Die Erben von Byzanz heute

ich würd mich der Meinung, dass die Türkei nicht als Erbe von Byzanz anzusehen ist, weil wie schon erwähnt wurde Byzanz christlich und europäisch war im Gegensatz zu dem aus Asien eingewanderten Türkvolk stand. Es sind eher die christlichen Länder, wie Kiewer-Rus( Ukraine) oder Russland, vielleicht auch Griechenland als Erben von Byzanz zu betrachten, da einzig diese Länder eine Verbindung, religiös, sowie kulturel, mit dem byzantinischen Reich besaßen. Die Türkei ist nur als "geographischer Erbe" von Byzanz zu betrachten
 
Das wäre aber wieder eine Reduktion der Kultur auf Religion und Sprache, die zweifelsfrei sehr wichtige Elemente der Kultur sind, missachtet aber, dass es sowohl türkische Christen gibt, als auch die Mehrheit der heutigen Türken byzantinische Vorfahren hat. Diese Definition missachtet den byzantinischen Einfluss auf die osmanische Architektur, die türkische Küche - die nicht die eines asiatischen Reitervolkes sondern die eines mediterranen Bauernvolkes ist etc.
 
...die Mehrheit der heutigen Türken byzantinische Vorfahren hat

Das postuliert doch irgendwie ein "genetisches Reichserbe"... :grübel:

Letztlich ist es doch so, daß jeder es sehen kann, wie er möchte. Zu einem Ergebnis dürfte es in diesem Thread kaum kommen. :fs:
 
Doch. Ich hatte die Diskussion, (oder war es ein anderer?), schon in seichtere Gewässer geführt, indem ich die Antwort ausdifferenzierte, wie es schon beim Europa-Begriff durch einige User erfolgreich getan wurde. (Also: Erbe in bestimmten Bereichen: Ja. In anderen Bereichen: Nein.)

habe letztens sogar gelesen, dass nicht wenige Christen mit den ersten Osmanensultanen gegen "ihre Glaubensbrüder" und gegen die anderen Turkmenen gekämpft haben. Von christlichen Heerführern und Beratern der ersten Sultanen wusste ich schon, aber mir war noch neu, dass auch christl. "Fussvolk" sich den Expansionen anschlossen. (eigentlich auch logisch, betrachtet man die Beweggründe, die häufig purer Materialismus (Gold) und Abenteuerlust waren, Gründe, die auf jedwede Konfession immer ihren Reiz hat) Nun gut, das ist ein anderes Thema, und ich halte mal meinen Mund. :)
 
Ich würde bei den Griechen eigentlich überhaupt nicht von "Erben der Byzantiner" sprechen, als vielmehr davon, dass ebenjene mehr als jedes andere Volk für sich die Selbstbezeichnung Byzantiner oder Römer tragen dürften, ohne die Herleitung mit argumentativer Gewalt um historische Fakten herumzubiegen. Alle anderen Völker des Balkanraums sind dagegen tatsächlich "Erben" im Wortsinne. Byzanz hat allen diesen Ländern seine Kultur und/oder sein religiöses Weltbild weitervererbt. Es interessiert dabei nicht, wieviele einzelne Kaiser aus der Peripherie des Reiches stammten. Wer sich nicht zum Griechentum "bekehrte" war auf dem Kaiserthron fehl am Platze. Und ich glaube nicht, dass die heutigen Türken sich als Griechen ansehen, die Griechenlandbewohner dagegen schon.

Auf einfache Fragen gibt's eben einfache Antworten.
 
Ich würde bei den Griechen eigentlich überhaupt nicht von "Erben der Byzantiner" sprechen, als vielmehr davon, dass ebenjene mehr als jedes andere Volk für sich die Selbstbezeichnung Byzantiner oder Römer tragen dürften, ohne die Herleitung mit argumentativer Gewalt um historische Fakten herumzubiegen.

Was für ein Satz - den musste ich zweimal lesen.

Und ich glaube nicht, dass die heutigen Türken sich als Griechen ansehen, die Griechenlandbewohner dagegen schon.

