Welche entscheidenen Fehler hatte Deutschland im Ersten Weltkrieg begangen?

Ganz so einfach war es bei weitem nicht
Gut, keine ernsthaften Differenzen. :scheinheilig:
Handelsstreitigkeiten gab es, aber die wurden einigermaßen schiedlich beigelegt.

Lag hier wirklich schon ein Bündnisangebot vor?
Das nicht. Aber doch die Sondierung zu einem solchen.

Caprivi stand zu jener Zeit auch in Verhandlungen mit Russland hinsichtlich eines Handelsvertrages und wollte diese nicht gefährdet wissen. Aber Caprivi muss sich den Vorurf gefallen lassen, diesen Vorschlag von Roseberry nicht näher ausgelotet zu haben.
Die Frage bleibt aber, warum er nicht näher ausgelotet hat. Wenn er 1890 sogar bereit war, deutliche Verluste auf kolonialem Gebiet in Kauf zu nehmen, um ein Bündnis mit GB möglich zu machen, dann hätte er doch 1894 bestrebt sein müssen, die Gewinne seiner "Gut-Wetter-Politik" einzustreichen.
Wohl wäre Russland von einem deutsch-britischen Bündnis nicht gerade begeistert gewesen, aber das galt doch 1890 genauso wie 1894.
 
Gut, keine ernsthaften Differenzen. :scheinheilig:
Handelsstreitigkeiten gab es, aber die wurden einigermaßen schiedlich beigelegt...

... wobei diese Beilegung trotz allem die Annäherung und das erste Bündnis zwischen Rußland und Frankreich nicht mehr rückgängig machen konnte.
Abgesehen davon sprechen Historiker dabei nicht einfach von "Handelsstreitigkeiten", sondern von einem regelrechten Zollkrieg, der gemeinhin als zwar kurzzeitig, aber dafür äußerst vehement charakterisiert wird.
 
Abgesehen davon sprechen Historiker dabei nicht einfach von "Handelsstreitigkeiten", sondern von einem regelrechten Zollkrieg, der gemeinhin als zwar kurzzeitig, aber dafür äußerst vehement charakterisiert wird.

Und das mit dem nach 1900 (Zahlen davor müßte ich heraussuchen) stärksten Importeur in das Deutsche Reich, vorwiegend Nahrungsmittel und Rohstoffe.

Für Rußland ergab die Ausfuhr in das Deutsche Reich 1/3 seiner gesamten Exporte. Das legte zugleich fest, wer in den 10 Jahren am längeren Hebel saß, zumal sich für die Weizenlieferungen andere Exporteure finden ließen.
 
Roseberry Angebot bedeutete doch eigentlich nicht anderes, als dass das Deutsche Reich eine Verpflichtung eingehen sollte, die im Ernstfall ein Zweifrontenkrieg zur Folge gehabt hätte. Caprivi wollte sich aber nicht "nur" wegen der Dardanellen so weitgehend binden. Des Weiteren war Caprivi auch gerade damit beschäftigt, zu Russland die Beziehungen zu verbessern und möglichst auch dergestalt, das Russland von Frankreich ein wenig entfremdet wird.

Das Angebot von Roseberry hat auch eine kleine Vorgeschichte.
Als Deutschland begann sich, wieder einmal, umzuorientieren, mit dem Ziel sich Russland anzunäheren, hatte der Außenminister Österreich-Ungarns Kálnoky in London die Idee ventiliert, das sich die Mittelmeermächte Italien, Großbritannien und Österreich-Ungarn bei Auseinandersetzungen im Mittelmeergebiet zusammenzuarbeiten.

Der deutsche Botschafter in London, Hatzfeld, hatte dann Ende 1893 in einem Gespräch mit Roseberry Druck ausgeübt, in dem er (Hatzfeld) ausführte, das die gesamt europäische Politik an einem Wendepunkt käme, "wenn London in seiner bisherigen Untätigkeit und Gleichgültigkeit verharre."(1)

Die Reaktion von Roseberry war dann das etwas später gemachte Angebot.


