Aberglaube und tote Seelen

M

Maksim

Gast
Ich hoffe mit meiner Frage im richtigen Unterforum zu sein, falls nicht, bitte ich sie zu verschieben.

Im Thread "Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft", der (nebenbei bemerkt) ein wirklich spannender und interessanter Thread ist, habe ich folgende Frage gestellt.

Maksim schrieb:
Könnte es sein, dass Anwohner und Passanten einen solchen Ort einfach mieden ? Aus Aberglaube oder ähnlichen Gründen ? Immerhin starben dort ja tausende Menschen, wurden nicht sofort bestatten und könnten dadurch "einen Ort der verlorenen Seelen" geschaffen haben. Einen Ort den man einfach mied, um nicht den Zorn der Toten auf sich zu laden ?

In einigen Kulturen gelten / galten Tote ja als "untot", oder als "ruhelose Seelen", wenn sie nicht nach einem bestimmten Ritus oder mit einer bestimmten Zeremonie ordentlich bestattet wurden.

Ich finde die Frage, warum liegen tausende Tote über Jahre hinweg - bis zu deren totalen Verwesung - unbestattet auf einem Schlachtfeld, sei es nur die Varusschlacht gewesen oder nicht, beachtenswert.

Eine solche Anhäufung von Leichen sorgt nicht nur für eine enorme Geruchsentwicklung, zieht sicherlich Unmengen an Getier an, sondern stellt für (eventuelle) Anwohner und Passanten auch eine enorme Seuchengefahr dar.

Sicher, die Seuchengefahr düfte den Menschen der damaligen Zeit vielleicht nicht als Gesundheitsgefahr, resultierend aus z.B. dem Leichengift das ins Grundwasser sickert, bewusst gewesen sein ... auftretende Krankheiten hat man vielleicht als "Fluch der Götter" oder "Rache der Toten" angesehen.

Kann mir jemand meine o.a. Frage beantworten ? Im Ursprungsthread ist sie im Pfeilhagel und unter kollabierenden Wällen, sicherlich unbeabsichtigt, untergegangen. Auch ist sie im Ursprungsthread sicherlich "off topic".
 
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Interessante Frage, um was geht es dir genau?
1. Gibt es einen biologischen Instinkt des Menschen Leichen zu begraben, egal ob Angehörige, Gegner oder größere Tiere?

2. Begräbt der Mensch nur seine vertrauten Mitmenschen aus Pietät, religiösen Gründen?
 
Nach antiken Autoren soll es öfters vorgekommen sein, daß die Toten von Schlachten nicht bestattet wurden.
Einerseits aufgrund der fehlenden Bevölkerung in der näheren Gegend, die geflüchtet oder tot war, andererseits als "Zeichen", daß sicherlich je nach Ansicht als Ruhm oder Schmach interpretiert werden kann, wobei die eigenen Gefallenen in der Regel von den eigenen Überlebenden bestattet wurden.
 
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Interessante Frage, um was geht es dir genau?

Es geht um folgenden Gedanken ...

Am Ort "X" fand eine größere / große Schlacht statt. Auf dem Schlachtfeld blieben tausende Tote zurück, blieben über Jahre hinweg unbestattet, lagen herum bis nur noch Knochen übrig waren. Weder Anwohner (Annahme: Es gab Anwohner) noch Passanten (Annahme: Es gab Passanten die vielleicht regelmäßig am Ort des Geschehens vorbei kamen) haben sich am Zustand des Ortes gestört / am Zustand des Ortes etwas verändert um die Beinträchtigungen, die aus dem Ort für sie sicherlich (Annahme) resultierten, zu beseitigen

Diese Annahmen vorausgesetzt, haben also Menschen - über Jahre hinweg - neben einem solchen Ort gelebt, ihn vielleicht sogar häufig / regelmäßig durchquert, haben mit all den Beeinträchtigungen (z.B. Gestank) gelebt ohne etwas zu unternehmen.

Der Alternativgedanke dazu wäre, und diesen habe ich mit meiner Frage im Ursprungsthread angedeutet, dass Anwohner eventuell die Umgebung des Ortes verließen, Passanten den Ort weiträumig umgingen.