Genau darum geht es ja nicht, sondern vielmehr darum, welche kulturellen Errungenschaften in den nachfolgenden Völkern weiterexistieren. Und es ist zweifellos so, dass byzantinische Elemente sich überall in den Kulturen des östlichen Mittelmeerraums insbesondere aber im europäischen und kleinasiatischen Teil wiederfinden. Da sind religiöse, architektonische, kulinarische, musikalische, philosophische Elemente etc. Ob dies dann wieder alles genuin byzantinisch war, ist wiederum eine andere Frage. Nehmen wir das antike griechische, philosophische Erbe. Byzanz bewahrte es - im Westen konnte im MA niemand mehr Griechisch. Byzantinische Gelehrte - Christen und Konvertiten - lebten vom Mäzenatentum in Bagdad, befruchteten so die arabische Beschäftigung mit der antiken griechischen Philosophie. Aristoteles kam in der kommentierten Fassung von Averröes nach Westeuropa, mit der lateinischen Übersetzung des Averröes arbeitete Thomas von Aquin, Averröes schaffte es in die Cappellone degli Spagnoli also die 'Kapelle der Spanier' in Florenz (wo er allerdings nur zu Füßen von Thomas von Aquin sitzen darf).

Erst gegen Ende des byzantinischen Reiches, als vermehrt griechische Geistliche nach Italien strömten, wurden die originalen Texte dem Westen langsam wieder zugänglich. Und die Humanisten sahen das Erlernen des Griechischen dann fast als Grundlage allen kulturellen Schaffens an. Insofern ist auch Westeuropa ein Erbe des byzantinsichen Reiches.
 
Das liest sich so richtig, als es auch ist. Aber dennoch, als Erben im Wortsinne kann man wirklich nur jemanden bezeichnen, der dieses Erbe gewillt antritt. Andernfalls fällt das Erbe jemand anderem zu. Vielleicht impliziert der Begriff "Erbe" im juristischen Gebrauchssinn einfach zu wenig, als dass man es in dieser Sache brauchbar anwenden kann.

In einer Sache besteht indessen kein Zweifel: kein in der Tradition stehender Türke würde sich zum Griechentum bekennen. Insofern mag man konstatieren, dass byzantinische Elemente im türkischen Staat fortbestehen, aber als eigentliche Erben eignen sich die Türken lediglich an letzter Stelle hinter allen anderen Anreinern, von Georgien über Armenien und den anderen Balkanstaaten. Als direkte Rechtsnachfolger des Byzantinischen Reiches würde ich dagegen lediglich das heutige Griechenland ansehen. Würde es sich staatsrechtlich wieder in Basileia ton Rhomaion umbenennen, fände ich diesen Kniff zwar mehr als nostalgisch, aber plausibel hergeleitet. Was man z.B. von Serbien nicht behaupten könnte...
 
Ist denn "Erbe" ein rein juristischer Begriff, muss man ein Erbe antreten? Dem würde ich doch dezidiert widersprechen wollen.
 
Kein heutiger Türke, oder sagen wir besser, wenige der gebildeten Türken würden sich zum "Griechentum" (was auch immer man darunter versteht) bekennen. Da haste recht.

Jedoch in der Historie sah es manchmal anders aus, indem z.B. der osm. Sultan zeitweise sich als legitimer Nachfolger und einzig berechtigter Kaiser von Rom ansah; diesen Titel auch hochoffiziell führte, und manchmal so vom Ausland angesprochen wurde. Also in "juristischer" Hinsicht fiel das "Erbe" des Kaisertums in die Hände der Osmanen, bzw. sie nahmen es sich.

Übrigens: Ist die Bundesrepublik Deutschland nicht "Erbe" Griechenlands? (Wegen den deutschen griechischen Königen Otto I. und Georg I., etc.)? ;)

Ich möchte nun nicht den ganzen Thread nochmals aufdröseln, ich möchte dir und anderen nur noch als Ergänzung die historischen Verzweigungen aufzeigen, mit diesen bislang noch nicht von mir gebrachten Zitaten:

