Die Rolle Polens auf dem Weg zum II. Weltkrieg

Schließlich brauchte ja auch Hitler eine zumindest vorgeschobene Legitimation, sonst hätte er ja keine Zwischenfälle konstruiert. Meine Aussage ging also nicht dahin, daß ich Polen eine Mitschuld gebe, dies hatte ich ja in posting 25 ausgeschlossen.

So hatte ich das auch verstanden. Es ging nicht um den Plan, sondern um die Propaganda bei der Ausführung (-> Mobilisierung). Für die Aggression spielte das nie eine Rolle. Aber das hast Du ja dargestellt.

Hitler hatte am 22.8.39 vor den Wehrmachtspitzen dargestellt, dass es um eine Aggression gehe, dessen Grund er der Öffentlichkeit "liefern" werde. Bei einem Sieg würde "niemand danach fragen".
 
Meine Aussage ging also nicht dahin, daß ich Polen eine Mitschuld gebe, dies hatte ich ja in posting 25 ausgeschlossen.

Polen traf in einem anderen Sinne durchaus eine Mitschuld an seiner prekären Situation. Die Ursache liegt vor allem in der Weigerung Polens multinationale Verträge zur Grundlage seiner Außenpolitik zu machen. Polen schloss lediglich bilaterale Verträge ab.

So verfolgte Polen die Annäherung von Frankreich an die SU und die Tchechei und das damit zusammenhängede Verteidigungsbündnis mit starkem Argwohn. Anstatt dieses Bündnis aktiv zu unterstützen und eine militärische gemeinsame Front vor allem mit der tschechischen Armee aufzubauen, die im mobilisierten Zustand eine beachtliche Papierform aufwies.

Polen war der wichtigste Dominostein für Hitler, der als erster fallen mußte, wollte er Südosteuropa politisch, wichtig auch ökonomisch (Grossraum-Ökonomie) und somit auch militärisch beherrschen. Ohne die Erfüllung dieser Voraussetzungen waren die kompletten Folgeplanung zum Lebensraum im Osten völlig irreal gewesen.

Meine persönlich These zur Situation von 38 / 39 ist, ein Defensivbündnis Polens und der gesamten Tschechei, unterstützt durch die Luftwaffe der SU und die Westalliierten hätte Hitler und seine Generale von einem Angriff auf Polen abgehalten, bzw. die politischen Kosten extrem erhöht.

Die Befürchtung der Polen, die Russen wären nicht gegangen, wären sie einmal im Lande, erscheint historisch zwar verständlich, rein pragmatisch aber nicht überzeugend. Das Gros der russischen Truppen wäre über ein bzw. zwei leistungsfähige 2 spurige Eisenbahntrassen an die westliche Front gen 3. Reich transportiert worden. Die relevanten Gebieten Ostpolens, bis zur Curzon-Linie, auf die sich die revisionistischen Ausrichtung der sowjetischen Außenpolitik bis 39 konzentrierte (inkl. Baltikum und Finnland) wären von der Roten Armee weitgehend nicht betreten worden.

An der gemeinsamen Westfront wären die Truppen der RA operativ weitgehend isoliert gewesen, hätten sie politische Ansprüche Stalins durchsetzen sollen.

Und es hätte durchaus Ansatzmöglichkeiten gegeben, diesen Plan zu realisieren. Vielleicht hätte Churchill ihn realisiert, Chamberlain konnte offensichtlich nicht über seinen antikommunistischen Schatten springen, obwohl Litvinow ihm immer zugerufen hat, Los Feigling spring!=)

Der Anschluss des Sudetenlandes brachte die südliche Verteidigung Polens völlig zum Einsturz und führte via München zudem zu einer weitgehenden Entfremdung der SU den Westalliierten gegenüber. Nach München war der Zug wohl kaum mehr durch diplomatische Mittel zu stoppen gewesen in Richtung Krieg.
 
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Dem stimme ich weitgehend zu. Mir fällt gerade nicht der Autor ein, es ging aber um die Kriegsschuld. Die These war, daß im 1. Weltkrieg niemand bemüht war den Frieden zu bewahren, während die "Kriegsschuld" der Alliierten zum 2. Weltkrieg daran lag, daß sie zu sehr den Frieden erhalten wollten. Ein Vorgehen gegen Deutschland zwischen 33 und 35 hätte sicherlich den Krieg verhindert. Allerdings ist das wiederum zu kurz gesprungen. Hätte man in Versailles versucht ein neues friedliches Europa zu schaffen, so hätte man die Bevölkerung nach dem Grauen des Krieges sicherlich dafür gewinnen können. (Ich weiß, es sind viele "hätte") Doch anstelle dessen stand der Revanche-Gedanke, angefangen von der Alleinschuld Deutschlands, den riesigen Reparationen, den Gebietsabtretungen ohne Rücksicht auf Nationalitäten und der Unwille die neugeschaffenen Nationen in die Unabhängigkeit zu begleiten (Russisch-Polnisch-ukrainische und baltische Kriege), sowie deren Verhalten gegenüber Minderheiten zu kontrollieren. Die Freikorps mit ihrem nationalen Gedankengut sind ein Becken, aus dem der Nationalsozialismus seine Kraft zog. Wenn Polen nicht in Versailles so fordernd aufgetreten wäre, Grenzen von 1772, und Frankreich nicht so bedacht darauf gewesen wäre Deutschland zu schwächen, lediglich England sorgte letztlich für Mäßigung, hätte es uU eine Aussöhnung mit Polen während der Weimarer Republik gegeben. Stattdessen stand man im Grunde mit Polen bis 1921 im Krieg und auch danach noch in feindlicher Ablehnung, noch viel schlimmer als die Abtretungen war, daß zB im Falle Oberschlesiens dann auch durchgeführte Abstimmungen nicht respektiert wurden. Zwar stimmte eine Vielzahl für Polen, doch es gab nur ein komplettes Abstimmungsgebiet. Dies lag wohl daran, daß es in Oberschlesien ca. 1,2 Mio. polnisch sprechende Einwohner gab und nur rund 700.000 deutschsprachige Einwohner. Doch oh Schreck, im Plebiszit stimmten nur 500.000 für Polen, aber 700.000 für Deutschland. Es folgte der dritte Aufstand, bei dem u.a. französische Truppen nicht einschritten um den Frieden zu wahren (dafür waren sie doch eigentlich da). letztlich endete alles mit der Abtretung von Teilen Oberschlesiens, bei Pleß, Tarnowitz und Rybnik, könnte man das noch nachvollziehen, beim Kreis Kattowiz schon weniger, da gerade die Stadt selber, sowie Königshütte mit überwältigender Mehrheit für Deutschland votiert hatten. Hätte eine Mehrheit Oberschlesiens für Polen votiert, ist zu vermuten, daß das ungeteilte Abstimmungsgebiet Oberschlesiens an Polen hätte abgetreten werden müssen.

