Warum darf Arminius kein deutscher Held sein?

Windhuk Lager

Mitglied
Hallo zusammen

Liest, sieht oder hört man heute über die Varusschlacht, Arminius oder die Geschichte der Deutschen habe ich das Gefühl, dass immer noch oft persönliche politische Einstellungen, die geschichtlichen Argumente stark beeinflussen und daher meine Frage:

„Warum darf Arminius kein Deutscher und schon gar kein deutscher Held sein?“

Ich meine die Antwort ist eigentlich klar, da es damals noch kein Deutschland und schon gar keine Deutschen gab logisch!
Dennoch glaube ich hat die Varusschlacht oder besser gesagt die Schlachten von Arminius gegen die Römer, doch eindeutig einen Einfluss auf die weitere Entwicklung in Germanien gehabt. Die Schlacht von Alesia hatte doch auch eine einschneidende Wirkung auf die weitere Entwicklung in Gallien und dadurch zwangsläufig auch auf das spätere Frankreich. Meiner Meinung nach haben diese beiden Ereignisse zumindest eine spätere Entwicklung vorbereitet.

Die Germanen hatten meine Wissens kein gemeinsames „Wir“ Gefühl, dennoch glaube ich vergleicht man einmal beispielsweise die Entwicklung der Indianer beim Kontakt mit den „Weißen“, könnte ich mir auch für die germanischen Stämme ein Zusammenrücken beim Auftreten einer fremden Macht vorstellen. (vergleichbares Zusammenfinden gibt es noch häufiger zu beobachten wenn eine Bedrohung von außen auftritt)
Das macht Arminius sicher nicht zum „ersten Deutschen“ aber ich denke doch, dass die römische Expansion hier deutlich an ihre Grenzen stieß und Germanien letztendlich nicht den gallischen Weg ging.
Wie wichtig die Varusschlacht letztlich im römischen Imperium gesehen wurde kann ich nicht beurteilen, aber ich könnte mir vorstellen das letztlich der „Kosten Nutzenfaktor“ einen Rückzug aus den geplanten Provinzen auslöste. Ich meine der Irak wird die USA voraussichtlich militärisch auch nicht mehr besiegen können, aber ich denke das Herr Obama, mit seinen Truppen, lieber heute als morgen dieses Land verlassen möchte.

Solche fragen gehen wie gesagt schnell ins politische, aber für mich hat die Politik hat die Geschichte lange genug missbraucht, daher würde mich interessieren wie ihr solche „gordische Knoten“ für euch löst?

Schönen Gruß Steffen
 
Darf er doch.

Er war lange Zeit ganz offiziell ein deutscher Held, über zwei Jahrhunderte hinweg. Auch heute ist er für viele ein deutscher Held. Selbst in der populärwissenschaftlichen Literatur sind die Verweise auf seine "Nichtdeutschheit" eher pflichtbewusst denn überzeugt.

Rein prinzipiell, da hast du völlig recht, kann er natürlich ein eben solcher nicht gewesen sein, da es ein Deutschland zu seiner Zeit noch gar nicht gab. Genauso müsste man Caesar als italienischen Helden ansehen oder Hannibal als tunesischen.

Ich für meinen Teil muss diesen Knoten nicht lösen, da es für mich keiner ist. Eine geschichtliche Persönlichkeit wirkt chronologisch in eine Richtung. Ihn von der anderen Seite her (chronologisch rückwärts) geschichtlich verknüpfen zu wollen mag zwar psychologisch naheliegend sein, widerspricht aber der Natur der Geschichte.
 

„Warum darf Arminius kein Deutscher und schon gar kein deutscher Held sein?“

Du hast die Frage natürlich geschickt formuliert, so daß die Gegenmeinung gegen den Mythos gleich mit dem Stigma der notorischen Verneiner behaftet ist. Und da ist ja auch etwas dran. Jeder geschichtliche Dekonstruktivismus produziert, wenn er zu missionarisch betrieben wird, nur arrogante leere Blätter und hebt sich am Ende sogar selbst auf. Der Dekonstruktivismus an sich erklärt ja nichts, und um überhaupt produktiv zu sein, muß er irgendwann die Kurve bekommen und in eine positive Erklärung dessen umschlägt, was ist. Womit er natürlich selbst wieder angreifbar wird. Das heißt konkret, daß eine dekonstruktivistische These, die sich alleine am 'Deutschen' Hermann abarbeitet, aber weder erklärt, was er denn also stattdessen war, und warum er eine so große Rolle im deutschen Nationalbewußtsein spielt, es nicht einmal wert ist, durchgelesen zu werden.
 