aus:
http://www.geschichtsforum.de/f171/ottoman-empire-21410/

"The Ottomans, in 1453, had destroyed the second Rome, Byzantium,
that had endured for one thousand years, from the fourth through the
fifteenth centuries. Through this act, the Ottoman state changed in status
from regional power to world empire. As destroyer, the Ottoman Empire
in some ways also was the inheritor of the Roman heritage in its eastern
Byzantine form. Indeed, Sultan Mehmet II, the conqueror of Constantinople,
explicitly laid down the claim that hewas a caesar, a latter-day
emperor, and his sixteenth-century successor, S¨uleyman the Magnificent,
sought Rome as the capstone of his career. Moreover, the Ottoman rulers,
having conquered the second Rome, for the next four hundred-plus years
honored its Roman founder in the name of the capital city. Until the
end of the empire, the city’s name – the city of Constantine – Konstantiniyye/
Constantinople – remained in the Ottomans’ official correspondence,
their coins, and on their postage stamps, after these came into use
in the nineteenth century. In some respects, the Ottomans followed certain
Byzantine administrative models. Like the Byzantines, the Ottomans
practiced a kind of caesaro-papism, the system in which the state controlled
the clergy. In the Ottoman judiciary the courts were run by judges,
members of the religious class, the ulema. The Ottoman sultans appointed
these judges and thus, like their Byzantine imperial predecessors,
exercised a direct control over members of the religious establishment.
In addition, to give another example of Byzantine–Ottoman continuities,
Byzantine forms of land tenure carried over into the Ottoman era. While
the Ottomans forged their own unique synthesis and were no mere imitators
of their predecessors, their debt to the Byzantines was real.
...
Ultimately, the Ottoman system should be seen
as a highly effective blend of influences deriving from Byzantium, the
Turkish nomads, and the Balkan states, as well as the Islamic world."

aus:
http://www.geschichtsforum.de/f171/ottoman-empire-early-modern-europe-21581/

"Associations between the Ottoman Empire and the other states of
Europe extended beyond commercial exchange and military campaign.
The territories, indeed the very institutions, of the Ottoman Empire were
in some ways successors to the Byzantine Empire, which, as an heir to
Rome, was the most revered of European states. Not only did both the
Byzantine and Ottoman political entities utilize a religious ideology as the
glue for a vast territory and a diverse population, but also the Ottomans
came to rule over virtually the same domains and peoples as had Constantine’s
eastern Roman heirs 1,000 years before. Furthermore, the successor
state adopted much of the Byzantine tax structure through the
utilization of customary law, which the Ottomans blended into sultanic
law as a complement to Islamic law.14
This is not to say that the Ottoman polity constituted no more than a
superimposed image of its immediate predecessor. It did not. Not only
did the empire rely upon traditions from its own central-Asian past, but
it also embraced Persian (particularly financial and political) and Arab
(particularly spiritual) legacies.15 The Ottomans fused these heritagestogether with the Byzantine one into a unique order that endured for
half a millennium. The threads of Ottoman legitimacy thus converged
from the east, from the south, and from the north. Nevertheless the chief
impression, at least from the perspective of much of Europe, was that
the Ottoman Empire was the Byzantine Empire reborn, even though this
rebirth may have appeared misshapen. When viewed from the West the
Ottoman polity seemed to have arisen like a monster out of the Byzantine
ashes. Evil or not, as the successor to a major Christian and Mediterranean
civilization, both European and Ottoman considered the new state
very much a part of the European world. Although many western Europeans
hated it on ideological grounds, most also acknowledged that the
empire could not be ignored, and some even grasped that it could not
easily be expunged. Ways were found to accommodate it.

...

Whereas, in the fourteenth and fifteenth centuries, the Ottomans had
borrowed some of the structures of the European state, under S¨uleyman
they seem to have challenged the Catholic version of European history
itself – to reimagine it as a vision that harkened back to the pre-Christian
past and to fashion the Ottoman Empire rather than the papacy or the
Holy Roman Empire as the rightful successor to Greek and Roman
civilizations. Even though this attempt to refashion European history
failed, the construct itself was not all that farfetched. Geographically it
certainly made sense, and even historically what gave Germanic barbarians
(whom Charles V represented) any more right to carry the banner
of Rome than Turkic ones? Even ideologically, the Ottomans’ case was
strong: whereas Christianity claimed to have supplanted Judaism, followers
of Islam insisted that it was the only pure monotheism, that it
represented the Abrahamic faith, and that both Judaism and Christianity
were merely badly corrupted versions of Islam. Under S¨uleyman, then,
Ottoman authorities proposed to reinvent a Europe in the empire’s own
image, even as Protestantism was forcing western Europe to reinvent
itself."