Wie gesagt, meine Aussagen sollen nicht dazu dienen die Kriegsschuld Deutschlands am 2. Weltkrieg zu schmälern. Hitler und Deutschland sind daran alleine Schuld. Für Hitlers Aufstieg und das Ende der deutschen Demokratie, die letztlich dann zum Krieg führten, gab es aber eine Reihe von Faktoren, die nicht nur im Inland lagen.

PS Ich sehe allerdings nicht, wie die Annexion des Sudetenlandes die polnische Verteidigung im Süden zum einsturz bracht. Militärisch brachte das keine vorteil, da man ja Schlesien hatte. Oder meintest du politisch?
 
Die relevanten Gebieten Ostpolens, bis zur Curzon-Linie, auf die sich die revisionistischen Ausrichtung der sowjetischen Außenpolitik bis 39 konzentrierte (inkl. Baltikum und Finnland) wären von der Roten Armee weitgehend nicht betreten worden .

Ich weiß nicht, ob du revisionistisch so negativ deutest wie ich, allerdings sollte man beachten, daß diese Gebiete von Polen erst in den 20ern besetzt wurden. Die Curzon-Linie entsprach also der eigentlichen Westgrenze Rußlands, wie sie nach dem Kriege festgelegt worden war.



Außerdem entsprach diese Linie auch deutlich mehr der Verteilung der Nationalitäten
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An einer Diskussion, wer welche Gebiete mit welchem Recht beanspruchen kann, beteilige ich mich nicht. In der Regel führt es lediglich dazu, dass ältere Ansprüche geltend gemacht werden können.

Unabhängig davon ist das Selbstbestimmungsrecht von Völkern ein durchaus sinnvolles völkerrechtliches Kriterium für die Neugliederung Europas gewesen.

Und es zeigt sich, dass im Anschluss an den WW1, unterschiedliche wünschenswerte Zielsetzungen in einem gewissen Konflikt zueinander stand. De Umsetzung des Selbstbestimmmungsrecht der Völker in einer revisionistisch aufgeladenen Grundstimmung in Europa ein Grund für die politische Destabilisierung bzw. Nichtstabilisierung des Status quos war.

Fakt ist zudem, dass in diesem Zusammenhang die sowjetische Außenpolitik revisionistische Ansprüche im Anschluss an den WW1 formuliert hat und diese politische Orientierung zum Konsens der politisch-militärischen Elite im Kreml zählte.

Und unter anderem die Grundlage für das Verhalten im Baltikum und gegenüber Finnland darstellte. In diesem Sinne war das Verhalten Stalins revisionistisch und seine Außenpolitik auch aggressiv.

Das hat allerdings herzlich wenig mit dem Hinaustragen der Weltrevolution zu tun, sondern ist vielmehr der Versuch in den späten 30er Jahren Machtpolitik zu betreiben und der antizipierten antibolschewistischen Zielsetzung Hitlers entgegenzuwirken.
 
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es ist sicherlich richtig, daß man bei der ethnischen verflechtung und dem politischen hin und her der jahrhunderte schwerlich definitiv entscheiden kann, was gehört wem. da stimme ich dir zu. ich wollte damit auch keine debatte darüber lostreten. Wer aber von revisionismus der russischen seite spricht, sollte halt auch nicht unerwähnt lassen, daß polen diese gebiete erst bis 1921 erobert hatte und darin nach einer errichtung des polnisch-litauischen großreichs strebte.
 
daß polen diese gebiete erst bis 1921 erobert hatte und darin nach einer errichtung des polnisch-litauischen großreichs strebte.

Die Eroberung ist zweifelsohne ein Fakt. Die Vorstellungen zur Errichtung eines Großreichs gehören allerdings eher in den Bereich des ideologischen Überbaus des Patriotismus von Nationen. Und stellt keineswegs eine realpolitische Größe der polnischen Außenpolitik dar, auch wenn durch Indiskretionen Gerüchte über "Präventivkriege" gegen das DR, deren planerische Grundlage allerdings nie belegt wurde, gestreut werden und sich darin auch Ansatzweise das Gebaren einer europäischen Großmacht widerspiegelt.

Und auch schon deswegen nicht, weil man rüstungspolitisch weitgehend auf die Lieferungen aus dem Westen angewiesen war. Der Anteil an der Eigenversorgung (Munition etc.) sollte sukzessive, auch durch eine Finanzhilfe Frankreichs aus dem Jahr 36, auch als Reaktion auf die Besetzung des Reinlandes, auf 30 bis 50 Prozent durch den Aufbau einer polnische Rüstungsindustie in den östlichen Teilen!!!!!! (so sehr hat man sich durch die SU bedroht gefühlt!!) Polens.

