Flottenbauprogramm zu unterstützen und durchzuführen, wenn sie doch eigentlich schon damals hätten erkennen können oder sogar müssen, wie schädlich ihr Tun war?" Auffällig oft liest man dann auf diesen Seiten Anmerkungen a la "Ich versteh Eure Argumente, ich verstehe aber immer noch nicht, warum die das getan haben, vielleicht sogar noch weniger". Und da helfen m.E. keine sachlichen Abwägungen um Küstenblockaden und Schiffstypen sondern eher Betrachtungen des damaligen Weltbildes. Und DAS ist es, was ich hier getan habe. Im Gegensatz(!) zu allen, die sich hier vor mir geäußert haben.

Aber die Flottenplanung bestand schon unter der preußischen Marine, nur wurde die Marine in Preußen klein gehalten und als Beiwerk des Heeres bedrachtet. Stichwort: Küstenschutz

Und das ist ein ganz wesentlicher Punkt! Viele Länder haben - und hatten auch damals - eine Marine, das ist keine Überraschung. Deutschland hatte vor Auflage DIESES Flottenbauprogramms bereits die drittgrößte Flotte der Welt? OK. Und hat sich England zu der Zeit von der zweitgrößten Flotte (Frankreich? USA?) bedroht gefühlt? So sehr, wie es sich dann von der deutschen Flotte bedroht gefühlt hat?
Es geht hier doch nicht einfach darum, daß Deutschland ganz normal eine moderne Flotte aufgebaut hat, es besteht bei der neuen Flotte in jeder Hinsicht ein dermaßen großer Unterschied zur vorherigen Flotte, daß sich England plötzlich zu einem Wettrüsten gezwungen sah, das nicht ohne Grund als eine Mitursache für den 1.Weltkrieg angesehen wird.
Warum hat Deutschland seine Stategie so dermaßen radikal geändert? Weshalb hat es sich entschlossen, so viele wertvolle Ressourcen in die Marine zu pumpen, die dem Heer, das einer Kontinentalmacht wie Deutschland doch eigentlich viel wichtiger hätte sein müssen, dann zwangsläufig fehlten? Wieso hielt man es für nötig, die eigene Wirtschaft so sehr zu belasten? Zu diesen Fragen finde ich da oben nicht besonders viel. Bei mir schon. Das ist ein großer Unterschied, und nicht einfach "eine nüchterne Zusamenfassung von schon vielem Gesagten hier".:pfeif:
 
OK. Und hat sich England zu der Zeit von der zweitgrößten Flotte (Frankreich? USA?) bedroht gefühlt? So sehr, wie es sich dann von der deutschen Flotte bedroht gefühlt hat?
Es geht hier doch nicht einfach darum, daß Deutschland ganz normal eine moderne Flotte aufgebaut hat, es besteht bei der neuen Flotte in jeder Hinsicht ein dermaßen großer Unterschied zur vorherigen Flotte, daß sich England plötzlich zu einem Wettrüsten gezwungen sah, das nicht ohne Grund als eine Mitursache für den 1.Weltkrieg angesehen wird.


England war zu dieser Zeit allgemein ein Imperium und hatte in Europa weitesgehend die Hegemonie inne.

All dies konnte nur mittels der Flotte aufrechterhalten werden, woraus klar ist weswegen die das Britische Empire sich natürlich durch jedes Große Flottenrüstungsprojekt bedroht sah.

Wobei die Strategie im laufe der Zeit schon angepasst wurde.
Wollte man zunächst eine Schlachtflotte in einer größe haben welche in etwa der Summe der Europäischen Großmächten entsprach musste man mit dem jahr 1879 einsehen das dies nicht mehr Realisierbar war.

Die neue Strategie sah die Massierung der eigenen Seestreitkräfte in heimischen Gewässern vor, um die Flotte des (europäischen) Gegners gegebenenfalls entscheident zu schlagen und sich somit auch weiterhin die Seeherschaft (und somit auch den Schutz der Kolonien ) inne zu haben.

Also musste man sich "nur" stets darum sorgen das dass für England so wichtige Gleichgewicht in Europa erhalten blieb, und eben dieses Wurde durch die Flottenrüstung empfindlich gestört.

Warum hat Deutschland seine Stategie so dermaßen radikal geändert? Weshalb hat es sich entschlossen, so viele wertvolle Ressourcen in die Marine zu pumpen, die dem Heer, das einer Kontinentalmacht wie Deutschland doch eigentlich viel wichtiger hätte sein müssen, dann zwangsläufig fehlten? Wieso hielt man es für nötig, die eigene Wirtschaft so sehr zu belasten?

