Strategie der kaiserlichen Marine


So was schreibt man in seine Memoiren. Im persönlichen Vortrag nach der Schlacht bei Kaiser Wilhelm II. klang es dann noch so...

John Costello und Terry Hughes schreiben dazu:
"Wahrscheinlich wusste Scheer gar nicht, dass Jellicoes Schlachtschiffe immer noch vor ihm standen. Nach ihrer letzten Sichtung um 18.45 Uhr vermutete er die britischen Schlachtschiffe etwa acht Seemeilen südöstlich ihres tatsächlichen Standortes."


Das schließt sich nicht aus.
Je weiter südöstlich er Jellicoe annahm, umso problematischer wird es für Scheers Rückmarsch und umso größer die Chancen, "hinten" durchzulaufen nach Art eines Hasen, der Haken schlägt.

Danke nochmal für das Detail zu "von der Tann": die Schlachtkreuzer in dem Zustand bei dem Manöver vorn kommt einer Opferung gleich. Irgendwo habe ich etwas zur Wirkung des Eindrehens auf die Besatzung gelesen (Derfflinger?), die glaubten, gerade erst glücklich dem Feuerofen entkommen zu sein.
 
Kurz und knapp: Es gab keinen Befehl, den Feind zu rammen - weder für die Torpedoboote noch für die Schlachtkreuzer. "Voll einsetzen" heißt nicht rammen.
 
IronDuke schrieb:
Kurz und knapp: Es gab keinen Befehl, den Feind zu rammen - weder für die Torpedoboote noch für die Schlachtkreuzer. "Voll einsetzen" heißt nicht rammen.
Dann sollte die "Von der Tann" die feindlichen Schlachtschiffe mit 15-cm-Geschützen bekämpfen? Irgend einen Sinn muss es ja gehabt haben, dass sie an dem "Todesritt"* der Schlachtkreuzer teilnahm. Ihre Torpedowaffe war sicherlich noch einsatzklar, aber ansonsten kann man Zenkers Ansicht nicht so einfach vom Tisch wischen. "Seydlitz" war zu diesem Zeitpunkt so stark beschädigt, dass Hipper davon absah, sie als Ersatz für sein waidwundes Flaggschiff zu verwenden. Bei "Derfflinger" und "Moltke" sah es besser aus. Jedoch bekam die "Derfflinger" besonders schwere Treffer während dieses Vorstoßes.

Es ist wohl unstrittig, dass Scheer zu diesem Zeitpunkt bereit war, seine Schlachtkreuzer zu opfern.
Liest man seine Memoiren, dann war er kurz zuvor noch um die beschädigten Schlachtkreuzer besorgt. Nicht zuletzt wegen der Sorge um diese Schiffe habe er nach der erfolgreichen ersten Gefechtswende den Angriff auf das britische Gros durchgeführt. Dann ist sein Befehl, diese Schlachtkreuzer nun voll einzusetzen, überhaupt nicht verständlich. Für mich ergibt sich daraus, dass dieser Absatz in seinen Memoiren wenig mit der Realität zu tun hat.

*Den melodramatischen "Todesritt" habe ich aus einem Buch übernommen.

Ich muss meinen gestrigen Beitrag berichtigen: die HMS "Spitfire" ist nicht gesunken, sondern schwer beschädigt nach Großbritannien zurück gekehrt.
 
Die Teilnahme des Schlachtkreuzers von der Tann trotz ausgeschalteter Hauptbewaffnung hatte den Zweck, den Feind zu einer größeren Feuerverteilung zu zwingen und so die anderen Schiffe vom Feindfeuer zu entlasten.
Dass auch diese Tatsache schon die gesamte Dramatik der Lage der Hochseeflotte in dieser Phase der Schlacht unterstreicht, ist allerdings unbestreitbar. Der Einsatz eines Schiffes, dass selber praktisch keine Wirkung mehr gegen den Feind erzielen kann, nur um anderen Einheiten Entlastung und somit größere Erfolgsaussichten zu ermöglichen, ist sicherlich nur bedingt zweckmäßig und wäre in einer anderen Lage wahrscheinlich unterblieben. Mit einem Auftrag oder gar Befehl zum rammen hat das allerdings nichts zu tun...Wirklich nicht ;-)

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf das eigentliche Diskussionsthema zurück kommen, nämlich die Strategie der Kaiserlichen Marine im Kaiserreich. Es wurden an verschiedener Stelle in Beiträgen Expeditionen von Teilen der Flotte ins Ausland genannt. Damit sollte auf die Bedeutung der Flotte für die Außenpolitik des Reiches und Wahrung wirtschaftlicher Interessen in Übersee hingewiesen werden.
Es fällt mir schwer, darin Belege für die Notwendigkeit zu sehen, eine starke Schlachtflotte aufzubauen, deren primärer Einsatzzweck die Seeschlacht gegen die britische Royal Navy in heimatlichen Gewässern ist. Für mich ist der Einsatz der Flotte bei solchen Gelegenheiten eigentlich eine im Vergleich zur Konzeption und Zielsetzung der Schlachtflotte zweckentfremdete Nebenverwendung, die man immer dort betrieben hat, wo es politisch sinnvoll erschien. Dass diese Einsätze zweckmäßig waren oder man sich zumindest von ihnen etwas zu erreichen versprach, kann ich schon nachvollziehen. Das wird ja auch heute so von den führenden Mächten gemacht.
Ich glaube aber, das man für diese Aufgaben des "power-projection" oder "Flagge zeigen" keine Schlachtflotte in der Stärke brauchte, wie sie angestrebt wurde. Für diese Aufgaben hätte es auch keiner ausgesprochenen Kreuzerflotte bedurft. Es ist bezeichnend, dass diese Aufgaben in der Regel von einer Handvoll Schiffe erledigt wurden.
Daher unterstreichen diese Einsätze der Flotte für mich nur die Schlußfolgerung, dass eine starke deutsche Schlacht- und Kreuzerflotte zwar zweckmäßig gewesen wäre - aber eben nicht in der tatsächlich verfolgten Form des Aufbaus einer an der britischen Stärke ausgerichteten Schlachtflotte, die primär gegen England gerichtet war. Der Aufbau einer weniger stark Großbritannien herausfordernden Seemacht hätte die deutsche Küste im Kriegsfall gegen einen englischen Gegner zur See ausreichend geschützt, in Friedenszeiten das "power-projection" ermöglicht und im Kriegsfall bei einer auf Frankreich und Russland beschränkten Auseinandersetzung sogar offensives Vorgehen mit überlegenen Seestreitkräften gegen diese Gegner ermöglicht.

