Warum hat sich Chlodwig gegen Syagrius gewandt

Chlodio

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Hallo,
das ist eine Frage die mich seit längeren beschäftigt. Chlodwig war ja am Anfang bestimmt wie sein Vater fränkischer Kleinkönig und römischer Befehlshaber. Wie kam es zu diesem Bruch? Gab es einen Vorfall?
Was meint ihr?

Danke im Vorraus
 
Ich meine gelesen zu haben, daß Syagrius vom oströmischen Kaiser nicht die volle Anerkennung hatte, lasse mich aber gerne korrigieren und lese gerne noch einmal nach. Jedenfalls scheinen sie definitiv auch Konkurrenten um die Herrschaft im weströmischen Reich gewesen zu sein.
Chlodwig selbst scheint außerdem selbst auch ein offensives Machtstreben gehabt zu haben.
 
Geary schreibt in seinem Merowinger-Buch, dass sich das Verhalten und Selbstverständnis von römischen und germanischen Herrschern im spätantiken Gallien nur unwesentlich voneinander unterschied. Sie alle stützen sich auch hoch militärische Ämter, sammelten Gefogschaften um sich und strebten nach Anerkennung durch den Kaiser.
Interessant ist hier vor allem das spätantike Amt des Heermeisters. Syagrius Macht beruht unter anderem darauf, dass sein Vater dieses Amt innehatte.
Treffenderweise wurden Syagrius Titel wie rex und patricius romanorum zu geschrieben. Eigentlich handelt es sich um eine Art gallischen König. (Interessanterweise werden auch Chlodwig römische Titel verliehen. Seine Herrschaft wurde 508 auch durch den oströmischen Kaiser anerkannt. Er hatte also keineswegs mit dem Römischen Reich gebrochen sondern nur die Konkurrenz ausgeschaltet!)
Die Ausschaltung des Syagrius durch Chlodwig unterscheidet sich kaum von der anderer Herrschaften in Gallien. Die Tatsache, dass Syagrius Romane und kein Burgunde, Gote oder Franke war, war da im Grunde recht unbedeutsam.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ganze Drama um Syagrius hat vor allem eine machtpolitische Ursache!

Im Jahr 484 war der mächtige Westgotenkönig Eurich gestorben und hinterließ ein Machtvakuum im Süden. Diese Situation lenkte die Aufmerksamkeit von Chlodwig auf das Reich des Syagrius, das sich vom Oberlauf der Loire bis auf die Höhe von Cambrai erstreckte und vermutlich Gebiete der Belgica Secunda einschloss.

Das Resultat solcher Überlegungen war ein Krieg gegen Syagrius, der mit Unterstützung anderer fränkischer Fürsten geführt wurde und im Jahr 486 mit Chlodwigs Sieg in der Schlacht bei Soissons endete.

Weitere Vorstöße nach Südgallien schlossen sich folgerichtig an: In der Schlacht von Vouillé im im Jahr 507 besigte Chlodwig I. Eurichs Nachfolger Alarich II., womit das Tolosanische Reich der Westgoten endete, die künftig auf Spanien beschränkt wurden und nur einen schmalen Landstreifen am Mittelmeer, Septimanien, behielten.
 
Das ganze Drama um Syagrius hat vor allem eine machtpolitische Ursache!

Richtig.

Bis zum Tode Eurichs hatte in Gallien ein militärisches Gleichgewicht zwischen Westgoten, Franken und Syagrius bestanden. Zu Eurichs Zeiten hätte ein Angriff auf Syagrius wenig Aussicht auf Erfolg gehabt, da diesem - der Logik des Gleichgewichtes folgend - die Westgoten zu Hilfe geeilt wären.

Diese Machtkonstellation änderte sich mit dem Tode Eurichs. Dahn beschreibt Chlodovech als gewaltigen, mit allen wilden Leidenschaften, aber auch mit allen glänzenden Vorzügen seines Stammes ausgerüsteten Kriegers und Herrschers. Chlodovech verfügte offensichtlich auch über eine gute Menschenkenntnis. Wie erwartet, wagte der schwache Alarich II - was für ein Gegensatz zum großen Alarich - es nicht, einzugreifen. Nachdem ihm Chlodovech gedroht hatte, lieferte er sogar den zu ihm geflohenen Syagrius in Ketten aus.

In den folgenden Jahren erlangte Chlodovech durch die Gründung des Frankenreiches welthistorische Bedeutung.

Gneisenau
 
Ich denke auch das es am Machtvakuum lag das nach dem Tode des Eurichs entstanden ist.