(1) Die große Politik der Europäischen Kabinette, Bd.9, S.103f hier zitiert nach Canis, Von Bismarck zur Weltpolitik, S.129, Berlin 1999
 
Abgesehen davon sprechen Historiker dabei nicht einfach von "Handelsstreitigkeiten", sondern von einem regelrechten Zollkrieg, der gemeinhin als zwar kurzzeitig, aber dafür äußerst vehement charakterisiert wird.
Die Frage ist, warum haben Bismarck und Caprivi den Zollkrieg angeleiert. Wegen echter handelspolitischer Gegensätze oder als politisches Erpressungsmanöver. Bestand also eine echter Interessengegensatz?

Roseberry Angebot bedeutete doch eigentlich nicht anderes, als dass das Deutsche Reich eine Verpflichtung eingehen sollte, die im Ernstfall ein Zweifrontenkrieg zur Folge gehabt hätte. Caprivi wollte sich aber nicht "nur" wegen der Dardanellen so weitgehend binden.
Aber doch nur für den Fall, dass Frankreich in einen Krieg mit Deutschland eintritt, damit Russland die Dardanellen erhält. Was nicht unbedingt wahrscheinlich ist. Es fragt sich, was Deutschland denn für das Bündnis mit GB bieten wollte. GB schließt doch kein Bündnis, weil das DR sich in der Kolonialfrage großzügig gezeigt hat, sondern weil es Deutschlands Hilfe gegen seine potentiellen Feinde, also Russland und Frankreich erwartet. Ein Bündnis mit GB muss also das Verhältnis zu Russland belasten.
 
Aber doch nur für den Fall, dass Frankreich in einen Krieg mit Deutschland eintritt, damit Russland die Dardanellen erhält. Was nicht unbedingt wahrscheinlich ist.

Ich wäre mir da nicht so sicher. Immerhin gab es seit 1892 eine Mliltärkonvention zwischen Russland und Frankreich und die war wohl gegen Deutschland gemünzt. Deutschland sollte doch Frankreich daran hindern gegen Großbritannien vorzugehen, wenn dies mit seiner Fotte der russischen entgegentritt. Dies konnte doch nur mit militärischen Mitteln geschehen.
Unter dem Strich bleibt jedoch, das Großbritannien von einer Vereinbarung hinsichtlich lediglich nur der Meerengen wohl mehr profitiert hätte als das Deutsche Reich.
 
Hier wurde ja schon viel über die Politik vor und während des Krieges gegenüber den anderen europäischen Mächten und den USA diskutiert. Wie aber sah das Verhältnis zu Japan aus? Gerade nach der Verständigung zwischen Japan und England hätte sich etwas mehr Aktivität angeboten. Schließlich war Japan hochgerüstet und dementsprechend klamm in der Kasse.

Solwac
 
Wilhelm hat nach dem Krieg zwischen Japan und Russland 1905 gefordert, das es zu einem Bündnis zwischen Japan, den USA und dem Deutschen Reich als Gegenstück der sich abzeichneden Triple-Entente kommen müsse. Bülow gelang es aber mit dem Hinweis, das die Japaner versuchen würden, Deutschland lediglich gegen Frankreich oder Russland in Stellung zu bringen, Wilhelm die Idee auszureden. (1)

(1) Röhl, Wilhelm II., S.332f
 
Aber warum?

Wenn ich mir gemeinsame und widerstrebende Interessen ansehe, dann muss doch nicht gleich ein Bündnis her. Egal ob die flexible Außenpolitik Bismarcks oder die Weltmachtpolitik unter Wilhelm II, guter Kontakt zu Freund und Feind hilft doch immer.

