Einige Klarstellungen
Man möge mir verzeihen, dass ich mich noch einmal zu Wort melde. Ich möchte es vermeiden, in die hochinteressante Atlantis-Diskussion einzugreifen, jedoch bedürfen aus meiner Sicht einige Punkte der Klärung.
1. Noch ein Exempel für das grundsätzliche wissenschaftliche Verfahren (diesmal am Beispiel Brobdingnag)
Themistokles schrieb:
Die HSC ließe sich prinzipiell auch auf Utopia, Brobdingnag oder Numenor anwenden und würde erst scheitern, wenn sie kein Ort findet
Was Brobdingnag betrifft, so scheitert sie keineswegs, sondern erweist ihre wissenschaftliche Brauchbarkeit in jeder Hinsicht. Zuvor sei eines noch gesagt: Es geht nicht an, den Text von "Gullivers Reisen" in oberlehrerhafter Weise zu diskretieren. Der Verfasser macht nämlich unmissverständlich klar, dass er eben keine Lügenmärchen, keine Fiktion, keine Allegorie oder sonstwas auftischen will, sondern an nichts als der
reinen Wahrheit interessiert ist. Ich zitiere:
Lemuel Gulliver schrieb:
Ich habe dir, freundlicher Leser, von allen meinen Reisen und Schicksalen während eines Zeitraums von sechzehn Jahren und mehr als sieben Monaten treu und gewissenhaft Bericht erstattet. Ich habe mich in meiner Geschichte nicht schöner Worte befleißigt, sondern rein der Wahrheit.
...
Ich würde mich herzlich freuen, wenn ein Gesetz gegeben würde, wonach jeder, der eine Reisebeschreibung herausgeben wollte, ohne Unterschied der Person zuvor bei dem Lord Groß-Kanzler einen körperlichen Eid ablegen müßte, daß alles, was er da erzählte und drucken ließe, nach seinem besten Wissen und Meinen wirklich so und nicht anders geschehen sei. Dann würde die Welt bald nicht mehr, wie jetzt, von einigen schlechten Büchermachern genasführt werden, welche durch ihre Lügen ihre Waren an Mann zu bringen suchen und dem arglosen Leser die größte Falsa anheften.
Nun zurück zur HSC: Was nämlich die Lage von Brobdingnag betrifft, so versucht der Verfasser, nach bestem Wissen Hinweise zu liefern. Zwar verlor das Schiff durch einen Seesturm zeitweise die Orientierung, "so daß die ältesten Leute an Bord nicht sagen konnten, in welchem Teile der Welt wir uns befänden", doch erlauben die Angaben der bisherigen Reiseroute, wonach das Schiff von Madagaskar kommend die Molukken passiert hatte, eine erste grobe Orientierung. Gesucht werden muss also im Bereich des Westpazifik, und hier liefern uns die Angaben Gullivers absolut eindeutige Hinweise, die für Korea sprechen:
1. Gulliver beschreibt das Reich Brobdingnag als Halbinsel.
- Das trifft auf Korea zu.
2. Diese Halbinsel wird nach Gulliver im Nordosten von einer hohen Bergkette begrenzt.
- Auch das trifft auf Korea zu.
3. Gulliver sagt, bei den Gipfeln der Bergkette handelt es sich um Vulkane.
- Auch das trifft zu. In diesem Gebirge befinden sich über 100, z. T. aktive Vulkane. Auch der höchste Berg ist ein aktiver Vulkan.
4. Gulliver schätzt die Größe des Landes auf 2000 Meilen in der Länge und 1000 bis 1500 Meilen in der Breite.
- Auch hier liegt Gulliver (der offensichtlich in koreanischen Meilen rechnet) richtig. Vom nördlichsten bis zum südlichsten Punkt sind es 2000 koreanische Meilen, vom östlichsten bis zum westlichsten Punkt sind es 1200 koreanische Meilen.
Man sieht bereits an dieser Stelle: Alle anderen Lokalisierungsversuche werden durch diese vier Punkte ausgeschlossen, es bleibt tatsächlich nur Korea übrig.