Dies könnte natürlich aus vielen möglichen Gründen passiert sein.

Meine Frage lautet also:

Haben vielleicht die Anwohner / Passanten an dem Ort nichts verändert, ihn gar verlassen und gemieden, weil ihr Aberglaube ihnen sagte ...

Tote, die nicht unmittelbar nach ihrem Tode gemäß dem Ritus und mit den notwendigen Zeremonien ordentlich bestattet werden, werden zu "Untoten" oder "Verlorenen Seelen". Diese suchen den Ort heim, fügen denjenigen die ihn passieren oder in dessen Nähe wohnen Schaden zu.

Vielleicht wurden die Leichen, über Jahre hinweg, nicht bestattet weil sie niemanden störten ... sondern weil der Aberglaube es den Menschen verbat / sie daran hinderte den Ort zu betreten.

Wenn dies die einzige Alternative für die betroffenen Menschen war, mit den Beeinträchtigungen zu leben oder den Ort zu verlassen / zu meiden, ... weil sie am Zustand nichts ändern konnten ... wäre es verständlich wenn letzteres eintrat.

Vielleicht war das Nichtbestatten der toten Feinde, durch die Sieger unmittelbar nach der Schlacht, sogar bewusst gehandelt - nicht einfach nur Usus ... Tote lässt man eben liegen.

Vielleicht wollte man die Feinde, über den körperlichen Tod hinaus, mit der ewigen Verdammnis - zur ruhelosen Existenz als Schattenwesen - bestrafen, bestrafen für das "Verbrechen" mit Eroberungsabsicht einmarschiert zu sein. Den Toten zur Strafe ... den Lebenden zur Warnung.

Ist mein Gedanke jetzt deutlicher geworden ?
 
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Ich glaube, daß es mit Aberglauben nichts zu tun hat. Einerseits setzt der Verwesungsgeruch nur bei entsprechenden Voraussetzungen ein (Wärme und Feuchtigkeit, da sich dann die Verwesungsbakterien richtig wohl fühlen und sich explosionsartig vermehren) und andererseits die Fleischteile von Aasfressern wie Füchsen, Wildschweinen, Ameisen, Raubvögeln usw. recht schnell vertilgt werden, sodaß nur noch die blanken Knochen übrigbleiben.

Und da man damals Ausweichmöglichkeiten zur Feldbestellung hatte, hat das wohl nicht wirklich jemanden interessiert, wenn der Feind dort in der Sonne verblich.
Später, im Mittelalter und auch der Neuzeit, als die Siedlungsdichte zugenommen hatte, bestattete man die Toten auch nur aus dem Grund der Vermeidung von Krankheitsausbreitung und späteren Feldbestellung. (Wenn man denn die Grube eines Massengrabes als Bestattung bezeichnen will)
 
Kurzer Nachtrag noch ...

Dank kundiger Seite weiß ich jetzt, dass es kein Leichengift gibt. Dennoch glaube ich gelesen zu haben, dass von großen / größeren Mengen an unbestatteten Leichen - vielleicht auch schon von kleinen / kleineren Mengen - Gesundheitsgefahren ausgehen, die sich unter Umständen zu Seuchen auswachsen können.

Randbemerkung: Ich erinnere mich auch an eine Textstelle - leider nicht mehr wo - in der geschrieben stand, dass bei der Anlage von Massengräbern - zB nach Naturkatastrophen oder während Kriegen - die Leichen mit Branntkalk (Kundige bezeichen diesen Branntkalk auch als Calciumoxid oder "ungelöschter Kalk) bedeckt werden.

Die Gründe hierfür sollen sein:

a) Branntkalk bindet Flüssigkeiten, also auch die Körperflüssigkeiten der Toten, reagiert mit diesen Flüssigkeiten zu "gelöschtem Kalk" (Calciumhydroxid). Kontaminierende Flüssigkeiten gelangen daher nicht ins Grundwasser sondern werden gebunden.

b) Branntkalk regiert mit Flüssigkeiten unter großer Wärmeentwicklung. Wird daher auch - in der Chemie - als Trocknungsmittel eingesetzt. Die Leichen werden quasi getrocknet, fast mumifiziert, die von ihnen ausgehenden Gefahren werden dadurch nochmals gemindert.

