Germanienpolitik und geostrategische Überlegungen von Cäsar bis Tiberius

Aragorn

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Vielen Dank für deine aufschlussreichen Ausführungen, Tejason!

Ich bin auch nach wie vor der Meinung,daß Rom,hätte es es ernsthaft drauf angelegt, Germanien trotz der Varusschlacht hätte erobern können und dies in erster Linie deshalb nicht passierte, weil durch die Germanicus- und Drususexpeditionen klar war, daß Germanien außer "Dung und Dickrüben" schlicht nichts zu bieten hatte, was einen kostspieligen ,groß angelegten Eroberungsfeldzug gelohnt hätte.
Eine schlichte Kosten-Nutzen-Rechnung also.

Hmm, da wären wir wieder bei der Frage, warum Rom das rechtsrheinische Germanien seinem Machtbereich eingliedern wollte. Ökonomisch-ressorucentechnisch war aus dem Gebiet zwischen Rhein und Elbe/Oder sicher nicht viel herauszuholen. Aber hätte die Ausdehnung des Reiches bis an die Elbe nicht auch eine massive Verkürzung der Nordostgrenze zur Folge gehabt? Dies hätte sich dann sehr wohl positiv auf die Kosten-Nutzen-Rrechnung ausgewirkt. Allerdings weiß ich nicht, ob die Theorie von einer beabsichtigten Verkürzung der Nordostgrenze (Elbe-Donau-Linie) heute nocht vertreten wird.
 
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Hmm, da wären wir wieder bei der Frage, warum Rom das rechtsrheinische Germanien seinem Machtbereich eingliedern wollte. Ökonomisch-ressorucentechnisch war aus dem Gebiet zwischen Rhein und Elbe/Oder sicher nicht viel herauszuholen.

Ich weiß nicht: Sklaven, Frauenhaar, Pferde, sauerländisches Blei, Bernstein...
 
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@El: Ich weiß nicht: Sklaven, Frauenhaar, Pferde, sauerländisches Blei, Bernstein...
Gewiss, das hatte schon seinen Wert. Hätte aber in keinem Verhältnis zum Aufwand einer Eroberung und anschließenden Romanisierung gestanden. Es wäre immer ein Verlustgeschäft geblieben, kein römischer Bürger hätte sich freiwillig in Innergermanien angesiedelt.
Etwas anderes wären geostrategische Überlegungen gewesen, z.B. Gewinnung der Elblinie.

Das Interesse der Briten und Russen an Afghanistan in der Vergangenheit ist ja auch nicht darin begründet, dass es dort Lapislazuli gibt. Zeitnähere Bezüge verkneife ich mir...
 
Einen Großteil der Schlachten hätten die Römer bestimmt siegreich beendet. Aber das ganze Gebiet bis zur Nordsee unter Kontrolle zu bringen und zu halten ist schon was anderes.

Es ist die Frage,ob das letztlich das Ziel des Imperiums war.
Es wird am Anfang der Expansion wahrscheinlich kein klare Ziel gegeben haben. Die Kenntnisse von Germanien dürften anfangs relativ gering gewesen sein. und das Gebiet,was man bisher in Mitteleuropa erobert hatte war keltisch bzw. keltogermanisch geprägte Kulturlandschaft mit urbanen Zentren nebst entsprechender Infrastruktur und einer relativ hochstehenden Technologie und Handwerkskunst. Da gab es also was zu holen bzw. da konnte man Wertschöpfung erzielen. Erst mit dem weiteren Vordringen nach Norden und Osten wird Rom zur Erkenntnis gekommen sein,daß hier vollig andere Strukturen bestanden ,aus denen sich relativ wenig Profit schlagen ließ .Da war, mit Ausnahme des berühmten sauerländischen Bleis ,soweit das damals schon bekannt war,nicht viel zu holen und das Land war relativ unerschlossen, eine Infrastruktur fehlte flächendeckend und selbst größere Agrarflächen gab es kaum sondern eher urwaldähnliche Zustände, vom Klima ganz zu schweigen.
Hätte Rom dieses Gebiet erobert, hätte die Erschließung und Sicherung Unsummen gekostet und ob sich unter den gegebenen Bedingungen genügend römische Bürger dort angesiedelt hätten ,für die sich das ganze gelohnt hätte wage ich eh zu bezweifeln.
Da war es billiger, eine Art prorömisches Vorfeld vor dem Limes zu schaffen und ab und an Strafexpeditionen ins Hinterland zu veranstalten,wenn sich dort was zusammenbraute.
Wir müssen uns wohl oder übel damit abfinden,aber das "freie" Germanien dürfte für die Römer noch weniger attraktiv gewesen sein als heute der Zentralkongo, Mittelsibirien oder Somalia für Mitteleuropäer. ;)
 
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Etwas anderes wären geostrategische Überlegungen gewesen, z.B. Gewinnung der Elblinie.
Dazu benötigt es aber einen echten, organisierten Feind,gegenüber dem geostrategische Überlegungen einen Sinn machen (wie z.B. das Partherreich ) .Und den gab es in Germanien eben gerade nicht, sondern nur kleinere Stämme und Stammesverbände ,die untereinander zerstritten waren und wechselnde Koalitionen eingingen.In so weit war es gerade egal,ob man die Rhein-Main-Linie oder die Elblinie als strategische Grenze definierte.
Geostrategische Überlegungen hätten erst Sinn gemacht,wenn es z.B. Arminius gelungen wäre ,ein dauerhaftes germanisches Großreich zu installieren.
Vielleicht gingen die römischen strategischen Überlegungen jedoch auch dahin, daß wachsender Eroberungsdruck seitens des Imperiums die Entstehung eines solchen Großreiches beünstigen würde und man dann einen echten Zweifrontenkrieg gegen zwei größere Mächte (Parther und Germanen) hätte führen müssen .
 
