Von "Macedonismus", Historiographie und die Geschichte

.. Die Massaker, die die Osmanen veranstalteten, waren absolut ohne Ähnlichem im Europa dieser Zeit, ...

Ich würde die osm. Geschichte der Spätphase bis zum 1. Weltkrieg nicht als etwas sooo besonders darstellen wollen, oder die Stärke der Gewalt als etwas spezifisch osman. oder türkisches. Die Rezeption jener tragischen Ereignisse ist eben unterschiedlich intensiv, je nach historiographischem Hintergrund und Interessenschwerpunkt.

Zur Verdeutlichung noch einige Worte von Donald Quataert (googlgebook-link siehe oben):

"Let me begin with the assertion that there was nothing inevitable about these conflicts – all were historically conditioned, that is, produced by quite particular circumstances that evolved in a certain but not unavoidable manner. Other outcomes historically were possible but did not happen because of the way in which events unfolded. Nor, it is important to repeat, are these struggles ancient ones reflecting millennia-old hatreds. Rather, each can be explained with reference to the nineteenth and twentieth centuries, through the unfolding of specific events rather than inherent animosities of an alleged racial or ethnic nature. But because these contemporary struggles loom so large and because we assume that present-day hostilities have ancient and general rather than recent
and specific causes, our understanding of the Ottoman inter-communal record has been profoundly obscured."

Es fällt vielen vielleicht schwer, aber Aussagen müssen auch belegt werden, und alle Quellen lassen nur einen Schluss zu:

" In sum, the vast majority of Ottoman subjects in 1914 – of whatever religion and ethnicity – were not seeking to break away but instead retained their identities as Ottoman subjects."
Übersetzung:
"Zusammenfassend, die große Mehrheit der osm. Untertanen - egal welcher Ethnie und Religion - hatte 1914 kein Bedürfnis auszubrechen, sondern behielten ihre Identität als osman. Staatsangehörige."

Damit meint er auch die immer noch zahlreichen griech. und armenischen Einwohner des OR, nicht nur Araber, Türken, Georgier, Kurden, usw., trotz separatistischer Bestrebungen weniger, ja trotz Errichtung des griech. Nationalstaates.

Nur mal einige grausame Ereignisse, von denen du vielleicht noch nichts gehört hast, um darzustellen, dass zunehmende Gewalt und Brutalität im 19. Jh. nicht nur von den Türken zunahmen, weitere siehe auch das übernächste Zitat:

" Differences among subjects always existed but only sometimes, as seen, did these lead to conflicts and violence. But, as in all societies, communal bigotry, intolerance, and violence flared intermittently for different economic, social, and political reasons. Thus, after Greek Uniates left Greek Orthodoxy and established their own church in 1701, the “hostility of the Orthodox Christians towards these perceived renegades degenerated into threats, persecution and riots in which members of one Christian sect burned down the churches of another rite.”7 In another example, Orthodox Christians in Damascus, in 1840, found the mutilated bodies of a high-ranking cleric of the Spanish monastery and his servant near some Jewish homes. And so local Christians whipped up charges of the blood libel, saying that Jews needed Christian blood for their religious rituals, forcing the arrest and torture of some wealthy Jewish merchants. Similarly, when a Greek child drowned in a river near Izmir at Easter time, local Greeks blamed the Jews and began assaulting them. Both the scale and the frequency of violence among Ottoman communal groups increased during the nineteenth century. "

Und hier bettet er nochmal genau deine These von der "besonderen türkischen Gewalt" in einen breiteren historischen Kontext und widerspricht ihr:

"Peaceful relations among Ottoman subjects were the norm over most of the period and the Ottoman system worked relatively well for almost all of its history. [Diesen Satz zitierte ich ja schon eine Thread-Seite zuvor.] These statements, true as they are, will be passionately rejected by many. Images of the “Terrible Turk,” the “Bulgarian horrors” and the Armenian massacres resonate powerfully today, both in the historical imagination and the politics of the early twenty-first century. My goal here is to demystify the violence of the nineteenth-century Ottoman Empire, which certainly had its share of inter-communal strife, by placing it in its wider historical context. Overall, this violence should be understood as part of a global process that has given birth to nation states everywhere, including the Middle East, Europe, the United States, and east and south Asia. By contextualizing this violence, I do not seek to minimize or justify it."