Dennoch glaube ich hat die Varusschlacht oder besser gesagt die Schlachten von Arminius gegen die Römer, doch eindeutig einen Einfluss auf die weitere Entwicklung in Germanien gehabt. Die Schlacht von Alesia hatte doch auch eine einschneidende Wirkung auf die weitere Entwicklung in Gallien und dadurch zwangsläufig auch auf das spätere Frankreich. Meiner Meinung nach haben diese beiden Ereignisse zumindest eine spätere Entwicklung vorbereitet.
Das Beispiel Alesia finde ich hier ungeeignet. Die Folge war ja die endgültige Eroberung Galliens und somit der Wirkende Cäsar. Wo ist der französische Held, der wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung nahm?
Solche fragen gehen wie gesagt schnell ins politische, aber für mich hat die Politik hat die Geschichte lange genug missbraucht, daher würde mich interessieren wie ihr solche „gordische Knoten“ für euch löst?
Indem ich nur historische Fragestellungen für die Geschichte nehme, wenn mir keine Politik hineinfunken soll (oder sie dies vielmehr möglichst wenig tun soll, denn es völlig auszuschließen ist unmöglich)
Eine solch moralische Frage wie Du sie aufwirfst, halte ich nicht für die Aufgabe eines Historikers. Dieser könnte fragen "Wurde Arminius für einen deutschen Helden gehalten (mit zeitlicher Konkretisierung) und verwendet die Argumentation dafür historische Gründe auf eine triftige Weise" oder könnte überprüfen welche Definition von Held oder Deutsch auf ihn zu treffen.
 
Wie vorbelastetet "wir Deutschen" bei all diesen Themen sind, hiabe ich gerade amüsiert bei der Entdeckung dieses Threads festgestellt, dessen Thema in Verbindung mit deinem Benutzernamen gleich sämtliche Alarmglocken hat klingeln lassen. Umsonst, wie ich beim ersten Lesen feststellte. Aber es zeigt doch mal auf erheiternde Weise, wie trainiert man ja schon fast ist und wie viele Synapsen in einer Lebenszeit zwischen bestimmten Schlagworten und dem Terminus "Nazi" gespannt wurden.

Soviel zur Einleitung.

Ich finde den Ansatz dieses Themas recht gut und die Frage darf im Zuge des Varus-Hypes (ja, warum nicht Arminius-Hype?) auch ruhig gestellt werden. Land ab, Land auf wird pflichtbewusst postuliert, dass "unser Hermann" ja kein Deutscher war und die Varus-Schlacht ja auch eigentlich keine Zäsur der Geschichte darstellte, also völlig unwichtig war. Irrationalerweise wird man in Buchhandlungen mit neuen Büchern zum Thema förmlich erschlagen, zumindest hier in Hamburg prangen riesige Plakate mit den Konterfeis von Augustus und Hermann: IMPERIUM KONFLIKT MYTHOS!

Ich persönlich verstehe nicht, warum einerseits ein so emsiges Huibuh um eine Sache betrieben wird, die auf der anderen Seite so zurechtgestutzt wird, dass einem Angst und Bange wird.
Anstatt die Figur des Hermanns/Arminius zu entmythologisieren, sollte man dem Mythos doch lieber einen neuen Anstrich, eine Frischzellenkur geben. Ihn wieder ins positive Licht rücken. Das würde der deutschen Identität sicher nicht schaden und eine Gefahr geht davon sowieso nicht aus. Geschichte ist doch auch immer das, was der gegenwärtige Mensch daraus macht. Also eine Rückschau auf vergangene Dinge mit dem damit verbundenen Lerneffekt.

