Strategie der kaiserlichen Marine

Wenn man nun die strategischen Denkweisen von Tirpitz ansieht, zeigt sich hier der starke Einfluß des Mahan und das Umdenken Tirpitz, weg von seiner Torpedowaffe.
Um hier zu verstehen, was genau in Mitte der 90iger Jahre ablief, wär es sinnvoll sich mit Tirpitz seinen Kritikern auseinander zusetzen, wie z.B. den Maltzahn.
Und eine Grundsatzfrage zur Deutschen Flottenpolitik und Strategie: Konnte Deutschland als große Wirtschaftsmacht in Europa bestehen, ohne sich an dem Navalismus und dem Imperialsmus zu beteileigen?

Dieser Zusammenhang von Flotte und Handel zieht sich bis heute durch die Geschichtsschreibung. Die Wurzel würde ich in den damaligen Anschauungen und Wahrnehmungen, natürlich verstärkt durch die entsprechende Publizistik sehen.

Prüft man das auf seinen Kern, bleibt recht wenig übrig. Was an Kolonien theoretisch noch verfügbar war bzw. eingenommen wurde, hat weder ansatzweise eine wesentliche Funktion für die Aufnahme des deutschen Exports in diesem Zeitraum gehabt noch hatte es eine solche für die notwendigen Wareneinfuhren des Reiches. Bleibt die Frage der Sicherung der naheliegenden Handelslinien. Hier bleibt, wenn man sich die damaligen bedeutenden "Märkte" für das Deutsche Reich anschaut, ebenfalls wenig übrig. Einen Zusammenhang zwischen Linienschiffsparaden und Absatzmarkt kann ich ebenfalls nicht erkennen, vielleicht hat hierzu jemand aber ein passables Anschauungsbeispiel in relevanter Größenordnung.

Das Beispiel Tsingtao ist interessant, weil im selben Jahr, als der dringend geforderte Hafen verfügbar wurde, Tirpitz seine Denkschrift verfaßte und nunmehr das "Messer an der Kehle" [Großbritanniens oder Frankreichs] postulierte: der mittelbare Schutz der Kolonien durch die Schlachtflotte zwischen Nordsee und Themse. Wie das zusammen paßt, wird nicht recht ersichtlich, wird doch darin - dem ersehnten Erwerb eines eisfreien (nun zu schützenden) Hafens in Fernost - und der "Nordsee"flotte zumindest ein Spagat ersichtlich, der auch im Folgenden die Kräfte beachtlich beanspruchte. Der Widerspruch kann eigentlich nur mit Wechsel auf die Zukunft aufgehoben werden: der erwarteten Rolle des Fernen Ostens in der Zukunft (genau das erfolgte später in den Tirpitz-Erinnerungen: das Würfeln von Visionen, die eher auf das Ende des 20. Jahrhunderts als an seinen Beginn paßten). Und auch im gewählten Standort steckt ein Widerspruch: noch Monate zuvor sah Tirpitz genau für diese Region die Gefahr, zwischen Rußland, Japan und Großbritannien zu geraten. Diese Überlegungen waren dann wohl, als es an den Stützpunkterwerb konkret ging, ausradiert worden.

Prüft man weiter, welche Rolle Tsingtao für die Flotte spielen könnte, werden die Erwartungen weiter ernüchtert: aufgrund seiner Lage bestand die Gefahr der Abriegelung von Beginn an, als Versorgungsstützpunkt für Kohle daher ungeeignet.

Bei Nuhn findet man einige kritische Worte zu dieser Strategie, für die das Deutsche Reich "zu spät kam": eine Kreuzerkrieg kann betr. die Kohleversorgung so kalkuliert werden, dass pro Schiff und pro Woche eine volle Kohleladung im Einsatz verbraucht wird. Folgerichtig zog sich Spee 1914 auf Anweisung zurück, seine Logistik wurde durch Versorgerketten so eben geregelt, zum Kreuzerkrieg konnte nur die Emden detachiert werden. Ähnlich sah es mit Daressalam aus, was prinzipiell geeignet gewesen wäre, aber ebenso leicht von Aden oder Sansibar aus blockiert werden konnte. Wie gesagt: die theoretische Festlegung auf die Schlachtflottenstrategie erfolgte, als die Stützpunktfrage aktuell mit Tsingtao eine Aufwertung erfolgte, und zugleich ihr Limit sichtbar wurde.

Tirpitz muss man hier nicht mit Nachsicht bewerten: er forcierte auf seiner Asienreise die Stützpunktfrage recht kurze Zeit vor ihrer Beerdigung. Auch die Marineführung war nicht naiv, wie die späteren Kriegsorder für das Kreuzergeschwader erkennen ließen.
 