"Ottoman Muslims had no monopoly on bringing death to their neighbors. As early as the 1840s, Maronite Christians and Druze in the Lebanon and Syrian regions began fighting one another. During the initial phases of the Greek war of independence, Orthodox Christian Greeks in 1821 slaughtered Ottoman Muslims in the city of Tripolis. In 1876, Christians in Bulgaria murdered 1,000 Muslims and triggered the Muslim slaughter of 3,700 Christians, the so-called “Bulgarian horrors” when the European press focused on Christian suffering but ignored that of Muslims. Further, Middle East violence was not confined to the nineteenth century. ... Likewise, the pages of American and European history are soaked in the blood of innocent, civilian, victims."

Auf Seite 70 fragt er:
" More specifically, to what extent was the nineteenth-century violence a necessary part of the process by which an area broke away and became a new state separate from the Ottoman Empire? In other words, was violence a necessary and endemic part of nineteenth-century separatist struggles?"

Lese bitte selber in googlebooks seine Antworten weiter nach. Ein wenig habe ich in der vorigen Thread-Seite in meinem langen Post schon das Thema zitiert. Möchte diesen nun nicht noch länger machen, da die meisten ihn wohl nicht lesen werden :grübel:, da ich seit langem immer dasselbe hier poste und mich wiederholen muss... :still:

:winke:
 
Und wenn mir jetzt noch wer erklärt warum Torbeschen und Goranen keine Pomaken sind oder doch, manchmal auch Türken sein möchte oder Bulgaren oder Kosovaren oder Mazedonier???:weinen:
Dazu steht was in meinem Link über deinen Post. Sind sie.
Mmhh, das PDF ist geschützt, ich kann nicht (ausser über Umwege) die entscheidenen Sätze kopieren. Lese bitte selber nach. Christliche Zwangskonversionswellen der Bulgaren trieben Teile der Pomaken in ihrer Identität in die Arme der Türken.
 
Das es auf beiden Seiten massaker gab, ist klar, aber wir reden hier von Europa, und in Europa gab es nun mal nichts vergleichbares. Im übrigen fingen die Osmanen mit der Gewaltspirale in Bulgarien an, nicht die Bulgaren.

Ansonsten nehme ich es so, wie es damals dieser Werte Herr im Aprilaufstand-Thread nimmt:

http://www.geschichtsforum.de/372736-post37.html
http://www.geschichtsforum.de/373984-post40.html

Die Christlichen Zwangskonversionen bulgarischerseits gab es aber genau 3-Mal, einmal nach dem 1.Balkankrieg, einmal im 2.Weltkrieg, einmal unter Todor Shivkov (und hier bezog man sich auf die Türken, die eine Autonomie errichten wollten, nicht auf die Pomaken.), bei den anderen 2 malen wurden die Konversionen bald zurückgenommen, und es war so wie vorher.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Sagt nichts gegen die Links von linxxx, die sind oft richtig gut, wenn auch zeitraubend. Über die eine oder andere Interpretation kann man allerdings streiten :winke:
 
kurze Statements werden ja wenig zur Kenntnis genommen. Lange, durch Lit.-Zitate belegte allerdings scheinbar auch kaum. :D

Vielleicht sollte ich mal einen Thread starten, mit den häufigsten Stereotypen/Klischees/veraltete Sichtweisen auf das OR, quasi eine FAQ, aber selbst dann bezweifle ich die Lust einiger die Ausführungen auch zur Kenntnis zu nehmen.
Sehe ich ja hier, wo weiterhin behauptet wird, dass in Europa nicht so eine Gewalt herrschte, wie bei den Osmanen, was ich oben schon widerlegte, es aber ignoriert wird.
Ich kann auch gerne mehr übersetzen, meldet euch einfach, ggf. per PN, ist ja nicht schlimm...
:winke:
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielleicht sollte ich mal einen Thread starten, mit den häufigsten Stereotypen/Klischees/veraltete Sichtweisen auf das OR ...