Außerdem hätte man ja selber die Japaner gegen die Russen dirigieren können. Jeder Soldat in Sibirien marschiert nicht in Polen auf... :grübel:

Solwac
 
Wilhelm wolte das Bündnis mit den USA und Japan den Block bestehend aus Großbritannien, Frankreich und Russland gegenüberstellen.
 
M.E. war der alles entscheidende Fehler der, dass man glaubte gegen die Entente-Mächte bestehen zu können. Weder an Material noch an Wirtschaftskraft, war man der Entente gewachsen.

Und noch ein Faktum ist zu nennen:

Am deutschen Wesen soll die Welt genesen!
 
Am deutschen Wesen soll die Welt genesen!

Das war aus heutiger Sicht zweifellos ein moralischer "Fehler". (Nicht, dass wir das heute deutlich anders machen würden...)
Im damaligen Kontext der nationalistischen und patriotischen Begeisterung in Europa muss man Deutschland allerdings zugute halten, dass es sich bezüglich dieses Fehlers in erlesener Gesellschaft befand.
Die Welt sollte auch am französischen, am britischen, am amerikanischen Wesen genesen.
Den Fehler haben so ziemlich alle gemacht.
 
Könntest du das bitte etwas präzisieren?
OK, wir haben Deutschland, welches sich einer Dreiergruppe gegenüber sieht. Natürlich wäre ein eigener Block mit den USA und Japan jetzt eine starke Sache. Allerdings hätte doch schon eine Verständigung mit Japan alleine hilfreich sein können. Und selbst wenn nicht sofort ein fester Pakt folgt, so hätten sich doch auf verschiedenen Gebieten gemeinsame Interessen zeigen können.

So kam es nur schnell zu einem japanischem Ultimatum, wäre das denn nicht durch aktivere Politik vermeidbar gewesen?

Solwac
 
Es ist ohnehin die Frage, ob sich die Vorstellungen Wilhelms eines Bündnisses mit Japan hätten realisieren lassen. Noch so bis 1895 waren die Beziehungen zwischen den beiden Kaiserreichen intakt, aber das Deutsche Reich forderte Japan auf, übrigens gemeinsam mit Frankreich und Russland, die Liaotung-Halbinsel, gehört zu China, wieder zu räumen. Deutschland trat also ganz offen der Expansionspolitik Japans entgegen. Na ja, kurze Zeit später wurde Tsingtau dann von den Deutschen besetzt. Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass die Japaner darüber besonders amüsiert waren. 1902 haben die Japaner dann auch einen Vertrag mit Großbritannien abgeschlossen, der es Ihnen ermöglichte 1904 gegen Russland den Krieg zu eröffnen. Und nach dem siegreichen Ende des Krieges, nach dem der Zar Wilhelm „verkohlt“, Stichwort Björkö, hat, soll Japan willens sein, mit dem Deutschen Reich ein Bündnis abzuschließen? Nicht ganz außer Acht lassen sollte man, das Wilhelm im Vorfeld des Russisch-japanischen Krieges, den Zaren zu einem Krieg gegen Japan ermutigt hat. Mir ist aber nicht bekannt, ob oder in wie weit die japanische Diplomatie von diesen Vorgängen Kenntnis bekommen haben.

Auch bin ich mir nicht sicher, ob sich ein Bündnis mit den USA so einfach hätte verwirklichen lassen, denn dafür wäre doch eine recht flexible deutsche Außenpolitik erforderlich gewesen. Theodore Roosevelt war gegenüber dem deutsche Monarchen Wilhelm mißtrauisch, des Weiteren gab es wegen der deutschen Handelsinteressen in Südamerika, insbesondere wegen Brasiliens, doch so einigen Konfliktstoff und abschließend steht dann die Frage in Raum, weshalb sich die USA in einem Bündnisblock begeben sollten, derdoch so ganz offenkundig auch gegen Großbritannien ausgerichtet werden sollte; ein Land, mit dem man alle Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt hatte und seitdem gute Beziehungen unterhielt.
 