Vielleicht gingen die römischen strategischen Überlegungen jedoch auch dahin, daß wachsender Eroberungsdruck seitens des Imperiums die Entstehung eines solchen Großreiches beünstigen würde und man dann einen echten Zweifrontenkrieg gegen zwei größere Mächte (Parther und Germanen) hätte führen müssen .

Solche Gedanken widersprechen zutiefst der römischen Arroganz gegenüber den "Barbaren".

In so weit war es gerade egal,ob man die Rhein-Main-Linie oder die Elblinie als strategische Grenze definierte.

Sehe ich anders. Die Elbelinie hätte ein Glacis geschaffen und die Barbarengrenze verkürzt, also auch Truppen frei gemacht, die man anderswo gebraucht hätte oder nach Hause hätte schicken können.. Ständig 8 Legionen zu unterhalten, wie es an der Germanengrenze erforderlich war, kostete Rom somit nur Geld, Geld und nochmals Geld. Unter diesem Gesichtspunkt war die Entscheidung des Tiberius, das Land sich selbst zu überlassen, langfristig doch nicht so besonders weise.
 
Gewiss, das hatte schon seinen Wert. Hätte aber in keinem Verhältnis zum Aufwand einer Eroberung und anschließenden Romanisierung gestanden. Es wäre immer ein Verlustgeschäft geblieben, kein römischer Bürger hätte sich freiwillig in Innergermanien angesiedelt.

Waldgirmes? Zivile römische Siedlung in Innergermanien. Warum auch nicht? In Gallien, Britannien und südlich der Donau bzw. westlich des Rheins gab es doch auch römische Siedlungen, oder später in Dakien. Das erste wären sowieso Veteranensieldungen gewesen.

Wir wissen, dass die Römer im Sauerland Blei abgebaut haben (Funde in Haltern und vor Korsika). Wir wissen leider nur noch nicht genau, wo und wie. Das wie bezieht sich hier auf den Unternehmer: Staat oder freies Unternehmertum.

Etwas anderes wären geostrategische Überlegungen gewesen, z.B. Gewinnung der Elblinie.

Was voraussetzen würde, dass die Römer ein Bild von der Erde gehabt hätten vergleichbar unseren modernen physischen Karten. Liest man aber Caesar oder Strabo, findet man ein eher naives geographisches Verständnis vor.
 
Waldgirmes und das Sauerland befinden sich nun nicht gerade in Innergermanien, sondern an der Peripherie, quasi in direkter Schlagweite der stationierten Legionen.

Liest man aber Caesar oder Strabo, findet man ein eher naives geographisches Verständnis vor.

Nun ja, Elbe und Donau waren bekannt. Die Gegend dazwischen (Böhmen) auch. Immerhin führte der abgebrochene Feldzug 6 n. Chr. als geplante Zangenbewegung gegen Marbod genau dorthin. Solche Operationen unternimmt man nicht einfach ins Blaue hinein.
 
Es ist die Frage,ob das letztlich das Ziel des Imperiums war.
Die Frage sehe ich als beantwortet, sonst hätte es wohl noch öfter richtig gerappelt im Karton. Die Frage ist warum man davon abgelassen hat.

Hätte Rom dieses Gebiet erobert, hätte die Erschließung und Sicherung Unsummen gekostet und ob sich unter den gegebenen Bedingungen genügend römische Bürger dort angesiedelt hätten ,für die sich das ganze gelohnt hätte wage ich eh zu bezweifeln.
Das ist es doch, was ich meine. Germanien war schließlich nicht die einzige „Baustelle“. Eine romanisierung der germanischen Bevölkerung im "Barbaricum" wäre seitens der Weltmacht Rom einfach zu viel gewollt.

Da war es billiger, eine Art prorömisches Vorfeld vor dem Limes zu schaffen und ab und an Strafexpeditionen ins Hinterland zu veranstalten,wenn sich dort was zusammenbraute.
Billiger auf kurze Sicht, ja. Aber selbst das gelang den Römern nur begrenzt.
 
@balticbirdy, den strategischen Vorteil der Elblinie sehe ich immer noch nicht.
Die Linie Rhein-Main-Donau bildet im Prinzip eine Diagonale von Pannonien bis zur Rheinmündung und scheint mir um einiges kürzer zu sein als eine Elb-Donau-Grenze ,die zwei erhebliche Winkel bilden würde.
Darüber hinaus konnte die Rhein-Main-Donau-Linie auch durch die Binnenflotte gesichert werden,die von festen Städten und Häfen wie Mainz,Koln,Strassburg aus operieren und gleichzeitig die logistische Versorgung aus dem Herz des Imperiums gewährleisten konnte. Die Versorgugslinie Italien-Via Mala- Hinterrheintal/Schweiz-Bodenseegebiet und von dort über Donau und Rhein spielte dabei sicherlich auch eine gewichtige Rolle.
Das alles wäre bei einer Elbgrenze weggefallen .Überdies wäre die Verbindung zur Donaulinie durch die dazwischen liegenden Gebirge problematischer gewesen.
 
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Von dünnem Eis und Konstanten

@Sinn der Provinz Germania Magna
Ich denke die Meisten sind der Meinung, dass Rom bei entsprechendem Einsatzwillen, durchaus Germanien unter seine direkte Kontrolle hätte bringen können – zu welchem Preis, oder zu welchen Konditionen auch immer. Trotz des Peter Heather-Zitats über einen „Dung und Rüben“-Triumphator, glaube ich im Gegensatz zu diesem durchaus an das wirtschaftliche Potential einer Provinz „Germania Magna“. Allein das besonders erzreiche Harzgebiet befand sich auf dem Boden dieser Provinz! Das Zitat beschrieb desto passender, was GERMANICUS bei seinem Triumphzug ohne Thusnelda den Römern denn populäreres hätte vorführen sollen…? (Dank an EQ, der die anderen populären Gefangenen aufzählt) Die römischen Kosten wurden durch den erwarteten germanischen Widerstand in die Höhe getrieben. Dazu weitere Investitionen, die ihre Zeit gebraucht hätten, ehe sie die Quellen des Reichtums zum Sprudeln gebracht hätten… Der strategische Gewinn der „inneren strategischen Linie“ dabei nicht eingerechnet. Ähnlich wie einige Autoren im aktuellen „Varusschlacht-Katalog“ finde ich das häufig zu hörende Argument: Die Römer hätten wenig von Geographie und Zuständen in Germanien gewusst, recht unglaubwürdig.