Und wenn man das im Hinterkopf behält, dann kann Hermann/Arminius doch das sein, was er meiner Meinung nach auch sein sollte: Jemand, der sich aufgelehnt hat gegen Unrecht und Fremdbestimmung. Ein gemeinsamer Vorfahre, der mit einem großen Sieg in der Geschichte auftauchte und auf dem man sich ohne Schande berufen kann. Auf den man die Worte "Einigkeit und Recht und Freiheit" als Leitsätze der Bundesrepublik anwenden könnte, ohne dass nationalsozialistische oder völkische Untertönde mitschwingen.

Vielleicht hat Arminius nur aus eigenem Interesse gehandelt. Aus Machtgier. Oder aber er hatte eine pangermanische Vision. Wir wissen es nicht. Jedenfalls hat er lange und hart, mit persönlichen Opfern für seine Ziele gekämpft. Und Tacitus nannte ihn "ohne Zweifel den Befreier Germaniens".

Und so sollte er meiner Meinung nach positiv aufgenommen werden, als ein Beispiel und Vorbild für das Gute im Menschen, für die Freiheit und für den Willen das eigenen Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Ein bisschen von diesem Mut würde uns heute auch ganz gut tun.

Ich verbleibe also mit besten, cheruskischen Grüßen,

Skald
 
@ Skald: mich stört bei der Rezeption immer ein wenig, dass wir so wenig über Arminius wissen. Einerseits ist er noch einer der "bestüberlieferten" Germanen, inklusive seiner engeren und weiteren Familie. Andererseits erfahren wir über sein Denken, Handeln und seine Persönlichkeit nicht viel. Der Diskurs könnte weniger auf die Figuren Varus und Arminius zugespitzt sein.

Zu den Mythos-Überlegungen: wer ernsthaft geschichtlich forscht - sei es beruflich, sei es als Hobby - für den ist die Vereinnahmung von Arminius als "deutschem Helden" kaum zu akzeptieren. Nicht zuletzt, weil in der Ausbildung die Frage nach dem Ursprung der Deutschen häufig angeschnitten wird.
So war ich auch erstaunt über die weitgehenden Interpretationen, mit denen sich Alexander Demandt in einem Interview Anfang des Jahres regelrecht aus dem Fenster lehnte und die ganz im Sinne der altmodisch-historistischen Perspektive auf die Germanen war.
Als Freiheitskämpfer kann man ihn durchaus sehen. Für mich stellt sich aber die Frage - unabhängig vom Komplex "deutsch oder nicht" - was uns überhaupt mit Arminius verbindet, also wie das Symbol Varusschlacht sich mit Leben füllt. In den 50er Jahren gab es eine nicht zuletzt von der FDP geförderte Hermannsschlacht-Renaissance; man nutzte die Schlacht und das Hermannsdenkmal geschichtspolitisch mit gegen die DDR Gedenkfeiern; dabei spielte der 17. Juni 1953 eine große Rolle.
Heute sehe ich schon Schwierigkeiten darin, die Varusschlacht politisch, geschweige denn kulturell zu verwerten. Es bleibt ein schaler Beigeschmack dabei, dass der ganze Trubel um die Varusschlacht letzendlich noch immer keinen anderen Zweck hat, als einen deutschen Gründungsmythos weitgehend in die Vergangenheit zurück zu verlegen. Dann doch lieber der Rückgriff auf Vorbilder, von denen wir einfach mehr wissen.
 
@ Skald: mich stört bei der Rezeption immer ein wenig, dass wir so wenig über Arminius wissen. Einerseits ist er noch einer der "bestüberlieferten" Germanen, inklusive seiner engeren und weiteren Familie. Andererseits erfahren wir über sein Denken, Handeln und seine Persönlichkeit nicht viel. Der Diskurs könnte weniger auf die Figuren Varus und Arminius zugespitzt sein.
Hier stellt sich doch die Frage, warum wir in der Vergangenheit forschen und wozu. Der eine wird hier sicher antworten: Um der Dokumentation willen. Der Andere: Um der Interpretation willen. Und ein Dritter mag sagen: Um etwas aus der Vergangenheit zu lernen und um etwas über uns selbst zu erfahren. Und wenn ich aus Arminius Geschichte eine positive Bilianz ziehe...warum kann diese dann nicht postuliert werden?