Die Bedeutung Großbritanniens im Krieg gegen Deutschland ist so entscheidend, dass man hier rückblickend einfach fragen muß, ob diese Feindschaft hätte vermieden werden können. Neben dem eigentlichen Auslöser (dem deutschen Einmarsch in Belgien) ist eben auch festzustellen, dass die deutsche Flottenrüstung erheblich zur Verschlechterung des deutsch-englischen Klimas vor dem Krieg beitrug. Noch um die Jahrhundertwende gab es Bündnissverhandlungen zwischen Großbritannien und Deutschland. Es bestand die Gefahr, dass Großbritannien und Frankriech militärisch aneinander geraten würden (Stichwort Faschoda 1898). Auch zwischen Großbritannien und Russland bestanden stets Spannungen (Afghanistan, Zugang der Russen über den Bosporus zum Mittelmeer). Nur ein paar Jahre später schliesst Großbritannien mit diesen Gegnern von gestern Bündnisse ab - gegen das Deutsche Reich. Der Aufbau der deutschen Flotte und ihre strategische Zielsetzung erscheinen mir hier der Hauptgrund für diesen Wandel zu sein, der für uns im Ersten Weltkrieg verhängnisvolle Folgen hatte.
Insofern stellt sich rückblickend die Frage nach Alternativen zur gewählten Strategie. Die Kreuzerflotte wurde genannt, jedoch wie schon besprochen konnte diese keine überzeugende Alternative zur Schlachtflotte sein. Jedenfalls nicht, wenn diese Kreuzerflotte auch über das "Flagge zeigen" in Friedenszeiten hinaus einen militärischen Auftrag zur Bekämpfung des feindlichen Seehandels haben sollte.
 
@ironduke: Die Bedeutung Großbritanniens im Krieg gegen Deutschland ist so entscheidend, dass man hier rückblickend einfach fragen muß, ob diese Feindschaft hätte vermieden werden können.

Eine sehr interessante Frage. IMHO wohl nicht, jedenfalls angesichts der deutschen Flottenpolitik. Die Weltseemacht Britannien musste jede Flottenrüstung als Affront ansehen, erst recht vor der eigenen Haustür. Damit war die deutsche Politik, die wohl erheblich durch Wilhelms Marotte für alles Maritime geprägt war, strategisch gesehen ein Griff ins Klo.
 
Die Bedeutung Großbritanniens im Krieg gegen Deutschland ist so entscheidend, dass man hier rückblickend einfach fragen muß, ob diese Feindschaft hätte vermieden werden können.
Nicht übersehen darf man in diesem Zusammenhang den "Nasenfaktor" der beteiligten Personen. Eduard VII. als Beispiel war frankophil. Dagegen war sein Verhältnis zu Wilhelm II. schlecht.

Man kann die Rivalität nicht nur an der Flottenfrage festmachen. Für die Briten problematisch war auch der wirtschaftliche Erfolg des Deutschen Reiches. Hätte man in der Flottenfrage deutscherseits Zugeständnisse machen können und müssen, so konnte man schlecht bei der wirtschaftlichen Rivalität sich freiwillig zurück nehmen. Für mich haben beide Seiten ihren Anteil an der schleichenden Zerrüttung.
 
Nicht übersehen darf man in diesem Zusammenhang den "Nasenfaktor" der beteiligten Personen. Eduard VII. als Beispiel war frankophil. Dagegen war sein Verhältnis zu Wilhelm II. schlecht. .

Das ist sicherlich richtig. Es ist bekannt, dass auf König Eduard VII auch das militaristische Gebaren von Wilhelm II und seine auftrumphenden Reden abstoßend wirkten.
Die Sache mit dem wirtschaftlichen Erfolg ist zwar als Argument für die Verschlechterung der Beziehungen auch nicht ganz von der Hand zu weisen, mit Sicherheit spielte das eine Rolle, aber im Falle der nicht minder erfolgreichen USA, die im übrigen ihre Schlachtflotte zur gleichen Zeit erheblich auszubauen begannen wie das Deutsche Reich (aber in geringerem Umfang, die amerikanische Schlachtflotte hatte bei Kriegsende 16 Großkampfschiffe, die Kaiserliche Marine deren 25), nahm Großbritanien das hin. Insofern scheint mir der Aufbau einer gezielt an Großbritannien ausgerichteten Schlachtflotte der eigentliche Grund für die Verschlechterung der Beziehungen zu sein. Die anderen genanten Aspekte haben dann die Situation mit Sicherheit weiter verschlimmert und eine Verständigung entgültig unmöglich gemacht.
Gerade das Beispiel der amerikanischen Flottenrüstung zeigt aus meiner Sicht jedoch auch, dass ein etwas bescheideneres Vorgehen möglicherweise keine Probleme in den Beziehungen zu Großbritannien verursacht hätte. Das Deutsche Reich hätte trotzdem die Möglichkeit gehabt, die zweitstärkste Flotte der Welt aufzubauen (wenn man darauf hätte abzielen wollen), hätte sich also keineswegs auf bescheidene Küstenverteidigung beschränken müssen. Die genannten Aufgaben zu Friedenszeiten ("power-projection") und im Kriegsfall hätten wahrgenommen werden können - mit der einen Ausnahme: eine maritime Herausforderung Großbritanniens zur See wäre (zumindest mit der Schlachtflotte) nicht möglich gewesen. Gerade deshalb hätte es vielleicht eine nicht ganz so gravierende Verschlechterung der Beziehungen zu den Briten gegeben...
Zugegebenermaßen sind das Vermutungen. Es hätte auch alles ganz anders aussehen können, z.B. so, dass sich die Krisen in der Tat aus den angesprochenen anderen Konflikten (persönliche Abneigungen der Beteiligten, wirtschaftliche Mißgunst) entwickelt hätten. Im Raum steht dann auch immer noch der tatsächliche Auslöser für den englischen Kriegseintritt (Belgien).
 
@Flavius St.: Hätte man in der Flottenfrage deutscherseits Zugeständnisse machen können und müssen, so konnte man schlecht bei der wirtschaftlichen Rivalität sich freiwillig zurück nehmen.
Ein reines wirtschaftliches Überholen durch das Reich hätte es Großbritannien schwer gemacht, diplomatisch Front an der Seite Frankreichs gegen Deutschland zu machen. Potentieller deutscher Hauptgegner war schließlich Frankreich, das wegen Elsass-Lothringen noch eine Rechnung offen hatte. Deshalb war die teure Flottenrüstung überflüssig wie ein Kropf.
 