Solltest du oder andere kein englisch können, und mit folgenden Links auch nicht zurecht kommen:
Yahoo! Babel Fish - Text Übersetzung und Webseiten Übersetzung
Google bersetzer
und euch obige Passagen sehr interessieren, sagt einfach bescheid, und ich oder jemand anderes kann sicher das Wesentliche übersetzen.

Gute Nacht.
 
Zugegeben, der Begriff Erbe ist dank seines Sprachgebrauchs etwas problematisch. Desdawegen habe ich im ersten Post zur Sache auch die Griechen explizit als "Byzantiner" bezeichnet, wohingegen alle anderen Anrainer als "Erben" firmieren.

Zur Sache der Osmanen war mir das in summa bekannt. Die Türkei ist sicher nicht weniger "Erbe" als das abendländische Europa. Unabhängig von den verständlichen Ressentiments zwischen Griechen und Türken, schließt die türkische Ablehnung des Griechentums einen byzantinischen Erbanspruch hingegegen weitestgehend aus. Da tut es auch nicht viel zur Sache, dass die Hagia Sophia in Istanbul steht. Das Abendland hat sich dagegen stets seiner hellenischen/römischen Wurzeln besonnen, mit vernachlässigbaren Ausnahmen vielleicht.

Oder so herum besehen: Serbien und Bulgarien hießen vor der osmanischen Besetzung ja auch "Serbien" und "Bulgarien". Das heutige Griechenland hätte mitdemselben Recht sein unabhängiges Staatswesen Basileia ton Rhomaion nennen können. Dass dies nicht geschah, lag wohl eher an der damaligen Hellenenbegeisterung (wie auch im 13./14. Jh. auf der Morea) wie auch an der Tatsache, dass die ungebliebten Osmanen nach wie vor an der Hausschwelle saßen. Der Besitz Konstantinopels tut wenig zur Sache. Hätte sich die Türkei dagegen in "Byzanz" umbenannt, wäre das hingegen zuhöchst befremdlich gewesen...
 
Kein heutiger Türke, oder sagen wir besser, wenige der gebildeten Türken würden sich zum "Griechentum" (was auch immer man darunter versteht) bekennen. Da haste recht.

Jedoch in der Historie sah es manchmal anders aus, indem z.B. der osm. Sultan zeitweise sich als legitimer Nachfolger und einzig berechtigter Kaiser von Rom ansah; diesen Titel auch hochoffiziell führte, und manchmal so vom Ausland angesprochen wurde. Also in "juristischer" Hinsicht fiel das "Erbe" des Kaisertums in die Hände der Osmanen, bzw. sie nahmen es sich.

Übrigens: Ist die Bundesrepublik Deutschland nicht "Erbe" Griechenlands? (Wegen den deutschen griechischen Königen Otto I. und Georg I., etc.)? ;)

Ich möchte nun nicht den ganzen Thread nochmals aufdröseln, ich möchte dir und anderen nur noch als Ergänzung die historischen Verzweigungen aufzeigen, mit diesen bislang noch nicht von mir gebrachten Zitaten:

aus:
http://www.geschichtsforum.de/f171/ottoman-empire-21410/

Otto I. wurde durch einen unblutigen Aufstand schon 1862 wieder zurück nach Bayern geschickt, weil der gute Mann NIE wirklich die griechische Seele verstanden hat. Immerhin hat er aber die erste griechische Brauerei gegründet, was auch nicht schlecht war ;-)
Georg I. war ein Däne und kein Deutscher.

Dass die türkischen Nomadenstämme teile der byzantinischen Verwaltung und Herrschaftsstrukturen übernommen haben, war sicherlich einer (aber nicht nur) der Gründe, dass sie so ein gewaltiges Reich geschaffen haben. Das Haus Osman bestand aus vielen tatkräftigen und pragmatischen Männern, die viel Gutes aus vielen Kulturen übernahmen und für sich nutzten.

Ansonsten müssen wirklich die Türken von heute selber entscheiden, ob sie sich als Romäer/Rum/Griechen ansehen wollen. Eine Trennung zwischen dem Basilion ton Romeon und dem heutigen Hellas kann es nicht geben, da die Bevölkerung des heutigen Hellas zu 100% aus Romäern besteht. Sie die geistige, religiöse und geschichtliche Tradition fortführen und ihre Wurzeln in Byzanz sehen.