Das Deutsche Reich hat im grunde Versucht selber die Hegemonie in Europa zu übernehmen. UNd dies kann man nun einmal nur erreichen wenn man die Mittel hat nötigen Falls die voherigen Inhaber herauszufordern und genau dafür hat sich das Deutsche Reich wohl gerüstet.

Wer seine Hegemonie behalten will, wird zwangsläufig mit der Zeit immer wieder herausgefordert, wobei man erwähnen muss das England immer von den Konflikten auf dem Kontinent für sich profitiert hat und lange Zeit ein für sie günstiges Gleichgewicht erhalten blieb.
Dies änderte sich freilich zu den Zeiten Napoleons, welcher das Britische Empire herausforderte, letzendlich aber scheiterte.
Mit der Gründung eines Deutschen Reiches war es dann im Grunde sehr wahrscheinlich das dieses ebenfalls das Britsiche Empire herauszufordern würde, wozu es eben eine Flotte brauchte.
 
Ich erlaube mir, mich selbst zu zitieren:


Wie schon oben gesagt, es ging um die Erlangung des Status als Weltmacht. Deutschland wollte beispielsweise auch über ein großes Kolonialreich verfügen. Das Problem war aber, das die Welt schon damals so gut wie verteilt war, es gab praktisch keine weißen Flecken mehr. Wo es noch "etas zu holen gab", wie beispielsweise in China oder Marokko war die Rivalität ausgesprochen hart. In Tsingtau, Chine, waren es dann beispielsweise primär keine wirtschaftlichen Interessen sich dort "niederzulassen", sondern es ging hier um ein Flottenstützpunkt.

Hier prallte Deutschlands Bedürfnis mit denen anderer Welt- oder Großmächte zusammen. Deutschlands Ansprüche konnten eigentlich nur zu Lasten anderer, in erster Linie Großbritanniens, realsiert werden. Dazu war Großbritannien gegenüber Deutschland aber nicht bereit. Man wollte eine große starke Flotte, so das sich Großbritannien genötigt sah, Deutschland in weltpolitischen Angelegenheiten insbesondere kolonialpolitischen entgegenzukommen.
 
Ja, Ihr habt beide recht mit dem, was Ihr da schreibt, besonders was M.A.Hauschild da schreibt hat mir gut gefallen. Leider bleibt mir aber auch das zu sehr an der Oberfläche, zu vieles wird einfach als gegeben genommen.
"Das Deutsche Reich wollte die Hegemonie übernehmen". KLar, stimmt. Aber warum eigentlich, dem Reich ging es doch eigentlich ganz gut? Die Wirtschaft brummte, die Forschung hatte Weltgeltung, die chemische Industrie war quasi eine rein deutsche Angelegenheit... Eigentlich hätte man sich ja zufrieden auf die Schultern klopfen und diese Tendenzen einfach fortentwickeln können, wie es ja ursprünglich auch Bismarcks Absicht gewesen war. Man hätte sogar gute Ansätze gehabt, gerade mit den Briten in gutem Einvernehmen zusammenzuarbeiten, ähnlich wie heutzutage die Briten mit den USA, und das nicht nur wegen der Familienbande der Herrscherhäuser. Mit England im Rücken hätte man auch die Sache mit dem Zweifrontenkrieg viel gelassener sehen können, riesige Summen hätten statt in ein gigantisches Heer (für die gegebenenfalls einzuziehenden Reservisten mußten ja immerhin ausreichende Mengen an Ausrüstung aller Art bereitstehen, soviel nur vorab zu dem Einwand, SOOO groß sei das Heer ja nun auch wieder nicht gewesen) UND in eine völlig überdimensionierte Flotte in die Entwicklung des Landes fließen können, real existierende soziale Konflikte hätten zumindest verringert werden können etc.pp.
Auf die Frage, warum man so dumm war, diesen Weg nicht auch nur zu probieren habe ich versucht, eine Antwort zu geben. Daß diese auch nicht ganz erschöpfend war (z.B. kommen die oben angedeuteten sozialen Konflikte bei mir mit keinem Wort vor) weiß ich wohl, doch immerhin kann ich mir zugute halten, es zumindest versucht zu haben.
 
PS:

Eigentlich hätte man sich ja zufrieden auf die Schultern klopfen und diese Tendenzen einfach fortentwickeln können, wie es ja ursprünglich auch Bismarcks Absicht gewesen war.