Die Kolonien waren für das Deutsche Reich samt und sonders volkswirtschaftlich gesehen ein Verlustgeschäft. Sie hatten nie die Bedeutung, die beispielsweise Indien für Großbritannien hatte. Anders als bei den britischen Dominions oder auch Französisch-Algerien gab es auch nie eine nennenswerte Auswanderung von Deutschen in die Kolonien. Allenfalls in Deutsch-Südwest-Afrika etablierte sich eine kleine Schicht von deutschen Einwanderern. Die meisten Deutschen wanderten indes lieber in die USA aus.
Gleichwohl hatte Deutschland Interesse an dem Erwerb an Kolonien. Das kann man ihm wohl kaum verdenken in einer Zeit, wo selbst so kleine Staaten wie Portugal, die Niederlande und Belgien Kolonien besaßen bzw. überhaupt erst erwarben. Wirtschaftlich gesehen waren allerdings andere Regionen für uns sehr viel interessanter: z.B. das unterentwickelte Osmanische Reich, wo sich für deutsche Unternehmen in ganz erheblichem Maße Absatzmöglichkeiten boten (Stichwort Bau der Bagdad-Bahn). Eine die Weltmeere beherrschende Flotte bedurfte es für diese Einflußnahme nicht, schon garnicht einer Flotte, die bestenfalls die Nordsee beherrschte.
Letztenendlich sieht die Sache mit der deutschen Schlachtflotte aus meiner Sicht so aus: es war mit Sicherheit nicht falsch, dass das Deutsche Reich sich eine starke Flotte, insbesondere auch an Großkampfschiffen, zulegte. Das taten alle anderen Mächte auch, es wurden hier bereits Japan und vor allem die USA als Beispiele genannt. Man kann aber auch Rußland nennen, denn auch dort gab es in dieser Hinsicht ambitionierte Pläne. Der Aufbau einer starken deutschen Schlachtflotte hätte für sich allein wahrscheinlich auch noch nicht zu einer Konfrontation mit Großbritannien führen müssen. Selbst wenn das deutsche Kaiserreich ausdrücklich den Aufbau der zweitstärksten Flotte der Welt als Ziel proklamiert hätte, wäre das aus meiner Sicht noch nicht unbedingt ein Anlaß zur Verschlechterung der politischen Beziehungen zwischen England und Deutschland gewesen. Voraussetzung wäre gewesen, dass die Flotte von ihrer Stärke her sich nicht gegen Großbritannien, sondern zum Beispiel gegen die französischen und russischen Seestreitkräfte gerichtete hätte. Denkbar wäre ja zum Beispiel die Formulierung einer Art "Two-Power-Standard" für die deutsche Flotte gewesen: die deutsche Schlachtflotte soll so stark sein wie die französiche und russische Flotte zusammen. Wahrscheinlich hätten die Engländer das nachvollziehen können, schließlich waren diese Staaten die potentiellen Hauptgegner des Deutschen Reiches.
Statt dessen wählte man einen anderen Ansatz: die deutsche Schlachtflotte soll so stark sein, dass sie ein Verhältnis zur stärksten Flotte der Welt von 2:3 hat. Das hat eine andere Qualität. Hier orientiert sich der Vergleich an der britischen Flotte. Wozu eigentlich, wo man mit Großbritannien doch bis dahin keinerlei politische Auseinandersetzung hatte? Das werden sich die Engländer mit Sicherheit gefragt haben. Weiter oben ist das Stichwort von der "gefühlten Bedrohung" genannt worden. Ich finde diese Formulierung sehr passend, denn ich glaube, dass aus britischer Sicht diese "gefühlte Bedrohung" durch die deutsche Schlachtflotte sehr viel stärker war als die tatsächliche. Eben auch gerade vor dem Hintergrund dieser formulierten Ausrichtung an dem englischen Gegner zur See. Ich bin mir auch nicht so sicher, ob die Briten nicht womöglich sogar befürchteten, dass dieses angestrebte Kräfteverhältnis von 2:3 nur das Sprungbrett für eine generelle zahlenmäßige Gleichheit zwischen beiden Flotten sein würde. Darin liegt meiner Meinung nach das Kernproblem der deutschen Schlachtflotte: in der erklärten Ausrichtung auf den englischen Gegner, wobei weder die Idee aufging, Großbritannien auf diese Weise als Bündnispartner zu gewinnen noch es von einem Krieg gegen Deutschland abzuhalten. Tatsächlich hat die Flotte eher genau das Gegenteil bewirkt: sie hat Großbritannien in Richtung Entente geführt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Kolonien kann ich nur teilweise nachvollziehen. Aus unserer Sicht waren die Kolonien ein Verlustgeschäft, damals wurden aber Hoffnungen in sie gesetzt (wie weit das realistisch war steht auf einem anderen Blatt...). Viel wichtiger aber war wohl die dadurch erwartete Reputation.

Wenn jetzt erst einmal solche Kolonien da waren, dann mussten sie auch geschützt werden. Gegen die meisten europäischen Mächte reichte hier das Heer (z.B. gegen Frankreich und Russland), gegen England hingegen hätte es eine (noch) deutlich stärkere Flotte gebraucht. Bleibt für eine Flotte also nur die Abschreckung gegen kleinere Gegner, die aber weit entfernt von Deutschland auftreten würden. Hier wäre also ein Ostasiengeschwader in Kombination mit einem Truppenkontingent sinnvoll (inklusive Absicherung der pazifischen Kolonien). Für Afrika wären auch eher Truppentransporter als Schlachtschiffe hilfreich gewesen.

Letztlich also dasselbe, was Belgien, Portugal und die Niederlande gemacht haben, nur eben in größerem Umfang. Die gewünschte Weltmachtpolitik hätte dann bei Konferenzen oder durch Aktionen wie beim Boxeraufstand (nur etwas klüger ;)) betrieben werden können.

Neben diesen weitreichenden Flottenteilen hätten dann noch Nord- und Ostsee mit starken Kräften gedeckt werden müssen. Insgesamt also vor allem eine planvolle Einsatzpolitik statt der reinen Kraftmeierei wie sie von Tirpitz und Co. demonstriert wurde.

Solwac
 
Einen Zusammenhang zwischen Linienschiffsparaden und Absatzmarkt kann ich ebenfalls nicht erkennen, vielleicht hat hierzu jemand aber ein passables Anschauungsbeispiel in relevanter Größenordnung.

Dieser Frage würde ich gern nachkommen und den Einsatz der 4 Linienschiffen der Brandenburg-Klasse 1900 in China erwähnen. Diese Schiffe waren nicht für einen Überseeeinsatz konstruiert. Eigendlich wurde so ziehmlich alles neue und moderne der kaiserlichen Marine (Linienschiffe, große Kreuzer, kleine Kreuzer, ja sogar Torpedoboote) 1900 nach China entsendet, um sich an der Bekämpfung des Boxeraufstandes zu beteiligen.
 
Einen Zusammenhang zwischen Linienschiffsparaden und Absatzmarkt kann ich ebenfalls nicht erkennen, vielleicht hat hierzu jemand aber ein passables Anschauungsbeispiel in relevanter Größenordnung.