Was voraussetzen würde, dass die Römer ein Bild von der Erde gehabt hätten vergleichbar unseren modernen physischen Karten. Liest man aber Caesar oder Strabo, findet man ein eher naives geographisches Verständnis vor.

Sehen wir doch über eine Menschengeneration hinweg römische Heere und Flotten sogar „getrennt marschierende“, kombinierte Feldzüge in dieser angeblich so unbekannten Wildnis. Dabei setzen solche Operationen zu allen Zeiten exaktes Timing voraus, was wiederum nur bei entsprechender Ortskenntnis möglich ist! Als Drusus die Grundlagen der Eroberung Germaniens westlich des Rheines schuf, ließ er dort zahlreiche Kastelle anlegen, aus denen sich später so häufig Städte entwickelten: Da soll er das intuitiv, auf Basis vager Informationen getan haben?? Ich will die Römer nicht zu perfekten Planern hochstilisieren, aber eine grundlegende Vorarbeit benötigt zumindest ausreichende Informationen und die spätere Eroberung brachte weiteres Wissen. Bekanntlich waren die römischen Streitkräfte in Germanien dauernd auf Nachschub aus Gallien angewiesen. Um diese Situation zu bessern machte man gewaltige Anstrengungen im Rheingebiet, diese Nachschubwege so kurz wie irgend möglich zu halten. Dadurch wurde die Romanisierung des römischen Rheingebietes gewaltig gefördert! Auch im Umfeld römischer Militärstationierungen wurden gewöhnlich so bald als möglich eine Wirtschaftsform installiert, die deren Versorgung zu erleichtern versprach. Kein Wunder, dass gerade die Wirtschaftsformen hinter dem Limes, etwa in der exponierten Wetterau sehr leistungsfähig entwickelt wurden. Gerade hier finden sich auf Überschussproduktion optimierte villa rusticae, obwohl es im Zuge der Eroberung einen ganz erheblichen Bevölkerungsrückgang gegeben hatte.
Im Kontext mit dem Erzreichtum des Harzes liegt der Gedanke an die Schlacht am Harzhorn so viele Menschenalter später nicht allzu weit… Vor dem Hintergrund der allgemeinen „Weltherrschaftsideologie“ Roms war die Aufgabe Germaniens als Provinz gewiss nicht endgültig gedacht, sondern eher „auf unbestimmte Zeit verschoben“. Nur vor diesem Hintergrund erschließen sich typisch Taciteische Sätze, etwa wenn er resümiert wie lange Rom schon die Germanen besiege… BB hat einen Aspekt davon treffend formuliert:

Solche Gedanken widersprechen zutiefst der römischen Arroganz gegenüber den "Barbaren".

Damit habe ich römische Möglichkeiten aufgezeigt, ob sie diese auch im vollen Umfang einzusetzen bereit waren, steht auf einem anderen Blatt! Das war eine Frage des Willens – und an dem fehlte es sichtbar bei Tiberius, als er den Operationen des Germanicus ein Ende setzte.

@Politik, oder Cato d. Ältere: (# 56)
Als Beweis seiner Loyalität zu Rom nennt Tacitus die (nicht mehr nachprüfbaren) Ereignisse der Nacht vor Aufbruch des Varus und als Tat die Auslieferung seiner „rebellischen Tochter“. Rom zu Hilfe rufen konnte jeder, auch illoyale Menschen hätten sich Hoffnung machen können, denn zu jener Zeit war Germanicus in einer Lage, bei der „meines Feindes Feind ist mein Freund“ schon ein ausreichendes Motiv sein konnte, wenn ein entsprechender Anreiz hinzukommt (Thusnelda)! Ein Fortsetzen des Arminius-Segestes-Konflikts ohne Hilfe, war ein Blick in den eigenen Untergang für Segestes (wobei ich nicht völlig ausschließen kann, dass er noch andere Optionen „hätte“ haben „können“). Dass die römische Überlieferung die Loyalität des Segestes betont, kann dagegen auch opportunistisch (meines Feindes Feind…), oder auch politisch (im Sinne eines Ausgleichs mit Segestes) motiviert sein? Einen schöneren Beweis dafür, dass Rom seine Verbündeten nicht im Stich lässt ist doch kaum denkbar, oder? Aber das sind alles nur potentielle Möglichkeiten, oder anders formuliert: Spekulation.
Vor allem wenn man die nächsten Jahrhunderte bedenkt, in welchen Rom in seinem VORFELD sehr häufig seine Verbündeten untergehen ließ, ohne zu intervenieren. Dann freilich immer „großzügigerweise“ darauf achtete, führende Köpfe dieser Verbündeten und ihren engsten Anhang „gnädig“ in die Sicherheit des Reiches aufzunehmen. Eine Konstanz dieser Politik findet sich von Marbod und Vannius bis hin zum „Gotenrichter“ Athanarich… So ist auch Segestes mit seinem Anhang ins Reich übergesiedelt?! Eine Konstanz, die Rom zu allen Zeiten zu einem Anziehungspunkt für gescheiterte, hochrangige Persönlichkeiten aus dem Barbaricum machte. Aus dieser Konstanz heraus mag auch mancher Drang völkerwanderunszeitlicher Gruppen erklärbar sein, die dem Druck der Hunnen zu entkommen trachteten…
 
@Sinn der Provinz Germania Magna
... Allein das besonders erzreiche Harzgebiet befand sich auf dem Boden dieser Provinz! ...
...Die Römer hätten wenig von Geographie und Zuständen in Germanien gewusst, recht unglaubwürdig.
...Im Kontext mit dem Erzreichtum des Harzes liegt der Gedanke an die Schlacht am Harzhorn so viele Menschenalter später nicht allzu weit…

Wenn ich mich dort kurz einmischen darf:

Der eigentliche Harzer Bergbau außerhalb von ein paar Stollen beginnt etwa 800-1000 Jahre später. Das man am Rammelsberg vereinzelt alte Schlacken gefunden hat, die möglicherweise sogar 2000 Jahre vor den Römern entstanden sind, sicher jedenfalls die Römerzeit abdecken, sollte man nicht in der Breite oder für weitergehende Überlegungen verwenden. Insbesondere der Bergbau im Oberharz stammt erst etwa aus dem 11.JH.

