Alarich und Syagrius. Warum schützte er ihn zuerst um ihn dann auszuliefern?
Geary schreibt in seinem Merowinger-Buch....
Praktisch ist schon alles Wichtige und Richtige gesagt zu diesem Thema. Die römische und die germanische Welt durchdrangen einander in der Spätantike total. Bezeichnend sind die familiären Bindungen zwischen Germanenherrschern und den römischen Heermeistern, wobei oft genug Germanenkönige zu römischen Heermeistern wurden und umgekehrt. Das erinnert an die dynastischen Beziehungen, ohne die Politik im Mittelalter nicht vorstellbar ist. Protokollarisch galten am römischen Kaiserhof Heermeister und Foederatenkönige ohnehin als etwa Gleichwertig und hatte doch Rom immer wieder germanische Könige eingesetzt oder legitimiert.
Der Vater von Syagrius, Aegidius war Gallischer Heermeister gewesen, geriet aber in Konflikt mit dem „Kaisermacher“ in Rom Ricimer nachdem dieser Kaiser Majorian hatte hinrichten lassen. Praktisch separierte sich das zu Aegidius haltende, „römisch“ bleibende Gallien damit vom Weströmischen (Rest)Reich, denn keine der beiden Seiten hatte genug Macht, den/die jeweiligen Gegenspieler zu unterwerfen, spielten doch germanische Foederatenvölker eine entscheidende, immer unabhängigere Rolle in jenen Gebieten. Es ist daher konsequent, wenn Gregor von Tours dem Syagrius den Titel „König der Römer“ führen lässt.
Richtig.
Bis zum Tode Eurichs hatte in Gallien ein militärisches Gleichgewicht zwischen Westgoten, Franken und Syagrius bestanden. Zu Eurichs Zeiten hätte ein Angriff auf Syagrius wenig Aussicht auf Erfolg gehabt, da diesem - der Logik des Gleichgewichtes folgend - die Westgoten zu Hilfe geeilt wären.
…Wie erwartet, wagte der schwache Alarich II - was für ein Gegensatz zum großen Alarich - es nicht, einzugreifen. Nachdem ihm Chlodovech gedroht hatte, lieferte er sogar den zu ihm geflohenen Syagrius in Ketten aus.
Das Fasst das Wesentliche recht gut zusammen, ich möchte auf ein paar Anmerkungen aber nicht verzichten:
Der genaue zeitliche Ablauf ist in Historikerkreisen nicht ganz unumstritten wann Syagrius ausgeliefert wurde. Es tauchen verschiedene Jahreszahlen in der Diskussion auf. Die folgenden Ereignisse sind bei einer frühen Auslieferung auf eine reine „Drohung“ Chlodwigs hin nicht voll verständlich. Dass er nach seiner Niederlage bei Alarich II. vorerst Zuflucht fand, unterstreicht nur den eskalierenden Gegensatz zwischen Westgoten und Franken. Syagrius war Identifikationsfigur für einige Romanen und damit in Alarichs Händen eine denkbare Option ihn gegen Chlodwig auszuspielen.
Alarich war jung und gegen den starken westgotischen Adel nicht immer freier Herr seiner Entscheidungen. Er setzte auf das Bündnis mit den starken Ostgoten Theoderichs des Großen in Italien, falls es zum Konflikt mit den Franken kommen sollte. Der daraus resultierende „Reaktionsplan“ beider gotischer Reiche sah eine Anfangs passive Rolle der Westgoten vor, um das Eintreffen der Ostgoten abwarten zu können. Der stolze westgotische Reiteradel nötigte seinen König zum unbesonnenen, rückhaltlosen Kavallerieangriff von Vouillé auf die Franken, der Alarich Reich und Leben kosteten. Bei derart stolzem Gebaren und dem offensichtlichen Willen der Westgoten den Konflikt alleine mit den Franken entscheiden zu können, fragt man sich wieso man Syagrius vorher aufgrund einer reinen Drohung hätte ausliefern sollen?
Bei der anschließenden Intervention Theoderichs kämpften dessen Ostgoten zuerst für die Durchsetzung seines dynastischen Anspruchs für seinen Enkel Amalrich und erst in zweiter Linie für das Westgotische Reich. Als Vormund des unmündigen Amalrich wurde nun Theoderich König der Westgoten. Wobei er sich dabei gegen den älteren, unehelichen Sohn Alarichs durchzusetzen wusste. Dabei überschatteten die Kämpfe unter Westgoten und mit Ostgoten den Konflikt mit den Franken. Auf den Tod des Alarich II. folgte also ein westgotischer Thronfolgekrieg zwischen dem unehelichen Gesalech und dem ehelich legitimierten Amalrich – in Gestalt seines Großvaters Theoderich, was den Franken nur recht sein konnte. Der ganze Zusammenhang zeigt einmal mehr wie Wichtig bei dynastischem Denken einzelne Personen für die Politik sind! Wie leicht hätte sich Chlodwig verschätzen können, falls er den vereinten Heeren beider gotischen Völker hätte begegnen müssen…. Als gewiefter Politiker und Taktiker gelang es Chlodwig jedoch die Westgoten zum verhängnisvollen Angriff von Vouillé zu bewegen.
Wie auch immer: Chlodwig gewann den Krieg und konnte Syagrius hinrichten. Wann genau er Syagrius ausgeliefert bekam ist dabei unwichtig. Die von Gneisenau oben angeführte Version des Verlaufes ist dabei die Vorherrschende.