Oder auch als Beispiel fällt mir die Detachierte Division von 1913 mit den Linienschiffen Kaiser und König Albert sowie dem kleinen Kreuzer Straßburg ein. Dabei wurden u.a. Erfahrungen gesammelt im technischen Bereich, sowie in propagandistischer Hinsicht wurde für die deutsche Werftindustrie und darüber hinaus für das Deutsche Reich insgesamt an den süd- und nordamerikanischen Absatzmärkten Werbung betrieben.
 
Oder auch als Beispiel fällt mir die Detachierte Division von 1913 mit den Linienschiffen Kaiser und König Albert sowie dem kleinen Kreuzer Straßburg ein. Dabei wurden u.a. Erfahrungen gesammelt im technischen Bereich, sowie in propagandistischer Hinsicht wurde für die deutsche Werftindustrie und darüber hinaus für das Deutsche Reich insgesamt an den süd- und nordamerikanischen Absatzmärkten Werbung betrieben.

Untersuchen wir dieses Beispiel der Flottendemonstration auf seine außenwirtschaftlichen Wirkungen?


- welche Absatzmärkte sollen angesprochen sein?
- welche Volumina bestanden dort zu diesem Zeitpunkt?
- welche Wirkungen konnten eintreten für welche Handelssegmente?
- welche Wahrnehmung in den Ländern bzgl. Handelsinteressen?
- welche (Gegen-)Wirkungen hatten zB britische Flottendemonstrationen?


These: keine Wirkungen für das Deutsche Reich außer einigen begeisterten Marine- und AA-Statements, Handels-Volumina bereits ohne Flottenbau gegeben und mit langjähriger Tradition, Abhängigkeit von Rohstoffen und Nahrungsmitteln, die auch mit Kreuzerflotten nicht zu schützen waren.

Stand 1900-1913: Der deutsche Export war - wie immer, wenn letztlich Unternehmen im Ausland abnehmen sollen - wohl eher ein Frage qualitativ hochwertiger Maschinen, Werkzeuge, Textilerzeugnisee, Chemischer Produkte etc. als politischer Ereignisse und Demonstrationen.


(Am Rande: es gibt durchaus Gegenbeispiele: eben nicht unwesentlicher Absatz britischer Schiffe und Schiffstechnologie zB nach Japan).
 
Ich habe bereits an andere Stelle versucht darzulegen, dass der Aufbau der Flotte eine Entscheidung des Reichstags (mit jeweils großen Mehrheiten, und zwar auf Vorschlag der jeweiligen politischen Reichsleitungen war. Bei einem langfristigen Konzept wie bei einer Flotte bedeutet das eine gewisse Bindung für die Nachfolger (wie bei allen langfristigen Entscheidungen wie z.B heute bei ja/nein zur Kernkraft). Die langfristige Anlage machte die Flottenpolitik berechenbar (man konnte sie im Reichsgesetzblatt nachlesen). Die Politik Bethmanns allerdings stellte diese Berechenbarkeit in Frage. England hätte sich mit der Flotte abgefunden (heute vergessen ist, dass nach dem Kriege sowohl die japanische wie die amerikanische Flotten England überholten), bei Bethmann sah man – zurecht - die Chance auf die deutsche Rüstungspolitik einzuwirken. Es ist für mich nicht verwunderlich, dass unter Bethmanns politischer Leitung sich die Krisen immer mehr zuspitzten.

Die Konzentration auf Schlachtschiffe war auch in den begrenzten Ressourcen (Deutschland hatte ein großes Heer) zu sehen. Wenn der Flottenbau im Hinblick auf den konkreten späteren Kriegsverlauf kritisiert wird, übersieht man, dass die seinerzeit Verantwortlichen (in der Politik wie in der Marineleitung) eine Strategie verfolgten, die konträr zu Tirpitz Vorstellungen war. Wenn ein Instrument falsch genutzt wird, kann es keine guten Ergebnisse bringen. Das liegt aber am Nutzer, nicht am Instrument. Der Kleinkrieg (also der Krieg mit Minen, U-Booten, etc.) war für eine Marine, die als Schlachtflotte konzipiert war, evident ungeeignet. Im Grunde hat die Marineleitung sowohl das langfristige Flottenkonzept und die Erkenntnisse sämtlicher Manöver bei Kriegsbeginn über den Haufen geworfen. Erst Scheer hat die Erkenntnisse wieder in Richtlinien zusammengefasst und angewandt. Die Idee, durch permanente Angriffe die Navy zu Gegenstößen zu veranlassen und dann Teile der Navy zum Kampf zu stellen, war – wie die Anlage der Manöver zeigt – in der Marine unbestritten (der Streit Kreuzer oder Schlachtschiff liegt auf einer anderen Ebene, nämlich der konkreten Ausstattung der Marine; Manöver können nur mit den Schiffen durchgeführt werden, die tatsächlich gebaut wurden). Scarborough ist ein Beispiel - und ist nur ein Beispiel – welche Resultate die Strategie erzeugen konnte. Die Hochseeflotte hatte in jedem Fall die Kampfkraft, eine gleichstarke englische Formation niederzukämpfen. Das zeigte die für Deutschland sehr unglücklich verlaufende Schlacht vor dem Skagerrak. Ein längerer Krieg aber musste sich ungünstig für die Marine auswirken, die falsche militärische Strategie der damals verantwortlichen Marineleitung und die falsche politische Strategie von Bethmann fallen jetzt auf Tirpitz zurück – zu Unrecht.
 
Das zeigte die für Deutschland sehr unglücklich verlaufende Schlacht vor dem Skagerrak.

Die Schlacht verlief für Scheer recht glücklich (inkl. der Schlachtkreuzer beim Rennen nach Süden), aber der Mythos der zeitgenössischen Propaganda vom Tonnagesieg ist wohl nicht ausrottbar.
 