Heute sehe ich schon Schwierigkeiten darin, die Varusschlacht politisch, geschweige denn kulturell zu verwerten. Es bleibt ein schaler Beigeschmack dabei, dass der ganze Trubel um die Varusschlacht letzendlich noch immer keinen anderen Zweck hat, als einen deutschen Gründungsmythos weitgehend in die Vergangenheit zurück zu verlegen. Dann doch lieber der Rückgriff auf Vorbilder, von denen wir einfach mehr wissen.
Ist das nicht letztenendes eine Geschmackssache? Immerhin kommen wir mit 9 nuZ. in einen Zeitbereich, in dem wir zum ersten Mal in größerem Umfang schriftliche Quellen auffinden, die die Einwohner des späteren Deutschlands beschreiben. Früher anzusetzen macht für mich aufgrund fehlender Quellen wenig Sinn, aber hier wissen wir halt von den Germanen, die später unzweifelhaft den Hauptkristallationskeim für die deutsche Ethnogenese darstellen. In einer Chronologie der "Deutschen" könnte man hier also auch problemlos mit den ersten, gesicherten Fakten arbeiten.

9 nuZ. finde ich derweil garnicht so unglaublich weit zurückgerechnet. Es geht hier ja auch nicht um einen "Vergleich", wer die ältesten Wurzeln hat, das ist Schwachsinn. Der Sinn ist eher in einer allgemein anerkannten, eigenen und identitätsstiftenden Verortung der eigenen Geschichte zu suchen, die ich persönlich für abhanden gekommen und deshalb als erstrebenswert erachte.

Besten Gruß,

Skald, der gewissenhaft forscht
 
wer ernsthaft geschichtlich forscht - sei es beruflich, sei es als Hobby - für den ist die Vereinnahmung von Arminius als "deutschem Helden" kaum zu akzeptieren.
Wenn man mit "Vereinnahmung" nicht besonderes Pathos oder Geschichtsklitterung der Art meint, Arminius hätte für ein geeintes Germanien gekämpft - dann halte ich die Bezeichnung "deutscher Held" für durchaus akzeptabel.
Auch wenn natürlich "deutsch" eine viel spätere Konzeption ist.

Denn so wenig wir über ihn und seine Motive wissen: Seine Bedeutung war auf jeden Fall nicht auf seinen eigenen Stamm beschränkt, sondern er ist eine wichtige Bezugsfigur für eine ganze Reihe von germanischen Völkerschaften in "Germania libera". Und es gibt eine historische und sprachliche Tradition zu den Stämmen, die später dann den deutschen Staatsverband begründeten.

Es bleibt ein schaler Beigeschmack dabei, dass der ganze Trubel um die Varusschlacht letzendlich noch immer keinen anderen Zweck hat, als einen deutschen Gründungsmythos weitgehend in die Vergangenheit zurück zu verlegen.
Da gebe ich Dir völlig recht, das wären Überinterpretationen.
Und mit politischer Ausschlachtung wird es noch peinlicher.

Aber es ist halt umgekehrt nicht so, daß Franken und Sachsen des 9. Jahrhunderts vom Mars kommend ins heutige Deutschland gebeamt worden wären. Für die gehörte Arminius zur gemeinsamen Vorgeschichte, ohne ihn hätten sie ihn einer romanisierten Provinz gelebt.

Mal als Beispiel:
Eigentlich ist allgemeiner Konsens, daß Konfuzius ein chinesischer Philosoph war. Es ist bestimmt keine Vereinnahmung, wenn ihn die Chinesen von heute ganz prominent zu ihrem historischen Erbe rechnen.

Dabei war zu seinen Lebzeiten von einem chinesischen Reich noch gar keine Rede, er lebte in Lu, einem gegenüber den anderen alten Reichen ähnlich selbständigen Staat wie es die Cherusker gegenüber den anderen germanischen Stämmen waren.

Erst Jahrhunderte später formten die diversen Völkerschaften und Königreiche dieses Gebiets einen gemeinsamen Staat und die "eigentliche" chinesische Geschichte begann.
 
