Oktoberrevolution - Begriff

Raquel Ibn Esra

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Ich lese gerade das Buch "Der Rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus" von Jörg Baberowski. Sehr häufig kommt der Begriff "Oktoberrevolution" vor. Synonym gebraucht der Autor aber auch "Revolte", "Oktobercoup", "Oktoberumsturz" oder auch "Die Revolution kam als Aufstand frustrierter und verbitterter Massen zu sich, als Pogrom, der den Geist der europäischen Zivilisation buchstäblich aus dem Land trieb." (S. 29) Kann man das so sehen?

Für sachliche Hinweise bin ich sehr dankbar.

Raquel Ibn Esra
 
...als Pogrom, der den Geist der europäischen Zivilisation buchstäblich aus dem Land trieb...
Jörg Baberowski ? Wikipedia
Wenn ich mir die Publikationsliste des Autors ansehe, scheint er ein ausgesprochener "Kommunistenfresser" zu sein. Es gibt jedenfalls auch andere, nicht ganz so drastische Wertungen der Ereignisse.
Welche Bezeichnung man letztendlich verwendet, ist nicht so wichtig. Der Begriff Oktoberrevolution war über viele Jahrzehnte auch im Westen nicht in Frage gestellt, warum dann heute? Die verschiedenen anderen Wörter (Coup, Umsturz, Revolte) dienen entweder der stilistischen Auflockerung des Textes oder sollen gar dem Leser das Handeln einer kleinen, kriminellen Clique suggerieren.
 
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Stalinistische Säuberungen

Jörg Baberowski ? Wikipedia
Wenn ich mir die Publikationsliste des Autors ansehe, scheint er ein ausgesprochener "Kommunistenfresser" zu sein. - Das ist ein Zitat von balticbirdy

Ich wollte es nicht so drastisch sagen, aber das scheint mir auch so. Ich meine, jeder Autor kann ja seine Meinung zum Thema haben, aber von einem Professor von der Berliner Humboldt-Uni erwarte ich eine sachliche Analyse und das scheint mir hier überhaupt nicht der Fall zu sein.

Hintergrund der Lektüre ist übrigens der Versuch der Beantwortung der Frage der stalinistischen Säuberungen besonders 1936 - 38. Die Antworten von Baberowski sind meist unsachlich und so wenig hilfreich.

Für Hinweise auf sachliche, möglichst aktuelle Publikationen bin ich sehr dankbar.

Gruß

RIE
 
http://de.wikipedia.org/wiki/Jörg_BaberowskiWelche Bezeichnung man letztendlich verwendet, ist nicht so wichtig.
Da solche Bezeichnungen mit Wertungen verbunden sind, sind sie schon wichtig.

Der Begriff Oktoberrevolution war über viele Jahrzehnte auch im Westen nicht in Frage gestellt ...
Was nun kein Ruhmesblatt ist.

Der Begriff "Oktoberrevolution" entstammt der kommunistischen Propaganda und den hätte man in der Wissenschaft eigentlich nie übernehmen dürfen, denn die eigentliche Revolution (also der Sturz der Zarenherrschaft) war ja schon im Februar. Eine neutrale Benennung der Machtübernahme der Kommunisten wäre Putsch oder Umsturz.

Der Mythos um die "Oktoberrevolution" ist ja ganz gezielt verbreitet und ausgeschmückt worden, selbst bei uns dürften 90% der Leute überhaupt nicht wissen, daß es eine Februarrevolution gab - die meisten denken, daß Lenin und Co. im Oktober direkt das Zarenregime gestürzt hätten.
 
@R.A.: Der Begriff "Oktoberrevolution" entstammt der kommunistischen Propaganda und den hätte man in der Wissenschaft eigentlich nie übernehmen dürfen, denn die eigentliche Revolution (also der Sturz der Zarenherrschaft) war ja schon im Februar. Eine neutrale Benennung der Machtübernahme der Kommunisten wäre Putsch oder Umsturz.
Revolution ? Wikipedia
Eine „Revolution“ bezeichnet in der Soziologie sowie umgangssprachlich einen radikalen und meist, jedoch nicht immer gewalttätigen sozialen Wandel (Umsturz) der bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse.[3
Unabhängig, woher die Begriffsschöpfung kommt - die Definition ist damit imho erfüllt.
 