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass das, was ein Osmanist 10 Jahre nach einem anderen schreibt, allein deshalb eine "modernere Erkenntnis" repräsentiert.

Vielfach zeigt ein neue Publikation lediglich eine andere Facette, die keineswegs und unbedingt allein deshalb "weniger veraltet" oder "moderner" sein muss.

Ich kenne z.B. eine ganze Reihe neuer Publikationen anderer historischer Disziplinen, die wissenschaftlich und methodisch hinter das zurückfallen, was zwanzig oder gar 30 Jahre zuvor geschrieben wurde.

Also: Neuer und deshalb "moderner" ist oft ein Mythos!
 
Stimmt, "neuer" muss inhaltlich neuer sein, nicht nur vom Datum des Buches. Veraltete Sichtweisen müssen inhaltlich widerlegt und von der Mehrzahl der Gelehrten bestätigt worden sein. (z.B. osm. "Weiberherrschaft" = Grund für Niedergang-> ersetzt durch neue Deutung seit min. 15 Jahren, etc.)
 
Klaus Kreiser, Donald Quataert, Daniel Goffman, Leslie Pierce, Markus Koller, Caroline Finkel, Christoph Neumann, usw.
 
Naja, aus dem lynxx'schen Link bin ich auch nicht viel schlauer geworden, nun kann ich noch zu den Pomaken, Goranen und Torbeschen noch Apovcen, Murvacen, Pogancen usw. einreihen und die Verwirrung vervollständigen. Ob regional begrenzte ethnische Gruppen die ursprünglich bedeutsamsten Ethnien vor dem Aufkommen des Nationalismus im 19. Jahrhundert waren. Gorane soll ja nichts anderes bedeuten Bergvolk. Pomake ein Sammelname für zahlreiche regionale muslimische Stämme? :grübel:

Hier vielleicht noch was interessantes zum Thema Mazedonier vor dem 2. Weltkrieg:
Tatsächlich gab es schon im 19. Jahrhundert tatsächlich ein Volk romanischer Sprache, dass Mazedonien im Namen trug: Die Mazedo-Wlachen, auch als Zinzaren oder Aromunen bekannt.
 
Zuletzt bearbeitet:
ich habe Kreiser vor mir liegen, kann dort aber nichts entsprechendes finden!
Ist das mein Problem? :p

Soll ich dir nun alle möglichen Zitate in einem laaaangen Monster-Post servieren, nur um dann hören zu müssen, dass meine laaaangen Post eh nicht gelesen werden und ich sie eigentlich schenken kann?
Nö. Ausserdem extrem Offtopic, deshalb hier nur mal ein Zitat:
"Zählebige Missverständnisse in der Literatur werden an vielen Stellen in unaufgeregter Weise beseitigt und zurechtgerückt." Er erwähnt dann noch ihre eigenen Forschungsarbeiten zur Frauengeschichte.
Rez. GA: S. Faroqhi: Osmanisches Reich - H-Soz-u-Kult / Rezensionen / Bücher

Du kannst dir auch mal die Rezension von Stefan Weidner aus der NZZ durchlesen, dem der Wandel in der Geschichtswissenschaft nicht verborgen geblieben ist:
"Eines der spannendsten und einleuchtendsten Beispiele für den mittlerweile eingetretenen Wandlungsprozess der Osmanistik bietet das in der traditionellen Literatur als «Weiberherrschaft» titulierte Kapitel der osmanischen Geschichte."
Beck'sche Reihe, Geschichte des Osmanischen Reiches: Suraiya Faroqhi: Amazon.de: Bücher

Ansonsten hat es hier im Thread nichts zu suchen und wir können gerne weiter im Sultanin-Thread diskutieren. Weiterhin ist es sicherlich nicht schwer, dank googlebooks, bei obigen Autoren ihre ebenfalls neuere Sicht auf die osm. Geschichte zu belegen. :winke:
 
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