Ich stelle mir die Frage, ob die Griechen homosexuell waren oder homosexuell handelten.
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Das ist wörtlich genommen eine recht seltsame Frage, die aber an den Kern des Problems rührt. "Die Griechen" waren mit allergrößter Wahrscheinlichkeit in biologischer Hinsicht sexuell nicht viel anders gestrickt als andere Menschengruppen. Wer etwas anderes behauptet, müßte dafür Belege, zumindest Argumente liefern. Das meinst Du aber sicher auch nicht.
Der Begriff "Homosexualität" ist ein seltsames griechisch-lateinisches Mischwort, welches erst im 19. Jhr. auftaucht und ein bestimmtes Sexualverhalten beschreibt, nämlich die gleichgeschlechtliche sexuelle Ausrichtung. Als Grund dafür wird von Verführung über Hormonstörungen bis zu genetischen Grundlagen alles mögliche angegeben. Wieso Menschen homosexuell sind, weiß man aber nicht, genauso wenig, wie man weiß, warum Menschen heterosexuell sind. Für die Antike bringt der Begriff schon deshalb Probleme, weil er eine Dichotomie suggeriert, wo doch wahrscheinlich ein fließendes Spektrum anzunehmen ist. Die begrifflichen Ungenauigkeiten sowie die bei vielen vorhandenen vorwissenschaftlichen Weltbilder und Vorurteile machen es schwer, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Daher werden -oft etwas gequälte- Rationalisierungen bemüht, siehe Wanderungsbewegungshomosexualität und ähnliches.
Ich will mal meine persönliche Meinung dazu sagen: die menschliche Sexualität ist eine starke Kraft. Genauso stark oder sogar stärker ist das Bedürfnis emotionaler Beziehung zwischen Menschen, die sich aus bestimmten unerklärbaren Gründen verstehen. Beides, Sexualität und Beziehungsbedürfnis, ist nicht deckungsgleich, trifft aber oft zusammen. Im Bereich der Schnittmengen und außerhalb können sich alle möglichen menschlichen Kontakte ergeben. Man kann daher auch schwer sagen, ob jemand homosexuell ist oder "nur" homosexuell handelt. Wo soll man da die Grenze ziehen? Der Begriff "situative Homosexualität" klingt geradezu so, als wäre es Menschen grundsätzlich unmöglich, auf mechanischen Sex mit anderen zu verzichten, was ich so generell für übertrieben halte. Für "die Griechen" (also die sogenannte Knabenliebe, wenn das gemeint ist), kann man so was jedenfalls ausschließen, es gab reichlich Möglichkeiten zu sexueller Betätigung, man mußte dazu nicht den jugendlichen Kampfgefährten hernehmen.
Die genannten Kontakte kann eine Gesellschaft ganz oder teilweise gleichgültig hinnehmen, sie ablehnen, fördern, usw.. Ob Gesellschaften so oder so handeln, beruht meines Erachtens größtenteils auf zeitgeschichtlichem Zufall.