Die Hochseeflotte hatte in jedem Fall die Kampfkraft, eine gleichstarke englische Formation niederzukämpfen. Das zeigte die für Deutschland sehr unglücklich verlaufende Schlacht vor dem Skagerrak.
Die Hochseeflotte hätte mit Sicherheit bei einer Seeschlacht mit einem gleichstarken englischen Gegner gut abgeschnitten, allen voran, wenn dieser Gegner aus den britischen Schlachtkreuzern bestanden hätte. Das Problem war nur, dass man ja nie sicher sein konnte, tatsächlich nur auf einen Teil der Royal Navy zu stoßen. Und wenn man sich der gesamten britischen Grand Fleet gegenüber sah, die doch zahlenmäßig recht deutlich überlegen war, dann sahen die Dinge mit einem günstigen Schlachtverlauf schon ganz anders aus.
Tatsächlich bewies die Skagerak-Schlacht für Scheer denn auch, dass es so gut wie keine Hoffnung darauf gab, nur einen Teil der britischen Flotte zu stellen und zu vernichten. Stattdessen hatten wir auch eine gehörige Portion Glück gehabt, dass unsere Flotte in dieser Auseinandersetzung heile heraus gekommen ist. Glück gehört halt auch in einer Schlacht dazu und im Falle der Skagerak-Schlacht war es für uns ebenso wichtig wie die überlegene Ausbildung unserer Besatzungen (gerade was den artilleristischen Feuerkampf anbelangt), die Qualität unserer Schiffe (gerade im Bereich der Standfestigkeit) und die entsprechenden Mängel beim Gegner, welche wiederholt zu Führungsproblemen während der Schlacht führten. Gerade wenn man den Verlauf der Nachtphase der Skagerak-Schlacht liest, so wird klar, dass die Hochseeflotte sich in der akuten Gefahr befand, von ihren Heimatstützpunkten abgeschnitten zu werden. Das Ergebnis wäre wahrscheinlich die Vernichtung der deutschen Schlachtflotte gewesen, auch wenn die Engländer dabei ihrerseits Verluste gehabt hätten.
Scheer war diese Tatsache bewusst. Er wusste, dass er auf diese Weise die Schlachtflotte nicht riskieren konnte. Darum machte er sich in der Folgezeit für die erneute Führung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges stark, denn dieser war auch aus seiner Sicht das einzige Mittel, mit dem die Marine zur See noch aktiv Einfluss auf das Kriegsgeschehen nehmen könnte. Für die restlichen zweieinhalb Kriegsjahre wurde die Flotte kaum noch zu Vorstößen eingesetzt. Ihre Hauptaufgabe bestand nun im Schutz der deutschen Minenräumverbände, die Gassen durch die von den Engländern gelegten Minenfelder räumen mussten, damit unsere U-Boote über die Nordsee in die Einsatzgebiete anmarschieren konnten.
 
Als Scheer 1916 Chef der Hochseeflotte wurde und den – in den Manövern der letzten Jahre nie vorgesehene und von Tirpitz vehement bekämpften – sogenannten Kleinkrieg aufgab, war die Lage für die Hochseeflotte so ungünstig wie noch nie. Die Engländer hatten einen beachtlichen Zuwachs modernster Schlachtschiffe, es gab schon seit längerem keine Störungen durch ein Ostasiengeschwader, die Kanaltransporte waren beendet, Italien war auf Seiten der Entente im Krieg (und band die ö-u Marine), die russische Flotte war existent, die deutsche Marineleitung hat die weite Blockade nicht genutzt und die Engländer in der Nordsee nicht mit Nachdruck angegriffen. In dieser Situation – eine Hinterlassenschaft, die Scheer vorgefunden hat – versuchte Scheer isolierte Teile der englischen Flotte anzugreifen (der alte Plan). Die deutsche Falle vor dem Skagerrak – ohnehin nur ein Hilfsplan, aber es war 1916, nicht 1914, Scheer konnte nicht lange auf bessere Gelegenheiten warten – erwies sich als englische Falle (nur möglich, weil 1914 die Codebücher den Engländern in die Hände fielen und man ausreichend Zeit hatten, die praktische Anwendbarkeit zu eruieren). Die doppelt so starke Navy erlitt das zweifache an Menschen- und Tonnageverlusten. Und das, obwohl der Kampf der Schlachtschiffe mit dem für die Engländer so günstigen „crossing the T“ (gegen die Sonne, idealer ging es wirklich nicht) durch reinen Zufall zustande kam. Jellicoe wusste nicht wohin er fahren sollte (er erhielt von seinen Aufklärungsschiffen keine verwertbaren Nachrichten) und fuhr einfach darauf los – und zwar genau richtig. Nutzen konnte er es nicht – für die Deutschen war die Situation derart ungünstig, dass sie keine Erfolge erzielen konnten – Glück im Glück.

Jellicoe, Kenner der deutschen Marine, hat immer alles getan, die Navy nicht in Teilen gegen die Hochseeflotte antreten zu lassen (angeblich hat er sogar eine Kopie einer entsprechenden Anweisung seinem Anwalt oder Bankier gegeben, zu seiner Sicherheit, falls jemand seine Befehle änderte). Er wusste wohl, dass die Hochseeflotte stärker war. Er war auch zufrieden mit dem Ausgang der Schlacht – seine Niederlage war keine Entscheidende.
 
Die Anlage der deutschen Manöver ging davon aus, dass man Teile der englischen Flotte isolieren konnte. Der erste halbherzige Versuch der Deutschen vor Scarborough hat die Richtigkeit bewiesen. Das war im Dezember 1914, vier Monate nach Kriegsbeginn. Vorher hatten die Engländer die Kanaltransporte zu besorgen, das Ostasiengeschwader zu bekämpfen, sich selbst in ihren recht hilfsweisen Basen zu organisieren. Vorstöße gegen die Ostküste- zu einer Zeit der härtesten Kämpfe in Flandern – hätten die Engländer in jedem Fall beantworten müssen. Das ging nicht immer mit der gesamten Navy, das war viel zu aufwendig (das war das Argument der Admiralität bei Scarborough). Die Vorstöße wurden letztlich aus politischen Gründen verhindert.
 