Jetzt mal ganz abgesehen davon, wie realistisch ein Bündnis - oder zumindest eine Verständigung - mit Japan gewesen sein mag:

Was hätte das denn bringen sollen? Japan war doch wohl das geringste Problem, das Deutschland im Krieg hatte. Der Kriegsbeitrag Japans gegen D/Ö war lächerlich.

Am wichtigsten wäre m.E. die Verständigung mit Großbritannien gewesen. Die Differenzen mit den USA waren in erster Linie Folge des Seekriegs; hätte man mit GB Frieden gewahrt, wäre es wohl auch nicht zu einem signifikanten Konflikt mit den USA gekommen.
Ein Bündnis mit GB oder den USA wäre gar nicht vonnöten gewesen und, speziell bei den USA, da stimme ich Turgot zu, auch sehr unwahrscheinlich.
Eine verlässliche Neutralität dieser Staaten hätte aber, speziell im Verbund beider zusammen, Deutschlands Situation signifikant entlastet.
Frankreich allein war zu schaffen, Russland auch. Italien hätte sich, bei aller egoissima sancta, gehütet, sich ohne England einzumischen und selbst wenn, wären die Alpen ein sicherer Korken auf der italienischen Flasche gewesen. Waren sie ja auch tatsächlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was hätte das denn bringen sollen? Japan war doch wohl das geringste Problem, das Deutschland im Krieg hatte. Der Kriegsbeitrag Japans gegen D/Ö war lächerlich.
Nun, Japan hat natürlich dem Deutschen Reich nur unwesentlichen militärischen Schaden beibringen können, aber diplomatisch stehen einige Möglichkeiten offen. Trotz der Verständigung mit England hätte deren Flotte vielleicht nicht so weit ausgedünnt werden können. Und wichtiger noch: Deutschlands Wohlwollen hätte den russischen Oseten in Bedrängnis bringen können. Ein paar Jahre später wurde ja deutlich, wie schnell die russische Herrschaft schon aus rein logistischen Gründen zusammenbrach. Wenn jetzt noch eine ausländische Macht auftritt, dann hätte das Kräfte gebunden.

Ähnliches hätte auch für die USA gegolten. Eine aktiver Diplomatie bringt einem sicher nicht da "!sichere Bündnis", wohl aber Verbesserungen in vielen kleinen Punkten, was zusammen schon einiges wert gewesen wäre.

Solwac
 
Es ist ohnehin die Frage, ob sich die Vorstellungen Wilhelms eines Bündnisses mit Japan hätten realisieren lassen. Noch so bis 1895 waren die Beziehungen zwischen den beiden Kaiserreichen intakt, aber das Deutsche Reich forderte Japan auf, übrigens gemeinsam mit Frankreich und Russland, die Liaotung-Halbinsel, gehört zu China, wieder zu räumen. Deutschland trat also ganz offen der Expansionspolitik Japans entgegen.
Diesen Punkt greife ich gerne auf. Der schweizer Völkerrechtler Otfried Nippold, der vor dem 1. WK drei Jahre lang in Japan als Rechtslehrer tätig war, berichtet in seinem Buch "Die Wahrheit über die Ursachen des Europäischen Krieges. Japan, der Beginn des Ersten Weltkriegs und die völkerrechtliche Friedenswahrung" wie demütigend der deutsche Gesandte 1895 gegenübern den Japanern auftrat. Er wäre der einzige gewesen, der ihnen gegenüber mit Krieg drohte, für den Fall, dass sie sich den Forderungen der Europäer nicht fügten. Diese vom Deutschen Reich zugefügte besondere Demütigung Japans hätten die Japaner, so Nippold, nie vergessen. Der Pazifist Nippold hielt den japanischen Kriegseintritt nicht nur für folgerichtig sondern auch für gerecht.

Das hört sich, hier möchte ich Turgot zustimmen, nicht so an, als ob 1914 deutsch-japanische Kooperation möglich gewesen wäre.
 
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