Aber nochmals zur Theorie des "Fluches". Im Altertum hatte man (Annahme) bestimmt keine Kenntnisse über medizinische / toxikologische Auswirkungen von Leichen ... genauer gesagt, man konnte es nicht wissenschaftlich einwandfrei begründen.

Man kannte aber wohl (Annahme) die Folgen, schrieb diese aber wohl nicht der Medizin, der Toxikologie, der Wissenschaft zu ... sondern einem Fluch, der Rache der Toten, der Strafe der Götter ... .
 
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Ich finde die Frage sehr berechtigt und interessant. Es gibt in manchen Kulturen die Angst vor "Wiedergängern", also Untote, die nach ihrem Tod umgehen und Unheil anrichten.

Wiedergänger - wiki (da mal auch den Link zum germanischen "Draugr" beachten).

Wenn also die Furcht vor umhergehenden beerdigten Toten herrschte, was mögen erst frei auf dem Feld Verwesende anrichten können? :eek:
 
Und da man damals Ausweichmöglichkeiten zur Feldbestellung hatte, hat das wohl nicht wirklich jemanden interessiert, wenn der Feind dort in der Sonne verblich.
Später, im Mittelalter und auch der Neuzeit, als die Siedlungsdichte zugenommen hatte, bestattete man die Toten auch nur aus dem Grund der Vermeidung von Krankheitsausbreitung und späteren Feldbestellung. (Wenn man denn die Grube eines Massengrabes als Bestattung bezeichnen will)
Kein Widerspruch oder ähnliches, nur ein Hinweis: http://www.geschichtsforum.de/f80/gefallenenentsorgung-vergangener-zeiten-22936/


Dank kundiger Seite weiß ich jetzt, dass es kein Leichengift gibt. Dennoch glaube ich gelesen zu haben, dass von großen / größeren Mengen an unbestatteten Leichen - vielleicht auch schon von kleinen / kleineren Mengen - Gesundheitsgefahren ausgehen, die sich unter Umständen zu Seuchen auswachsen können.

Eine Methode im Mittelalter, belagerte Höhenburgen zur Aufgabe zu zwingen bestand darin, einen Stollen in den Berg zu treiben, um in den Brunnen ein verendetes Tier zu legen. Das verdarb das Wasser.
 
Bezüglich "Wiedergänger"....bei Tacitus Germania (12) steht: "...Feiglinge und Kriegsscheue und Unzüchtige versenkt man in Sumpf und Morast, wobei man noch Flechtwerk darüber wirft."
Darüber hat KEHNE einen Aufsatz geschrieben: "Tacitus, Germania12 und der Tod im Sumpf". Darin schreibt er: "Schon die Erwähnung des Flechtwerkes, das nach den Auffassungen von LUND (1984,206ff.), MUCH (1967,217), PERL (1990,167) und anderen auch dazu dienen mochte, den für die Gemeinschaft "unheilvollen" und damit auch zukünftig gefährlichen Toten , so schon GRÖNBECH (1954,343ff.), an der Rückkehr - als "Wiedergänger" - zu hindern, weist auf magische Rituale hin. Folglich könnte man ebensogut ein Nacheinander zweier Vorgänge, nämlich erst das "Versenken" und danach das "Abdecken", ansetzen."