Wie schon gesagt wurde glaube ich auch das Chlodwig eine gute Menschenkenntnis hatte, er wusste Menschen zu beeinflussen und er war extrem gerissen, erst feiert er die Freundschaft zwischen den Westgoten und den Franken mit Alarich II. und dann greift er doch an.
Er war ein neudeutsch gesagt "machtgeiler" Mensch, nachdem er seine externen Gegner besiegt hat, meuchelte er seine komplette Verwandschaft nieder.
Sein Vater war ja schon ein berühmter Krieger, vielleicht war es ein Ansport für Chlodwig, aus Chilperichs Schatten zu treten und ihn sogar zu übertrumpfen.
 
Er war ein neudeutsch gesagt "machtgeiler" Mensch, nachdem er seine externen Gegner besiegt hat, meuchelte er seine komplette Verwandschaft nieder.

Man muss sich freilich die Frage stellen, ob es in jener Zeit nicht üblich war, Konkurrenten, Feinde und auch Familienmitglieder auf diese Weise zu beseitigen.

Bekanntlich räumte der in zeitgenössischen Quellen als "edel" gepriesene Ostgotenkönig Theoderich seinen Widersacher Odoaker ebenfalls aus dem Weg, indem er das Gastrecht brach, und ihn bei einem Festmahl in Ravenna eigenhändig ermordete. Bei den Osmanensultanen galt sogar noch bis in die frühe Neuzeit das sogenannte "Brudermordgesetz", das den Thronfolger verpflichtete, seine brüderliche verwandrschaft aus Gründen der Staatsraison umzubringen.

Es sei aber gern zugegeben, dass die Merowinger in dieser Hinsicht besonders eifrig waren, was sich durch ihre ganze Dynastengeschichte wie ein roter Faden zieht.
 
Alarich und Syagrius. Warum schützte er ihn zuerst um ihn dann auszuliefern?

Geary schreibt in seinem Merowinger-Buch....

Praktisch ist schon alles Wichtige und Richtige gesagt zu diesem Thema. Die römische und die germanische Welt durchdrangen einander in der Spätantike total. Bezeichnend sind die familiären Bindungen zwischen Germanenherrschern und den römischen Heermeistern, wobei oft genug Germanenkönige zu römischen Heermeistern wurden und umgekehrt. Das erinnert an die dynastischen Beziehungen, ohne die Politik im Mittelalter nicht vorstellbar ist. Protokollarisch galten am römischen Kaiserhof Heermeister und Foederatenkönige ohnehin als etwa Gleichwertig und hatte doch Rom immer wieder germanische Könige eingesetzt oder legitimiert.

Der Vater von Syagrius, Aegidius war Gallischer Heermeister gewesen, geriet aber in Konflikt mit dem „Kaisermacher“ in Rom Ricimer nachdem dieser Kaiser Majorian hatte hinrichten lassen. Praktisch separierte sich das zu Aegidius haltende, „römisch“ bleibende Gallien damit vom Weströmischen (Rest)Reich, denn keine der beiden Seiten hatte genug Macht, den/die jeweiligen Gegenspieler zu unterwerfen, spielten doch germanische Foederatenvölker eine entscheidende, immer unabhängigere Rolle in jenen Gebieten. Es ist daher konsequent, wenn Gregor von Tours dem Syagrius den Titel „König der Römer“ führen lässt.

Richtig.

Bis zum Tode Eurichs hatte in Gallien ein militärisches Gleichgewicht zwischen Westgoten, Franken und Syagrius bestanden. Zu Eurichs Zeiten hätte ein Angriff auf Syagrius wenig Aussicht auf Erfolg gehabt, da diesem - der Logik des Gleichgewichtes folgend - die Westgoten zu Hilfe geeilt wären.
…Wie erwartet, wagte der schwache Alarich II - was für ein Gegensatz zum großen Alarich - es nicht, einzugreifen. Nachdem ihm Chlodovech gedroht hatte, lieferte er sogar den zu ihm geflohenen Syagrius in Ketten aus.

Das Fasst das Wesentliche recht gut zusammen, ich möchte auf ein paar Anmerkungen aber nicht verzichten:
Der genaue zeitliche Ablauf ist in Historikerkreisen nicht ganz unumstritten wann Syagrius ausgeliefert wurde. Es tauchen verschiedene Jahreszahlen in der Diskussion auf. Die folgenden Ereignisse sind bei einer frühen Auslieferung auf eine reine „Drohung“ Chlodwigs hin nicht voll verständlich. Dass er nach seiner Niederlage bei Alarich II. vorerst Zuflucht fand, unterstreicht nur den eskalierenden Gegensatz zwischen Westgoten und Franken. Syagrius war Identifikationsfigur für einige Romanen und damit in Alarichs Händen eine denkbare Option ihn gegen Chlodwig auszuspielen.