Dieses vor dem Hintergrund, dass sich der polnische Generalstab Mitte der dreißiger Jahre der qualitativen Unterlegenheit, vor allem im Bereich dr Luftwaffe, der Panzer- und Luftabwehr sehr bewußt war. Ein Gleichziehen war projektiert bis in die Zeit um das jahr 1942, allerdings erschwerten fehlende Mittel die Umsetzung der Modernisierung der polnischen Armee.

Und das erklärt die weitgehende Anlehung an die fränzöische Politik.

Ähnliche Vorstellungen über Großreiche konnte man 1940 auch in Finnland finden! Im Baltikum übrigens auch, usw. Imperialer Größenwahn war in der Zeit ansteckend!
 
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London und die Garantien...

1. Selbst die laufende Drangsalierung der Volksdeutschen wurde erst in dem Moment aufs Tablett gehoben, als Polen "an die Reihe kam". Ebenso wenig spielten militärische Stärke und außenpolitischens Verhalten (bis auf die rigorose Ablehnung der Eroberungspartnerschaft bzw. -vasallenschaft - übrigens vor (!) der britischen Garantie und für den, der zuhören konnte, bereits Ende 1938.

(...)

2. Wenn das da so steht, ist das Unsinn und auf den Kopf gestellt: nur fast falsch war das Gerücht über die Bedrohung Rumäniens, was im kopflosen Budapest gestreut wurde. "Fast falsch" deshalb, weil zumindest etwas daran war, allerdings falsch getimt. Aber das führt hier vom Thema weg und hatte mit der Autarkiepolitik des Deutschen Reiches und den deutschen Aktivitäten in Rumänien zu tun. "gedacht war" ist auch falsch, da eine Garantie auch hier erfolgte.


1. ist aber kein Gegenargument, da es nur zeigt, daß die NS-Außenpolitik sehr an einem guten deutsch-polnischen Verhältnis gelegen war, und sei es als Komplizenschaft. Erst als die Korridor- und Danzigfrage in den eskalierenden Konflikt lief, wurde dies instrumentalisiert. Das ist aber kein unübliches nediales Vorgehen in machtpolitischen Geplänkeln, leicht nachvollziehbar bis heute.


2. Prinzipiell halten Sie wieder viel Apologetik vor. Der Link ist aber nun interessant, der permanent zwischen dem Verhalten Warschaus und London mit dem Hitlerdeutschen Einmarsch in Prag hergestellt wird, sozusagen als Schuss vor den Bug und Stopplinie und die polnische Teilmobilisierung als Waffe..


Die Dynamik war eben eine ganz andere, teilweise taktisch brillant, teilweise völlig irrational. Wie beschrieben sorgte man sich in London aus strategischen Gründen um Rumänien, da man zunächst einer Falschinformation aufgesessen war (Gespräch Tilea mit Halifax.in London am 17.03.39)) Dazu wollte man in die Gestaltung des osteuropäischen Raumes endlich wieder aktiver eingreifen. Aus diesem Grunde war man in Warschau mit der Unterstützung der Rumäniengarantie vorstellig geworden und hatte unerwartet eine positive Replik erhalten, sich an der Garantie für Rumänien zu beteiligen. Polen galt wie dargestellt als Komplze und Juniorpartner. Beck taktierte clever und spielte den deutsch-polnischen Konflikt um Danzig und den Korridor herunter bis zur Behauptung, man würde sich bald einigen. (!) Er forderte für eine Beteiligung dieselben Garantien für Polen.

Das britische Garantieangebot für Polen erfolgte unter der Annahme, Polen sei nicht in Gefahr. Die Polen bestärkten die Briten in dieser Ansicht. Sie nahmen an, daß London sein Angebot zurückziehen würde, wenn es Grund hätte zu glauben, Polen wäre doch von Deutschland bedroht. Dies war notwendig, da die britische Außenpolitik fürchtete, in einen militärischen Konflikt quasi als Spielball und im Automatismus hereingezogen zu werden. Beck ließ Halifax übermitteln, Polen und Deutschland würden bald über Danzig verhandeln; er beabsichtige, den Deutschen ein großzügiges Angebot zu unterbreiten. Die Korridorfrage sei kein ernstes Problem mehr.

Hätte Beck Klartext geredet, so hätte er mitteilen müssen, daß der deutsche Außenminister von Ribbentrop eine Woche zuvor Danzig verlangt hatte, - dazu einen Durchgang durch den Polnischen Korridor und den Beitritt Polens zum Antikominternpakt. Polen erhielt so über den Weg Rumänien eine Garantieerklärung, um die es nie gebeten hatte. Die Briten garantierten, aber eben gerade nicht im deutsch-polnischen Konflikt. Die Warschauer Junta ihrerseits wehrte in der Folge alle britischen Forderung ab, Ihrerseits eine Garantie für Rumänien abzugeben. Dies sei eine zu großes Risiko ließ Beck erklären. Chamberlain fragte Beck im persönlichen Gespräch, worauf Hitler als nächstes hinaus wolle. Beck erwiderte, daß, wenn man die deutschen Erklärungen ernst nähme, "die ernsteste Frage die Kolonialfrage wäre". Danzig und den Korridor erwähnte er mit keinem Wort.

Dazu forderte das britische Außenministerium Beck mehrfach auf, die Verhandlungen über Danzig aufzunehmen, da man im britischen Außenministerium die deutschen Forderungen als nicht unberechtigt ansah und Beck dies in Aussicht gestellt hatte. Beck lehnte dies seit März 39 immer schroff ab, da nach seiner Auffassung Danzig und die Korridorfrage ein Symbol polnischen Großmachtanspruchs war. Fiel Danzig, so fiel - lautete Becks Maxime - auch Polens Großmachtstellung. ‚Äquidistanz’ war eben auch das Postulat einer unabhängigen polnischen Großmachtanspruchs.