Ich halte es für ausgeschlossen, dass Harzer Gruben um 0 als erstrebenswertes Ziel angesteuert werden konnten. spekulativ ist natürlich, was die Römer nach einer Besetzung daraus gemacht hätten.

Auch der römische Bergbau im Sauerland "Plumbum Germanicum" etc. sollte nicht verallgemeinert werden: ich kann mir nicht vorstellen, dass die Römer in jedem Mittelgebirge Abbaugebiete vermutet haben (schon mangels geologischer Kenntnisse).

Den potentiellen "Wirtschaftsfaktor Harz" für das Römische Reich würde ich als Antizipation ausschließen.
 
Den potentiellen "Wirtschaftsfaktor Harz" für das Römische Reich würde ich als Antizipation ausschließen.

Danke für den Hinweis. Die Erschließung einer niemals voll zum tragen gekommenen Provinz muss spekulativ bleiben. Es gibt spekulative Elemente im letzten Beitrag, was in Überschrift und auch sonst einige Male erwähnt wird. Das wirtschaftliche Potential Germaniens war zu großen Teilen unbekannt und wurde bereits anderswo hier im Forum angesprochen. Den Harz hervorzuheben war übertrieben, landwirtschaftliches Potential im Lande aber bekannt.

Das Beispiel der römischen Rheinlande zeigt, wie schnell Rom bei Interesse seine Provinzen erschließen konnte. Die Rheinlande boten dazu in jeder Hinsicht beste Voraussetzungen, forciert durch die Militärstützpunkte. Ähnliche Stützpunkte entlang der neuen Außengrenzen, wären bei einer Behauptung Germaniens weiter östlich entstanden. In ihrem Umfeld wurde generell die Wirtschaft rasch entwickelt, wie oben dargelegt.

Die römische Expansion nach Germanien hinein war nicht aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten begonnen worden, sondern aus politischen Erwägungen heraus und weil man es sich leisten zu können glaubte. Ergo genügend Kräfte hierzu zu besitzen dachte. Ein Verlustgeschäft musste es dennoch nicht werden und das zumindest dürfte auch in Rom bekannt gewesen sein! Auf das wirtschaftliche Potential ging ich ein, weil es im Thread bestritten worden ist. Hauptmotivation blieb die Politik und militärische Erwägungen. Politisch sind auch die Hauptargumente im letzten Beitrag.
 
Ähnlich wie einige Autoren im aktuellen „Varusschlacht-Katalog“ finde ich das häufig zu hörende Argument: Die Römer hätten wenig von Geographie und Zuständen in Germanien gewusst, recht unglaubwürdig.


Was voraussetzen würde, dass die Römer ein Bild von der Erde gehabt hätten vergleichbar unseren modernen physischen Karten. Liest man aber Caesar oder Strabo, findet man ein eher naives geographisches Verständnis vor.

Sehen wir doch über eine Menschengeneration hinweg römische Heere und Flotten sogar „getrennt marschierende“, kombinierte Feldzüge in dieser angeblich so unbekannten Wildnis. Dabei setzen solche Operationen zu allen Zeiten exaktes Timing voraus, was wiederum nur bei entsprechender Ortskenntnis möglich ist! Als Drusus die Grundlagen der Eroberung Germaniens westlich des Rheines schuf, ließ er dort zahlreiche Kastelle anlegen, aus denen sich später so häufig Städte entwickelten: Da soll er das intuitiv, auf Basis vager Informationen getan haben?? Ich will die Römer nicht zu perfekten Planern hochstilisieren, aber eine grundlegende Vorarbeit benötigt zumindest ausreichende Informationen und die spätere Eroberung brachte weiteres Wissen.

Hier liegt ein Missverständnis vor. Natürlich kannten die Römer Germanien, sie kannten Fauna und Flora, die wichtigsten Flüsse und ihre Verläufe, ohne Frage. Sie gründeten Städte und betrieben Bergbau. Was ich in Frage stelle sind Vorstellungen von "Frontverkürzungen" durch Gewinnung der Elbelinie:

Etwas anderes wären geostrategische Überlegungen gewesen, z.B. Gewinnung der Elblinie.

Ich glaube einfach nicht, dass das topographische Bild der Römer exakt genug war. Ein Hinweis mag Strabo sein, ein anderer Velleius Paterculus, der einen Marsch vom Rhein an die Elbe von 400 Meilen nennt, ("ad quadringentesimum miliarium a Rheno usque ad flumen Albim"). Diese Entfernungsangabe ist viel zu hoch, was schon Anlass zu Spekulationen gab, die ihren Weg auch in unser Forum fanden: http://www.geschichtsforum.de/f28/waren-die-r-mer-der-oder-7117/

Ironie wollte ich in den Strabon-Text nicht hineinlesen.

Aber ich. ;)

Morgen ausführlicher.
 
Was Kriege und Eroberungsbestrebungen angeht, neigen wir heute dazu, wirtschaftliche Motive zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Die spielen natürlich oft eine Rolle, sind aber keineswegs immer ausschlaggebend. Was Roms Engagement in Germanien betrifft, fallen mir auf Anhieb zwei Kriegsgründe ein, die mit ökonomischen Faktoren nichts zu tun hatten:

1. Eroberung/Ausweitung der Macht war ein Kernelement römischer Politik. Nichts brachte einem römischen Feldherren so viel Ansehen ein wie die Ausdehnung der Außengrenzen, die "Mehrung" des Reichsgebiets. Das allein dürfte schon ein hinreichender Kriegsgrund gewesen sein. Hier hat sicher auch für Caesar ein Grund gelegen, Gallien zu erobern. Das kann man unter dem Stichwort "Sendungsbewusstsein" zusammenfassen.