Ein reines wirtschaftliches Überholen durch das Reich hätte es Großbritannien schwer gemacht, diplomatisch Front an der Seite Frankreichs gegen Deutschland zu machen. Potentieller deutscher Hauptgegner war schließlich Frankreich, das wegen Elsass-Lothringen noch eine Rechnung offen hatte. Deshalb war die teure Flottenrüstung überflüssig wie ein Kropf.

Ganz Deiner Meinung.
Umso interessanter ist die Realisierung und die zeitgenössische Sichtweise.


Ein deutsches Überholen (wie wäre es übrigens zu messen, das ist eine eigene Diskussion wert?) Großbritanniens ist mE ohne Auseinanderbrechen des Empire nicht vorstellbar; den Gedanken sollte man von der dt.-britischen Konkurrenz in einzelnen Sektoren, also von partiellen Betrachtungen, trennen.

Ebenso ist die Ablösung der starken frz. Stellung auf dem Finanzmarkt "ohne Weltkrieg" problematisch.

Schließlich zogen für die prosperierenden Sektoren der deutschen Wirtschaft neue Konkurrenzen außerhalb von GB und F auf.
 
IronDuke schrieb:
aber im Falle der nicht minder erfolgreichen USA, die im übrigen ihre Schlachtflotte zur gleichen Zeit erheblich auszubauen begannen wie das Deutsche Reich (aber in geringerem Umfang, die amerikanische Schlachtflotte hatte bei Kriegsende 16 Großkampfschiffe, die Kaiserliche Marine deren 25), nahm Großbritanien das hin. Insofern scheint mir der Aufbau einer gezielt an Großbritannien ausgerichteten Schlachtflotte der eigentliche Grund für die Verschlechterung der Beziehungen zu sein.
Ob da auch die Entfernung eine Rolle gespielt hat? New York ist gute 3.000 Seemeilen von Liverpool weg. Wilhelmshaven liegt dagegen pi mal Daumen 300 Seemeilen von der englischen Ostküste weg. Die Monroe-Doktrin beschränkte die USA auf den amerikanischen Doppelkontinent. Zudem konnte man bei den Briten angesichts der Küstenlinien der USA für deren Flotte sicherlich mehr Verständnis aufbringen als für die deutschen Seestreitkräfte. Deshalb lassen sich diese beiden Flotten schlecht vergleichen.

Für die Briten war es meines Erachtens eine ganz andere Sache, wenn vor der Haustür sich eine Seemacht etablierte. Sowohl die Niederländer 250 Jahre zuvor und danach die Franzosen mussten diese Erfahrung machen. Ob man nun die deutsche Flotte den Briten schmackhafter machen hätte können, wenn wir diese als "stärker als Frankreich und Russland zusammen" verkauft hätten? Hier müsste man sich die Stärkeverhältnisse um 1900 der drei Flotten (UK / F / RUS ) ansehen. Vor Tsushima brachte die russische Flotte noch ein ganz anderes Gewicht auf die Waage.

Zurück zu einem anderen Thema:
Bisher wurde hier in der Diskussion die Jeune École als "Kreuzerflotte" für den Kaperkrieg verkürzt. Jedoch hatte diese Schule neben dem Handelskrieg für die Küstenverteidigung starke Torpedobootsverbände und Minensperren geplant. Und genau in diesem Bereich war die kaiserliche Marine gut aufgestellt. Während die deutschen Torpedoboote bauten, stellten die Briten Torpedobootszerstörer in Dienst.

Hätte das die Lösung für die deutsche Seerüstung sein können, ein Zurück auf 1815 mit Kanonenschaluppen für die Küstenverteidigung? Hätte das Deutschlands strategische Lage gebessert?
Die Feindschaft mit Frankreich wäre dadurch unverändert. Auch Russland mit seinem Panslawismus und daraus abgeleiteten Ansprüchen gegenüber Deutschland und Österreich-Ungarn hätte einen Verzicht auf eine Linienschiffsflotte nicht berührt. Bleibt Großbritannien. Ein Angriff auf das neutrale Belgien hätte die Briten wohl trotz einem Verzicht auf Marinerüstung deutscherseits in den Krieg gezogen. Also auch kein Schlieffenplan. Ein Sieg gegen Russland in einem Landkrieg schloss man wegen der Tiefe des russischen Raumes aus.

Da bleibt als Militärstrategie nicht mehr viel über. Bleibt als Alternative für mich als Lösung wohl eine defensive Strategie des Deutschen Reiches und viel Pazifismus. Nur damit hätte man Großbritannien aus den Krieg heraus halten können. Solch eine Politik hätte man aber kaum jemanden vor 1914 in Deutschland verkaufen können.
:grübel:
 
Die Strategie der kaiserlichen Marine ist im 1. WK bezüglich der Hochseeflotte aufgegangen.
Rußland wurde fast völlig blockiert, was mit Sicherheit maßgeblich zum "Kriegsaustritt" beigetragen hat.
Die neutralen Niederlande, Dänemark, Norwegen, Schweden konnten draußen gehalten werden.

Am Skagerrak wurde dies bestätigt. Den Briten, dass die Brechung der Ostsee-Blockade nicht möglich ist, den Deutschen dasselbe für die Blockade der Nordsee.
Der erfolgreiche Rückmarsch basiert übrigens maßgeblich auf den Ergebnissen der Luftaufklärung.
Die Schlacht als Niederlage für eine oder die andere Seite zu werten, trifft es nicht.

Zu den Kolonien ist zu erwähnen, dass Portugal und die Niederlande "Uralt-Kolonial-Mächte" waren, als Beispiel nicht taugen. Die Umstände wie Belgien zu seiner "Kongo-Kolonie" kam, sind sehr bemerkenswert, der absolute negative Höhepunkt des Imperialismus. Taugt als Beispiel auch nicht.
 