Wenn jetzt diese Aussagen zugrunde gelegt werden und somit eine Angst vor Wiedergängern bestanden hat, dann wären gegen offen herumliegende Leichen irgendwelche Maßnahmen ergriffen worden. Warum sollte man versenkte Leichen im Moor bzw. Morast als mögliche Wiedergänger durch Abdeckung hindern, während Tote eines Schlachtfeldes offen herumlagen?
 
die Frage nach Aberglaube setzt eine christliche Denkweise vorraus
Aberglaube=Gegenglaube zum christlichen Glauben
normaler Weise wurden nur die eigenen Gefallenen bestattet um ihnen ein weiterleben in der Nächsten Welt,welche auch immer je nach Glauben unterschiedlich,zu ermöglichen.Gefallene lies man einfach liegen oder präsentierte sie um mögliche neue Gegner einzuschüchtern und abzuschrecken indem man ihnen praktisch vor Augenführte was ihnen bevorstand falls es zu einen Konflikt kommt.
Auserdem war es für die eigenen Leute immer ein platz an dem man sich an eine gewonnene Schlacht erinnern konnte
 
Zur Ausgangsfrage, ob Menschen den Ort wegen der Toten mieden bzw. aus der Befürchtung Geister gingen um den Platz verlassen haben könnten paßt eine Anekdote bei Plinius d.J., deren Quellenangabe ich bislang aber noch nicht nachvollzogen habe. Ich gebe daher keine Gewähr und würde bitten, bei Gelegenheit selbst einmal nachzusehen.
Aus den Briefen an Lucius Licinius Sura soll dementsprechend die Geschichte des griech. Philosophen Athenodoros stammen, der ein Haus zu einem Spottpreis übernahm, in dem es Spuken sollte. Alle vorherigen Besitzer waren genau deswegen ausgezogen bzw. hatten das Gebäude verkauft. Athenodoros löste das Problem, indem er dem verscharrten Toten ein ordentliches Begräbnis angedeihen ließ.

Nun sind die Griechen ein anderer Kulturkreis als die Germanen, ein direkter Vergleich schließt sich daher aus. Aber die allgemeine Frage kann mit einem Ja beantwortet werden. Ob dies dann speziell auf die Germanen zutrifft läßt sich aufgrund derer Überlieferungsarmut dahingehend ein wenig schwer beantworten. Die erzählerischen Traditionen der frühesten Geistergeschichten wären da wohl zu betrachten, die es im dt. Raum gab.
 

In dem Thread ist bereits gründlich über den Spezialfall Varus-Schlacht diskutiert worden, so daß dazu ohne neuere Erkenntnisse nicht mehr viel gesagt werden kann.

Vielleicht ging es @Maksim bei seiner Eingangsfrage um den Glauben von frühen Clans allgemein und wie sich dieser auf die Behandlung von toten Kriegsgegnern auswirkte.

Vor ein paar Tagen wurde die Ötzi-Doku wiederholt, dort berichteten Gerichtsmediziner über ihre Untersuchungsergebnisse.
Die Verformungen im Gesicht Ötzis sollen dadurch entstanden sein, dass jemand, den im Sterben auf das Gesicht gefallenen Körper nachträglich mit Steinen bedeckt hat.
In Ötzis Fall wird noch immer über seinen "Mörder" spekuliert, das ist hier aber nebensächlich.
Da die Leiche an einem einsamen Gebirgspass lag, sollte sie niemanden mit Geruch etc belästigt haben oder bei der Landbestellung gestört haben. Trotzdem soll sie mit Steinen bedeckt worden sein.
Dafür kann es andere Gründe geben, die im Verhältnis des Toten zum "Bestatter" liegen könnten.
Trotzdem kam bei mir die Assoziation an die Moorleichen, die teilweise auch zusätzlich beschwert oder bedeckt wurden.
 