IronDuke schrieb:
Die Hochseeflotte hätte mit Sicherheit bei einer Seeschlacht mit einem gleichstarken englischen Gegner gut abgeschnitten, allen voran, wenn dieser Gegner aus den britischen Schlachtkreuzern bestanden hätte.
Inwieweit stimmt Deine These mit der Doggerbankschlacht überein?

Entscheidend für das gute Abschneiden der Hochseeflotte in der Skaggerakschlacht waren die Lehren, welche die Deutschen aus der Niederlage auf der Doggerbank gezogen hatten. Mehrere Treffer auf den deutschen Schlachtkreuzern während Skaggerakschlacht hätten zu einem Totalverlust führen können, hätte man nicht die Verbesserungen in den Munitionskammern vorgenommen. Bei den Briten gab es diese Verbesserungen nicht, auch deshalb sind dann die drei britischen Schlachtkreuzer in die Luft geflogen. Der schlechte Horizontalschutz der britischen Schlachtkreuzer war nicht alleine dafür ausschlaggebend.
Bei den britischen Schlachtschiffen bestand diese Problematik so nicht. Insbesondere die Queen Elizabeth-Klasse bewährte sich außerordentlich gut. Schließlich standen die Schiffe unter Feuer des III. Geschwaders und der I. AG. Trotzdem kamen sie ohne wesentliche Beschädigungen aus diesem Geschosshagel wieder heraus.

admiral schrieb:
Das zeigte die für Deutschland sehr unglücklich verlaufende Schlacht vor dem Skagerrak.
Die Schlacht verlief für Scheer recht glücklich (inkl. der Schlachtkreuzer beim Rennen nach Süden), aber der Mythos der zeitgenössischen Propaganda vom Tonnagesieg ist wohl nicht ausrottbar.
Volle Zustimmung zu Silesia und balticbirdy.

Admiral schrieb:
Die doppelt so starke Navy erlitt das zweifache an Menschen- und Tonnageverlusten. Und das, obwohl der Kampf der Schlachtschiffe mit dem für die Engländer so günstigen „crossing the T“ (gegen die Sonne, idealer ging es wirklich nicht) durch reinen Zufall zustande kam.
Man sollte dabei auch immer daran denken, dass Scheer vor der 2. Gefechtskehrtwende den Schlachtkreuzern das Rammen der gegnerischen Schlachtlinie befohlen hatte. Daran sieht man, wie verzweifelt die deutsche Situation war. Überlebt haben die Deutschen nur, weil Jellicoe vom Feind abdrehte anstatt auf ihn zuzudrehen. HMS "Marlborough" erhielt zu diesem Zeitpunkt einen Unterwassertreffer. Die Briten vermuteten einen U-Bootangriff. Vermutlich wurde die "Marlborough" von einem Torpedo der lahmgeschossenen SMS "Wiesbaden" getroffen. Und das ist das Glück, welches Silesia angesprochen hat.

Winston Churchill hat ja gesagt, Jellicoe war der einzige, welcher den Krieg an einen einzigen Nachmittag verlieren konnte. Vielleicht hatte er Recht. Ich glaube nein. Am Tag waren die Deutschen meines Erachtens chancenlos. Aber Scheer war der einzige, der den Krieg in einer Nacht hätte gewinnen können. Mit dem Wissen von heute, hätte man vom 31.5. auf den 1.6. die Nachtschlacht suchen sollen. Die Hochseeflotte galt der Grand Fleet in der Nachtschlacht als weit überlegen, was auch die Briten so sahen. Auch wenn die Schlachtkreuzer und die König-Klasse schon ziemlich zusammen geschossen und die Munitionsvorräte bei einigen Einheiten schon ziemlich zusammen geschmolzen waren, hätte man zumindest versuchen sollen, die Torpedoboote zum Einsatz zu bringen.
 
Untersuchen wir dieses Beispiel der Flottendemonstration auf seine außenwirtschaftlichen Wirkungen?
- welche Absatzmärkte sollen angesprochen sein?
- welche Volumina bestanden dort zu diesem Zeitpunkt?
- welche Wirkungen konnten eintreten für welche Handelssegmente?
- welche Wahrnehmung in den Ländern bzgl. Handelsinteressen?
- welche (Gegen-)Wirkungen hatten zB britische Flottendemonstrationen?


These: keine Wirkungen für das Deutsche Reich außer einigen begeisterten Marine- und AA-Statements, Handels-Volumina bereits ohne Flottenbau gegeben und mit langjähriger Tradition, Abhängigkeit von Rohstoffen und Nahrungsmitteln, die auch mit Kreuzerflotten nicht zu schützen waren.

Stand 1900-1913: Der deutsche Export war - wie immer, wenn letztlich Unternehmen im Ausland abnehmen sollen - wohl eher ein Frage qualitativ hochwertiger Maschinen, Werkzeuge, Textilerzeugnisee, Chemischer Produkte etc. als politischer Ereignisse und Demonstrationen.


(Am Rande: es gibt durchaus Gegenbeispiele: eben nicht unwesentlicher Absatz britischer Schiffe und Schiffstechnologie zB nach Japan).

Das sind sehr gute Fragen, um das Grundsegment der verfolgten Strategie der kaiserlichen Marine zu erörtern.

Nehmen wir einfach diese Detachierte Division von 1913, denn es gab ja im Verlaufe des bestehen der kaiserlichen Marine noch mehr solche Einsätze.