Ob da auch die Entfernung eine Rolle gespielt hat? New York ist gute 3.000 Seemeilen von Liverpool weg. Wilhelmshaven liegt dagegen pi mal Daumen 300 Seemeilen von der englischen Ostküste weg. ... Zudem konnte man bei den Briten angesichts der Küstenlinien der USA für deren Flotte sicherlich mehr Verständnis aufbringen als für die deutschen Seestreitkräfte....
Für die Briten war es meines Erachtens eine ganz andere Sache, wenn vor der Haustür sich eine Seemacht etablierte. Sowohl die Niederländer 250 Jahre zuvor und danach die Franzosen mussten diese Erfahrung machen. Ob man nun die deutsche Flotte den Briten schmackhafter machen hätte können, wenn wir diese als "stärker als Frankreich und Russland zusammen" verkauft hätten?...
Das Argument ist aus meiner Sicht in der Tat schlagkräftig. Es ist durchaus denkbar, dass die größere Entfernung im Falle der Flottenrüstung der USA etwas "beruhigend" wirkte. Der Verweis auf die Etablierung einer Seemacht "vor der eigenen Haustür" ist aus meiner Sicht berechtigt: Meine Überlegung, dass der Aufbau einer starken deutschen Flotte, die sich zahlenmäßig nicht an Großbritannien, sondern an anderen Gegnern zur See orientiert, für weniger Verstimmung bei den Engländern gesorgt hätte, ist natürlich Spekulation. Ich könnte mir vorstellen, dass eine bescheidenere Seerüstung Deutschlands hier die Beziehungen zu den Engländern nicht nachhaltig verschlechtert hätte, aber das ist eine Vermutung unbewiesener Art. "Ob man nun die deutsche Flotte den Briten schmackhafter machen hätte können, wenn wir diese als "stärker als Frankreich und Russland zusammen" verkauft hätten, ist in der Tat fraglich, gerade auch wegen der geringen Entfernung. Um noch mal einen weiteren Diskussionsteilnehmer zu zitieren: es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die "gefühlte Bedrohung" für die Briten immer noch sehr hoch gewesen wäre. Möglicherweise hätte auch das schon ausgereicht, um Großbritannien nachhaltig in das Lager der potentiellen Gegner Frankreich und Rußland zu treiben.
Auf der anderen Seite wäre es Großbritannien durch vergleichsweise begrenzte eigene Aufrüstungsmaßnahmen zur See möglich gewesen, den von ihm als Richtschnurr aufgestellten "Two-Power-Standard" zu halten. Man darf auch nicht übersehen, dass die französiche und russische Schlachtflotte nicht besonders stark waren (es gab allerdings allen voran bei den Russen durchaus ehrgeizige Pläne zur Vergößerung der eigenen Seestreitkräfte).
In letzter Konsequenz wird man das also nicht beweisen können, es bleiben Vermutungen, in der Geschichte soll man deswegen ja eigentlich auch nicht fragen "was wäre gewesen, wenn..."
 
Die Strategie der kaiserlichen Marine ist im 1. WK bezüglich der Hochseeflotte aufgegangen.
Rußland wurde fast völlig blockiert, was mit Sicherheit maßgeblich zum "Kriegsaustritt" beigetragen hat...
Am Skagerrak wurde dies bestätigt. Den Briten, dass die Brechung der Ostsee-Blockade nicht möglich ist, den Deutschen dasselbe für die Blockade der Nordsee.
Das sehe ich persönlich nicht ganz so.
Natürlich sind die beschriebenen strategischen Folgen der Skagerak-Schlacht zutreffend. Der Stellungskrieg zu Lande fand quasi auf See seine Fortsetzung durch den Ausgang der Skagerak-Schlacht. Wir Deutschen konnten die Blockade der Briten nicht öffnen, um die Versorgung unserer Wirtschaft und Bevölkerung sicherzustellen. Den Briten war es nicht möglich, eine Verbindung zu Russland durch die Ostsee wieder herzustellen, denn die deutsche Schlachtflotte blieb intakt und damit blieb auch jeder denkbare Versuch der Engländer, durch die Belte durchzudringen und eine Versorgung mit Russland wieder aufzunehmen, ein nicht durchführbares Unterfangen.
Nur für diese Patt-Situation war die deutsche Schlachtflotte ja nicht aufgebaut worden. Die Idee von Tirpitz war ja eine ganz andere gewesen: die Engländer sollten als potentieller Bündnispartner gewonnen werden und wenn das nicht möglich wäre, so sollten sie von einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Deutschen Reich durch das hohe Risiko, die eigene Schlachtflotte im Kampf gegen uns nachhaltig zu schwächen, abgeschreckt werden. Das sollte erreicht werden, indem man die britischen Seestreitkräfte bei der Nahblockade unter für uns günstigen Bedingungen stellen würde und ihnen Verluste zufügen könnte. Das waren die eigentlichen Zielsetzungen hinter dem Aufbau der Schlachtflotte. In dem Moment, wo sich die Voraussetzungen für diesen Flotteneinsatz änderten, mußten die Einsatzmöglichkeiten für die deutsche Schlachtflotte fragwürdig werden. Admiral von Ingenohl, der die deutsche Hochseeflotte bei Kriegsausbruch führte, soll von Tirpitz denn ja auch in böser Vorahnung mal gefragt worden sein: "Was machen Sie eigentlich, wenn die [die Briten] nicht kommen?" (nur so am Rande: ich glaube, es gibt sogar einen Diskussionsteilnehmer, der seine Beiträge mit diesem Zitat unterschreibt).
Insofern ist die deutsche Strategie zur See eben nicht aufgegangen: Großbritannien konnte nicht von einem Kriegseintritt abgehalten werden und durch die Fernblockade war es der deutschen Hochseeflotte nur begrenzt möglich, die Royal Navy unter für die günstigen Bedingungen zu stellen. Vor allem lief man bei einem Einsatz der Flotte stets Gefahr, auf überlegene feindliche Kräfte zu stossen. Zusammenfassend kann man daher sagen, dass die Hochseeflotte, so wie sie im Ersten Weltkrieg bestand, zwar durchaus einen wichtigen Beitrag für die Kriegsführung Deutschlands geleistet hat, aber gemessen an den ursprünglichen Plänen war das überhaupt nicht die Form von Einsatz, die man sich vorgestellt hatte. Meine These ist die, dass vor dem Hintergrund des maßgeblichen Anteils der deutschen Flottenrüstung an der Verschlechterung der politischen Beziehungen zu Großbritannien vor dem Krieg hier ein bescheidenerer Ansatz zweckmäßiger gewesen wäre. Er hätte uns (möglicherweise) einen Kriegseintritt Großbritanniens erspart. Vor allem dann, wenn man die belgische Neutralität bei Kriegsausbruch respektiert hätte (alleine dieser Punkt ist schon wieder als eigenes Diskussionsthema bestens geeignet, sicherlich aber nicht unter dem Titel "Strategie der kaiserlichen Seestreitkräfte").
 