Sodann gibt es eine überwältigende Liste von kulturellen Indizien (etwa Gullivers Beschreibungen des Alphabets, der Tracht etc.), von denen ich nur ein besonders schlagkräftiges Indiz hervorheben möchte:
Lemuel Gulliver schrieb:
Dies Volk besitzt gleich den Chinesen seit undenklichen Zeiten die Buchdruckerkunst.
Was soll man zu diesem eindeutigen Hinweis sagen? Das einzige Land, in dem die Tradition des Buchdrucks gleich alt ist wie in China, ist eben Korea.
Mancher mag nun einwenden, dass die riesigen Dimensionen, die in Gullivers Beschreibungen von Menschen und Gegenständen immer wieder auftauchen, sich nicht mit der koreanischen Realität deckten. Nun, ich sehe hier kein Problem/Widerspruch. Zum einen verwendet Gulliver, wie wir am Beispiel der Meilen gesehen haben, oft einheimische Maße, die bei der richtigen Umrechnung ziemlich exakte Ergebnisse liefern, während sich bei der Umrechnung in englische Maße völlig verzerrte Größenverhältnisse ergeben würden. Im Fall der Meilen hieße das, dass wir an der Pazifikküste nach einer Halbinsel von der Größe der arabischen Halbinsel (der größten Halbinsel der Welt) zu suchen hätten, was völlig verfehlt wäre.
In anderen Fällen liegt ein simples mathematisches Phänomen vor, das bereits Kollege Antimon am Beispiel der Größenverhältnisse der Insel Atlantis demonstriert hat:
Antimon schrieb:
Ach so! Ich sehe da kein Problem/Widerspruch. Denn:
Plato sagt Atlantis sei größer als Libyen und Kleinasien gewesen. Libyen war in der Antike das Gebiet Afrikas westlich von Ägypten, wobei nicht bestimmt ist wie weit westlich und südlich es reichte (und das variierte wohl auch mit der Zeit). Zur Zeit Platons und vorher war es in etwa das Gebiet Nordafrikas exklusive Ägypten (und wahrscheinlich exklusive allem jenseits von Gibraltar). Kleinasien war in etwa das Gebiet der heutigen Türkei.
Platon sagt auch die Atlanter hätten Gebiete von den Säulen des Herkules (Gibraltar) bis zur Toscana und von den Säulen des Herkules bis nach Ägypten (im griechischen Original bis zum Nil) erobert. Also quasi Libyen und auf der anderen Mittelmeerseite ein (vermutlich fast) ebenso großes Gebiet.
Die von Atlantis eroberten Gebiete werden also (teilweise) auch in Platons Größenvergleich genannt.
Rein rechnerisch sagt Platon:
Atlantis > Libyen + Kleinasien
wenn man aber die Eroberten Gebiete abzieht ergibt sich:
Atlantis > (Libyen + Kleinasien) - (Libyen + nordwestliches Mittelmeergebiet)
Ausgehend davon, dass Kleinasien flächenmäßig ungefähr dem
nordwestlichen Mittelmeergebiet (Europa bis Tyrrhenien) gleicht, ergibt dies in etwa:
Insel Atlantis > 0
Wie groß die Insel bzw. das Kernland Atlantis tatsächlich
war, wird folglich durch diese Aussagen Platons gar nicht
klar. Die Insel Atlantis hatte aber sicherlich nicht die Größe von Libyen
und Kleinasien zusammen.
Um es kurz zusammenzufassen: Wenn also Platon schreibt, die Insel Atlantis sei größer als Libyen und Kleinasien zusammen, dann wollte er damit nichts anderes sagen, als dass die Insel größer als Null sei. Denn von der Gesamtgröße muss man ja erstmal die Größe Libyens und Kleinasiens abziehen und erhält dann einen Wert, von dem man nichts genaues sagen kann, nur dass er größer als Null sei.