Im Fazit war das eine große taktische Leistung Beck’s. Offen bleibt allerdings, wie er sich die mittelfristige Perspektive vorstellte. Als später der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 Becks außenpolitisches Konzept völlig aufweichte, als Polen plötzlich von dem deutschen und dem russischen Mühlstein zerrieben zu werden drohte- das worst case der polnischen Szenarien-, ohne daß England im Falle eines Krieges aktive Hilfe leisten konnte - selbst in diesem Augenblick verharrte Joseph Beck noch bei seiner sterilen, ja fast selbstmörderischen Status-quo-Politik um jeden Preis.

Er hätte scheinverhandeln können, er hätte kleine taktische Zugeständnisse machen können, um Zeit für Aufrüstung und westaillierte Mobilisierung zu gewinnen. Nichts geschah. Das Ergebnis war aus polnischer Sicht genau das, was man vermeiden wollte: Eine Annäherung der beiden Nachbardiktaturen und ein Zweifrontenkrieg. Mit einigen Propaganda-Parolen vom Marsch auf Berlin ging man militärisch ins Desaster.

Zentrale Quelle zur britischen Außenpolitik im Kontext der Polen- Rumänien-Garantie: Martin Gilbert und Richard Gott: The Appeasers


@ silesia Die "mangelnde Entwicklungsfähigkeit" Ostpreußens ist propagandistischer Unsinn, der reichlich von Goebbels und Konsorten verbreitet wurde und bis auf "mangelnde Lebensfähigkeit" zugespitzt wurde.’

Das ist wohl mehr die bequeme Diskreditierung über den NS-Infekt, denn eine sachliche Vorhaltung. Tatsache ist, dass eine rein auf dem Seeweg beruhende verkehrliche Infrastruktur nicht nur langfristig erhebliche verkehrstechnische und ökonomische Nachteile hat. Auf dem umgekehrten Aspekt beruhte ja auch der nachvollziehbare polnische Anspruch auf einen eigenen Seehafen.

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Die Eroberung ist zweifelsohne ein Fakt. Die Vorstellungen zur Errichtung eines Großreichs gehören allerdings eher in den Bereich des ideologischen Überbaus des Patriotismus von Nationen. Und stellt keineswegs eine realpolitische Größe der polnischen Außenpolitik dar, auch wenn durch Indiskretionen Gerüchte über "Präventivkriege" gegen das DR, deren planerische Grundlage allerdings nie belegt wurde, gestreut werden und sich darin auch Ansatzweise das Gebaren einer europäischen Großmacht widerspiegelt.

Ich finde den Hinweis auf die realpolitischen Handlungen sehr wichtig!

Selbstverständlich gab es in Polen extreme, imperialistische Tendenzen, in Richtung Großpolen. Von daher fällt es nicht schwer, ein Sammelsurium von Zitaten aus der nationalistischen Ecke zu bilden. Deren realpolitische Auswirkung steht auf einem anderen Blatt. So wurde die Verlockung der Einverleibung des Westukraine als deutsches Angebot um die Jahreswende 1938/39 realpolitisch zurückgewiesen, weil die Bedrohung aus dem Westen, die man sich damit eingehandelt hätte, erkannt war.

Nimmt man Piłsudski: selbstverständlich wurde - von dem Militär, eingekeilt zwischen zwei Verlierern des Weltkrieges mit wachsender Macht, 1932/33 die Gefahr des Dritten Reiches gesehen. Einiges in der Diskussion über mögliche polnische Reaktionen erstaunt aber schon sehr: anzutreffen ist der vorbehaltslose Hinweis auf die verpaßten Chancen der Westalliierten, militärisch gegen das Deutsche Reich in den Anfängen der Aufrüstung und in der Rheinlandkrise vorzugehen. Ohne der vielbeschriebenen Sache im Detail auf den Grund zu gehen: Die Diskussionen über polnisches Denken in diese präventive Richtung, obwohl am 1.9.1939 mit dem ersten Angriff konfrontiert und mit hohen Bevölkerungsverlusten 1939-45, bekommen immer einen besonderen "touch", einen dem Vorwurf der Passivität der Westmächte gegen die aufziehende Diktatur merkwürdig entgegengesetzten Vorwurf der Aktivität Polens. Als Begründung dienen dabei polnische Ambitionen zur Westverschiebung der Grenze, die später ohnehin Ergebnis des verlorenen Weltkrieges waren.

Umgekehrt die "Vasallendiskussion": deren logische Folge wären ein Einkassieren Polens Ende 1939, Unterwerfung ähnlich der Slowakei. Wohin das wohl geführt hätte, hat Hitler selbst formuliert: Krieg im Westen 1944/45. Es war gerade die polnische militärische Selbstüberschätzung (Selbsthypnose?), die kompromißlos diese historische Verzögerung ausgeschlossen hat, ohne den Vorgang nun damit bewerten zu wollen.

Schließlich Piłsudski und die Ostbedrohung: eine weitere Selbsttäuschung Polens bestand in der Gewichtung des Nichtangriffspaktes mit Deutschland, die sich erst Ende 1938 revidierte. Daraus - und aus dem Vorziehen der Prognose für eine deutsche Kriegsbereitschaft - erklären sich die militärischen Überlegungen im Frühjahr und Sommer 1939. Aber die Planungen sind dabei garnicht entscheidend: viel wichtiger waren die fehlenden Rüstungskonsequenzen auf polnischer Seite, und hier können die Versäumnisse bei Munition, Flugzeugen und Panzern von 1934/5 bis 1938 datiert werden.
Piłsudskis scheinbare Fixierung auf den Osten hatte stets als Basis, dass im Westen mittelfristig keine Bedrohung vorlag. Die Voraussetzung sollte nicht übersehen werden.