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Das sehe ich persönlich nicht ganz so.
Natürlich sind die beschriebenen strategischen Folgen der Skagerak-Schlacht zutreffend. Der Stellungskrieg zu Lande fand quasi auf See seine Fortsetzung durch den Ausgang der Skagerak-Schlacht. Wir Deutschen konnten die Blockade der Briten nicht öffnen, um die Versorgung unserer Wirtschaft und Bevölkerung sicherzustellen. Den Briten war es nicht möglich, eine Verbindung zu Russland durch die Ostsee wieder herzustellen, denn die deutsche Schlachtflotte blieb intakt und damit blieb auch jeder denkbare Versuch der Engländer, durch die Belte durchzudringen und eine Versorgung mit Russland wieder aufzunehmen, ein nicht durchführbares Unterfangen.
Nur für diese Patt-Situation war die deutsche Schlachtflotte ja nicht aufgebaut worden. Die Idee von Tirpitz war ja eine ganz andere gewesen: die Engländer sollten als potentieller Bündnispartner gewonnen werden und wenn das nicht möglich wäre, so sollten sie von einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Deutschen Reich durch das hohe Risiko, die eigene Schlachtflotte im Kampf gegen uns nachhaltig zu schwächen, abgeschreckt werden. Das sollte erreicht werden, indem man die britischen Seestreitkräfte bei der Nahblockade unter für uns günstigen Bedingungen stellen würde und ihnen Verluste zufügen könnte. Das waren die eigentlichen Zielsetzungen hinter dem Aufbau der Schlachtflotte. In dem Moment, wo sich die Voraussetzungen für diesen Flotteneinsatz änderten, mußten die Einsatzmöglichkeiten für die deutsche Schlachtflotte fragwürdig werden. Admiral von Ingenohl, der die deutsche Hochseeflotte bei Kriegsausbruch führte, soll von Tirpitz denn ja auch in böser Vorahnung mal gefragt worden sein: "Was machen Sie eigentlich, wenn die [die Briten] nicht kommen?" (nur so am Rande: ich glaube, es gibt sogar einen Diskussionsteilnehmer, der seine Beiträge mit diesem Zitat unterschreibt).
Insofern ist die deutsche Strategie zur See eben nicht aufgegangen: Großbritannien konnte nicht von einem Kriegseintritt abgehalten werden und durch die Fernblockade war es der deutschen Hochseeflotte nur begrenzt möglich, die Royal Navy unter für die günstigen Bedingungen zu stellen. Vor allem lief man bei einem Einsatz der Flotte stets Gefahr, auf überlegene feindliche Kräfte zu stossen. Zusammenfassend kann man daher sagen, dass die Hochseeflotte, so wie sie im Ersten Weltkrieg bestand, zwar durchaus einen wichtigen Beitrag für die Kriegsführung Deutschlands geleistet hat, aber gemessen an den ursprünglichen Plänen war das überhaupt nicht die Form von Einsatz, die man sich vorgestellt hatte. Meine These ist die, dass vor dem Hintergrund des maßgeblichen Anteils der deutschen Flottenrüstung an der Verschlechterung der politischen Beziehungen zu Großbritannien vor dem Krieg hier ein bescheidenerer Ansatz zweckmäßiger gewesen wäre. Er hätte uns (möglicherweise) einen Kriegseintritt Großbritanniens erspart. Vor allem dann, wenn man die belgische Neutralität bei Kriegsausbruch respektiert hätte (alleine dieser Punkt ist schon wieder als eigenes Diskussionsthema bestens geeignet, sicherlich aber nicht unter dem Titel "Strategie der kaiserlichen Seestreitkräfte").


Das greift aber alles etwas über die "Strategie" hinaus.
Ab ca. 1911 war bekannt, dass die Briten auf die Fernblockade setzen würden. Die mit den vorhandenen Schiffen nicht bekämpft werden konnte!
Hätte man eine Basis in Südnorwegen gebraucht.

Andererseits, es gab das Londoner Seerechtsabkommen.

Aber, wie gesagt, das ist alles Politik, keine Strategie.
 
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Die mit den vorhandenen Schiffen nicht bekämpft werden konnte!Hätte man eine Basis in Südnorwegen gebraucht.

Das realisierte man mit Verzögerung. Im Januar 1915 dampften die Köpfe, inkl. derjenige des Kaisers. Als Ergebnis wurde u.a. der "Linienschiffskreuzer" diskutiert, sowie GK1-GK3, schnelle Großkampfschiffe GK 4542, 4541.

Qualitäten im Überblick:
- schwerste Kaliber 35-38 cm
- Panzerung unterhalb der Bayern-Klasse, aber zB eindrucksvolle 300mm Barbetten- und Gürtelpanzer selbst bei den GKs
- Geschwindigkeit bis 30 kn
- 10.000 sm Reichweite bei 13kn, entspricht 7.500 Reichweite Kampfeinsatz inkl. Reserve.

Die Schiffe sollten nun den Kompromiß zwischen dem langsamen Großlinienschiff und dem weit operierenden Kreuzer darstellen, Kohle-/Ölfeuerung, dabei für beide denkbaren Gefechtslagen einsetzbar sein. In gewisser Weise waren das die Vorläufer von Z-Plan-Großkampschiffen (Schlachtschiff H, Schlachtkreuzer P).

Forstmeier/Breyer, Deutsche Großkampfschiffe 1915-1918.
 
Zuletzt bearbeitet:
An der Diskussion über Sieg oder Niederlage der Navy in der Skagerrakschlacht ist das Interessante, dass sie überhaupt stattfindet. Natürlich muss die größte maritime Macht ihrer Zeit ihren um nahezu die Hälfte unterlegenen Gegner bezwingen, wenn sie weiterhin die maritime Weltmacht bleiben will. Wenn sie allerdings in solch einen Szenario mehr als das Doppelte wie ihr Gegner verliert (nach dazu bei ihr günstigen Bedingungen), verliert sie diesen Status. So war es dann auch. Der Two-Power-Standard, marinepolitisches Credo der Engländer vor dem Weltkrieg, hatte keine Bedeutung mehr. Die Marinen der USA und Japans zogen an der Englands vorbei, ohne dass eine Gegenwehr des Empires möglich war.
Die Diskussion über Sieg oder Niederlage scheint mir eher eine innenpolitische zu sein. Z.B. bei der Bewertung des her mehrfach diskutierten „Todesritts“, einer etwa 5minütigen Aktion (derselbe Vorgang wird von dem Erlanger Historiker Diwald als „Bravourstück ohne Vergleich“ bezeichnet). Im Englischen hat dieser Begriff eine bestimmte Bedeutung. Ein Kavallerieangriff im Krimkrieg 1854 (Charge of the Light Brigade) wurde durch ein Gedicht zum Sinnbild einer militärisch aussichtlosen, mit großer Tapferkeit durchgeführten Aktion, die mit der völligen Vernichtung endet. Das sollte wohl auch der englischen Öffentlichkeit suggeriert werden. Militärische Beobachter dürften sich eher an den Tatsachen orientiert haben.