Diese –erhoffte- Wechselwirkung von einer starken Heimatflotte und erhöhtem Handelsaufkommen liegt natürlich wieder den theoretischen Schriften des Mahan zugrunde. Hier wird davon gesprochen, dass Seemacht mit Kriegsschiffen aus einer starken Handelsflotte entsteht. Ohne einen starken überseeischen Handel, würde es somit auch keine bestreben geben, Seemacht im militärischen Sinn aufzubauen.
Diese Denkweise war natürlich auch wieder mit einem gewissen Hintergedanken Mahan´s, um den Aufbau einer heimischen Schlachtflotte zu begründen, sprich um die US-amerikanische Wirtschaft dazu zu drängen, den beginnenden Imperialismus auch navalistisch in Form einer Schlachtflotte zu stützen.
Doch genau diese Punkt wurde wohl von damaligen Lesern (Tirpitz z.B.) falsch interpretiert, indem eine starke Schlachtflotte den Handel unterstützt bzw. erweitert. Da gebe ich dir Recht silesia.
Man erhoffte sich von einer starken Marine, den Schutz der eigenen Handelsinteressen sowie damit verbunden den Schutz vom überseeischen Handel mit Wirtschaftspartnern. So gab es solche Werbeläufe (Detachierte Division) nach Süd- und Nordamerika, um hier zu demonstrieren, wie stark der Schutz der Handelsinteressen aussieht.
Desweitern ist natürlich mit steigender wirtschaftlicher Größe, auch der Schutz dieser überseeischen Handelsinteressen notwendig, denn wenn man die Marine in Deutschland nicht aufgerüstet hätte, glaube ich kaum, daß sich Weltweit deutsche Handelsunternehmen weiter angesiedelt hätten, denn gerade von diesen Leuten kam die Flottenbegeisterung z. B. im Form des deutschen Flottenvereins, und da schon zu Bismarcks Zeiten.

Was den Waffenexport angeht, war man wohl in Deutschland gleichauf mit den Briten sowie der USA. Denn allesamt lieferten Kriegsschiffe in alle Herrenländer ab.

Ein sehr widersprüchlicher Aspekt in dieser Wechselwirkung der wirtschaftlichen und militärmaritimen Macht in Deutschland lässt mich aber immer noch stutzig machen.

Auf der einen Seite gehörte dies zur Begründung der deutschen Flotte, auf der anderen Seite war sie vom typenpolitischen Standpunkt aber gar nicht dafür ausgelegt. Sie starr auf die große Schlacht ausgerichtet, was natürlich im Krieg dazu führte, als die Schlacht nicht kam, das System der Flotte zusammenbrach.

Gut, man Versuchte die steigenden Ausgaben für den enormen Aufbau der Flotte mit allen erdenkbaren Gründen zu untermauern, doch letztlich scheiterte die Flotte an ihrer falschen einseitigen strategischen Ausrichtung. Der Kriegsschifftyp des Kreuzers wurde vernachlässigt, was hier den Knackpunkt darstellt und Deutschland ab 1906 mit dem Bau zweier Großkampfschiffklassen in den Ruin führte.
Auch die USA verfolgte den Bau einer Schlachtflotte bestehend fast nur aus Schlachtschiffen, doch bemerkte man das Problem der Unbeweglichkeit der Flotte nicht, da es keine Kampfhandlungen im Krieg gab. Dies ändert sich nach 1918, als man feststellt, daß für die USA der Pazifik das neue Spielfeld der Flotte wurde. Hier beginnt man nach 1920 mit dem massiven Aufbau einer Kreuzerflotte mit dem neuen Typ des schweren Kreuzers.
Aber zurück zur deutschen Flotte, diese war auch ebend der Grund, keinen nennenswerte Kreuzerflotte aufweisen zu können, für die britische Marine, sowie Wirtschaft keine Bedrohung.
Erst mit den Novellen von 1906(?), als der Bau von mehr Auslandskreuzern genehmigt wurde, fühlte man sich auch bei den Briten bedroht bzw. man fühlte seine Handelsinteressen bedroht.

Der Zusammenhang zwischen Handelsmacht und Seemacht kann also nicht bestritten werden, nur spielt dabei die geographische Lage der jeweiligen Nation eine sehr Große Rolle, und dies war das Hauptproblem der deutschen Marine, um seine imperialistische Weltgeltung nachzugehen.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Man sollte dabei auch immer daran denken, dass Scheer vor der 2. Gefechtskehrtwende den Schlachtkreuzern das Rammen der gegnerischen Schlachtlinie befohlen hatte.

Das gehört hier zwar nicht zum Thema, aber selbst Scheer dürfte bewusst gewesen sein, daß die Gefechtsentfernung um die 10.000 m lag. Wann soll er diesen Befehl gegeben haben? Jetzt stellt doch mal den Scheer hier nicht als „Blödmann“ dar.

Zumal die deutschen Schiffe nach der 2. Gefechtskehrtwende abermals direkt in das Crossing T der britischen Linien lief. Scheer beabsichtigte sicherlich mit den vielen Gefechtskehrtwenden mit der britischen Linie in einen Parallelkurs zu gelangen, um hier die gesamte Feuerkraft der Hochseeflotte einsetzen zu können, aber sicherlich kein Rammen.:fs:
 
da wackelt der Schwanz mit dem Dackel

Wenn der Flottenbau im Hinblick auf den konkreten späteren Kriegsverlauf kritisiert wird, übersieht man, dass die seinerzeit Verantwortlichen (in der Politik wie in der Marineleitung) eine Strategie verfolgten, die konträr zu Tirpitz Vorstellungen war. Wenn ein Instrument falsch genutzt wird, kann es keine guten Ergebnisse bringen.

Ein längerer Krieg aber musste sich ungünstig für die Marine auswirken, die falsche militärische Strategie der damals verantwortlichen Marineleitung und die falsche politische Strategie von Bethmann fallen jetzt auf Tirpitz zurück – zu Unrecht.