Wenn man sich dem Thema Propaganda und Realpolitik an einem Extremfall nähern möchte Doliesen, Gerhard: Die polnische Bauernpartei "Piast" in den Jahren 1918-1926
oder auch
Roland Gehrke: Der polnische Westgedanke bis zur Wiedererrichtung des polnischen Staates nach Ende des Ersten Weltkrieges. Genese und Begründung polnischer Gebietsansprüche gegenüber Deutschland im Zeitalter des Nationalismus
 
1. Polen galt wie dargestellt als Komplze und Juniorpartner.

2. Beck taktierte clever und spielte den deutsch-polnischen Konflikt um Danzig und den Korridor herunter bis zur Behauptung, man würde sich bald einigen. (!) Er forderte für eine Beteiligung dieselben Garantien für Polen.

3. Das britische Garantieangebot für Polen erfolgte unter der Annahme, Polen sei nicht in Gefahr. Die Polen bestärkten die Briten in dieser Ansicht. Sie nahmen an, daß London sein Angebot zurückziehen würde, wenn es Grund hätte zu glauben, Polen wäre doch von Deutschland bedroht.

Und diese extrem "ungewöhnlichen" Behauptungen können sicherlich auch mit seriösen Quellen bzw. offiziellen Dokumenten zweifelsfrei belegt werden. Ein oberflächlicher Verweis auf Wigrefe ist da sicherlich nicht ausreichend!

Der Nachweis erscheint umso dringlicher als die gesamte Darstellung in die Nähe einer Umdeutung der damaligen Ereignisse gerät.

Ansonsten erscheint es mir schon fast abenteuerlich sich bei diesen Thesen auf Gilbert und Gott als Kronzeugen zu berufen. Die entsprechenden Textstellen als Beleg hätteich doch gerne angeführt.

Für eine historisch korrekte Darstellung der damaligen historischen Situation mag man folgende Quellen heranziehen:
1. Messerschmidt: Außenpolitik und Aufrüstung in: Ursachen und Voraussetzungen des Zweiten Weltkriegs; Deist, Messerschmidt, Volkmann, Wette, besonders S. 805ff

2. A. Adamthwaite: Großbritannien und das Herranahen des Krieges, in: 1939, An der Schwelle zum Weltkrieg. Die ntfesselung des Zweiten Weltkrieges und das internationale System, Hildebrand et al Hrsg., S. 197ff

3. M. Wojciechowski: Der historische Ort der polnischen Politik in der Genesis des Zweiten Weltkriegs, ebd. S. 259

4. W. Borodziej: Die Alternative Warschaus, ebd, S. 321 ff

5. M. Zgòniak: Militärpoltische Lage und Operationspläne Polens vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, in: Der Zweite Weltkrieg, Michalka HG, S. 447ff

Zu einem nicht unerheblichen Teil basieren meine eigenen Ausführungen in den bisherigen Darstellungen zu diesem Thema auf diesen Quellen.
 
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Ansonsten erscheint es mir schon fast abenteuerlich sich bei diesen Thesen auf Gilbert und Gott als Kronzeugen zu berufen. Die entsprechenden Textstellen als Beleg hätteich doch gerne angeführt.

Bevor ich auf die anderen Thesen eingehe, eine Vorbemerkung, da auch bereits bei @thanepower berechtigte Skepsis anklingt:
Zentrale Quelle zur britischen Außenpolitik im Kontext der Polen- Rumänien-Garantie: Martin Gilbert und Richard Gott: The Appeasers

Gilbert/Gott sind tatsächlich Exponenten, allerdings Exponenten der populären "guilty men"-Debatte der 1960er-Jahre in Großbritannien, des "revisonism" in der Appeasement-Diskussion. Das kann als überholt angesehen werden. Selbst populärwissenschaftliche Werke wie von Thorne (The Approach of th War 1938/39) werden als "sehr viel seriöser und einsichtsvoller" in der wissenschaftlichen Aufarbeitung als Gilbert/Gott dargestellt.

Der Stand der jüngeren Forschung zur britischen Garantie, die nicht auf außenpolitische "Manöver", sondern auf Druck der Öffentlichkeit nach dem Prager Coup Hitlers sowie auf Fehleinschätzungen der britischen Militärs in Bezug auf die polnische Widerstandskraft zurückgeführt wird, basiert auf der Grundlagenarbeit von Newman: March 1939 - The British Guarantee to Poland - Study in the Continuity of British Foreign Policy.

@thanepower hat ja dankenswerter Weise eine Literaturauswahl angegeben, wenn man keine Monographie zur britischen Polengarantie zur Hand hat.
Ich würde für das Verständnis noch anfügen:
Weber, Reinhold W.: Die Entstehungsgeschichte des Hitler-Stalin-Paktes, mit einigen Details auch zur britischen Garantie sowie
Kettenacker: Die Diplomatie der Ohnmacht - Die gescheiterte Friedensstrategie der britischen Regierung vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, in: Sommer 1939 Die Großmächte und der Europäische Krieg (Benz/Graml)

Eine breite Literaturauswahl sollte auch eine Würdigung der Beck- und "guilty men"-bezogenen Darstellung von Gilbert/Gott (die ich textlich nicht kenne, die allerdings in der neueren Literatur entsprechend kommentiert werden) erlauben.

Nur nebenbei: die Polen-Garantie ist sachlich untrennbar mit der Rumänien-Garantie verknüpft. Die polnische Regierung wurde von London in dem Kontext genötigt, ihrerseits eine Beistandsbekundung für Rumänien abzugeben.
Die Rumänien-Garantie ist untrennbar mit der Royal Navy verknüpft, diese wiederum mit der nun in Gefahr befindlichen Blockadedrohung gegen weitere erwartete Aggressionen Hitlers. Die britische Garantie wurde zeitlich abgegeben, nachdem Rumänien in den Handelspakt mit dem Deutschen Reich "geführt" wurde.


