Ist Hitlers Politik Strategie oder Kalkül?

D

Drebin893

Gast
Oben steht die Frage..

meine Meinung nach eigentlich Strategie, weil er klar Bündnisse abschließt (Nicht-Angriffs-Pakt mit Polen und Russlandvertrag) und damit das Bündnissystem der Franzosen kontert.
Was sagt ihr dazu?
 
Servus.. Haben nen Thesenpapier von unseren Lehrer bekommen.. Sollten das mal durcharbeiten, weiß selber nicht genau was gemeint ist.

Aber eig. ist Kalkül das selbe wie Strategie.. ziemlich verwirrend..
 
Ich denke auch ideologische Hintergründe steckten in der Politik Hitlers. Mit der Besetzung Teschechiens zB, erfüllte er ja seine Ideologie vom "Lebensraum im Osten". Wenn man von dieser Annahme ausgeht und weiß das der NS-Staat ohne die Besetzung der Tschechoslowakei fast pleite gewesen wäre, kann man vllt. sogar ein zwar nicht direkt gewollten, aber Hitler gelegend kommenden ideologischen Hintergrund in der Wirtschaftspolitik erkennen, wie zB ähnlich der Ausbeutung der Juden aus wirtschaftlichen Gründen wie zB der Historiker Götz Aly behauptet.
 
Eine Antwort aus einem ähnlichen Thread. Eigentlich wollte ich nur den Beitrag zitieren mit Verweis. Aber irgendwie klappte das mit der Technik, bzw. meinem Verständnis der Technik, nicht so richtig.

Hitler war ein konsequenter Ideologie, der sich selber eine messianische Rolle zugedacht hat. Diese Rolle spielt er bis zum Schluss und findet einen Niederschlag in seinem politischen Testament 1945. In dem er das internationale Judentum erneut und zum letzten Mal dokumentiert massiv angreift und seine Ausrottung erneut rechtfertigt.

Politisches Testament Adolf Hitlers ? Wikipedia

In diesem Aspekt ist wahrscheinlich eindeutigste ideologische Grunddisposition seines politischen Handelns zu erkennen.

In einer Reihe von anderen Aspekten hat sich Hitler pragmatisch als Machtpolitiker verhalten, der im machiavellischen Sinne alle Mittel seiner Zielerreichung untergeordnet hat.

Pauschal kann man vier Phase in seiner ideologisch motivierten Außenpolitik erkennen.

1. Phase bis zur Machtergreifung (33): ideologisch und militant

2. Phase bis ca. 37 (Hoßbachprotokoll): Pragmatisch und "friedliebend"

3. Phase bis ca. 41/42 dem Zenith des militärischen Erfolgs eine zunehmende Ideologisierung seines Handelns

4. Phase bis zum Zusammenbruch 45 weitgehende Ideologisierung seiner Machtpolitik , unter Ausblendung pragmatischer Politikansätze (Separatfrieden etc.)

Vor diesem Hintergrund ist ein Großteil seiner Handlungen als improvisiert zu bezeichnen.

Die Völker in SO-Europa betrachtete er dabei keineswegs als gleichrangig, weder rassich, politisch und auch in keiner anderen Sichtweise, und benutzte sie lediglich als "billige" Hilfstruppen, die ihre Haut für seine "heheren Ziele" opfern durften und halfen seine hegemonialen bzw. imperialen Ansprüche durchzusetzen.

Ähnlich wie den Franzosen hätte er ihnen in einer zukünftigen germanischen Weltordnung lediglich untergeordnete Bedeutung zugewiesen, im Gegensatz übrigens zu den Griechen und auch zu den Italienern.

Nicht zuletzt bedurfte er der Unterstützung der SO-europäischen Staaten, da das 3. Reich durchaus im Vorfeld des WW2, obwohl sie die führende Militärmacht weltweit war, auf eine zusätzliche Unterstützung dingend angewiesen war (militärisch, politisch, wirtschaftlich und ressourcenmäßig)

Das Problem einer pragmatischen Machtpolitik vs. einer ideologiegetriebenen Außenpolitik kann man am deutlichsten im Verhältnis zwischen dem 3. Reich und Polen verdeutlichen.