Ganz so einfach ist es mit dem Baberowski dann doch nicht:
Die Stärken und die - gravierenden - Schwächen von Baberowskis Ansatz kommen auch in seiner Geschichte des Stalinismus zur Geltung. Der Titel "Der Rote Terror" verweist bereits auf die Frühzeit der bolschewistischen Herrschaft. Der "Rote Terror" wurde offiziell im September 1918 als Reaktion auf die Attentate auf Lenin und den Petrograder Tscheka-Funktionär Urickij proklamiert und seither zu einem stehenden Begriff. Zugleich deutet der Titel auf das hin, was für Baberowski die Essenz des Stalinismus ausmacht: die permanente Anwendung von Gewalt (12). Die Stärke des Buches liegt in der Eindringlichkeit und Anschaulichkeit, mit der der Autor, den vielfach immer noch unterschätzten terroristischen Charakter der Stalin'schen Herrschaft in all ihren Phasen herausarbeitet. Dort, wo er sich auf die von ihm nicht sonderlich geschätzte "Synthetisierung des Bekannten" einlässt [5], gelingen ihm immer wieder ebenso kompakte wie anschauliche und aufschlussreiche Schilderungen.

Die grundlegende Schwäche liegt jedoch auch hier in einer Begrifflichkeit, die statt analytischer Präzision Unschärfe erzeugt. So erscheint die Doppelrevolution des Jahres 1917 als eine Revolte, "die aus dem Verlangen verbitterter und vom Krieg verrohter Menschen hervorging, sich von den Zumutungen des 'bürgerlichen' Disziplinierungsmodells zu emanzipieren" (Roter Terror, 28).
SEHEPUNKTE - Rezension: Die Geschichte des Stalinismus - Ausgabe 5 (2005), Nr. 4
 
Also ich habe das Buch vor kurzem gelesen. Zwar war ich durch die Schärfe der Formulierungen, die geradezu "leidenschaftlich" anmutet, gerade am Anfang etwas irritiert, doch sachlich waren die Thesen durchaus begründet.

Der Reszensent über mir hat recht, denn das Buch hat mir, eigentlich das erste mal, das Ausmaß des stalinistischen Terrors vor Augen geführt.

Der Autro stellt ja die These auf, der Stalinismus habe sich über Gewalt konstituiert und Gewalt sei das zentrale Element des Systems gewesen.
Das stimmt für die Person Stalins sicherlich, der ja wirklich aus einem sehr gewaltbereiten Umfeld kam, aber ob das auch für Trockij, Bucharin und so stimmt.

Für sie war Gewalt sicherlich auch ein Mittel der Herrschaftsausübung, was Trockij ja auch exzessiv genutzt hat, aber sie hatten doch politisch schon einen wesentlich weiteren Horizont.
 
Da solche Bezeichnungen mit Wertungen verbunden sind, sind sie schon wichtig.


Was nun kein Ruhmesblatt ist.

Der Begriff "Oktoberrevolution" entstammt der kommunistischen Propaganda und den hätte man in der Wissenschaft eigentlich nie übernehmen dürfen, denn die eigentliche Revolution (also der Sturz der Zarenherrschaft) war ja schon im Februar. Eine neutrale Benennung der Machtübernahme der Kommunisten wäre Putsch oder Umsturz.

Der Mythos um die "Oktoberrevolution" ist ja ganz gezielt verbreitet und ausgeschmückt worden, selbst bei uns dürften 90% der Leute überhaupt nicht wissen, daß es eine Februarrevolution gab - die meisten denken, daß Lenin und Co. im Oktober direkt das Zarenregime gestürzt hätten.
Hallo R. A.,

ich denke schon, dass man den Begriff "Revolution" verwenden kann. Entsprechend der Definition waren es zwei im Jahr 1917, die zu politischen Veränderungen führten:

- die im Februar stürzte die Zarenherrschaft
- die im Oktober die provisorische bürgerliche Regierung.

Mit dem Begriff "Revolution" ist für mich erst einmal keine Wertung verbunden. Es gibt hier aber verschiedene Definitionen. Eine wäre:

Revolution

[FONT=verdana,arial,geneva](lat.) R. bezeichnet eine schnelle, radikale (i.d.R. gewaltsame) Veränderung der gegebenen (politischen, sozialen, ökonomischen) Bedingungen. Politische R. zielen i.d.R. auf die Beseitigung der bisherigen politischen Führer und die Schaffung grundsätzlich neuer Institutionen, verbunden mit einem Führungs- und Machtwechsel. Ziel der bewusst herbeigeführten, tiefgreifenden Veränderungen ist es, mit einem politischen Neuanfang die bisherigen Probleme und Machtstrukturen zu beseitigen und radikal Neues an ihre Stelle zu setzen (z.B. neue Machtstrukturen, neue Eliten, neue Eigentumsverhältnisse, eine neue [Verfassungs-]Ordnung etc.).

Revolution - Lexikon

Die Bezeichnung "Putsch" ist meiner Meinung nach schon negativ konnotiert.

Ich sehe in der Oktoberrevolution keinen kommunistischen Propagandabegriff.