Der spätantike Dichter Ausonius schreibt von einem Schlachtfeld bei Bingen als von "Galliens Cannae, wo die Scharen unbeweint und unbestattet auf den Feldern liegen" (und das ca. 300 Jahre nach der Schlacht). Am anderen Ende der Antike verweigert Achill das Begräbnis Hektors. Ganz offensichtlich ist also diese Verweigerung eines Begräbnis ein symbolischer Akt der ultimativen Vernichtung eines Gegners; besonders brisant wird das z. B. auch im Fall des Aulus Vitellius, der die getöteten Gegner im Bürgerkrieg nicht bestatten ließ (und dem die Geschichtsschreiber dies zum härtesten Vorwurf machten).
Mir kommt im Moment beim besten Willen keine Stelle in den Sinn, wo die sicherlich als noch anwesend angenommenen ruhelosen Geister erschlagener Menschen (Feinde, Unbekannte, was auch immer) einen in irgendeiner Weise schädlichen Einfluss üben; sie sind unheimlich, sie sind erschreckend, aber im Allgemeinen lösen sie Mitleid aus und stellen keine Bedrohung dar. Die Verweigerung dieses Mitleids gehörte sicherlich zu den mächtigsten Waffen der Repression – weshalb die Ausnahmen dieser Regel deutlich als besondere Milde gefeiert wurden (übrigens kam es bei so einer Bestattung – und kommt es auch heute – auf die Identifizierbarkeit des Toten an, es liegt nahe, in der Bedeutung der Bestattung eher einen Abschied für die Hinterbliebenen zu sehen, auch wenn natürlich aus der Perspektive des Toten argumentiert wird).

In den Sagen und Märchen der Neuzeit treten oft verstorbene Seelen als Unglücksboten auf, aber meistens ohne den Zusammenhang der fehlenden Bestattung: hier hat offensichtlich eine Art Banshee-Glaube mit Einzug gehalten (zumal von den "bösen Geistern" oft nur unidentifiziert gesprochen wird; "es heißt", so heißt es oft, "dass es sich um eine unglücklich verstorbene Prinzessin halten soll") – diese ruhelosen Seelen sind denn auch Individualfälle und treten nicht in Kompanie- oder Legionsstärke auf.
 
die Frage nach Aberglaube setzt eine christliche Denkweise vorraus

Das ist ein unhaltbarer Satz. Demnach können nur Christen vom Aberglauben sprechen, nicht aber Juden, Muslime, Hindus, Buddhisten oder Angehörige anderer Religionen. Und noch gewichtiger: Agnostiker und Atheisten könnten es auch nicht. Das ist also eine ganz willkürliche Vorgabe. Ganz unabhängig vom christlichen Glauben reden aufgeklärte Menschen (auch Forscher) von Aberglaube, wenn "Glaubensvorstellungen" (und davon motivierte Handlungen) vorliegen, die offensichtlich keine empirische Basis haben und uns deshalb "kindisch" erscheinen, so z.B. das Unterfangen, erlegte Tiere zu besänftigen und freundlich zu stimmen, damit sie nicht doch noch zum Leben erwachen und Rache nehmen.

Nun sind die Griechen ein anderer Kulturkreis als die Germanen, ein direkter Vergleich schließt sich daher aus. Aber die allgemeine Frage kann mit einem Ja beantwortet werden. Ob dies dann speziell auf die Germanen zutrifft läßt sich aufgrund derer Überlieferungsarmut dahingehend ein wenig schwer beantworten.

Warum soll man verschiedene "Kulturkreise" nicht (direkt) vergleichen können? Muss man nicht im Gegenteil so viele "andersartige" Kulturkreise wie möglich vergleichen, um Gemeinsamkeiten - vor allem im Geistesleben - festzustellen? Womöglich stellt man dann z.B. fest, dass die Scheu vor untoten Toten weltweit weit verbreitet war bzw. ist und sozusagen zum "geistigen Erbe" der Menschheit gehört. Du selbst willst ja die "allgemeine Frage" mit einem Ja beantwortet - wie aber kann man zu so einer allgemeinen Antwort gelangen, wenn nicht durch den allgemeinen Vergleich der verschiedenen (und vielleicht doch nicht so verschiedenen) menschlichen Kulturen?

Der "direkte Vergleich" schließt sich nicht aus, weil wir es mit verschiedenen Kulturkreisen zu tun haben, sondern höchstens, weil es uns an der Quellenbasis für einen Vergleich mangelt. Du selbst konstatierst die "Überlieferungsarmut". Dann ist ein direkter Vergleich in der Tat nicht möglich. Der indirekte Weg dagegen steht offen: So viele Kulturen wie möglich vergleichen, Gemeinsamkeiten eruieren und allgemeine Sätze formulieren - und dann mit der Einschränkung eines "vermutlich" auf andere Fälle, wie z.B. die Germanen, schließen.
 