Alarich war jung und gegen den starken westgotischen Adel nicht immer freier Herr seiner Entscheidungen. Er setzte auf das Bündnis mit den starken Ostgoten Theoderichs des Großen in Italien, falls es zum Konflikt mit den Franken kommen sollte. Der daraus resultierende „Reaktionsplan“ beider gotischer Reiche sah eine Anfangs passive Rolle der Westgoten vor, um das Eintreffen der Ostgoten abwarten zu können. Der stolze westgotische Reiteradel nötigte seinen König zum unbesonnenen, rückhaltlosen Kavallerieangriff von Vouillé auf die Franken, der Alarich Reich und Leben kosteten. Bei derart stolzem Gebaren und dem offensichtlichen Willen der Westgoten den Konflikt alleine mit den Franken entscheiden zu können, fragt man sich wieso man Syagrius vorher aufgrund einer reinen Drohung hätte ausliefern sollen?

Bei der anschließenden Intervention Theoderichs kämpften dessen Ostgoten zuerst für die Durchsetzung seines dynastischen Anspruchs für seinen Enkel Amalrich und erst in zweiter Linie für das Westgotische Reich. Als Vormund des unmündigen Amalrich wurde nun Theoderich König der Westgoten. Wobei er sich dabei gegen den älteren, unehelichen Sohn Alarichs durchzusetzen wusste. Dabei überschatteten die Kämpfe unter Westgoten und mit Ostgoten den Konflikt mit den Franken. Auf den Tod des Alarich II. folgte also ein westgotischer Thronfolgekrieg zwischen dem unehelichen Gesalech und dem ehelich legitimierten Amalrich – in Gestalt seines Großvaters Theoderich, was den Franken nur recht sein konnte. Der ganze Zusammenhang zeigt einmal mehr wie Wichtig bei dynastischem Denken einzelne Personen für die Politik sind! Wie leicht hätte sich Chlodwig verschätzen können, falls er den vereinten Heeren beider gotischen Völker hätte begegnen müssen…. Als gewiefter Politiker und Taktiker gelang es Chlodwig jedoch die Westgoten zum verhängnisvollen Angriff von Vouillé zu bewegen.

Wie auch immer: Chlodwig gewann den Krieg und konnte Syagrius hinrichten. Wann genau er Syagrius ausgeliefert bekam ist dabei unwichtig. Die von Gneisenau oben angeführte Version des Verlaufes ist dabei die Vorherrschende.
 
Zuletzt bearbeitet:
Man muss sich freilich die Frage stellen, ob es in jener Zeit nicht üblich war, Konkurrenten, Feinde und auch Familienmitglieder auf diese Weise zu beseitigen.


Chlodwig war skrupellos, aber das war ein Cäsar auch. Der historischen Leistung Chlodwigs tut das jedenfalls keinen Abbruch.

Allerdings drängt sich mir der Eindruck auf, dass Chlodwig im Bewußtsein der - deutschen und französischen - Öffentlichkeit etwas benachteiligt ist. Während man in Frankreich Charlemagne, den Vater Europas, gerne für sich vereinnahmt, wird - zumindest der frühe, heidnische - Chlodwig doch eher etwas stiefmütterlich behandelt. Möglicherweise ist es der grand nation etwas peinlich, dass ihr Großvater - bzw. dessen Vorfahren - ursprünglich ein Barbar war, der mit seinen wilden Haufen aus den Wäldern jenseits des Rheins gekommen ist. Chlodwig gar ein früher boche - mon dieu!

@tejason: Gute Darstellung.

Gneisenau
 
In das von Euch skizzierte Zeitbild gehört als wichtige Figur auch Gundobad, Neffe des Rikimer, weströmischer Heermeister und König der Burgunder (Residenzstädte: Lyon und Genf). Auch er musste sich in einem Bruderkonflikt durchsetzen, verbündete sich dann über Heiratspolitik mit Chlodwig und schickte sein Heer an der Seite der Franken in die Schlacht gegen Alarich II.

Genützt hat es den Burgundern wenig - eine Generation später haben die Franken das Reich an der Rhone in zwei Anläufen trotzdem erobert und die Königsfamilie ausgelöscht.

Auch der religiöse Aspekt spielte damals eine Rolle: Die Westgoten waren Arianer, die Franken tendierten zum Katholizismus. Bei den Burgundern waren die Katholiken im Aufwind (Gundobads Sohn und Nachfolger Sigismund war Katholik).
 
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