Natürlich ist es Schwachsinn, Arminius und die Varusschlacht zu nehmen einen Angriff oder eine Antipathie gegen den "Erzfeind" Frankreich zu begründen.
 
Unter den Aspekten, mit denen R. A. Konfuzius einen chinesischen Philosophen nennt, mag man auch den Arminius einen deutschen Helden nennen. Ohne Zweifel gehört er zum deutschen Erbe und zur Geschichte der Deutschen, nur lastet auf der Figur mehr ideologische Befrachtung als im Hamburger Hafen Container stehen, weshalb es mich eigentlich wundert, dass das 2009er Konzept gleichberechtigt "Imperium Konflikt Mythos" heisst und nicht "imperiumkonflikt MYTHOS MYTHOS MYTHOS".

Denn nicht das Deutschsein (oder: deutsche Nachfahren haben) ist das Problem am Arminius, sondern das Heldsein. Hier geraten wir an individuelle Terminologien, die sehr weit auseinanderdriften können, wen oder was man als Heldin und Held bezeichnet. Ein wirklich sämtlicher im Lauf der Zeit angedichteter Tugenden geschälter Arminius hätte da echt Schwierigkeiten.
 
Der Sinn ist eher in einer allgemein anerkannten, eigenen und identitätsstiftenden Verortung der eigenen Geschichte zu suchen, die ich persönlich für abhanden gekommen und deshalb als erstrebenswert erachte.
Besten Gruß,
Skald, der gewissenhaft forscht

Hier liegt mE der Knackpunkt.

Der Aussage stimme ganz zu. Aber provokativ gefragt: welches Gewicht hat mit diesem sinnstiftenden Anspruch (allgemein anerkannte Verortung der Geschichte) eine Historie, die 95% nicht interessiert, und weitere 4% einige Minuten beim Lesen eines Magazin-Artikels? Die Reduktion solcher Größenordnungen in der jüngeren Vergangenheit erfolgte auch nur unter besonderen "Rahmenbedingungen", man könnte/sollte daher auch den Anspruch an die Gegebenheiten anpassen.


Von daher würde ich Ashigaru zustimmen:
Dann doch lieber der Rückgriff auf Vorbilder, von denen wir einfach mehr wissen.

... und die historisch näher liegen. Ein Identitätsproblem?
 
Hier liegt mE der Knackpunkt.

Der Aussage stimme ganz zu. Aber provokativ gefragt: welches Gewicht hat mit diesem sinnstiftenden Anspruch (allgemein anerkannte Verortung der Geschichte) eine Historie, die 95% nicht interessiert, und weitere 4% einige Minuten beim Lesen eines Magazin-Artikels? Die Reduktion solcher Größenordnungen in der jüngeren Vergangenheit erfolgte auch nur unter besonderen "Rahmenbedingungen", man könnte/sollte daher auch den Anspruch an die Gegebenheiten anpassen.


Von daher würde ich Ashigaru zustimmen:


... und die historisch näher liegen. Ein Identitätsproblem?

Kommt doch auf die Perspektive an, ein römischer Ritter, der den eigenen Leuten in den Rücken fällt. Wie nennt man diese Leute gleich noch, achja Verräter. Ist übler Verrat ein Freiheitskampf oder stiftet er Identität. Letzteres kann sein, fragt sich wer gewinnt. Für eine Deutung der deutschen Nation bietet sich dieser "Held" nicht an, auch nicht Vercingetorix für die Gallier, Schapur für die Perser oder Cäsar für die Italiener von heute. Brauchen wir sowas? Wir haben Einstein, Kant, Hegel, Marx, Nietzsche, Schopenhauer, Beethoven, Kraftwerk, Otto den Grossen?
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Aber provokativ gefragt: welches Gewicht hat mit diesem sinnstiftenden Anspruch (allgemein anerkannte Verortung der Geschichte) eine Historie, die 95% nicht interessiert, und weitere 4% einige Minuten beim Lesen eines Magazin-Artikels? ....
...Von daher würde ich Ashigaru zustimmen:


... und die historisch näher liegen. Ein Identitätsproblem?