Athenodoros löste das Problem, indem er dem verscharrten Toten ein ordentliches Begräbnis angedeihen ließ.

Dass dem Toten ein ordentliches Begräbnis zusteht, gehört zu den frühesten sozialen Kulturtraditionen des Menschen. Dabei ist meist der Ort der Bestattung wichtig sowie die Einhaltung der verschiedenen Begräbnissitten.
Da der Sterbende selbst ein Interesse an einem ordentlichen Begräbnis hatte, wird er dieses zu Lebzeiten mit entsprechenden Aussagen, evtl. Drohungen sichergestellt haben...... Wenn du mich nicht ordentlich begräbst, erscheine ich dir im Schlaf, dein Gewissen wird dir keine Ruhe lassen.......

In vielen Kulturen werden die Verstorbenen, die Ahnen besonders verehrt.
Gestern war Allerheiligen, Hallowen, das Samhain der Kelten, Totensonntag kommt auch noch im November. Das alles bezieht sich aber eher auf den Tod von Angehörigen.

Kann man soweit gehen, dass dem verhaßten Kriegsgegner dieses ordentliche Begräbnis auch aus Rache nicht zugestanden wurde oder war die Angst vor dem Geist größer und wie hätte man sich geschützt?

Der Tollund-Mann ? Wikipedia hilft auch nicht unbedingt weiter, da wir nicht wissen, ob ein Kriegsgegner, ein Verbrecher oder ein Mann aus dem Volk geopfert oder aus anderen Gründen im Moor beseitigt wurde. Waffen von Gegnern wurden in vorrömischer Zeit geopfert und in Mooren / Seen gefunden.
Moore sind vielleicht auch aus solchen, weit zurückliegenden Gründen mit diesem Gruselschauer belegt.
Könnten ehemalige Schlachtfelder diesen Grusel / Tabufaktor nicht auch gehabt haben?
 
Warum soll man verschiedene "Kulturkreise" nicht (direkt) vergleichen können?
Weil verschiedene Kulturen nunmal nicht gleich auf identische Situationen reagieren müssen.
Mit einfachem Beispiel veranschaulicht: was den Thailändern schmeckt muß den Inuit nicht gleich verlockend vorkommen.

Muss man nicht im Gegenteil so viele "andersartige" Kulturkreise wie möglich vergleichen, um Gemeinsamkeiten - vor allem im Geistesleben - festzustellen?
Hätte die Frage gelautet, wie man es in einem bestimmten Umfeld (bspw. Europa / Welt) zu einer bestimmten Zeit gesehen hätte (Antike / 4000 Jahre) wäre das eine notwendige Vorgehensweise gewesen. Da hier "allgemein" gefragt wurde, die eigentliche Zielrichtung aber die Germanen, noch spezieller, die im Raum der möglichen Varusschlacht(en) lebenden Germanen, wäre allerdings ein Blick auf eben die germanische Haltung vonnöten. Die Aussagekraft anderer Kulturen über die Haltung der Germanen ist dabei gering.

Womöglich stellt man dann z.B. fest, dass die Scheu vor untoten Toten weltweit weit verbreitet war bzw. ist und sozusagen zum "geistigen Erbe" der Menschheit gehört.
Was eine eindeutige Antwort weiterhin ausschließen würde. Immerhin wäre es nur die Spekulation, dass, weil es alle anderen machen, auch die Germanen so halten.

Du selbst willst ja die "allgemeine Frage" mit einem Ja beantwortet - wie aber kann man zu so einer allgemeinen Antwort gelangen, wenn nicht durch den allgemeinen Vergleich der verschiedenen (und vielleicht doch nicht so verschiedenen) menschlichen Kulturen?
Mit der "allgemeinen Frage", das betone ich im folgenden Satz ja noch einmal, meinte ich genau das, was du hier wiederholst: das es sowas letztlich gibt, auch in der Antike.