Bei Ostpreußen würde ich gern Daten sehen (oder neuere wissenschaftliche Forschungen), nicht Vermutungen. Dei Reihenfolge sollten wir schon einhalten, wobei ich dann gern die Antithese zu unterlegen versuche. Nehmen wir die Jahre 1925/31, also Prosperität inkl. Wirtschaftskrise, und blenden zum besseren Vergleich die früheren direkten Nachkriegsfolgen sowie die spätere Hitlersche Rüstungskonjunktur aus :pfeif:
 
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Nur nebenbei: die Polen-Garantie ist sachlich untrennbar mit der Rumänien-Garantie verknüpft. Die polnische Regierung wurde von London in dem Kontext genötigt, ihrerseits eine Beistandsbekundung für Rumänien abzugeben.
Die Rumänien-Garantie ist untrennbar mit der Royal Navy verknüpft, diese wiederum mit der nun in Gefahr befindlichen Blockadedrohung gegen weitere erwartete Aggressionen Hitlers. Die britische Garantie wurde zeitlich abgegeben, nachdem Rumänien in den Handelspakt mit dem Deutschen Reich "geführt" wurde.

Messerschmidt weist daraf hin, dass GB am 17.03.1939 eine Warnung erhalten hatte in Bezug auf die deutschen Absichten. Rumänien soll danach den Wunsch nach einem Monopol auf den deutschen Export als Ultimatum angesehen haben im Austausch gegen die Zusicherung des Schutzes seiner Grenzen im wesentlichen gegen Ungarn!!! (Ursachen und Voraussetzungen des Zweiten Weltkriegs, S. 817, FN 40).

Relevant ist dieser Aspekt, da GB Anfang 1939 erkannt hatte, dass es in Südosteuropa bereits wirtschaftlich gegenüber dem 3.Reich fast verloren hatte. Folgt man den Beiträgen von Volkmann (Die NS Wirtschaft in der Vorbereitung des Krieges, in ebd. S. 211 ff) und betrachtet die wirtschaftliche Eroberung beispielsweise Ungarns durch das 3.Reich, dann wird ersichtlich, dass die wirtschaftliche Eroberung die notwendige 1. Phase war. Die 2. Phase war die diplomatische Einbeziehung und erst in der letzten Phase folgte die reale militärische Integration in das 3.Reich.

Der Verlust von Südosteuropa für GB war dann, wie Silesia auch hinweist, eine direkte Gefährdung der Position im Mittelmeer bzw. gegenüber den Türken und Griechen als potentielle Bündnispartner.

In diesem Sinne war die Garantie an Rumänien eher als ein "Containment" zu verstehen und GB versuchte seine seit München verloren gegangene Reputation als Hegemonialmacht zu stabilisieren.

Und seine Seeverbindung via Suezkanal in seine Dominions sicher zu stellen.

Dieser Aspekt ist auch insofern von Bedeutung, da Appeasement innenpoltisch in GB bedeutet hat, business as usual zu betreiben. Es war das implizite Versprechen an die Wirtschaft, dass die Poltik für stabile Rahmenbedingungen sorgen würde.

Erst die zunehmende Instabilität und die zunehmende wirtschaftliche Eroberung Südosteuropas durch das 3.Reich führte zu einem Umdenken auch in den Wirtschaftskreisen und bedeutete für Chamberlain einen zunehmenden Verlust dieses wichtigen innenpolitischen Verbündeten.
 
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was muß ich unter "Verlust Südeuropas für GB" verstehen?

= "Gewinn" für das Deutsche Reich resp. die Achsenmächte.

Neben den politischen Folgen der befürchteten "Eingliederung" von Rumänien in die Achse (-> siehe @thanepower) kommen ganz bedeutend die kriegswirtschaftlichen Auswirkungen.

Einziges "britisches" Druckmittel gegen weiteres Aggressionen Hitlers war die Royal Navy und die mögliche Blockade wie im WK I.

Hier ging es genauer um das rumänische Öl, dessen Einverleibung in den Hegemonialbereich der Achse dem Deutsche Reich längerfristige moderne Kriegführung (Panzer, Flugzeuge, Schiffe) ermöglichen würde. Damit wäre das Druckmittel "Blockade" wesentlich geschwächt.
 
Dunstkreise...

Gilbert/Gott sind tatsächlich Exponenten, allerdings Exponenten der populären "guilty men"-Debatte der 1960er-Jahre in Großbritannien, des "revisonism" in der Appeasement-Diskussion. Das kann als überholt angesehen werden. Selbst populärwissenschaftliche Werke wie von Thorne (The Approach of th War 1938/39) werden als "sehr viel seriöser und einsichtsvoller" in der wissenschaftlichen Aufarbeitung als Gilbert/Gott dargestellt.

Der Stand der jüngeren Forschung zur britischen Garantie, die nicht auf außenpolitische "Manöver", sondern auf Druck der Öffentlichkeit nach dem Prager Coup Hitlers sowie auf Fehleinschätzungen der britischen Militärs in Bezug auf die polnische Widerstandskraft zurückgeführt wird, basiert auf der Grundlagenarbeit von Newman: March 1939 - The British Guarantee to Poland - Study in the Continuity of British Foreign Policy.


Eine breite Literaturauswahl sollte auch eine Würdigung der Beck- und "guilty men"-bezogenen Darstellung von Gilbert/Gott (die ich textlich nicht kenne, die allerdings in der neueren Literatur entsprechend kommentiert werden) erlauben.

Sie haben jetzt nur die Autoren in einen Dunstkreis gestellt (Da soll man jetzt zusammenzucken..,-)):winke: ohne inhaltlich die Darstellung zu entkräften.

Bei Messerschmidt z. Bsp.habe ich so meine Bedenken hinsichtlich seiner ideologischen Aufladung. Kann er seine Thesen mit Primärquellen belegen, so komme ich nicht daran vorbei, so wie man hier nicht an Gilbert/Gott vorbeikommt.