Gruß RIE
[/FONT]
 
Wie es Raquel schon beschrieben hat, sind Revolutionen im eigentlichen Sinne Umwälzungen innerhalb einer Gesellschaft, die deren politsche, kulturelle, militärische, wissenschaftliche etc. Situation radikal verändern.
Da die Geschichte immer von jenen geschrieben wird, die aus ihr als Sieger hervorgehen, kann gewiss von einem, der Propaganda dienlichen, Revolutionsbegriff im Falle der Oktoberrevolution gesprochen werden. Und so ist es auch ganz natürlich, dass heutige Geschichtsschreiber diesen anfechten.
Zu dem Humbolt-Professor kann ich nur sagen, dass er ein wenig zu subjektiv an die Sache herantritt. Gewiss sind die Aktionen der Bolschewiki kritisch zu betrachten und die Führer der Bewegung haben sich vieles zu schulden kommen lassen, was eine rein positive Betrachtung ausschließt. Aber man sollte niemals vergessen, dass der Sturz der Zarenherrschaft und die Bildung einer neuen Regierung 1917, mit dem Blut eines Großteils des russischen Volkes, der Bauern, der Arbeiter, der Intelektuellen erkämpft wurde und es keineswegs ein "Aufstand frustrierter und verbitterter Massen" war.

@ R.A.
Um der Wahrheit anheim zu fallen, verstehe ich Ihren Punkt nicht ganz. Selbst wenn die stalinistische Sowjetregierung den Begriff der "Oktoberrevolution" mythisch unterlegt hat, kann ein Putsch oder ein Sturz der Regierung trotzdem eine Revolution sein. Oder halten Sie den von Liberalen gesprägten Begriff der "französischen Revolution" auch für nicht gerechtfertigt, da es doch letztlich nur ein Gefängnisssturm war, der ein paar große Steine ins rollen brachte?
 
Aber man sollte niemals vergessen, dass der Sturz der Zarenherrschaft und die Bildung einer neuen Regierung 1917, mit dem Blut eines Großteils des russischen Volkes, der Bauern, der Arbeiter, der Intelektuellen erkämpft wurde und es keineswegs ein "Aufstand frustrierter und verbitterter Massen" war.
Den Zaren stürzte die Februarrevolution, hier geht es jedoch um die Oktoberrevolution.
 
Ich kenne Joerg Baberowski aus der Zeit, als er seine Dissertation in Frankfurt schrieb. Selten so einen so engagierten Forscher kennengelernt, und ich kenne viele. Ihn "Kommunistenfresser" zu nennen, kann nur die Intention haben, den Kommunismus irgendwie besser dastehen zu lassen, als er war.
Bei Joerg Baberowski ist mit Sicherheit jeder Satz an den Quellen ueberprueft.
 
Jörg Baberowski ? Wikipedia
Wenn ich mir die Publikationsliste des Autors ansehe, scheint er ein ausgesprochener "Kommunistenfresser" zu sein. Es gibt jedenfalls auch andere, nicht ganz so drastische Wertungen der Ereignisse.

Wenig hilfreich ist die Zeit der Millionen Toten in den 30er Jahren unter der KPdSU-Herrschaft drastisch minder zu werten.
Es ist Tatsache, dass zig-Millionen Menschen im Vielvölkerstaat Sowjetunion der Gnade der kommunistischen Partei ausgesetzt waren. Wir verniedlichen doch die Terrorherrschaft der Nazizeit in Deutschland und Europa auch nicht, oder?
 
Wenig hilfreich ist die Zeit der Millionen Toten in den 30er Jahren unter der KPdSU-Herrschaft drastisch minder zu werten.

Und ebenso wenig hilfreich ist es, einen Hinweis auf "nicht ganz so drastische Wertungen" gleich mit einer Minderwertung der "Zeit der Millionen Toten" insgesamt gleichzusetzen und das dann auch noch mit einer "Verniedlichung" der

Terrorherrschaft der Nazizeit in Deutschland und Europa

gleichzusetzen.

Nebenbei geht es hier um den Begriff "Oktoberrevolution" und nicht um eine Bewertung des stalinistischen Terrorregimes.
 
Und ebenso wenig hilfreich ist es, einen Hinweis auf "nicht ganz so drastische Wertungen" gleich mit einer Minderwertung der "Zeit der Millionen Toten" insgesamt gleichzusetzen und das dann auch noch mit einer "Verniedlichung" der



gleichzusetzen.

Nebenbei geht es hier um den Begriff "Oktoberrevolution" und nicht um eine Bewertung des stalinistischen Terrorregimes.

Dann bitte das "nebenbei" auch an @balticbirdy.
 
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