Bei dem Todesrit oder Bravourstück ging es darum, die zweite Gefechtskehrtwendung Scheers zu decken. Zusammen mit der Moltke haben die bereits stark demolierten Kreuzer Von der Tann, Seydlitz und Derfflinger das Feuer der englischen Linie auf sich gezogen. Derfflingers C-Turm (73 Tote) und D-Turm (80 Tote) wurde getroffen. Es gab eine Reihe weiterer Treffer, aber keiner der Kreuzer konnte versenkt werden. Nach der Schlacht schickte der Kapitän der Seydlitz von Egidy im Namen der Offiziere und Mannschaften ein Danktelegramm an Tirpitz wegen des ausgezeichneten Schiffsmaterials. Als die Kreuzer abdrehten, griff die Torpedobootflottille an. Auf diesen Angriff hin drehte Jellicoe von der Hochseeflotte ab - statt auf sie zu – um aus der Schusslinie zu kommen (diese Entscheidung Jellicoes ist die am meisten kritisierte Entscheidung des Admirals und die Kritik verfolgte ihn bis zum Lebensende). Den die gewählte Form des Ausweichens bedeutete nichts anderes als dass die Schlacht abgebrochen wurde. Es gab auch keinen Versuch mehr sie wiederaufzunehmen (bis zum Einbruch der Nacht waren noch eineinhalb Stunden Zeit). Kein deutsches Torpedo traf, bei Marborough, Colossus, Hercules, Agincourt, Iron Duke, Thunderer und Revenche liefen sie gefährlich nahe vorbei; die Engländer konnten die S 35 versenken. Solch ein Torpedoangriff hat nachts bessere Aussichten und er sollte auch nachts wiederholt werden. Dem wollte sich Jellicoe auf gar keinen Fall aussetzen. Nachts – so Jellicoe später in einem Schreiben an die Admiralität – hätte er vermutlich die Schlacht verloren. Er musste sich von der Hochseeflotte fernhalten. Damit gab es allerdings nicht mehr die Möglichkeit, die Hochseeflotte bei Tagesanbruch zu stellen.

Es ist nachvollziehbar, dass man für die Öffentlichkeit eine günstige Version dieser Ereignisse brauchte und mit einem „verzweifelten“ Angriff oder death ride meint man etwas gefunden zu haben. Jellicoe verlor seinen Posten als Befehlshaber der Grand Fleet und wurde Erster Seelord (die höchste Verwaltungsposition). Jellicoe – daran sei erinnert – wußte wie niemand sonst in der Navy die Deutschen einzuschätzen. Als Marineinspekteur hat er 1909 in einen Gutachten an die Admiralität auf die Überlegenheit der deutschen Schiffskanonen hingewiesen. Die englische Geschoßkommission nach der Skagerrakschlacht bestätigte die Ergebnisse. Seine Vorsicht war alo wohlbegründet.
 
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Das realisierte man mit Verzögerung. Im Januar 1915 dampften die Köpfe, inkl. derjenige des Kaisers. Als Ergebnis wurde u.a. der "Linienschiffskreuzer" diskutiert, sowie GK1-GK3, schnelle Großkampfschiffe GK 4542, 4541.

Qualitäten im Überblick:
- schwerste Kaliber 35-38 cm
- Panzerung unterhalb der Bayern-Klasse, aber zB eindrucksvolle 300mm Barbetten- und Gürtelpanzer selbst bei den GKs
- Geschwindigkeit bis 30 kn
- 10.000 sm Reichweite bei 13kn, entspricht 7.500 Reichweite Kampfeinsatz inkl. Reserve.

Die Schiffe sollten nun den Kompromiß zwischen dem langsamen Großlinienschiff und dem weit operierenden Kreuzer darstellen, Kohle-/Ölfeuerung, dabei für beide denkbaren Gefechtslagen einsetzbar sein. In gewisser Weise waren das die Vorläufer von Z-Plan-Großkampschiffen (Schlachtschiff H, Schlachtkreuzer P).

Forstmeier/Breyer, Deutsche Großkampfschiffe 1915-1918.


Die Briten haben ähnliche Überlegungen mit für die Ostsee geeigneten Großkampfschiffen gemacht.

Das muss man auch sehen, denen ihre See-Strategie ist auch nur zum Teil aufgegangen.
Weder Dardanellen noch Belte.
Und ich bezweifle sehr, dass die Mittelmächte den Krieg wegen der Seeblockade verloren haben.

Hätte man die Finger vom U-Bootkrieg lassen können, wer weiß ob nicht 1918 zumindest ein Remis-Friede möglich gewesen wäre.

Aber OK, Onkels Brust:pfeif:
 
thesen als fazit

1. Die Strategie der kaiserlichen Marine ist im 1. WK bezüglich der Hochseeflotte aufgegangen.

2. Rußland wurde fast völlig blockiert, was mit Sicherheit maßgeblich zum "Kriegsaustritt" beigetragen hat.

3. Die neutralen Niederlande, Dänemark, Norwegen, Schweden konnten draußen gehalten werden.

4. Am Skagerrak wurde dies bestätigt. Den Briten, dass die Brechung der Ostsee-Blockade nicht möglich ist, den Deutschen dasselbe für die Blockade der Nordsee.

Eine Bewertung der Leistungsfähigkeit der Marine ist sicherlich nicht einfach. Am sinnvollsten ist es vermutlich, die einzelnen „Schauplätze“ einzelnd zu betrachten. Im Vordergrund steht dabei die Frage, was hätte die Marine eigentlich leisten müssen vor dem Hintergrund des Anspruchs von Deutschland, als Weltmacht agieren zu wollen. Betrachtet man die Situation im Jahr 1918, dann wird ersichtlich, wie unterschiedlich eigentlich die Protagonisten die Rolle der Marine - rückwirkend - interpretiert haben.

Bei Wilhelm 2 wird eine deutlich Abwendung von der "Hochseeflotte" berichtet und für ihn hat die "Hochseeflotte" im wesentlichen nur noch eine politische Bedeutung, deren Bedeutung über den Krieg hinausragt.

Die Marineleitung ist eher frustiert angesichts der geringen Rolle, die das Instrument "Hochseeflotte" gespielt hat und versucht historisch wenigstens ihre "Ehre" durch eine militärisch völlig unsinnige "Todesfahrt" zu rechtfertigen.

Das Heer sieht sich in seiner Einschätzung der "Hochseeflotte" bestärkt und jammert den potentiellen Armee-Korps hinterher, die man statt der Flotte hätte ausrüsten können. Vielleicht wäre dann ja der "rechte Flügel" stark genug gewesen 1914.