2. Von Norden waren immer wieder Barbaren ins Reichsgebiet eingefallen oder hatten seine Grenzen bedroht. Die Eroberung Roms durch ein gallisches Heer und der Zug der Kimbern und Teutonen sind nur zwei Beispiele. So sollte Gallien ein "Puffer" vor römischem Gebiet sein, in gleichem Sinne hätte ein romanisiertes Germanien einen Puffer im Vorfeld von Gallien gebildet. Das wären dann nicht vorrangig wirtschaftliche sondern strategische Gründe.

Die immer wieder aufgebrachten Überlegungen hinsichtlich "innerer Linie" oder Grenzverkürzung muss man, glaube ich, zurückhaltender betrachten. Zweifellos hätte ein Vorschieben römischer Herrschaft bis zur Elbe die Außengrenzen des Reiches verkürzt. Zweifellos wussten die Römer auch genug über die Geografie, um zu wissen, dass der Weg von Pannonien ins Elbgebiet relativ kurz war. Trotzdem ist nicht sicher, dass sie ein Vorschieben der Grenze bis zur Elbe auch im Sinne einer "inneren Linie" hätten nutzen können. Das hängt sehr von damaligen geografischen Gegebenheiten ab, die wir heute nur unzureichend kennen. Es ist genausogut denkbar, dass vorgeschobene Lager an der Elbe trotzdem weiterhin von Gallien aus hätten versorgt werden müssen, weil die Wege durch Süddeutschland und Böhmen hindurch nicht gut genug passierbar waren. Dann hätte sich die Grenze zwar faktisch verkürzt, die Nachschubwege wären trotzdem länger geworden.

Und noch ein Nachsatz zur Frage, ob Rom Germanien doch noch hätte erobern können: Ich bin lange davon ausgegangen, dass dies möglich gewesen wäre. Heute neige ich eher der These von Boris Dreyer zu, dass die Römer selbst mit ihren über Jahre und Jahrzehnte vorgetragenen Feldzügen nach Germanien hinein die germanischen Stämme immer mehr aufgewiegelt haben. Am Ende war die Kriegsbereitschaft in den Stämmen nahezu flächendeckend. Von da an hätte es einer systematischen Vertreibung oder gar eines Völkermords bedurft, um den Krieg zu gewinnen. Jede andere Strategie hätte zu einem endlosen Abnutzungskrieg geführt. Und für Völkermord oder Vertreibung hatten selbst die Römer nicht das Potenzial. Man muss bedenken, dass selbst acht oder auch zehn Legionen nicht ausreichen, um eine Fläche so groß wie Norddeutschland auf Dauer sicher zu kontrollieren. Deutschland hat heute mehr Polizisten als Rom damals Legionäre. Trotzdem sieht man nur selten Uniformierte.

MfG
 
Ich habe noch meine Schwierigkeiten mit dieser "Frontverkürzung" durch ein Verschieben der römischen Ostgrenze vom Rhein an die Elbe.

Zur augusteischen Zeit haben wir in der nördlichen Grenzziehung einen Winkel, dessen einer Schenkel sich halbwegs von Süd nach Nord (Rhein) und von West nach Ost (Donau) hinzog und ein Zwischenstück zwischen Hochrhein und Donau bedurfte. Der Bereich im Süden im Knie dieses Winkels war ziemlich schwach gesichert. In (der späteren Provinz) Rätien war nach unserem Kenntnisstand in spätaugusteischer/frühtiberischer Zeit keine Legionstruppen stationiert. Nachweisen lassen sich lediglich eher schwache Auxiliartruppen. Demnach kann man davon ausgehen, dass die in den Quellen beschriebene Helvetier-Einöde im heutigen Baden-Württemberg die Stationierung von starken Streitkräften nicht erforderlich erschienen ließ. Das Gebiet im Vorfeld der südlichen Grenze war wohl weitgehend menschenleer.

Schiebt man nun die Grenze vom Rhein auf die Elbe vor, gewinnt man hinsichtlich der Nord/Süd-Achse nichts. Die Linie am Rhein dürfte nicht wesentlich länger sein als eine neue Linie an der Elbe, quer durch Böhmen und von dort zur Donau. Nur saßen genau dort Marbod und seine Markomannen. Eine entsprechende Grenzziehung setzt also die Unterwerfung Marbods voraus.
Alternativ könnte man die Elbe nur von deren Mündung bis etwa zur Höhe des heutigen Magdeburgs besetzen und von dort dann eine Linie zur Donau bei Regina Castra (= Regensburg) als Landlimes ziehen. Zumindest letztere Variante dürfte nun schon mehr Truppen erfordern als die bisherige Rheinlinie. Durch die Verkürzung des West/Ost-Schenkels war nichts wesentliches gewonnen, weil da eh kaum Truppen stationiert waren.

Grenzänderungen östlich des Rheines mit geringem Aufwand und hohem Gebietsgewinnen lässt sich m. E. am sinnvollsten im Norden erzielen. Hier hätte man die bisherige Rheingrenze etwa bei Wesel rechtsrheinisch hin nach dem heutigen Lingen und von dort dann der Ems entlang verlagern können. Stellt sich nur die Frage, ob das heutige Holland attraktiv für solch eine Inbesitznahme war.
Desweiteren hätte man im Süden auch die dann später unter Domitian vorgenommenen Grenzänderungen angehen können.

Diese geostrategische Notwendigkeit einer Elbgrenze scheint mir nicht zwingend. Diese ergibt sich mehr aus unserem heutigen Wissen über die Germaneneinfälle, welche jedoch 220 Jahre später bedeutsam wurden.
 
