"Lizensierte & illegale Barbaren" - Ein Unterschied
Mit der "physischen Vernichtung " war es zur Zeit der Völkerwanderung nicht mehr weit her. So erzwangen die Westgoten nach dem Einbruch der Hunnen 375 n. Chr. den Übergang über die Donau. Die daran anschließende Schlacht von Adrianopel am 9. August 378 war mit ungefähr 20.000 Toten die folgenreichste Niederlage der Römer seit der Schlacht von Cannae (216 v. Chr.) In der Schlacht unterlagen die Römer den „Westgoten“, genauer gesagt den terwingischen Goten, die auf der Flucht vor den Hunnen auf dem Gebiet des Römischen Reichs einen neuen Siedlungsraum gesucht hatten, von den Römern aufgenommen worden waren, aber schließlich gegen diese rebellierten. Im Anschluss daran zogen die Westgoten raubend durch den Balkan und plünderten 410 schließlich Rom, das caput mundi!
Tatsächlich? In Wirklichkeit spielte Rom eine andere Rolle! Du nennst ein Paradebeispiel schlechthin GEGEN die von Dir vertretenen Schlussfolgerungen und für die Bedeutung römischer Anerkennung:
1. Die Terwingen/Westgoten überschritten MIT Erlaubnis der Römer die Donau und damit die Reichsgrenzen. Die Lobredner des Kaisers Valens überschlugen sich mit Gratulationen für diesen Geniestreich. Reisten doch die gotischen Emissäre dem Kaiser bis nach Antiochia nach um den Übertritt zu verhandeln. (Zitat liefere ich auf Anfrage nach)
Es waren ganz andere Gründe, die zur Schlacht von Adrianopel führten. Dabei verbündeten sich die „terwingische Gruppe“ unter Fritigern mit anderen, nicht „lizensierten Einwanderern“, die man gewöhnlich als die „3-Völker-Koalition“ kennt. Die letztere Gruppe trennte sich etwas nach der Schlacht von den Fritigern-Goten und fächerte auf. Einige Gruppen wurden zerschlagen, andere als dediticii zersiedelt und ein Kern schloss sich wohl endgültig den „Fritigern-Goten“ an um an der Ethnogese zu den Westgoten mitzuwirken.
2. Zur gleichen Zeit versuchten etwa die Taifalen (einst ebenfalls ein Teil der „terwingisch dominierten Konföderation“ verschiedener Stämme nördlich der Donau, die kurze Zeit zuvor noch von Athanarich geführt worden waren), ebenfalls ihr Heil im Reich, wieder ohne als „Asylsuchende“ akzeptiert zu werden. Die Römer zerschlugen den Stamm, töteten viele und siedelten ihre Reste als
dediticii verstreut und vereinzelt zwischen den Provinzen verteilt an. Ihr Stamm war vernichtet, ihre „menschliche Substanz“ stark verringert. Wenn die als
laeten angesiedelten Taifalen sich nicht später durchziehenden Foederaten anschlossen, romanisierten sie vollständig und ihre Anwesenheit ist nur anhand vereinzelter Ortsnamen, etwa in Italien zu erahnen. So klappte Völkerwanderung also nicht! Dediticii waren Menschen mit eingeschränktem Bürgerrecht und auf Vollbürger angewiesen um als rechtlich handelnde Person auftreten zu können. Man kann sie recht passend als „Mündel des Kaisers“ bezeichnen.
3. Ähnlich erging es einigen sarmatischen Gruppen kurz vorher im Jahre 359 unter Kaiser Constantius II. Die Limiganten sollten bereits die Erlaubnis erhalten, sich nach völliger Unterwerfung ebenfalls als dediticii im Reiche ansiedeln zu lassen, als sich alles änderte: Während der Unterwerfungszeremonie dieser Gruppe ergriffen sie die Waffen und unterlagen. Hier sind ebenfalls schöne Zitate auf nette Anfrage zu nennen. Auch dieser Stamm verschwand aus der Geschichte, eine einzige Niederlage reichte! Wie viele Niederlagen dagegen steckten die „lizensierten Westgoten“ in ihrer Geschichte weg, ohne von den Römern als Volk zerschlagen zu werden?
4. Zwei Generationen vorher hatte Kaiser Konstantin der Große, einige fränkische Eindringlinge, die sich in Gallien niedergelassen hatten angegriffen und besiegt. Er ließ wenige ungeschoren und warf ihre beiden Könige den wilden Tieren vor, was das römische Volk in der Arena von Trier besonders dankbar aufnahm!
…es würde wirklich zu weit führen weitere Beispiele aufzuzählen! Die Grundzüge römischer Politik sind m.E. offensichtlich geworden.
… Auch andere germanische Völker waren in den folgenden Jahrzehnten keineswegs von "physischer Vernichtung" bedroht, denn im Jahr 407 überquerten Vandalen und Alanen den Rhein und ergossen sich plündernd über Gallien und später Spanien. Es würde zu weit führen, noch andere germanische Invasoren zu benennen.