Im Urteil der - mir bekannten und gelesenen - Historiker ergibt sich fast einhellig der Tenor: Die Marine - und inbesondere die "Hochseeflotte" - hat die hohen Erwartungen nicht erfüllt, die man an sie gestellt hat. Die U-Bootwaffe hat einen Achtungserfolg erzielt.

Versucht man den Anspruch der Marine und seine Erfüllung zu untersuchen, dann ergeben sich eine Reihe von zentralen Aspekten. Aus den mir vorliegenden Einschätzungen durch kompetentere Historiker möchte ich ein Fazit ziehen. Ich bitte es zu entschuldigen, wenn ähnliche Meinungen im Forum bereits gepostet wurden.

1. Nordsee:
Verteidigung:
- Anspruch: Verteidigung der heimischen Gewässser bzw. Küste gegen Eindringen und Landungen
- Realisierung: hervorragend gelöst.
Handelsstörung:
- Anspruch: Beherrschung der „Deutschen Bucht“ und der nördlichen Norsee. Im besonderen die Unterbindung von Transporten von Norwegen zu den britischen Inseln. Überwasserkräfte nicht ausreichend, U-Boot-Waffe viel zu spät das Potential erkannt und dann in nicht ausreichender Menge bereit gestellt.
- Realisierung: Sporadisch. Es sind wenige Vorstöße mit schnellen Seestreiträften unternommen worden, um diese Verbindung systematisch zu stören.
Handelssicherung
- Anspruch: Diesen Bereich so absichern, dass es Blockadebrechern gelingt über die Nordroute ins Reich zurück zu kehren.
- Realisierung: Eher gering, da die Marine zu keiner Zeit die nördliche Nordsee kontrolliert hat. Erst im Bereich der Deutschen Bucht / Helgoland konnte von einer Beherrschung gesprochen werden.
Urteil: GB ist deutlich überlegen. MarineStrategie weitgehend fehlgeschlagen

2. Ostsee
Verteidigung:
- Anspruch: Verteidigung der heimischen Gewässser bzw. Küste gegen Eindringen und Landungen
- Realisierung: hervorragend gelöst. Allerdings mit dem Schönheitsfehler, dass die Vermienung des Kattegats durch die Dänen das Eindringen der Engländer zwar verhindert hat, aber die Optionen der Marine auch deutlich beschränkt hat.
Handelsstörung:
- Anspruch: 1. Unterbindung der Zulieferung von Material nach Russland. 2. Direkt Belieferung Englands durch schwedisches Erz.
- Realisierung: Beide Aspekte optimal gelöst
Handelssicherung
- Anspruch: Eigene Seewege in der Ostsee schützen.
- Realisierung: Erfolgreich gelöst
amphibische Aktionen:
- Anspruch: Durch amphibische Aktionen den Zusammenbruch der russischen Front beschleunigen.
- Realisierung: Die wenigen nennenswerten amphibischen Operationen wurden in der Ostsee durchgeführt (z.B. erfolgloser Landungsversuch bei Ösel) .
Urteil: Deutsches Reich ist beherrschende Seemacht in der Ostsee.

3. Atlantik:
Verteidigung / Seemachtsdarstellung:
- Anspruch: Nach erfolgreicher „Vernichtungsschlacht“ mit den verbleibenden Teilen der Marine in den Atlantik vorstoßen als Teil der Handelssicherung und –störung-Strategie.
- Realisierung: Über die Planung hinaus kam es zu keinen nennenswerten Aktionen.
Handelsstörung:
- Anspruch: Mit Überseestreitkräften und später in zunehmendem Maße mit U-Bootstreikräften den Handel der Alliierten stören.
- Realisierung: Der Erfolg kann vermutlich in drei Phasen dargestellt werden. 1. Phase: geringer Erfolg aufgrund einer nur geringen Aussatttung der Marine mit U-Booten. 2. Phase: Bedrohliches Anwachsen des Erfolgs bei der versenkten Tonnage 3. Phase: Deutliche Verringerung der versenkten Tonnage aufgrund der Stagnation der U-Bootwaffe und aufgrund der Versorgungsprobleme.
Handelssicherung
- Anspruch: Sicherung der Handelswege für Blockadebrecher.
- Realisierung:Nicht vorhanden
Urteil: Übergewicht der Alliierten, obwohl der Erfolg der U-Bootwaffe alle kriegsführenden Nationen überrascht hat. Versagen der Überwasserstreitkräfte im Atlantik,

4. Kanal
Verteidigung / Seemachtsdarstellung:
- Anspruch: Nach erfolgreicher „Vernichtungsschlacht“ mit den verbleibenden Teilen der Marine den Kanal kontrollieren als Teil der Handelssicherung und –störung-Strategie.
- Realisierung: Von einzelen Aktionen der Bombardierung der englischen Südküste, die keine wirkliche militärische Bedeutung hatten, abgesehen, gab es für den Kanal keine eigenständige maritime Strategie. Einer der folgenschwersten Fehler, wie ich persönlich finde.
Handelsstörung:
- Anspruch: Unterbindung des direkten lebenswichtigen Nachschubs für die englischen und französischen Streitkräfte
- Realisierung: Es kam zu keiner systematischen Behinderung des kanalverkehrs, auch nicht durch U-Boote oder durch Minen.
Handelssicherung
- Anspruch: Die Sicherung der Durchfahrt von Blockadebrechern.
- Realisierung: Konnte nicht geleistet werden
amphibische Aktionen:
- Anspruch: Unterstützung der Umfassung des linken Flügels der französischen Armee durch Anlandungen bzw. logistische Unterstützung der deutschen 1. Armee.
- Realisierung: Fehlanzeige. Keine Planungen vorhanden. Marine hat sich nicht um die Strategie des Heeres gekümmert.
Urteil: Übergewicht der Alliierten, keine Strategie der Marineführung vorhanden und auch keine entsprechenden Marineeinheiten verfügbar für den „kleinen“ Marinekrieg.

5. Mittelmeer /Schwarzes Meer
Verteidigung / Seemachtsdarstellung:
Durch das Überlassen großer „Einheiten“ an das Osmanische Reich konnte der Bosporus gesichert werden und so die südliche Verbindung zwischen den Alliierten und Russalnd unterbunden werden.
Handelsstörung:
- Anspruch: Mangels Stützpunkten kein wesentliches Potential vorhanden.
- Realisierung: ???? keine Ahnung
Urteil: Sicherlich hätte ein Engagement der Marine im Mittelmeer das Potential des DR überfordert. Dennoch wäre ein U-Bootkrieg sicherlich auch in diesem Teil sehr effektiv gewesen. Insgesamt ein deutliches Übergewicht der Alliierten.