Machen das die heutigen Bewohner der Türkei auch ? Vielleicht können türkische User was dazu bitte sagen. Deren Meinung wäre für mich wichtiger als unendlich lange Artikel, die du Lynxxx hier reinstellst (nicht für ungut, deine Artikel sind immer willkommen, aber ich würde gerne die Meinung von Leuten hören, die "dazu" gehören und aus der Region kommen).

Das das Osmanische Reich aus den Kerngebieten des ehemaligen Ostroms bestand, ist ja unbestritten. Daher kann man sicherlich beim OR von einem territoriallen Erben reden, aber ich glaube nicht, dass wir dies jetzt meinten.
 
Was mir noch dazu einfällt:

Byzanz ruhte bekanntlich auf den drei Beinen "Griechische Kultur", "Christlicher (orthodoxer) Glaube" und "Römisches Staatswesen". Abgesehen vom juristisch formalen Römischen Staatswesen besitzt das heutige Griechenland alle diese Merkmale nicht nur am ausgeprägtesten, von Griechentum im Wortsinne lässt sich ohnehin nur von den Griechen/Zyprioten sprechen. Die Selbstidentifikation in Beziehung vor dem historisch relevanten Faktum zu betrachten ist eine unerlässliche Prämisse, hier zu nachvollziehbaren Aussagen zu gelangen. Man denke nur an die "Megali Idea", welche bis lange ins zwanzigste Jh. hinein in Hellas herumgeisterte: die von den Griechen lange geforderte Wiedererlangung sämtlicher griechisch dominierter Gebiete, einschließlich Konstantinopels und Teile Kleinasien, sprich Kernländer des byzantinischen Reiches. Zu einer Zeit, als jene Gebiete eben auch noch von Griechen teils dominiert wurden. Kein gemäßigter griechischer Politiker würde heute freilich noch die Wiedererringung Konstantinopels probagieren. Aber alle diese Tatsachen müssen berücksichtigt werden, bevor man anfängt die Griechen lediglich in eine Reihe mit anderen "Erben" Byzanz' zu stellen. Einem Griechen wird eine solche Gleichstellung weder objektiv noch in seinem Selbstempfinden gerecht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da tut es auch nicht viel zur Sache, dass die Hagia Sophia in Istanbul steht.
Oh doch. Weil die Hagia Sophia nicht nur zur Moschee umgeweiht wurde, sondern weil sie auch als Vorbild für neue Moscheen diente.
Panorama Istanbul

Das Abendland hat sich dagegen stets seiner hellenischen/römischen Wurzeln besonnen, mit vernachlässigbaren Ausnahmen vielleicht.
Auch das sehe ich anders. Insbesondere die hellenistischen Wurzeln waren im MA in Westeuropa weitgehend vergessen.
 
Oh doch. Weil die Hagia Sophia nicht nur zur Moschee umgeweiht wurde, sondern weil sie auch als Vorbild für neue Moscheen diente.
Das wiss'ma doch. Aber wer hat sie gebaut...und mit Sicherheit nicht daran gedacht, den Halbmond auf's Kuppelrund zu setzen?

Auch das sehe ich anders. Insbesondere die hellenistischen Wurzeln waren im MA in Westeuropa weitgehend vergessen.
Dennoch hat es den Franken oder Deutschen genug zu Hintergrundwissen gereicht, dass sie von Byzanz als dem Regnum graecorum sprachen, das Griechentum den Byzantinern also mithin als Existenzbedingung unterstellten (unabhängig davon, dass solche Aussagen aus dem Zweikaiserproblem resultieren). Damit steht fest: ohne Griechentum kein Byzantinertum. Otto III. hat das wohl gewusst, aber er war ja auch Grieche im Wort- und Bildungssinne...
 
Mike Hammer: Vielleicht möchtest du ja auch indirekte Aussagen heutiger Türken hören, die ich gehört habe? (Wir haben glaube ich im Forum eh nur ein, zwei Leute türkischer Herkunft, die zudem sicherlich wiederum ein verändertes Verhältnis haben, als die, "die "dazu" gehören und aus der Region kommen" (Zitat M. Hammer))

Ohne es belegen zu können, nur aufgrund meiner Reisen und Dokus, würde ich schon sagen, dass es kaum Türken gibt, die sich heute als Romäer/Rum/Griechen sehen, die meisten sehen sich eher als (biologische) Nachfahren der türkischen Brüder aus Zentralasien (ungeachtet, dass sie genetisch eher Anatolier, denn Zentralasiaten sind).

