Das Mittelalter doch nicht so dunkel?

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Laie222

Gast
Hallo, ich habe hier etwas komisches gelesen und wollte hier bei euch Experten fragen, was davon zu halten ist. Also, stimmt der Inhalt des folgenden Links?

http://geschichts-blog.blogspot.com/2010/08/vier-irrtumer-uber-das-mittelalter.html
 
Keine Antwort?

Kann man also feststellen, dass kaum Quellen zur Moral des Mittelalters gab.
 
Keine Antwort?

Kann man also feststellen, dass kaum Quellen zur Moral des Mittelalters gab.

Nein, das kann man nicht feststellen. Lies doch mal die ganze Spiegelliteratur, oder die Epen, z.B. Reinicke Voss oder Parzival. Beschäftige dich mit dem Begriff der Ritterlichkeit.
 
Das sind nun wirklich keine bahnbrechenden Erkenntnisse, die in dem Blog stehen. Ich finde ihn aber ganz gut. Ist zwar alles bedingt durch die Kürze schlagwortartig und oberflächlich, aber mit Abstrichen "relativ" zutreffend.

Erst mal, es gab natürlich eigentlich kein "Mittelalter". Die Zeit von ca. 500 bis 1500 n. Chr. über einen Kamm zu scheren, ist in vielen Bereichen kaum möglich. Aber nehmen wir den Begriff mal wie üblich an. Das vorausgesetzt, würde ich zu dem Blog sagen:

Eine Badekultur existierte in dieser Zeit in weiten Teilen Europas. Ob das zu vorteilhafter Hygiene führte, sei dahingestellt. jedenfalls waren die Menschen nicht so schmutzig/stinkend, wie z.B. im 17. oder 18. Jhr., als man Baden teilweise für gesundheitsschädlich hielt. Einen Schlag bekam die Badelust nach der Pest, weil man Ansteckungsgefahren in den öffentlichen Bädern fürchtete.

Hexen/Zauberer wurden auch im Mittelalter verbrannt, allerdings nicht systematisch und eher selten. Seit römischer Zeit waren Schadenszauber, an deren Existenz weite Kreise glaubten, strafbar. Seit Augustinus verband man damit teilweise eine Leugnung der und einen Eingriff in die physikalische Wirklichkeit, der scheinbar nur mit Hilfe des Teufels möglich war. Das setzte sich aber nicht als Linie durch. Man hielt die selbsterklärten Hexen und Zauberer oft eher für verblendet oder wahnsinnig. Die Kirche kämpfte lange Zeit gegen den magischen Aberglauben und kritisierte (Justiz-)Morde an Hexen. Im Zuge der zunehmenden Kritik an der Kirche und der Ausbreitung der Ketzerei im 13. Jhr. setzte langsam ein Umschwung in der offiziellen Linie ein und Hexerei wurde mit Ketzerei verbunden. Die Inquisition kümmerte sich zunehmend auch um magische Verbrechen, allerdings nie in besonderem Ausmaß. Die meisten Verfolgungen, besonders die großen des 16. und 17. Jhr., wurden von weltlichen Stellen durchgeführt.
Das, was wir als Hexenverfolgung verstehen, also der Glaube an eine automatische Verbindung von Hexenvorwurf mit Teufelsbuhlschaft und an eine gemeingefährliche Hexensekte, kann man erst ab dem frühen 15. Jhr. festmachen. Der Ursprung dieser Verfolgung lag wohl bei einigen Inquisitoren in Savoyen und angrenzenden Alpentälern. Der Hexenhammer hatte übrigens nie die alleinstellende Bedeutung, die ihm öfter beigemessen wird. Es gab zahlreiche ähnliche weit verbreitete Traktate, die für die Hexenverfolgung schrieben, genauso wie es zahlreiche einflußreiche Traktate von Juristen, Theologen etc. gab, die sich gegen die Hexenverfolgung aussprachen. Das oben ist alles sehr vereinfacht dargestellt, aber mehr will ich hier nicht schreiben.

Im Mittelalter gab es eine intensive Moraldiskussion als Teil der philosophischen und theologischen Wissenschaft. Quellen dafür gibt es im Überfluß. Je weiter man zeitlich fortschreitet, desto umfangreicher und teils auch "weltlicher" wurde die Diskussion, die sich immer mehr an die Universitäten verlagerte. Als ein etwas abgegrabbeltes Beispiel für längerfristige Grundsatzdiskussionen kann man den Universalienstreit nennen, der seit der Spätantike köchelte, im späteren Mittelalter aber zur Blüte kam.
 
Bahnbrechende neue Erkenntnisse findet man im Blog freilich nicht, aber wie die Fragestellung des Eröffnungsposters hier zeigt, sind sie bei den meisten Menschen trotzdem immer noch nicht angekommen.
 