  1. Eroberung/Ausweitung der Macht war ein Kernelement römischer Politik. Nichts brachte einem römischen Feldherren so viel Ansehen ein wie die Ausdehnung der Außengrenzen, die "Mehrung" des Reichsgebiets. Das allein dürfte schon ein hinreichender Kriegsgrund gewesen sein. Hier hat sicher auch für Caesar ein Grund gelegen, Gallien zu erobern. Das kann man unter dem Stichwort "Sendungsbewusstsein" zusammenfassen.
Richtig. Im Sinne Roms wurde nicht primär gefragt, welchen wirtschaftlichen Nutzen ein Land bringen könnte, sondern ob es im Stande ist, sich zu wehren. Im Fall des Drusus wird Kriegsruhm die ausschlaggebende Motivation gewesen sein. Er ließ zwar neuralgische Punkte des Landes besetzen, aber eine Provincia Germanica lag damals wohl noch in weiter Ferne.
2. Von Norden waren immer wieder Barbaren ins Reichsgebiet eingefallen oder hatten seine Grenzen bedroht. Die Eroberung Roms durch ein gallisches Heer und der Zug der Kimbern und Teutonen sind nur zwei Beispiele. So sollte Gallien ein "Puffer" vor römischem Gebiet sein, in gleichem Sinne hätte ein romanisiertes Germanien einen Puffer im Vorfeld von Gallien gebildet. Das wären dann nicht vorrangig wirtschaftliche sondern strategische Gründe.
Auch richtig. Die Ausschaltung eines potentiellen Feindes war ein gern gesehener Vorwand, ein fremdes Volk zu unterwerfen. (Obwohl ich nicht verstehe, weshalb Germanien ein Puffer zwischen Galliern und Römern gewesen sein soll.)
Heute neige ich eher der These von Boris Dreyer zu, dass die Römer selbst mit ihren über Jahre und Jahrzehnte vorgetragenen Feldzügen nach Germanien hinein die germanischen Stämme immer mehr aufgewiegelt haben. Am Ende war die Kriegsbereitschaft in den Stämmen nahezu flächendeckend.
Auch hier Zustimmung. Die Entschlossenheit und Schlagkraft einer Koalition germanischer Stämme unter der Führung eines fähigen Feldherrn, hatten die Römer unterschätzt. Zermürbung oder Kriegsverdrossenheit war bei den Männern des Arminius auch nach dem dritten Kriegsjahr nicht erkennbar. Es sieht geradezu so aus, als hätten sie im Jahre 17 n.Chr. kampfbereit Germanicus erwartet, dessen Erscheinen wider Erwarten ausblieb. Dafür kam Marbod gerade zur richtigen Zeit.
 
Und noch ein Nachsatz zur Frage, ob Rom Germanien doch noch hätte erobern können: Ich bin lange davon ausgegangen, dass dies möglich gewesen wäre. Heute neige ich eher der These von Boris Dreyer zu, dass die Römer selbst mit ihren über Jahre und Jahrzehnte vorgetragenen Feldzügen nach Germanien hinein die germanischen Stämme immer mehr aufgewiegelt haben. Am Ende war die Kriegsbereitschaft in den Stämmen nahezu flächendeckend. Von da an hätte es einer systematischen Vertreibung oder gar eines Völkermords bedurft, um den Krieg zu gewinnen. Jede andere Strategie hätte zu einem endlosen Abnutzungskrieg geführt. Und für Völkermord oder Vertreibung hatten selbst die Römer nicht das Potenzial. Man muss bedenken, dass selbst acht oder auch zehn Legionen nicht ausreichen, um eine Fläche so groß wie Norddeutschland auf Dauer sicher zu kontrollieren.

MfG

Auch hier Zustimmung. Die Entschlossenheit und Schlagkraft einer Koalition germanischer Stämme unter der Führung eines fähigen Feldherrn, hatten die Römer unterschätzt. Zermürbung oder Kriegsverdrossenheit war bei den Männern des Arminius auch nach dem dritten Kriegsjahr nicht erkennbar. Es sieht geradezu so aus, als hätten sie im Jahre 17 n.Chr. kampfbereit Germanicus erwartet, dessen Erscheinen wider Erwarten ausblieb. Dafür kam Marbod gerade zur richtigen Zeit.
Das sehe ich genauso!
Germanien war eben nicht ein Volk mit einem Herrscher. Die Clan-Struktur stellt viele Kriegsschauplätze bereit und ist ein Stamm kontrolliert, dann erhebt sich der andere. Es war ein Aufstand in einem "kontrollierten" Gebiet, der Varus´ Legionen ausgelöscht hat. Germanicus Feldzüge mit sage und schreibe 8 Legionen brachten keinen durchschlagenden Erfolg, sondern waren ein großes Verlustgeschäft, daß von römischer Seite "schöngeredet" wurde. Und wie schon oft erwähnt, konnte Arminius nach dieser Invasion nicht ernsthaft geschwächt werden. Hier stößt das Imperium an seine Grenzen!
 
Die Ausschaltung eines potentiellen Feindes war ein gern gesehener Vorwand, ein fremdes Volk zu unterwerfen. (Obwohl ich nicht verstehe, weshalb Germanien ein Puffer zwischen Galliern und Römern gewesen sein soll.)
Nicht zwischen Gallien und Rom, sondern noch im Vorfeld von Gallien. Nach Caesars Sieg mussten potenzielle Nachfolger der Kimbern und Teutonen erstmal Gallien besiegen, ehe sie das eigentliche römische Reichsgebiet bedrohen konnten. Schizophren an dieser Strategie: Gallien wurde dadurch zu einem Teil des römischen Reichs - und in der Folge haben sich die Römer genötigt gesehen, die gallischen Grenzen zu sichern. Diesmal gegen die dauernden Einfälle aus Germanien. Der caesarischen Logik (und Tradition) folgend, haben sie dann irgendwann versucht, ganz Germanien zu besetzen, damit mögliche Feinde erstmal Germanien besiegen mussten, ehe sie Gallien bedrohen konnten. Wäre das gelungen, hätte es natürlich irgendwann dazu geführt, dass auch Germanien Teil des römischen Reichs gewesen wäre, dass seine Grenzen hätten gesichert werden müssen und dass die Römer versucht hätten, einen "Pufferstaat" zwischen Germanien und den "Feinden" zu etablieren. Roms Außenpolitik war, so betrachtet, stets auf Eroberung gegründet. Zumindest auf der Vorgabe, dass die Politik auf der Position des Stärkeren beruhen musste. Jede neue Eroberung brachte die "Pflicht" mit sich, weitere Eroberungen in Angriff zu nehmen.