Was die meisten an Geschichte interessiert, sind nicht Fakten und Zahlen sondern die Geschichten von Menschen.
Und eine gute Story bieten Arminius und Varus allemal.
Da gäbe es viele Facetten küchenpsychologisch zu betrachten.
Ich habe den Kalkriesethread u.ä. nur nebenher verfolgt, deshalb mögt ihr mich korrigieren.
Ob Arminius ein Vorbild/Held ist, hängt für mich von seiner Motivation ab und da scheint mir vieles möglich.
Er könnte mit seiner Prägung in zwei Kulturen einen inneren Drang verspürt haben, sich bei seiner Familie und seinem alten Stamm Anerkennung zu verschaffen. Immerhin hat er seine römischen Karrierechancen aufgegeben.
Vielleicht war seine Karriere schon zu Ende, ich weiß nicht, welche Aufstiegsmöglichkeiten er noch gehabt hätte, er war enttäuscht und hat seine Chance zum größtmöglichen Vorteil für sich und seinen Stamm genutzt.
Vielleicht hat er die Behandlung seines Stammes als unerträglich wahrgenommen und konnte durch seine Kenntnisse Varus und die römischen Armee realistischer einschätzen.

Wie sicher ist überhaupt sein Aufenthalt als Geisel in Rom belegt?
 
Hallo zusammen,

ich danke euch allen für euere Beiträge, ich hatte wirklich ein bißchen Herzklopfen als ich dieses Thema erstellte, da man bei gewissen Themen schnell einen umfassenden Streit auslösen kann!!
Ich bin wirklich sehr positiv über den gepflegten und höflichen Umgang hier im Forum überrascht, ich kenne da auch andere Foren (Politik z.B.) Deswegen auch meine ins politische gehende Frage, ich habe mich ehrlich gesagt nicht getraut sie im Politikforum zu stellen bzw. ich sah keinen Sinn darin.
Wie bedeutend Arminius nun für die deutsche Geschichte war, muss meiner Meinung nach letztendlich jeder für sich entscheiden.
Mich persönlich freut es, dass ich das Gefühl habe, dass es heute wieder erlaubt ist Geschichte auch einmal zu interpretieren, ohne sie gleich zu instrumentalisieren und bei aller gegebenen Vorsicht!! das ganze für normal sterbliche (ich bin geschichtsinteressiert aber kein studierter Geschichtswissenschaftler) leichter begreifbar und verständlich zu machen, trotz aller Gefahren die Interpretationen ins sich bergen.
Würde man die Bibel nicht interpretieren dürfen, wäre der christliche Glaube heute wahrscheinlich nicht mehr praktizierbar.
Ich denke wir leben momentan, verglichen mit anderen Zeiten und das mag in fünf oder zehn Jahren wieder anders sein, in einer Zeit relativer Objektivität. ( sorry aber ist meine Meinung) Daher finde ich die momentanen Diskussionen auch so Spannend, da Sie die „Sache“ trotz aller Differenzen, durch neue Sichtweisen doch weiterbringen kann.
In der Astrophysik wird sehr häufig vorgedacht oder vorgerechnet und dann erst später bewiesen.
Ich denke ich habe mir ein Bild von Arminius gemacht, aber lasse mir natürlich Raum für neue Argumente, daher mag „mein“ Arminius in zehn Jahren wieder anders aussehen als heute.

Tut mir leid wenn das Ganze jetzt ein bisschen weit von der eigentlichen „Geschichte“ weg geführt hat, aber dieses Thema lag mir schon länger auf dem Herzen!

Tolles Forum!! Und vielen Dank euch allen noch mal
Gruß Steffen:winke:

[mod]Restbeitrag wurde kopiert nach http://www.geschichtsforum.de/f57/kolonialerbe-deutsches-bier-27731/ kopiert und thematisch angepasst. [/mod]
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
nur lastet auf der Figur mehr ideologische Befrachtung als im Hamburger Hafen Container stehen
Richtig.
Wobei diese Rezeptionsgeschichte vielleicht schon fast mehr in Vergessenheit geraten ist (bei der "normalen" Bevölkerung) als das Wissen um die Varusschlacht selber.