Die Aussagekraft dessen, was der Autor z.B. über das Leben der Bauern zusammenfabuliert, darf aber doch sehr in Frage gestellt werden.
 
Naja, das mit den vielen Feiertagen ist ein wenig irreführend. Die gab es zwar wirklich, aber natürlich musste auch an ihnen z. B. das Vieh versorgt und gekocht werden. Zumindest die Bäuerinnen werden also auch am Feiertag fast so viel zu tun gehabt haben wie sonst. Dem Autor ging es wohl in erster Linie darum, aufzuzeigen, dass die Bauern nicht rund um die Uhr nur von ihrem Grundherren ausgebeutet wurden, und da hat er wohl nicht unrecht.
 
Das ist aber doch pure Spekulation des Autors, ohne wirkliche Substanz.

Und ob die Begehung der Feiertage weit über die klerikalen Kreise hinaus ging, ist ebenfalls weitestgehend unklar.
 
Daß das reine Spekulation ist, halte ich für ziemlich spekulativ. ;) Da man besonders im späteren Mittelalter gründlich darauf bedacht war, alles mögliche schriftlich zu fixieren, gibt es zahlreiche Quellen zu allgemeinen Lebensumständen der Menschen. Ich bin allerdings kein Spezialist für mittelalterliche Bauern, daher habe ich kaum ernsthafte Bücher darüber parat. Lassen sich mit etwas Suche aber sicher finden. Ich kann nur sagen, daß Bauern im Mittelalter je nach Region und Zeit sehr unterschiedlich gelebt haben. Es gab eine Bandbreite vom reichen Großbauern, dessen Sohn zur Universität ging, bis zu armen Kleinstbauern oder schollenlosen Tagelöhnern, die immer am Rand des Existenzminimums lebten. Dazu kamen verschiedene Grade persönlicher Freiheit.
 
Universität im Mittelalter? Die Karls-Uni in Prag wurde 1348 gegründet, Heidelberg 1386, so langsam kamen mehr dazu, alle mit einer handvoll Studenten. Lange hat das Mittelalter da nicht mehr gedauert. Allzu viele "Großbauernsöhne" wirst du da nicht gefunden haben.

Und wo das Leben der sog. "kleinen Leute" im Mittelalter auch nur in Ansätzen dokumentiert sein soll, würde mich schon interessieren.
 
Universität im Mittelalter? Die Karls-Uni in Prag wurde 1348 gegründet, Heidelberg 1386, so langsam kamen mehr dazu, alle mit einer handvoll Studenten. Lange hat das Mittelalter da nicht mehr gedauert. Allzu viele "Großbauernsöhne" wirst du da nicht gefunden haben.

In Paris (Sorbonne), Orléans, Montpellier, Toulouse, Neapel (Kaiser Friedrich II.), Bologna ect. wurden bereits im 13. Jahrhundert Universitäten gegründet. Die Deutschen hingen halt nur etwas hinterher.
 
In Paris (Sorbonne), Orléans, Montpellier, Toulouse, Neapel (Kaiser Friedrich II.), Bologna ect. wurden bereits im 13. Jahrhundert Universitäten gegründet. Die Deutschen hingen halt nur etwas hinterher.

Schon klar, aber von den Bauern in Bologna war ja wohl kaum die Rede. Und auch bei diesen Universitäten handelte es zunächst mal um bessere Klosterschulen.
 
Universität im Mittelalter? Die Karls-Uni in Prag wurde 1348 gegründet, Heidelberg 1386, so langsam kamen mehr dazu, alle mit einer handvoll Studenten. Lange hat das Mittelalter da nicht mehr gedauert. Allzu viele "Großbauernsöhne" wirst du da nicht gefunden haben.

Dem ist, glaube ich, nichts hinzuzufügen.

Und wo das Leben der sog. "kleinen Leute" im Mittelalter auch nur in Ansätzen dokumentiert sein soll, würde mich schon interessieren.

Möglicherweise könnten erhaltene Unterlagen in Klöstern darüber Auskunft geben, in denen das Klostereigentum an Höfen, sowie die Abgaben- und Zinspflichten festgehalten wurden. Ich denke da z. B. an das Prümer Urbar.

Prümer Urbar ? Wikipedia

Das Leben der Bauern ist da zwar nicht direkt geschildert, aber aus den enthaltenen Beschreibungen lassen sich ggf. doch Rückschlüsse auf die Größe der Dörfer/Siedlungen bzw. der einzelnen Höfe schließen, von denen man, auch unter Berücksichtigung der zu leistenden Abgaben wieder einige Lebensumstände der Bauern ableiten kann.