6. Indischer Ozean / Pazifik
Verteidigung / Seemachtsdarstellung:
- Anspruch: Die Geltung der Seemacht Deutschlands unter Beweis stellen.
- Realisierung: Das Auftauchen des Kreuzergeschwaders führte dazu, dass von der Homefleet, 3 Schlachtkreuzer abgezogen werden mußten. Ein besser ausgebautes System von Flottenstützlunkten und von Marinestreitkräften hatte England gezwungen, seine Streitkräfte wesentlich stärker zu zersplittern als das DR.
Handelsstörung: s.o.
Handelssicherung
- Anspruch: Die Handelswege sichern
- Realisierung: Nicht umgesetzt
Urteil: Ein deutliches Übergewicht der Alliierten

Aus der Vielzahl der Schauplätze, die durch eine Flottenpräsenz erobert und gesichert werden sollten, wird die Komplexität der Aufgaben, die an die Marine im Deutschen Reich gestellt wurden, deutlich. Es wird aber auch deutlich wie sich die Hybris der „Weltpolitik“ jenseits der erreichbaren Möglichkeiten des Deutschen Reichs bewegt haben.

Insgesamt sollte viel gewollt werden, ohne dass man sich im klaren war über die Begrenzungen des Deutschen Reichs in wirtschaftlicher, politischer und militärischer Hinsicht. Ein Vorgang, der sich auf fatale Weise im WW2 wiederholte.

Diese Überforderung wird umso deutlicher, wenn man sich die Situation im Jahr 1914 auf dem Kontinent vergegenwärtigt und die Gefahr sieht, dass das DR durch die intensiven Rüstungsanstrengungen von Russland und von Frankreich bereits relativ an militärischer Macht im Jahr 1914 verloren hatte.
 
Um zum Grundthema ein paar Schlagworte einzuwerfen.

Es gibt in der Strategie der kaiserlichen Marine drei Zeitabschnitte, indem sich gerade diese strategische Ausrichtung jeweils Komplett anders darstellt.

In dem ersten Zeitabschnitt von 1871 - Mitte 1890 liegt die Ausrichtung der Strategie eindeutig nach der in Fachkreisen benannten preußischen Schule. Hierbei wird die Marine als verlängerter Arm des Heeres betrachtet und ist in diese Grundkonzeption zum Küstenschutz ausgelegt. Hier hinzukommen die ersten erforderten Einheiten zum überseeischen Schutz deutscher Handelsvertretungen sowie späteren Kolonien.

In dem zweiten Zeitabschnitt von 1898 – 1916 bekommt die Ausrichtung der Strategie der kaiserlichen Marine durch gesellschaftliche, politische und personelle Einflüsse neue Wege.
Im Allgemeinen zieht der internationale Imperialismus und das Weltmachtstreben verschiedener Nation den für diese Zeit geprägten Navalismus mit sich. Dazu gehört auch Deutschland.
Diesen Prozess im Allgemeinen beschleunigt die Flottenpolitik der 1.Seemacht Großbritannien mit dem Naval Defense Act von 1889 sowie das „Propagandawerk“ Mahans Anfang der 90iger, das für das Seemachtsdenken neue Akzente setzt.

In Deutschland verschmilzt die preußische Schule zur neuen deutschen Schule, die nicht mehr nur ein Teil des Heeres darstellt, sondern ihre Eigenständigkeit erlangt, nicht zuletzt durch das Bestreben Kaiser Wilhelm II. Hinzu kommen die Gedanken des Initiators der großen kaiserlichen Marine, Tirpitz.
Durch ihn wird die deutsche Flotte zum politischen Machtinstrument, da hier die Strategie der Bündnisfähigkeit Deutschlands durch eine starke Flotte ins Auge gefasst wird. Hinzu kommt in dieser Zeitspanne die außenpolitische Schaustellung von Schlachtschiffen als Werbeträger der technologischen und wirtschaftlichen Größe einer Nation.

Im Einzelnen technischen Details versuchte man auch Strategien, wie die der Jeune École einfließen zu lassen, was aber an der Grundstrategie der Schlachtflotte und der großen Seeschlacht keine Änderung bewirkte.

Das Konzept mit der Risikotheorie als Basis für die Berechtigung der großen Flotte ging nachteilig für die deutsche Seemacht auf, da hier nicht der politische Erfolg der Bündnisfähigkeit griff und letztlich das Gegenteil bewirkte, das der Hauptgegner, Großbritannien, der Flottenpolitik in diesem Zeitabschnitt sich nicht zu Deutschland wand, sondern die Defensive der eigenen Flotte zusammen mit der geographischen schlechten Lage des Deutschen Reiches nutzte.

Dies führt zum letzten Zeitabschnitt von 1916-1918, indem die strategischen Grundelemente der Ära Tirpitz, wohl auch kriegsbedingt, über den Haufen geworfen wurden. Hier konzentrierte man sich Ausschließlich auf einen Handels-Seekrieg mit Ubooten.

Dieser Krieg zeigt letztlich, daß die Seemacht Deutschlands sehr gering war. Dieses Fazit können wir heute feststellen, aber zu behaupten, daß die Rüstung zur See um die Jahrhundertwende unsinnig und überflüssig gewesen sei, halte ich für Falsch. Denn aus damaliger Sichtweise, gab es gar keine andere Möglichkeit für Deutschland, als über das Medium Kriegsflotte im internationalen Standard politisch wie auch wirtschaftlich mithalten zu können. Dabei spielen die Personen wie Kaiser Wilhelm II oder Tirpitz nur die Rolle der Macher für das Wie, aber ich denke auch ohne diese beiden Personen, wär man in Deutschland um den Navalismus nicht umher gekommen, die Größe und Art diese Flotte sei mal dahin gestellt.
 
1. Nordsee:
2. Ostsee
3. Atlantik:
4. Kanal
5. Mittelmeer /Schwarzes Meer
6. Indischer Ozean / Pazifik


Deine Aufstellung ist zweifelsohne sehr interessant, dient aber zur Fragestellung der Strategie der kaiserlichen Marine nicht. Sie dient lediglich als Fazit des Einsatzes der Flotte im 1.WK.

Allerdings zeigt die Aufstellung sehr schön, welches das größte Problem der deutschen Flottenstrategie war, das geographische Problem der deutschen Flotte und die hervorragende geographische Lage des Hauptgegners Großbritannien. Und diese Problematik hatte Mahan schon erkannt, wohl hat man in der deutschen Strategie diesen Umstand ignoriert. Denn der Überseeeinsatz (Punkt 3, Punkt 5 und 6) war im Kriegszustand nicht möglich.

Letztlich war die deutsche Flotte eine starke Küstenschutzflotte, mehr nicht.
 
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