Denn nicht das Deutschsein (oder: deutsche Nachfahren haben) ist das Problem am Arminius, sondern das Heldsein.
Ich habe mit beiden Aspekten keine Probleme.
Er war ein charismatischer Anführer (sonst hätte er nicht so viele Mitstreiter aktivieren können) und ein erfolgreicher Heerführer.
Nach üblichen Maßstäben reicht das für "Held".

Wo ich eher bei Dir bin (vielleicht meintest Du das auch in erster Linie) ist die Skepsis, ob uns das noch was sagen sollte. Also der Aspekt "Vorbild".

Deutsche Helden gibt es viele, Arminius ist nur der erste. Aber die meisten deutschen Helden sind nur noch von historischem Interesse, bedeuten uns ansonsten nichts mehr.
 
Hier stellt sich doch die Frage, warum wir in der Vergangenheit forschen und wozu. Der eine wird hier sicher antworten: Um der Dokumentation willen. Der Andere: Um der Interpretation willen. Und ein Dritter mag sagen: Um etwas aus der Vergangenheit zu lernen und um etwas über uns selbst zu erfahren. Und wenn ich aus Arminius Geschichte eine positive Bilianz ziehe...warum kann diese dann nicht postuliert werden?

Nun, ich stehe da immer auf der Seite, die dokumentieren will. Ansonsten geht es ja weniger um die Bilanz von Arminius, sondern ob er ein Nationalheld sein soll.

Ist das nicht letztenendes eine Geschmackssache? Immerhin kommen wir mit 9 nuZ. in einen Zeitbereich, in dem wir zum ersten Mal in größerem Umfang schriftliche Quellen auffinden, die die Einwohner des späteren Deutschlands beschreiben. Früher anzusetzen macht für mich aufgrund fehlender Quellen wenig Sinn, aber hier wissen wir halt von den Germanen, die später unzweifelhaft den Hauptkristallationskeim für die deutsche Ethnogenese darstellen. In einer Chronologie der "Deutschen" könnte man hier also auch problemlos mit den ersten, gesicherten Fakten arbeiten.

9 nuZ. finde ich derweil garnicht so unglaublich weit zurückgerechnet. Es geht hier ja auch nicht um einen "Vergleich", wer die ältesten Wurzeln hat, das ist Schwachsinn. Der Sinn ist eher in einer allgemein anerkannten, eigenen und identitätsstiftenden Verortung der eigenen Geschichte zu suchen, die ich persönlich für abhanden gekommen und deshalb als erstrebenswert erachte.
Ich sehe es so, dass die Geschichte der Cherusker im Nichts endet, irgendwo um 100 n.Chr.
Ich finde schon, dass die Heroisierung des Arminius etwas erzwungenes hat. Ihn als Freiheitskämpfer sehen - das kann man. Aber in erster Linie wird er als der Mann rezipiert (wie eben kürzlich durch Demandt), der die Römerherrschaft im späteren Deutschland verhindert und dadurch ein späteres Deutschland erst ermöglicht habe. Er hat also die Besetzung und Transformation eines Landes verhindert, dass es noch gar nicht gab. Dies überhöht die Varusschlacht teleologisch als Ursprung Deutschlands und ist gleichzeitig eine eine so spekulative wie ahistorische Sichtweise.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn man mit "Vereinnahmung" nicht besonderes Pathos oder Geschichtsklitterung der Art meint, Arminius hätte für ein geeintes Germanien gekämpft - dann halte ich die Bezeichnung "deutscher Held" für durchaus akzeptabel.
Auch wenn natürlich "deutsch" eine viel spätere Konzeption ist.

Denn so wenig wir über ihn und seine Motive wissen: Seine Bedeutung war auf jeden Fall nicht auf seinen eigenen Stamm beschränkt, sondern er ist eine wichtige Bezugsfigur für eine ganze Reihe von germanischen Völkerschaften in "Germania libera". Und es gibt eine historische und sprachliche Tradition zu den Stämmen, die später dann den deutschen Staatsverband begründeten.