Aber was die Erbschaft angeht, so gibt es durchaus welche, die sich als (legitime) Erben der anatolischen Zivilisationen fühlen, angefangen bei der Bronzezeit und Catal Höyük, über die Hethiter, die Byzantiner, die Osmanen. So letztens grad in einer Doku bei dem 3Sat-Thementag gesehen, wo welche im Westanatolien sich als anatolische Türken begriffen, als eine Mischung der Bewohner der Landbrücke zwischen Asien und Europa. Dieses Bewusstsein ist sicherlich erst in den letzten 80 Jahren gewachsen, als z.b. auch zunehmend auf öffentlichen Plätzen Skulpturen aufgestellt wurden, die Nachbildungen hethischer oder bronzezeitlicher Skulpturen darstellen, als Ephesos/Efes-Pilsen Bier eingeführt wurde, als Eti/Hethiter-Kekse eingeführt wurden, usw. und damit diese Kulturen den Menschen näher gebracht wurden.
Aber es gibt in der Türkei höchst unterschiedliche Identitäten, von westlich, bis östlich, von antikes Erbe annehmend, bis Antikehasser, von gebildeten und/oder selbstreflektierenden Identitäten, bis zu dumpfe Parolen brüllende eines geeinten Turanismus/Pantürkismus.

Vielleicht fühlen sich einige so, wie jemand, der zwar von aussen kommt, der aber in ein Haus eingeheiratet hat, und dessen Kinder und Enkel nun ganz selbstverständlich dieses Haus erben, inkl. den Möbeln, die schon drin waren, und den Möbeln, die vom Vater bzw. Großvater mitgebracht wurden.
Andere hingegen, kamen zwar mit, aber heirateten nie in einen Haushalt ein, sondern campieren nachwievor wie ihre Vorfahren in den Hausgärten, oder gar vor der Stadt, und haben zwar vielleicht eine Vorstellung wie es in den Häusern aussieht, kennen aber kaum mehr als die Oberfläche der Hauswände und haben damit letztlich auch nichts zu schaffen.
Dann gibt es natürlich auch noch die Nachfahren der Enkelkinder, die jahrelang dasselbe Haus teilten, und die dann einmal in Streit gerieten, sich trennten, und das Haus in zwei Haushälften aufteilten, und im Zorn ihren Kindern erzählten, dass ihre Cousins nichts mit ihnen gemein haben, dass diese böse seien, und das die inzwischen längst gemischten Möbeln sauber aufgeteilt wurden, allerdings dabei verschwiegen, dass inzwischen doch jeder Möbel von dem anderen in den Zimmern stehen hatte, ohne dessen bewusst zu werden.

:winke:

PS: Übrigens befinden sich Kulturen, und auch Identitäten immer im Fluss, heute noch verstärkt durch die Globalisierung. Aber wie oben schon erwähnt, sehen sich vermutlich die meisten Türken wohl als Nachfahren der turkmenischen Einwanderungswellen, selbst wenn ihr persönlicher Stammbaum vielleicht ausschließlich auf türkisierten Griechen beruhen sollte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Auch das sehe ich anders. Insbesondere die hellenistischen Wurzeln waren im MA in Westeuropa weitgehend vergessen.

Ob die "hellenistischen Wurzeln" vergesssen waren, vermag ich nicht zu sagen. Sicher ist jedoch, dass die Byzantiner den Europäern als "Griechen" galten, was man in unzähligen zeitgenössischen Quellen nachlesen kann.

So haben auch viele Kreuzfahrer die "Griechen" als falsch, tückisch und nicht rechtgläubig geschmäht., was ebenfalls gut dokumentiert ist.
 
Nach dem großen Schisma war graeci im Abendland durchaus eine übliche Bezeichnung für Ketzer. Bis eben jenes Wörtchen "Ketzer" enstand, abgeleitet von der Katharer-Sekte.