Fassen wir kurz zusammen: Politik ist die Fortführung des Militärstrategie mit anderen Mitteln". Diese Auffassung entspricht pointiert gesprochen, der Auffassung von Ludendorf über das Verhältnis von Politik und MIlitär im Rahmen des "Totalen Kriegs".

In dem Zitat wird deutlich, dass es eine völlige Entkoppelung der Marinerüstung durch Tirpitz von der Politikformulierung gibt. Genau dieses ist ja die These die eine Reihe von Teilnehmern (ich auch) in diesem Thread formulieren.

Und genau an diesem Punkt, der Uneinsichtigkeit von Tirpitz und auch von Wilhelm 2 setzt die inhaltliche Kritik an.

Schön das "Admiral" es selber erkannt. Wenn er sich jetzt noch die Frage stellen würden, ob er in seiner Auffassung der Marinerüstung sich eher an Clausewitz oder an Ludendorf orientieren möchte, dann könnte er erkennen, dass in einer konstitutionellen Monarchie, die ludendorfsche Auffassung eigentlich nicht politisch durchsetzbar gewesen ist.
 
Den Torpedobooten wird mit dem Stander Z das Angriffssignal gegeben. Das Kommando lautet im Signalbuch "Ran an den Feind", nicht "Ramm den Feind" (macht bei einem Torpedoboot ohnehin keinen Sinn). Tirpitz sah (gemäß seinen Erinnerungen) in dem Torpedobootsangriff große Chancen. Scheer auch und Jellicoe sicherlich ebernfalls. Jellicoe musste abdrehen lassen und verlor den Kontakt mit der Hochseeflotte. Das ist bemerkenswert. Ein crossing the T im Gegenlicht war die denkbar günstigste Position, die gibt man nicht ohne schwerwiegende Gründe auf. Damit war die eigentliche Schlacht und zwar durch - Jellicoe - beendet. Eine wirkliche Nachschlacht größerer Einheiten war damals auch für die Deutschen nicht möglich. Ich glaube nicht, dass Jellicoe wirklich interessiert war die Schlacht am nächsten Tag wieder aufzunehmen. 1916 war die Nordsee stark vermint, der Heimweg vorbestimmt. Jellicoe ist durch reines Glück in die günstige Position gekommen. Es war nicht wahrscheinlich, dass sich das wiederholen würde. Was aber - der Gedanke war nicht fernliegend -, wenn die Deutschen am Folgetag dieses Glück haben würden?
 
Zuletzt bearbeitet:
Jellicoe musste abdrehen lassen und verlor den Kontakt mit der Hochseeflotte. Das ist bemerkenswert. Ein crossing the T im Gegenlicht war die denkbar günstigste Position, die gibt man nicht ohne schwerwiegende Gründe auf. Damit war die eigentliche Schlacht und zwar durch - Jellicoe - beendet.

Das entspricht etwa dem Nachkriegsstand.


Scheer dazu (Hochseeflotte im Weltkrieg):
"Den Nachtmarsch anzutreten war es noch zu früh. Wenn der Feind uns folgte, mußte unser Verhalten bei Beibehalten der nach dem Umlegen der Linie eingenommenen Richtung den Charakter des Rückzuges annehmen, und die Flotte mußte bei etwaiger Beschädigung unserer Schlußschiffe diese entweder preisgeben oder sich zu einer Handlungsweise entschließen, die unter dem Druck der feindlichen Wirkung, also nicht aus freiem Entschluß, erfolgte und uns daher von vornherein benachteiligte. Ebensowenig war es angebracht , schon jetzt eine Loslösung vom Feinde anzustreben und es ihm zu überlassen, wo er sich am anderen Morgen zu stellen beliebte. Dem vorzubeugen, gab es nur ein Mittel : dem Gegner durch einen nochmaligen rücksichtslosen Vorstoß einen zweiten Schlag zu versetzen und die Torpedoboote mit Gewalt zum Angriff zubringen. Das gute Gelingen der Gefechtskehrtwendung bestärkte mich in diesem vorhaben und führte zu dem Entschluß, von dieser Beweglichkeit weiteren Gebrauch zu machen. Das Manöver mußte den Feind überraschen, seine Pläne für den Rest des Tages über den Haufen werfen und, wenn der Stoß wuchtig ausfiel, das Loslösen für die Nacht erleichtern. "

Zusammenfassend also eine Verzweifelungsaktion, da der Wettlauf nach Süden nicht in die Nacht fortgesetzt werden konnte, ohne den hinten laufenden Teil der Hochseeflotte zu verlieren. Die Drehung selbst war reines Vabanque, dadurch gerieten die bereits "gerupften" Schlachtkreuzer und die schwachen Linienschiffe an die Spitze und konnten in vernichtendes Feuer geraten. Für das Entkommen war der Preis für Scheer offensichtlich akzeptabel, zumal sie bei Halten des Kurses ohnehin als Minimum verloren waren, liefe man weiter quasi "nebeneinander her".

Der Sinn und die Spekulation: überraschend hinter Jellicoe durchzulaufen und dort durchzubrechen, nebenbei auf die späte Stunde spekulierend, was geringere Opfer erwarten ließ, als der einfache Marsch nach Süden.


Wieso sollte Jellicoe beim Torpedoangriff nicht beidrehen? Er hatte aufgrund seiner deutlichen Übermacht nichts zu verlieren und führte die Schlacht sauber in die Konservierung des strategischen Vorteils über. Dabei hätte selbst der weitere Verlust von 2,3 Schlachtschiffen für ihn nichts verändert (vielleicht aber noch die Glorifizierung auf deutscher Seite bei 3:1 für die die Lage unwichtigen Schlachtkreuzern gesteigert). Übrigens kann man auch die Meinung vertreten, dass ihm das Manöver entgegenkam, da Scheer damit tatsächlich "in das Problem hineinfuhr", hätte Jellicoe nun den für beide Seiten verlustreichen (für Jellicoe in den Schlachtschiffen dennoch aus Überlegenheit führbaren) Schlagabtausch über den Bug gesucht. Aber wieso sollte er?