Ich bin aber kein Mittelalterspezialist und habe gerade keinen Zugriff auf entsprechende Literatur, so dass ich n ichts genaueres dazu sagen kann.

Viele Grüße

Bernd
 
Das Leben der Bauern ist da zwar nicht direkt geschildert, aber aus den enthaltenen Beschreibungen lassen sich ggf. doch Rückschlüsse auf die Größe der Dörfer/Siedlungen bzw. der einzelnen Höfe schließen, von denen man, auch unter Berücksichtigung der zu leistenden Abgaben wieder einige Lebensumstände der Bauern ableiten kann.

Sicherlich kann man einiges ableiten, es handelt sich nicht um gänzlich unbekanntes Terrain. Wenn aber der oben genannte Autor z.B. die zahlreichen Feiertage nennt um damit ein "besseres" Leben der damaligen Bauern zu belegen, muss man das hinterfragen dürfen.

Könnte es vielleicht sein, dass an Feiertagen doppelte Arbeit auf die einfachen Leute zukam, weil sie neben ihrer sonstigen Hofwirtschaft auch noch für die Festivitäten der "Pfaffen" sorgen mussten?
Aus welcher Quelle entnimmt er, dass Feiertage überhaupt für Leibeigene galten?
Selbstverständlich gab es erhebliche Unterschiede, und nicht jeder Bauer befand sich am Rande des Existenzminimums, aber die Quellenlage ist nun einmal äußerst dünn.
 
Die wichtige Frage war doch unter anderen: Waren die Lebensbedingungen für einen mittelalterlichen Bauern wirklich besser als die eines Arbeiters während der "industriellen Revolution"?
 
Sicherlich kann man einiges ableiten, es handelt sich nicht um gänzlich unbekanntes Terrain. Wenn aber der oben genannte Autor z.B. die zahlreichen Feiertage nennt um damit ein "besseres" Leben der damaligen Bauern zu belegen, muss man das hinterfragen dürfen.

Sicher darf man das hinterfragen. Man sollte das sogar tun. :winke:

Selbstverständlich gab es erhebliche Unterschiede, und nicht jeder Bauer befand sich am Rande des Existenzminimums, aber die Quellenlage ist nun einmal äußerst dünn.

Auch hier kann ich dir voll zustimmen. Mir ging es ja auch eher um deine Aussage, dass das Leben der Bauern sozusagen "nicht mal in Ansätzen dokumentiert" sei.

Also Ansätze gibt es zumindest...;)



Die wichtige Frage war doch unter anderen: Waren die Lebensbedingungen für einen mittelalterlichen Bauern wirklich besser als die eines Arbeiters während der "industriellen Revolution"?

Mein Standardsatz zu jedem Mittelalterthema: Das Mittelalter dauerte ca. 1000 Jahre und in diesem Zeitraum gab es eine ganze Menge Veränderungen. Auch dürften regionale Unterschiede im Hinblick auf fast jede Fragestellung gegeben haben. Den standardisierten "Normalbauer", der als Vergleichsmaßstab taugt, wird man wohl nicht ermitteln können.

Ebenso war die Phase der Industrialisierung, obwohl deutlich kürzer als das Mittelalter, von erheblichen Veränderungen und Umwälzungen geprägt. Auch hier wird es schwer sein, den Standardarbeiter auszumachen.

Es lassen sich allenfalls Tendenzen ausmachen, die man dann vergleichen kann. Und selbst das ist nicht so einfach, wenn man die lückenhafte Quellenlage für das Mittelalter, die ja schon angesprochen wurde, berücksichtigt.

Langer Rede kurzer Sinn: Ich kann diese Frage nicht so einfach beantworten. Vielleicht finde ich aber noch was zum lesen...

Ein Punkt, den man aber mit einiger Sicherheit annehmen kann. Der mittelalterliche Bauer hatte gegenüber dem Industriearbeiter Vorteile im Hinblick auf seine soziale Sicherung, da er in die Dorfgemeinschaft eingebunden war und somit das Prinzip der gegenseitigen Unterstützung nicht nur innerhalb der Familie gelten musste. Sein soziales Netz war enger gewebt, als das des Industriearbeiters. Der Industriearbeiter hatte eigentlich erst mit Einführung der Sozialversicherung (in Deutschland) eine halbwegs passable Absicherung, die über die Armenfürsorge der Gemeinden hinaus ging).

Auch die Wohnsituation des Bauern hat sich wohl von der des Industriearbeiters unterschieden: Hier eine feste Hofstelle - dort eine "Wohnung" in einer oft miserablen Mietskaserne, manchmal aber auch nur ein Bett zur Untermiete. Der mittelalterliche Bauer dürfte seinen Wohnort nur selten gewechselt haben, der Arbeiter ist wohl öfters mal umgezogen.

Viele Grüße

Bernd
 
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