Ich verfüge über die erweiterte engl. Auflage von 2000, übrigens ein Geschenk aus GB, so daß ich in die Übersetzug gehen muß. Zur zweifelsfreien Reputation von Gilbert,

Welcome to Sir Martin Gilbert Online

Das Erfrischende an der angelsächsischen Forschung ist ja immer, daß sie hier frei ist von der pauschalen, erfolgreich implantierten und schon pseudoreligiösen Hoferschen Schuldprämisse, daß es unproduktiv sei sich mit den Details auseinanderzusetzen, da Hitler den Krieg in jedem Fall gewollt habe. Zum Verständis trägt es aber rein gar nichts bei und das ist auch nicht gewollt.

Zum Sonstigen bei Zeit...


Grüße

Vitruv
 
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Sie haben jetzt nur die Autoren in einen Dunstkreis gestellt (Da soll man jetzt zusammenzucken..,-)):winke: ohne inhaltlich die Darstellung zu entkräften. ...
Ich verfüge über die erweiterte engl. Auflage von 2000, übrigens ein Geschenk aus GB, so daß ich in die Übersetzug gehen muß.

Ganz entspannt bleiben: oben waren nicht deutsche Revisionisten angesprochen, die auch gerne mal ältere Textschnipsel aus angelsächsischer Literatur verwenden.

Angesprochen war der britische revisionism-Streit um die "guilty men", den man jedenfalls im Beginn in den Kontext des Kalten Krieges der 1960er und die Aburteilung von Appeasement-Politik sehen kann. Über diesen Streit selbst gibt es inzwischen Literatur.

Wie derselben zu entnehmen ist, benötigen wir auch keine Auflagenspielchen zu Gilbert/Gott. Das Werk stammt von 1963, vor Öffnung der britischen Archive. "Erweitert" an der britischen Nachauflage ist das Vorwort. Die alte deutsche Ausgabe "Der gescheiterte Frieden" (habe ich irgendwo verkramt) ist übrigens zunächst als "interessant" eingestuft worden (in der VfZ). Unter den deutschen Historiker war man über die britische Diskussion wohl zunächst verblüfft.

Das Werk selbst ist zwar selektiv und unvollständig, durch die Öffnung der Archive überholt, aber es hat immerhin die Diskussion um Economic Appaesement belebt. Wenn man sich genau diesen Teilaspekt herausgreifen will, gibt es dazu auch eine Vielzahl neuerer Studien, als älteres Gesamtwerk Wendt, Bernd Jürgen: Economic Appeasement Handel und Finanz in der brititschen Deutschland-Politik 1933-1939, mit umfangreichen Auswertungen des damals noch unveröffentlichten britischen Aktenbestands. Auch bei Wendt wird das völlige Scheitern des Appeasement Mitte März 1939/nach Prag nicht auf Intrigen, sonden auf den einhelligen, massiven öffentlichen Druck in Großbritannien zurückgeführt (immerhin trafen sich parallel die dt.-brit. Wirtschaftsdelegationen und hatten Entwürfe am 16.3.1939 erarbeitet - auch für diese bestand dann keine Chance mehr). Wendt rückt übrigens die Appeasement-Terminologie bei Gilbert/Gott in den Zusammenhang eines "affektgeladenen Kampfbegriffs", wobei in der negativen Aufladung auf den britischen Meinungsstreit nach München 1938 zurückgegriffen wurde, der als "Versatzstück" in den neuen Ost-West-Konflikt übertragen wurde. Ebenso (paßt gerade, weil oben sooo schön angesprochen) negiert er deutlich Hofers Legendenbildung vom "radikalen Schwenk" der britischen Politik. Wie auch das Standardwerk zu britischen Polengarantie bereits andeutet: Continuity. Wenn man sich also ganz unverkrampft der wissenschaftlichen Literatur nähert, sollten populärwissenschaftliche Etiketten möglich sein, ohne "pseudoreligiösen" Krimskrams zu vermuten. :fs:

Soviel off-topic zum Kontext und zur Einstimmung. Vielleicht wird jetzt verstädnlich, warum ich beim ersten Lesen von "Zentraler Quelle" amüsiert war. Bei Interesse könnte man gern Gilbert/Gott als Aufhänger für ein eigenes Thema nehmen: "britische Appeasement-Kontroverse/revisionism-Streit".

Ein gutes hat ja der kleine Diskurs: Es ist auch inzwischen reichlich neuere wissenschaftliche Literatur genannt worden, die den Zugang zum Thema wirklich anregen kann.
 
Unverkrampft und entwicklungsfähig...,

G
Angesprochen war der britische revisionism-Streit um die "guilty men", den man jedenfalls im Beginn in den Kontext des Kalten Krieges der 1960er und die Aburteilung von Appeasement-Politik sehen kann. Über diesen Streit selbst gibt es inzwischen Literatur.

Auch bei Wendt wird das völlige Scheitern des Appeasement Mitte März 1939/nach Prag nicht auf Intrigen, sonden auf den einhelligen, massiven öffentlichen Druck in Großbritannien zurückgeführt (immerhin trafen sich parallel die dt.-brit. Wirtschaftsdelegationen und hatten Entwürfe am 16.3.1939 erarbeitet - auch für diese bestand dann keine Chance mehr). Wendt rückt übrigens die Appeasement-Terminologie bei Gilbert/Gott in den Zusammenhang eines "affektgeladenen Kampfbegriffs", wobei in der negativen Aufladung auf den britischen Meinungsstreit nach München 1938 zurückgegriffen wurde, der als "Versatzstück" in den neuen Ost-West-Konflikt übertragen wurde. Ebenso (paßt gerade, weil oben sooo schön angesprochen) negiert er deutlich Hofers Legendenbildung vom "radikalen Schwenk" der britischen Politik. Wie auch das Standardwerk zu britischen Polengarantie bereits andeutet: Continuity.