Mit diesem Satz hatte ich übrigens keinerlei Sympathien für Bismarcks Ansichten und Politik zum Ausdruck bringen wollen, es war mir nur darum gegangen, zum Ausdruck zu bringen, daß mit ihm immerhin mindestens eine bedeutende und einflußreiche Person existierte, die den Erwerb von Kolonien nicht für zwingend notwendig sondern nachgerade für grundfalsch hielt ("Deutschland ist saturiert"). Und das Wort "bedeutend" möchte ich hier bitte völlig wertneutral verstanden wissen.
 
Bitte, Leute, das hier ist das qualitativ hochwertigste, vielseitigste und interessanteste Geschichtsforum, das ich bisher gefunden habe. Kann mir wirklich niemand helfen, noch bessere Antworten zu finden? Die Frage beschäftigt mich sehr, und immerhin gehen von diesem Punkt Entwicklungen aus, die die Welt von heute maßgeblich geprägt haben.
Welche Bedeutung hatte dabei z.B. der Umstand, daß Deutschland "von oben", und dann auch noch unter preußischer Führung vereinigt wurde? Fällt das unter die Kategorie "Die falschen Wünsche sind erfüllt"? Preußen war ja in mancher Hinsicht damals ein sehr moderner Staat, seine Machteliten hingegen wirken in ihren Äußerungen im Gegensatz dazu extrem rückständig und provinziell. Überhaupt hat man oft den Eindruck, Deutschland hätte damals noch mit einem Bein tief im Mittelalter gesteckt. Haben die angelsächsischen Autoren recht, die der deutschen Romantik eine Mitschuld an der Misere geben? Kann man sagen, die Reichseinigung sei zu früh und auf die falsche Weise erreicht worden? Welche Mitschuld tragen die damaligen internationalen geistigen Strömungen? Der bereits erwähnte Sozialdarwinismus, der allgemeineuropäische Rassismus (es gab ja nicht nur "Neger", "Weiße" usw sondern sogar z.B. eine "französische", eine "deutsche", eine "dänische" etc. Rasse)...
Über eine rege und interessante Diskussion würde ich mich sehr freuen, ich suche nämlich noch immer nach einer befriedigenden Antwort, die gewiß aus einer ganzen Kombination von Antworten bestehen wird.
 
Der Reichstag ging vermutlich davon aus, dass Tirpitz weiß, was er da tut.
Das ist wohl der Fehler, der in allen Epochen begangen wird. Zur Nazizeit gab es den Spruch: "Wenn das der Führer wüsste". In der DDR gab es einen ähnlichen, natürlich ohne Führer. Am Ende weiß keiner vom anderen. Die Stasie sollte diese Lücke wohl füllen... Sorry, passt nicht unbedingt zum Thema. Auch, wenn mir noch einer einfällt: "...denn sie wissen nicht, was sie tun."
Die Deutsche Hochseeflotte, so schön die Schiffe auch waren, machte keinen Sinn. Das wussten auch viele Zeitgenossen im Kaiserreich. Vielleicht sollte man eher die ingenieurtechnische Seite der Sache sehen. Das meine ich jetzt ernst. Wir Deutsche sind gerne am Basteln. Wenn große Schiffe gebaut werden und wir technisch und finanziell dazu in der Lage sind... na ja, warum nicht. Zu dieser Zeit war auch die größte Einschlagdichte von Nobelpreisträgern unter den Deutschen. Siemens und Daimler sind ja nicht durch Häkeldeckchen groß geworden. Elektromotoren steckten in U-Booten und Benzinmotoren in Flugzeugen. Krupp entwickelte bahnbrechende Technologien in der Eisenverhüttung und -verarbeitung.
Was wäre das Deutsche Kaiserreiche für eine aufstrebende Industrienation gewesen, wenn es nicht auch versucht hätte, die besten Schiffe der Welt zu bauen? Auch wenn es am Ende politisch unklug und militärisch nicht gerade sinnvoll war.
"Das Deutsche Reich wollte die Hegemonie übernehmen". KLar, stimmt. Aber warum eigentlich, dem Reich ging es doch eigentlich ganz gut? Die Wirtschaft brummte, die Forschung hatte Weltgeltung, die chemische Industrie war quasi eine rein deutsche Angelegenheit... Eigentlich hätte man sich ja zufrieden auf die Schultern klopfen und diese Tendenzen einfach fortentwickeln können.
Genau das nicht. Man war sich seiner Potenz bewusst und fühlte sich stark. Ich sehe das immer als eine Bank, auf der alle Plätze schon vergeben sind. Dann kommt noch ein Kerl dazu, der möchte auch gerne sitzen. Dann beginnt das Gerangel, was irgendwann in einer Schlägerei endet. So zumindest würde ich es emotional erklären. Rational gesehen hätte Deutschland nur ruhig bleiben und warten müssen.
 
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