Dasselbe mathematische Phänomen - möge es in der Wissenschaft fürderhin mit Fug den Namen "Antimon-Phänomen" tragen - lässt sich ohne weiteres auch auf Gullivers Angaben anwenden: Wenn Gulliver schreibt, er habe sich in Brobdingnag in einem "mehr als zweihundert Fuß hohen" Wohnzimmer befunden, dann müssen von dieser Angabe erstmal 200 Fuß abgezogen werden und erhält dann einen Wert, von dem man lediglich sagen kann, dass er über Null liegt.
Hier kann ich mich nur den Worten des geschätzten Kollegen Antimon anschließen, der es auf den Punkt gebracht hat:
Antimon schrieb:
Das ist die Macht der Logik/Mathematik!
Wir können uns also getrost von den bebilderten Kinderbuchversionen und Verfilmungen verabschieden, in denen die Einwohner von Brobdingnag als turmhohe Riesen beschrieben werden. Aber dies nur nebenbei.
2. Klärung eines Missverständnises hinsichtlich der globalen Indizien
Antimon schrieb:
Sibirien erfüllt aber nachweislich längst nicht alle Indizien. Es versagt schon kläglich bei allen globalen Indizien.
Hier scheint der Herr Kollege etwas missverstanden zu haben. Selbstverständlich hat die Sibirien-Theorie sämtliche globalen Indizien auf ihrer Seite. Jeder Atlantisforscher, der nicht nur mit Scheuklappen von vornherein auf eine gewisse Weltgegend fixiert ist (und ich muss doch davon ausgehen, dass dies auf den Antimon ebenso zutrifft wie auf meine Person), wird dem uneingeschränkt zustimmen. Nehmen wir nur einmal die "Säulen des Herakles": Dass diese ohne weiteres mit der Meerenge von Gibraltar zu identifizieren seien, ist nichts als ein Vorurteil. Nur selten wird darauf hingewiesen, dass diese nach Apollodoros bei den
Hyperboreern zu lokalisieren sind! Damit zeigen die globalen Indizien aber viel eher nach Sibirien als in die subtropische oder gar tropische Zone.
3. Klärung eines weiteren Missverständnisses hinsichtlich der methodischen Schritte
Antimon schrieb:
p.s.: 1-4 Schritt passt bei vielen, aber bei mir nicht!
Das ist mir hinlänglich bekannt, die Vier-Schritte-Methode ist ja nur für die einfachen Gemüter, gewissermaßen ad usum Delphini, gedacht. Selbstverständlich pflegen wir Profis das bei unseren eigenen Hypothesen ganz anders zu verpacken (und vor allem dem Publikum Schritt 1 nicht als solchen zu präsentieren). Das und nichts anderes wollte ich in meinem ersten Beitrag zum Ausdruck bringen:
Platin schrieb:
... obwohl mir natürlich klar ist, dass wahre Profis selbstverständlich wesentlich kompliziertere Modelle bevorzugen, um zum selben Ergebnis zu gelangen.
4. Begriffsklärung: Das "Papagei-Prinzip"
Es tut mir leid, dass dieser methodische Begriff - der sonst nur von eingeweihten Profis benutzt wird - für derart viel Konfusion gesorgt hat. Ich ging davon aus, dass er auch dem Kollegen Antimon bekannt sei - vielleicht tut er auch nur so, als müsse er nach diesem Begriff googeln. Jedenfalls - wie er seine angebliche Unwissenheit als Aufhänger dafür genommen hat, die hinreißend amüsante Platin-Florian17160-Theorie zu entwerfen, ist ganz großes Kino. Respekt!
Also: Diejenigen, die den Begriff "Papagei-Prinzip" nicht kennen, dürften zumindest den alten Witz kennen:
Kommt eine zahnlose, potthäßliche Alte mit einem Papagei auf der Schulter in die Hafenkneipe und sagt: "Wer errät, was für ein Tier ich auf der Schulter habe, darf eine Nacht mit mir verbringen" - Es wird mucksmäuschenstill. Endlich sagt ein Matrose grinsend: "Na klar doch: Das ist ein Krokodil!" - Die Alte: "Jau, das kann man gelten lassen..."
Mit einfachen Worten für die vielen Anfänger hier: Wie viele Indizien ich in der Hand halte, hängt eben letztlich davon ab, was für welche ich gelten lasse.