Germanien war eben nicht ein Volk mit einem Herrscher. Die Clan-Struktur stellt viele Kriegsschauplätze bereit und ist ein Stamm kontrolliert, dann erhebt sich der andere.
Das ist der wichtigste Aspekt dabei. Deshalb sprach ich an anderer Stelle davon, dass es sich im Grunde um einen "Guerillakrieg" (ich bevorzuge die Bezeichnung Kleinkrieg) handelte. Als die Römer kamen, gab es niemanden, der übergreifend einen Krieg aller Stämme hätte anordnen können. Als die römische Position in Germanien unhaltbar wurde, gab es niemanden, der im Namen aller Stämme hätte Frieden schließen können. Die Entscheidung darüber lag immer bei den einzelnen Clans. Sie wurde dezentral getroffen. Diese Struktur hat sich über Jahrhunderte so erhalten. Im Grunde löste sie sich erst nach der Völkerwanderung auf. Denkt man das weiter, kann man darüber nachdenken, ob die Römer mit ihrem Eroberungskrieg vielleicht schon den Grundstein für die Bildung des Stammesverbands der Franken gelegt haben. Die Franken rekrutierten sich ja weitgehend aus den Stämmen, die schon Drusus und Germanicus bekämpft hatten.

MfG
 
Chronologie & Geostrategie

Ja der geostrategische Komplex ist wirklich interessant. Wir hatten das schon mal irgendwo. Aber ich drösele’ die Ereignisse noch einmal genauer auf um den Blick nicht zu sehr auf Germanien zu begrenzen, dann wird auch ein Schuh draus.

Nur zur Erinnerung: Vor Ausgreifen Roms auf das rechtsrheinische Germanien hatte Caesar Gallien bis zum Rhein unterworfen. Zu dieser Zeit begann Rom auch stärker nach Illyrien hinaus zu expandieren. Unter seiner Herrschaft dort (noch) als Prokonsul war es eine kleine Provinz die erst noch konsolidiert und gefestigt werden musste. Die Dalmatier waren keineswegs unterworfen und bedrohten weiterhin die Küstengebiete. Octavian selbst festigte die dortige Herrschaft während seines Triumvirats, da es direkt an die Gebiete seines Rivalen Marcus Antonius angrenzend, eine strategische Bedeutung gewann zwischen 35-33 v. Chr. Im Jahre 14 v. Chr. begann ein erster Aufstand in Pannonien, der nahtlos in einen Dalmatischen Krieg überging, den Agrippa rasch siegreich beendete und bei den Pannoniern gewaltigen Schrecken verbreitete. Als er 12 v. Chr. starb, rebellierten sie Schubweise erneut und Tiberius wurden die Operationen anvertraut, von denen noch 8 v. Chr. letzte römische Siegesnachrichten vorliegen. Dabei wurde letztlich auch Pannonien bis zum Donauknie der römischen Herrschaft unterworfen.

Nun lohnt ein kurzer Blick auf die durchaus richtigen, strategischen Überlegungen bei flavius_sterius betreffs der Winkel im nunmehrigen, römischen Grenzsystem. Der zentrale Winkel zwischen den Grenzlinien nach Norden lag nun nämlich an der Stelle, an welcher die junge Donau von Westen kommend nach Süden und Südosten in seinem Mittellauf abknickt. Die „Verkürzung“ ist von hier aus zu sehen, wenn die Gebiete östlich des Rheines bis nördlich der Donau am großen Donauknie römisch werden würden… Das ist näher zu beleuchten:

Die römische Rheingrenze bestand somit bereits seit Caesar. Der Raum zwischen Donauquelle und Donauknie aber wurde zu dieser Zeit erst direkter römischer Kontrolle unterzogen! Das bisherige „Klientelreich“ Noricum wurde 15 v. Chr. von Augustus „kassiert“ und teil des Reiches als tributpflichtiges Fürstentum. Nun lag zwischen dem römischen Gallien und dem römischen Noricum nur noch Rätien und Teile der Alpenbewohner als der direkten römischen Herrschaft entzogen. Diese „Frontbegradigung“ wurde in eben diesem Jahre 15 v. Chr. als Alpenfeldzug in Angriff genommen. Von Gallien aus griff die dortige Armee unter Tiberius an (darunter die 19. Legion unter Kommando des Legaten P. Q. Varus!) und von Italien aus kamen weitere Truppen unter Drusus – nominell befehligt von Augustus selbst, der sich in Lyon befand. Gegen die römische Übermacht kam es kaum zu nennenswerten Schlachten, dann war diese „Frontbegradigung“ abgeschlossen.

Wie bereits oben erwähnt kümmerte sich Tiberius nun bald um die Verhältnisse in Illyrien und Pannonien, während dem Drusus die Unterwerfung Germaniens („bis zur Elbe“), seit 12 v. Chr. anvertraut wurde. Drusus soll seine Aufgabe bis zu seinem Unfalltod im Jahre 9 v. Chr. wohl weitgehend erfolgreich abgeschlossen haben. Augustus sandte sofort Tiberius als den Bruder des Drusus von Illyrien weg (wo die Kämpfe weitgehend als abgeschlossen galten) nach Germanien, um die Lage so kurz nach der Eroberung zu konsolidieren. Tiberius stürzte sich in die Aufgabe. Drusus hatte bislang vor allem den Raum nördlich des Mains und westlich der Weser unterworfen. Sein letzter Marsch hatte die Elbe, vermutlich irgendwo im Umfeld des heutigen Magdeburgs erreicht.