Wenn man sich also ganz unverkrampft der wissenschaftlichen Literatur nähert, sollten populärwissenschaftliche Etiketten möglich sein, ohne "pseudoreligiösen" Krimskrams zu vermuten. :fs:
Unverkrampft ist immer gut. :cool:

Auf das Weitere wird bei Zeit noch zurückzukommen sein. Prinzipiell beschreiben die Autoren ja auch, wie der Druck der öffentlichen Meinung, die Konsequenzen fordert, ja auch die Veröffentlichung der Garantie vorantreibt, was wiederum eine eigene Dynamik voranschiebt. Die zentrale Frage ist ja nicht, welche Wertung man aus den Schilderungen zieht, sondern, ob die Gespräche in dieser Diktion stattgefunden haben?

Sie haben ja richtigerweise auf die Ebenen der politischen Dynamik in anderem Kontext hingewiesen, wobei ich das eher in der Form strukturieren würde: 1) interne Abläufe 2) Außenkommunikation und Vermarktung 3) Historische Verarbeitung. Im besten Fall haben alle Ebenen einen entwickelten Bezug zu einander.

Das mit dem ‚britischer revisionism-Streit um die "guilty men", habe ich schon in der Einordnung richtig verstanden, ohne die Details zu kennen. Ich war mir aber nicht sicher, ob dies auch nach Außen so verstanden wurde. Manchmal reicht es ja in der Zeit der Einfachbilder, kleine Codes zu setzen. Insofern, Danke für die Klärung. Ich hänge ja Gott sei Dank nicht 24 Stunden am Laptop.

Zuvor kurz noch zur sonstigen Debatte.

Korridor und Verkehrsanbindung

Da muss ich jetzt aber nicht erst 6 Fundstellen suchen, sondern kann sehr komfortabel auf eigene Kompetenz zurückgreifen. Ich weiß auch nicht, ob sich einmal ein Wirtschaftshistoriker mit dem brisanten Stoff beschäftigt hat. Für räumliche und städtische Planung ist das Folgende Grundweisheit. Martin Korda erklärt diese Faktoren und ihre Bedeutung kurz und prägnant im Standardwerk ‚Der Städtebau- Technische Grundlagen’, Einführung zur Verkehrsplanung (Stuttgart 2005). Das galt im 19. im 20. Jahrhundert und das gilt bis heute.

Der ostpreußische Raum ist und war weitgehend agrarisch geprägt mit ganz wenigen städtischen Zentren. Bodenschätze für die Industrieproduktion oder Elektrizitätserzeugung sind so gut wie gar nicht vorhanden. Das bedeutet, dass alle hierfür benötigten Rohstoffe und alle Erzeugnisse der verschiedenen Industriezweige außerhalb gefördert und erzeugt werden müssen, dann müssen sie in einem Hafen aufs Schiff verladen, dann wieder entladen und verteilt werden. Das zeitraubende und kostentreibende ist meist der Be- und Entladevorgang, der vor Einführung des ISO-Containers noch viel beschwerlicher war.

Bestimmte Kraftwerktypen benötigen für die ökonomische Betreibung einen notwendigen Verfügungsradius von Rohstoffen, der erstaunlich gering ist. Jeder zusätzliche Transport ist enorm kostentreibend. Die Komponenten sind für die räumliche und industrielle Entwicklung ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Auch der Personentransport ist nur aufwändig und schiffsabhängig zu realisieren, dazu eine psychologische Barriere. Das Flugzeug ist hier noch zu vernachlässigen. Bahntransport war in der Zeit das wesentliche Verkehrsmittel, für einige Massengüter die Binnenschifffahrt. Die Autobahnverbindung ist die langfristige Investition.

Man muß nun nicht erst auf die Transitstrecken nach West-Berlin verweisen und die russische Forderung nach einem Landzugang für Kaliningrad. Ein prägnantes Beispiel für den Einfluß entwickelter verkehrlicher Infrastruktur ist aktuell die Entwicklung von Kopenhagen und Malmö, die durch die Meerenge des Öresund getrennt sind. Die Debatte und Entwicklung selbst habe ich durch Kontakte vor Ort seit den Neunzigern selbst jeweils nachvollziehen können. Man nahm bis Ende der Neunziger von Kopenhagen bequeme und schnelle Schiffe, um das ca. 5 km entfernte Malmö zu erreichen, eigentlich problemlos und im ersten Eindruck keine entscheidende Barriere.

Doch erst mit dem Bau einer Brücke mit Straßen- und Eisenbahnverbindung hat sich der Raum als Ganzes entwickelt, so dass Malmö einen enormen Entwicklungsschub erlebt hat. Gute, schnelle und billige Verkehrsanbindungen sind eben das infrastrukturelle Rückgrat der gesamten räumlichen und industriellen Entwicklung. Das ist ein einfacher Lehrsatz der räumlichen Entwicklungsplanung. Der ostpreußische Raum war sicher überlebensfähig, aber eben so nicht entwicklungsfähig.

Anders gedacht: Polen war ohne Gdingen sehr wohl überlebensfähig, aber eben im Bereich des Außenhandels nicht derart entwicklungsfähig. Es wird eben etwas nicht dadurch falsch, dass es NS-Größen es echoen. Es ging eben um die Frage nach einem Ausgleich der Interessen, der so blockiert wurde.

Grüße


Vitruv
 
Ignorierst du bei deinem Beitrag nicht, dass Danzig, als Freie Stadt völkerrechtlich nicht Teil des Reiches war?
 
Hier paßt noch der Hinweis auf die später, im August 1939 schriftlich vereinbarte Garantie hin:

1. Publizierter Text, aus dem Britischen Blue Book:
http://avalon.law.yale.edu/wwii/blbk19.asp
2. Interpretation nach Geheimen Zusatzprotokoll:
http://www.geschichtsforum.de/314445-post24.html
[Da es sich nur um einen link handelt, hier noch der Abgleich mit der Fassung in der wissenschaftlichen Literatur. Anita Prazmowska: Britain, Poland and the Eastern Front 1939, Appendix 4, 1987. Dort sind auch die "drafts" zwischen Polen und England abgedruckt.]
 
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