Der "direkte Vergleich" schließt sich nicht aus, weil wir es mit verschiedenen Kulturkreisen zu tun haben, sondern höchstens, weil es uns an der Quellenbasis für einen Vergleich mangelt.
Der Vergleich schließt sich aus, weil die griechische Kultur nicht die germanische Kultur ist, dass also eine Geisteshaltung bei den Griechen existiert, heißt nicht, das es diese auch bei den Germanen geben mußte.
Das hat nichts mit der Quellenlage zu tun. Auch wenn die Germanen überlieferer wären, eine Lücke zu unserer Thematik existieren würde, könnten wir nicht aus der Existenz in einer anderen Kultur Rückschlüße dieser Art ziehen. Zumal nicht bei einer so fremden Kultur.
Sicher gibt es Fälle, wo solche Spekulationen angebracht sind, auf eine klar umrißene Frage jedoch trifft dies nicht zu.

Du selbst konstatierst die "Überlieferungsarmut". Dann ist ein direkter Vergleich in der Tat nicht möglich.
Das kann ich nicht bestreiten, auch wenn es sich ohnehin nicht anbietet.
Der indirekte Weg dagegen steht offen: So viele Kulturen wie möglich vergleichen, Gemeinsamkeiten eruieren und allgemeine Sätze formulieren - und dann mit der Einschränkung eines "vermutlich" auf andere Fälle, wie z.B. die Germanen, schließen.
Diese Vorgehensweise ergibt allerdings nur wissenschaftlich kaum verwertbare Spekulationen.
Weil mehrere Kulturkreise in Ost- und Zentralasien die Swastika als Glücks- und Religionssymbol benutzen, muß dies nicht in England oder Mexiko der Fall gewesen sein.

Also noch einmal ganz klar und unmißverständlich ausgedrückt:
Mein Beispiel entstammt dem griechischen Kulturkreis, bei dem die Frage v. Maksim nach dem "man" mit einem Ja beantwortet werden kann.
Das ist aber keineswegs ein Beweis oder auch nur ein Hinweis, dass dies auch für die Germanen gilt.
 
Dass dem Toten ein ordentliches Begräbnis zusteht, gehört zu den frühesten sozialen Kulturtraditionen des Menschen. Dabei ist meist der Ort der Bestattung wichtig sowie die Einhaltung der verschiedenen Begräbnissitten.
Da der Sterbende selbst ein Interesse an einem ordentlichen Begräbnis hatte, wird er dieses zu Lebzeiten mit entsprechenden Aussagen, evtl. Drohungen sichergestellt haben...... Wenn du mich nicht ordentlich begräbst, erscheine ich dir im Schlaf, dein Gewissen wird dir keine Ruhe lassen.......
In diesem Falle jedoch erschien der Geist nicht einem Verpflichteten oder Schuldigen (wie wir dies ja bis heute in Geschichten kennen, etwa Poes Pochendes Herz), sondern wildfremden Menschen, die nicht mit ihm in Verbindung standen.


Kann man soweit gehen, dass dem verhaßten Kriegsgegner dieses ordentliche Begräbnis auch aus Rache nicht zugestanden wurde oder war die Angst vor dem Geist größer und wie hätte man sich geschützt?
Mummius hat es bereits gut für die Griechen ausgeführt, die Äußerungen des Tacitus über die Behandlung der römischen Toten und des erbauten Grabdenkmals durch die Germanen läßt immerhin vermuten, dass die Germanen ebenfalls eine Strafe oder Demütigung darin sahen, so mit den Verstorbenen Feinden zu verfahren.


Könnten ehemalige Schlachtfelder diesen Grusel / Tabufaktor nicht auch gehabt haben?
Könnten ja, aber wir wissen es nicht genau.
Uns erscheinen Schlachtfelder gruselig. Mitunter waren sie in der jüngeren Vergangenheit jedoch tagelang Ort zielstrebiger Plünderer.
Ein Tabu ist trotzdem zu finden, immerhin sind sie auch Seuchenherde.
 