Prinzipiell ist am Skagerrak dank der riskanten Fluchtmanöver Scheers und dem vorsichtigen Taktieren von Jellicoe nichts operativ Aufregendes passiert. Genau das war die - allerdings erwart-/unvermeidbare - deutsche Niederlage.

Langsam wird man müde, den üblichen Aufguß von Feuerleitung, Standfestigkeit, Scarborough (hier wurden NUR die Schlachtkreuzer erwartet), Ostasiengeschwader und co. zu begleiten. Ist auch schon genug dazu ausgetauscht.

Für den Überblick neben der etwas dünnen deutschen Literatur:
Brooks, John: Dreadnought Gunnery and the Battle of Jutland
Tarrant, V. E.: Jutland - The German Perspective
Campbell, John: Jutland - An (statistical) analysis of the fighting
(Massie ist übrigens mE für das Thema zu oberflächlich).
 
Das sind sehr gute Fragen, um das Grundsegment der verfolgten Strategie der kaiserlichen Marine zu erörtern.
Der Zusammenhang zwischen Handelsmacht und Seemacht kann also nicht bestritten werden, nur spielt dabei die geographische Lage der jeweiligen Nation eine sehr Große Rolle, und dies war das Hauptproblem der deutschen Marine, um seine imperialistische Weltgeltung nachzugehen.

Doch, das würde ich zunächst bestreiten wollen. Aber ich lasse mich gerne überzeugen, wenn hierzu Argumente vorgetragen werden.

Die oben behauptete logische Kette interpretiere ich so:
-> nachteilige geographische Lage (Nordsee) -> Hauptproblem der Marine -> keine Aussicht auf Weltgeltung -> keine Handelsmacht.

Das würde bereits durch die Entwicklung des Außenhandels 1870-1914 widerlegt werden. Damit erschließt sich mir unverändert nicht der angebliche Zusammenhang von Seemacht und Außenhandel in Bezug auf das Deutsche Reich.
 
0815 schrieb:
Man sollte dabei auch immer daran denken, dass Scheer vor der 2. Gefechtskehrtwende den Schlachtkreuzern das Rammen der gegnerischen Schlachtlinie befohlen hatte.
Das gehört hier zwar nicht zum Thema, aber selbst Scheer dürfte bewusst gewesen sein, daß die Gefechtsentfernung um die 10.000 m lag. Wann soll er diesen Befehl gegeben haben? Jetzt stellt doch mal den Scheer hier nicht als „Blödmann“ dar.

Über den genauen Zeitpunkt gibt es unterschiedliche Angaben, vermutlich ging der Befehl um 19.13 Uhr raus. Die Angabe 19.30 Uhr ist aus mehreren Gründen nicht plausibel.

Von Scheer an Hipper:
"Schlachtkreuzer ran an den Feind. Voll einsetzen."
Die deutschen Schlachtkreuzer waren zu diesem Zeitpunkt kaum noch für den Artilleriekampf einsatzfähig. Auf SMS "Von der Tann" waren alle acht schweren Geschütze ausgefallen. Deren Kommandant, Kapitän zur See Zenker, hat später diesen Befehl als Auftrag zum Rammen des Feindes interpretiert.

Scheer dazu (Hochseeflotte im Weltkrieg):
"Den Nachtmarsch anzutreten war es noch zu früh. Wenn der Feind uns folgte, mußte unser Verhalten bei Beibehalten der nach dem Umlegen der Linie eingenommenen Richtung den Charakter des Rückzuges annehmen, und die Flotte mußte bei etwaiger Beschädigung unserer Schlußschiffe diese entweder preisgeben oder sich zu einer Handlungsweise entschließen, die unter dem Druck der feindlichen Wirkung, also nicht aus freiem Entschluß, erfolgte und uns daher von vornherein benachteiligte. Ebensowenig war es angebracht , schon jetzt eine Loslösung vom Feinde anzustreben und es ihm zu überlassen, wo er sich am anderen Morgen zu stellen beliebte. Dem vorzubeugen, gab es nur ein Mittel : dem Gegner durch einen nochmaligen rücksichtslosen Vorstoß einen zweiten Schlag zu versetzen und die Torpedoboote mit Gewalt zum Angriff zubringen.
So was schreibt man in seine Memoiren. Im persönlichen Vortrag nach der Schlacht bei Kaiser Wilhelm II. klang es dann noch so:

"In Friedenszeiten ... hätte man mir die Befähigung zur Führung einer Schlachtflotte abgesprochen"
John Costello und Terry Hughes schreiben dazu:
"Wahrscheinlich wusste Scheer gar nicht, dass Jellicoes Schlachtschiffe immer noch vor ihm standen. Nach ihrer letzten Sichtung um 18.45 Uhr vermutete er die britischen Schlachtschiffe etwa acht Seemeilen südöstlich ihres tatsächlichen Standortes.
...
Was auch immer der wahre Grund für Scheers Befehl gewesen sein mag, es war eher er und nicht Jellicoe, der feststellen musste, dass seine Pläne durchkreuzt waren.
Admiral schrieb:
"Ran an den Feind", nicht "Ramm den Feind" (macht bei einem Torpedoboot ohnehin keinen Sinn).
Da sind wir uns einig, man sieht es ja an dem Zusammenstoß der HMS "Spitfire" und der SMS "Nassau" während des Nachtmarsches. Der Zerstörer sank, das Linienschiff war lediglich angekratzt.
Aber wie oben von mir zitiert, nannte Scheer ausdrücklich in seinem Funkspruch die Schlachtkreuzer und nicht die Torpedoboote. Der Doppelstander Z ist ein Flaggensignal, der von mir genannte Befehl wurde per Funk übermittelt.
 
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