Tiberius machte auf dieser Basis weiter. Drusus soll etwa im Jahre 10 v. Chr. die damals in Mainfranken ansässigen Markomannen „fast bis zur Vernichtung geschlagen“ (Orosius, Historien 6,21,15) haben. Im Jahre 8 v. Chr. soll der Germanenkrieg weitgehend abgeschlossen gewesen sein. Tiberius nahm die Unterwerfung (deditio) der bisher feindseligen Stämme entgegen. Dazu zählten vermutlich auch die Markomannen, die als besonders feindseliger Stamm eine harte Behandlung erwartete, die aber im Einzelnen nicht bekannt ist. Bekannt ist nur, dass ihr namenloser König sich als Bittsteller zu Augustus nach Rom flüchtete. Möglich ist auch, dass Teile ihrer Stammesführung ähnlich wie bei den Sugambrern „völkerrechtswidrig“ verhaftet wurden. Peter Kehne will sich da nicht recht festlegen, vermutlich sollten auch Teile des Stammes deportiert werden.

In dieser Lage stieß Marbod, ein junger, in Rom durchaus bekannter Adeliger aus diesem Stamm in das sich öffnende Machtvakuum des Stammes hinein und setzte sich an deren Spitze. Das Volk setzte sich aus dem Zugriffbereich Roms nach Osten ab und siedelte sich in Böhmen an, wo Marbod sich in kurzer Zeit eine recht stabile und militärisch (laut römischen Quellen) durchaus starke Herrschaft errichtete. Die Abwanderung fand spätestens bis zum Jahre 7 v. Chr. statt und kam für Rom in ihrem Erfolg wohl recht überraschend!

Wohl im Jahre 5 (also nach der Zeitenwende) kam es zu einer machtpolitischen Demonstration zwischen Tiberius, der einmal mehr die mittlere Elbe mit seiner Armee erreichte und einer am anderen Ufer demonstrativ aufmarschierten Armee von Elbgermanen, die vermutlich dem Marbod unterstanden. Man kann davon ausgehen, dass Marbod das römische Ziel einer Provinz Germanien bis zur Elbe durchaus bekannt war. Die Machtdemonstration scheint signalisieren zu wollen: „Nun habt ihr was ihr wolltet, ab hier beginnt meine Machtsphäre.“ Verschärfend aus römischer Sicht war der Umstand, dass Marbod jene Flüchtlinge bei sich aufnahm, die vor den Römern über die Elbe zurückgewichen waren.

Mit Pomp wurde in Rom der Krieg an Marbod erklärt. Velleius Paterculus formulierte es so:
„Marbod war auch deswegen zu fürchten, weil er zur Linken und vor sich Germanien, zur Rechten Pannonien und im Rücken seines Gebietes die Noriker hatte“ (historicae Romanae 2,109,3).
Hier endlich wird die volle römische Grenzkonzeption sichtbar! Marbods Gebiet ragte wie ein Dreieck in das von Rom beanspruchte Gebiet hinein! Die Grenzen bis zur Elbe vorzuschieben, ohne Böhmen einzuschließen wäre ganz sicher kein strategischer Vorteil. Für das Jahr 6 waren gewaltige römische Operationen in zwei getrennt operierenden Heeresgruppen vorgesehen, die insgesamt 12 Legionen und zahlreiche Auxilien umfassten. Vom Rhein her stieß C. S. Saturninus vor, während Tiberius seine Kräfte von Carnuntum in Pannonien aus vorrücken ließ…

Was nun folgte ist bekannter: In Pannonien und Illyrien brach ein immenser Aufstand los, den Sueton als „der schwerste aller Kriege nach dem Punischen“ nannte (Tiberius 16). Tiberius sah sich gezwungen seine Armee im eigenen Hinterland einzusetzen, Saturninus musste seinen Vormarsch einstellen. In dieser Lage war Rom durchaus bereit mit Marbod einen Friedens- & Freundschaftsvertrag durch Tiberius abzuschließen. Marbod unterstützte die Aufständischen nicht und glaubte so seinen Kopf zu retten. Der Aufstand wurde erst im Jahre 9 endgültig niedergeworfen und genau in jenem Jahr rebellierte eine Koalition germanischer Stämme im rechtsrheinischen Germanien und warf die Römer erst einmal aus dem Lande. Arminius als Führer des Aufstandes sandte den abgeschlagenen Kopf des Varus an Marbod. Die Absicht diesen in die Kämpfe mit hineinzuziehen ist deutlich, doch Marbod sandte das grausige Triumphgeschenk nach Rom weiter und verharrte in Untätigkeit.

Dies ist die Situation die Germanicus vorfand, als er den Kampf mit Arminius wieder aufnahm. Aus den Abläufen ist klar zu erkennen, das Rom nach einer erneuten Unterwerfung Germaniens auf lange Sicht durchaus hätte die Feindseligkeiten mit Marbod wieder aufnehmen können. Dafür spricht auch das weitere Schicksal jenes Mannes, der Rom vor Schlimmeren bewahrt hatte, indem er weder in den pannonischen- noch in den germanischen Krieg eingriff, obwohl ihm Rom bereits zeitweilig den Krieg erklärt hatte.

An den von mir fett markierten Aussagen des Paterculus lässt sich auch ein geographisches, antikes Bewusstsein für eine „strategische Grenzbegradigung“ deutlich ablesen. Wenn man nur die Außengrenzen der Provinzen Germanien und Pannonien berücksichtigt, ist dieser wichtige Fakt nämlich nicht erkennbar!


...das alles hat jetzt aber wirklich mit Segestes jetzt nichts mehr zu tun, oder?^^ Sollte der Komplex weiter diskutiert werden, sollte er m.e. herausgelöst werden.
 
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