Die Aussagekraft anderer Kulturen über die Haltung der Germanen ist dabei gering...Der Vergleich schließt sich aus, weil die griechische Kultur nicht die germanische Kultur ist, dass also eine Geisteshaltung bei den Griechen existiert, heißt nicht, das es diese auch bei den Germanen geben mußte...Zumal nicht bei einer so fremden Kultur.

Ein Fehler liegt schon darin, von „der griechischen Kultur“ und „der germanischen Kultur“ zu sprechen, als wären das feste und statische Gebilde. Nur so kann man behaupten, bei „den Griechen“ hätte eine bestimmte Geisteshaltung existiert. In Wirklichkeit treten hier im Lauf der Zeit, im Lauf der Geschichte starke Veränderungen und Entwicklungen auf, sodass sich die Geisteshaltung eines Griechen des 8. Jahrhunderts wesentlich von der eines Griechen des 5. Jahrhunderts und diese wieder von der eines Griechen des 3. Jahrhunderts unterscheidet – und so weiter.

Während wir auf der einen Seite große Unterschiede „innerhalb“ einer sogenannten Kultur registrieren, sind umgekehrt zwischen Vertretern „verschiedener Kulturen“ teilweise große Übereinstimmungen festzustellen. So kann man ohne weiteres sagen, die Geisteshaltung Epikurs (eines prominenten Vertreters der griechischen Kultur) habe mehr mit der Geisteshaltung eines Lukrez, der materialistischen Philosophen im antiken Indien und China sowie vieler Menschen im Westeuropa des 21. Jahrhunderts gemein als mit jener von Homer und Hesiod. Ebenso haben z.B. die Römer der frühen Republik mehr geistige Gemeinsamkeiten mit den archaischen Griechen und den archaischen Chinesen als mit Römern der späten Republik wie Quintus Mucius Scaevola, Lucullus oder Cicero. Was also bleibt noch von „der römischen Kultur“?

Sicherlich haben sich an verschiedenen Orten bei verschiedenen Gruppen auch spezifische und daher verschiedene Geistesvorstellungen entwickelt, und sicherlich gibt es auch eine Tradierung dieser Geisteswelt – insofern kann von verschiedenen Kulturen geredet werden. Aber es ist unangemessen, so zu tun, als wären diese dauerhaft und stabil oder gar ihrem Wesen nach voneinander unterschieden. Im Gegenteil finden sich Geisteshaltungen, die jeder Kulturgrenze spotten und sich regelrecht als universelle Erscheinungen erweisen, gerade im Bereich der Religion und der Totenvorstellungen. Drei Beispiele: Der Glaube an magisch mächtige Wesen; die Annahme von Gottheiten, die zugleich in anthropomorpher Form wie auch in Gestalt von Tieren, Bäumen, Flüssen und Bergen gedacht werden; das Auftreten der Gefolgschaftsbestattung.

Es gibt also keine grundsätzliche, wesenhafte Verschiedenheit der Kulturen, die dem Schlussverfahren im Wege steht. Wenn der Vergleich nur auf einer möglichst breiten, am besten universellen Basis beruht (das heißt: es reicht nicht, nur eine andere Kultur heranziehen – es müssen so viele möglich sein, am besten alle), dann ist es ganz legitim, Analogieschlüsse zu ziehen – mit der Einschränkung des „vermutlich“. Mit Spekulation hat das nichts zu tun, da es auf einer festen empirischen Basis beruht: Auf der Feststellung von weitreichenden und grundlegenden Gemeinsamkeiten früher Kulturen in ihren religiösen und kultischen Vorstellungen.

Bedingung für einen methodisch zulässigen Analogieschluss ist aber die empirische Basis: Nur wenn die Quellenlage eine breite Einbeziehung vieler (im Idealfall aller) Kulturen in den Vergleich erlaubt, lassen sich Gemeinsamkeiten eruieren und Schlussfolgerungen auf einzelne Fälle, wo die Quellen schweigen, ziehen.
Wie die in diesem Thread aufgeworfenen Frage zu beantworten ist, kann ich nicht beurteilen – es wäre mittels universalhistorischen Vergleichs zu untersuchen, falls die Quellenlage einen solchen erlaubt.
 
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