…und wieder ist der Blick getrübt die Fakten so zu deuten: Die von Dir angesprochene, kriegerische Invasion aus den Völkern der beiden vandalischen Völker (Hasdingen und Silingen!), sowie Alanen und Sueben im Jahre 407 war tatsächlich zunächst von Erfolg gekrönt und niemand konnte sie stoppen. Grund waren interne Wirren des Westreiches, einige Spannungen zwischen den beiden römischen Reichen (Stilicho), sowie vor allem der Radagais-Zug nach Italien (gotische Einfälle) und unzufriedene Foederaten (Westgoten unter Alarich). Roland Prien wählte in einem Aufsatz dazu als Unter-Überschrift den Satz: „Das Imperium schlug nicht zurück“. So blieben die frechen Eindringlinge vorerst ungeschoren, bandelten mit römischen Usurpatoren an, die sie wohl unter Vertrag nahmen und in Spanien als ihre Foederaten ansiedelten. Ansonsten ist der Unterschied im Betragen der Invasoren in Gallien (Brand, Raub, Plünderungen….) und Spanien (keine nennenswerten Nachrichten über Gräuel und „ruhige Landnahme“ der Völker in klar abgegrenzten Bereichen) nicht zu erklären.
Das änderte sich, als ein neuer römischer Generalissimus mit dem schönen Namen Flavius Constantius begann die Politik im Westreich zu bestimmen. Zuerst schaltete er nacheinander diverse Gegenkaiser (Usurpatoren) aus, darunter auch jene Gruppe, welche die Rheinüberquerer des Jahres 407 nach Spanien geholt hatte. Als nächstes brachte er allzu hochfliegende Pläne der westgotischen Foederaten durch Hunger und Kampf zu Fall und brachte sie wieder vollkommen unter die zeitweilig entglittene Botmäßigkeit zu seinem Kaiser in Ravenna. Dabei wurden die westgotischen Foederaten in Aquitanien (Südfrankreich) angesiedelt und ihnen wurde fortan vor allem der Kampf gegen die „illegalen“ Barbaren Spaniens auferlegt. Die Goten waren zeitweilig so erfolgreich, dass Constantius sie zurückpfeifen musste. Nach gut 3 Jahren ständiger Feldzüge in Spanien bot sich folgendes Bild: Die vandalischen Silingen in (W)Andalusien waren bis zur Vernichtung zerschlagen. Sie gaben ihr Königtum auf und ihre Reste schlossen sich den hasdingischen Verwandten an. Die Alanen, vorher vielleicht der wichtigste Teil der nach Spanien vorgedrungenen Gruppen, erlitten ein gleiches Schicksal. Im späteren Vandalenreich des Geiserich kündet von ihnen nur noch die Herrschertitulatur „König der Vandalen und Alanen“ von ihrem Anteil. Vor den westgotischen Feldzügen hatten die Alanen den reichsten und größten Teil der Halbinsel zuerteilt bekommen, was auf ihre Bedeutung schließen lässt. Ihr Bereich war fast so groß wie die Landlose beider vandalischen Teilstämme zusammen! Die (nun verstärkten) Hasdingen waren nun genötigt sich neu zu orientieren. Es kam ihnen zu Gute, dass sich im westgotisch-römischen Bündnis wieder einmal ein paar Risse zeigten und sie eine römische Armee zerschlagen konnten. Die nun folgende Ruhepause ermöglichte Geiserich die Führung über die Restgruppe zu erringen. Der äußerst gerissene Vandale aber entzog sich jedem möglichen neuen Druck, indem er sein Volk nach Nordafrika übersetzen ließ.
Wichtig in dieser Betrachtung ist, dass sich seinem Zug nach Afrika (also den Hasdingen, Silingen und Alanen) sogar noch ein rebellierendes Westgotenkontingent anschloss, sowie einige, der im unbedeutenden spanischen Nordwesten „ungeschoren“ gebliebenen Sueben. Man hat versucht über Dokumente und Schiffsleistungen rückzurechnen, wie viele Menschen mit Geiserich nach Afrika ausgewandert sind. Die Schätzungen liegen zwischen 50000 bis 100000 Köpfe, wobei meist 80000 genannt werden, neuere Interpretationen die Zahl gar häufig auf 60000 reduzieren! Das also war übrig von der scheinbaren Völkerlawine, die 406 den Rhein überflutet und laut Chronisten „ganz Gallien in einen riesigen Scheiterhaufen“ verwandelt hatten! Wer kann hier bei allen Einschränkungen nicht auch Folgen physischer Vernichtung erkennen? Wem fällt nicht die unterschiedliche Behandlung der teils aus römischer Sicht aufsässigen Westgoten (die „Lizensierten“) gegenüber „illegalen Barbaren“ erkennen? Gegenüber Ersteren erscheint Schonung doch offensichtlich ein Mittel der Politik zu sein! Rom differenzierte ganz offensichtlich zwischen feindlichen Eindringlingen einerseits, und durch einen Foedus-Vertrag legal tief ins Reich aufgenommenen Völkern! Hier änderte sich die Grundeinstellung erst unter Kaiser Justinian gegenüber „unbotmäßigen Foederaten“. Ich hoffe meine Punkte sind trotz tüchtiger Kürzung noch klar genug geworden um gelesen und verstanden werden zu können. Danke.