Ohne es belegen zu können, nur aufgrund meiner Reisen und Dokus, würde ich schon sagen, dass es kaum Türken gibt, die sich heute als Romäer/Rum/Griechen sehen, die meisten sehen sich eher als (biologische) Nachfahren der türkischen Brüder aus Zentralasien (ungeachtet, dass sie genetisch eher Anatolier, denn Zentralasiaten sind).
Die moderne/kemalistische Türkei hat hierfür eine gute Lösung gefunden.
Demnach gehen die griechische Hochkultur eigentlich auf die Anatolier zurück. So seien die Trojaner eigentlich Anatolier und die Griechen hätte die Grundlage der abendländischen Hochkultur eben jenen Anatoliern gestohlen. Argument hierfür ist, dass die meisten Vorsokratiker in Kleinasien lebten.
So wird das kleinasiatische Griechentum konsequent geleugnet und durch den Anatolismus ersetzt.
Orientalisches Troja im Focs:Teil 7: Anatolisches Troja - Archäologie - FOCUS Online
 
Die moderne/kemalistische Türkei hat hierfür eine gute Lösung gefunden.
Demnach gehen die griechische Hochkultur eigentlich auf die Anatolier zurück. So seien die Trojaner eigentlich Anatolier und die Griechen hätte die Grundlage der abendländischen Hochkultur eben jenen Anatoliern gestohlen. Argument hierfür ist, dass die meisten Vorsokratiker in Kleinasien lebten.
So wird das kleinasiatische Griechentum konsequent geleugnet und durch den Anatolismus ersetzt.
Orientalisches Troja im Focs:Teil 7: Anatolisches Troja - Archäologie - FOCUS Online

Ich glaube diese komische "Sonnentheorie", die in den 1930er Jahren entwickelt wurde, darf man nicht so ernst nehmen. Ab und zu wird sie rausgeholt aus der Schublade und ein paar Dämlacken fallen noch darauf rein. Alles nicht so dramatisch, hat eh nur politische Hintergründe ;)
 
Ne, Maglor meint nicht die Sonnensprachtheorie, auch wenn ich es erst beim Überfliegen ebenfalls dachte. Diese These ist zudem von den (seriösen) Türken selber schon vor über 60 Jahren ad acta gelegt worden.

Nein, Maglor meint ein bischen das, was in diesem Buch aufgezeigt wird:

Die Mutter Europas. Ursprünge abendländischer Kultur in Alt- Anatolien.: Helmut Uhlig: Amazon.de: Bücher

Da wird aufgezeigt, wie stark der Ost-West Kulturtransfer mind. seit dem 8. Jh. v. Chr. war, von Religion und Kulten, über Herrschaftsgefüge, Wirtschaft, Handel, Kunst, Philosophie, usw. Europas Wurzeln also auch im Orient zu suchen sind. (das auch möchte ich betonen, denn die Wurzeln sind vielfältiger Natur)

Aber von wem das kleinasiatische Griechentum geleugnet wird, ist mir nicht klar.

Was den Link angeht, da könnte man was zu schreiben, wird aber hier nicht geschehen, da ein bischen tagespolitisch.

:winke:
 
Aber von wem das kleinasiatische Griechentum geleugnet wird, ist mir nicht klar.
Nun, im Grunde wird behauptet, sie seien Anatolier.
Dies wird dann überhöht dazu, dass die Anatolier "die wahren Griechen" und daher die Erfinder des Abendlandes zu sein. Natürlich werden die antiken Anatolier mit den heutigen gleichgesetzt.
Daraus folgt: Anatolier = Europäer = Türken
Derartiges ist zur Untermauerung der EU-Ambitionen sehr hilfreich.

Hier zu die Troja-Debatte
Wie Homer zu Ömer wird
"Schon Mehmet II., der Eroberer Konstantinopels im Jahr 1453, hatte sich von byzantinischen Gelehrten über die Ilias Homers belehren lassen und sich als Rächer des eroberten Troia in seiner Herrschaft legitimieren wollen. Sein Volk erfreute sich jedoch in der Folgezeit nicht an Homer, sondern an den Epen aus Ergenakon, der sagenhaften Urheimat der türkischen Nomaden. Erst Atatürk, der Gründer des türkischen Nationalstaates, hat unter Abkehr von pantürkischem und panislamischem Gedankengut den neuen Staat auf Anatolien bezogen. Die Völker und Kulturen Anatoliens sollten als historische Vorläufer der Türken betrachtet werden, und Atatürk begründete die türkische Spaten-Archäologie als Instrument für die Suche nach der türkischen Vergangenheit in anatolischem Boden."
Universität Tübingen - Abteilung für Alte Geschichte - Troia-Debatte
 
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