Ja, aber dass er Germane war, macht ihn ja noch nicht zum Deutschen. Denn schließlich stehen eine ganze Reihe von Völkern in der Nachfolge der Germanen oder waren germanisch beeinflusst.


Aber es ist halt umgekehrt nicht so, daß Franken und Sachsen des 9. Jahrhunderts vom Mars kommend ins heutige Deutschland gebeamt worden wären. Für die gehörte Arminius zur gemeinsamen Vorgeschichte, ohne ihn hätten sie ihn einer romanisierten Provinz gelebt.

Siehe dazu meinen vorigen Beitrag in dieser Diskussion. Einige Forscher davon gehen übrigens davon aus, dass eine romanisierte Lebensweise die Ethnogenese der Franken entscheidend beschleunigt hat; darüber lässt sich natürlich streiten.
 
Ansonsten geht es ja weniger um die Bilanz von Arminius, sondern ob er ein Nationalheld sein soll.
Das hatte ich nicht so verstanden.
Ein "Nationalheld", das hat in der Tat etwas mit Pathos, etwas mit nationaler Überhöhung, da wäre ich im Fall Arminius auch sehr skeptisch.

Dagegen ein "deutscher Held", das ist drei Etagen tiefer gehängt. Er gehört zur deutschen (Vor-)Geschichte, er ist "von Beruf" Held - paßt schon, weckt für mich keine großen Emotionen.

Aber in erster Linie wird er als der Mann rezipiert (wie eben kürzlich durch Demandt), der die Römerherrschaft im späteren Deutschland verhindert und dadurch ein späteres Deutschland erst ermöglicht habe.
Das ist ja technisch auch richtig, und das macht ihn für uns durchaus wichtig - weil sonst unsere Geschichte ganz anders gelaufen wäre (so anders, daß es wohl gar kein "unser" geben würde).
Falsch wäre jede Interpretation, Arminius hätte diese Wirkung im Sinn gehabt, natürlich war ihm "Deutschland" überhaupt kein Begriff.

aber dass er Germane war, macht ihn ja noch nicht zum Deutschen.
Jein.
Natürlich gab es zu seiner Zeit noch keine "Deutschen", aber er gehört schon in die historische Tradition.

Mal zum Vergleich: Die frühen Hohenzollern in Brandenburg waren selber keine "Preußen", gehören aber eindeutig zur Geschichte Preußens.

Denn schließlich stehen eine ganze Reihe von Völkern in der Nachfolge der Germanen oder waren germanisch beeinflusst.
Ja, aber wir reden hier ja auch von einer geographischen Kontinuität.

Einige Forscher davon gehen übrigens davon aus, dass eine romanisierte Lebensweise die Ethnogenese der Franken entscheidend beschleunigt hat ...
Halte ich für plausibel.
Und natürlich hat der jahrhundertelange Kontakt mit den römischen Nachbarn die germanischen Stämme stark geprägt und verändert.
Aber eben lange nicht so stark, als wenn sie römische Provinzialen geworden wären. Vor allem haben sie ihre Sprache behalten.
 
Wo ist der französische Held, der wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung nahm?
Dieser französische Held ist Chlodwig ( dort: Clovis), der in Frankreich als Begründer der französischen Nation gilt und dies bereits seit dem Mittelalter.
 
Wobei diese Rezeptionsgeschichte vielleicht schon fast mehr in Vergessenheit geraten ist (bei der "normalen" Bevölkerung) als das Wissen um die Varusschlacht selber.

Meinst du? Hoffnungsvoll. Meines Erachtens ist dem "Hermann" das Schicksal der Folklorisierung angediehen, aber nicht insofern, dass er zur Folklore wurde, sondern zum Gartenzwerg (wie jüngst in einem Beitrag des WDR gezeigt, in Detmold für 29,90 zu haben). Er wurde zum Kitsch-Erbe, so deutsch wie ein aufwändig dekorierter "Stein" oder eine Kuckucksuhr, oder wie die Tatsache, dass jede stolze Grünkohl-mit-Pinkel-Stadt mittlerweile ein Oktoberfest hat.

Wenn das dann auch noch ein Held sein soll ... ! Dann lieber gleich Asterix.
 
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