Ein konkretes Beispiel: Nach der Machtergreifung steuerte beispielsweise Hitler den revisionistischen, konfliktorientierten Kurs der traditionellen konservativen Eliten (AA und WM) um und ging zu einer Kooperation mit Polen über.

Vor diesem Hintergrund ging man beispielsweise bei "Bedrohungsanalysen" in der SU um ca. 1936 von einem Szenario eines "Koalitionskrieges", in dessen Rahmen das 3. Reich in Kooperation mit Polen die SU angreifen würde.

Da Hitler jedoch Polen als Aufmarschgebiet für seinen Angriff auf die SU brauchte, verfolgte er die duale Strategie, entweder mit Polen gegen die SU oder alleine gegen die Su, mit vorheriger Besetzung Polens.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass Hitler sich vor 1939 durchaus pragmatisch im Rahmen seiner Außenpolitik verhalten konnte, jedoch nur so lange, wie diese Haltung nicht mit der grundsätzlichen ideologisch motivierten Zielwahl kollidierte.

Und nach 1939 ordnete sich zunehmend, wie bereits oben kurz ausgeführt, seine Außen- bzw. Machtpolitik komplett seinen ideologisch motivierten Zielen unter.
 
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[Selbstzitat:]In einer Reihe von anderen Aspekten hat sich Hitler pragmatisch als Machtpolitiker verhalten, der im machiavellischen Sinne alle Mittel seiner Zielerreichung untergeordnet hat. [...] Vor diesem Hintergrund ist ein Großteil seiner Handlungen als improvisiert zu bezeichnen.
Ich finde Deine Darstellung gut vertretbar, wobei es im Detail natürlich Gesprächsbedarf gibt. Das gilt insbesondere dann, wenn man die "Gesamtsicht" auflöst in einzelne Politikfelder und z.B. Hitlers Kirchenpolitik betrachtet. Hier sehe ich auch ein Problem der Fragestellung.

Das andere Problem: "Strategie" und "Kalkül" - wenn das partout Gegensätze sein sollen - stehen in gewisser Weise begrifflich quer zu Macht/Machiavellismus, Improvisation, Pragmatismus usw. Vielleicht besteht ein Ausweg darin, Strategie als das langfristig-ideologische Konzept zu nehmen und Kalkül als das kurzfristig-situative?
 
Vielleicht besteht ein Ausweg darin, Strategie als das langfristig-ideologische Konzept zu nehmen und Kalkül als das kurzfristig-situative?

Das sieht mir nach der vernünftigen Auflösung aus. Kalkül als situativ-kurzfristiger Ansatz deckt dann auch pragmatischen Aspekte der NS-Politik ab.
 
wenn man die "Gesamtsicht" auflöst in einzelne Politikfelder und z.B. Hitlers Kirchenpolitik betrachtet. Hier sehe ich auch ein Problem der Fragestellung.


Meine Ausführungen bezogen sich lediglich auf die außenpolitische Situation.

Im Buch von Weinberg entwirft er jedoch eine geradezu apokalyptische Sichtweise auf die Situation der Kirchen in einem Groß-Germanien.

Visions of victory: the hopes of ... - Google Bücher

Im Prinzip geht Weinberg von einer gigantischen Säuberungswelle aus, die ideologisch motiviert, die Kirchen als eigenständige Machtzentren nach einem erfolgreich geführten Krieg im Osten und im Süden mittel- bis langfristig ausgelöscht hätte.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich auch in diesem Fall, aus meiner Kenntnis sehr oberflächlich beurteilt, ein grundsätzlich vergleichbares Verhaltensmuster.

Pragmatismus und arrangieren mit einem rivalisierenden Partner und bekämpfen und auslöschen in dem Moment, wenn andere "Handlungsfelder" erfolgreich gelöst sind.

In der erste Phase zurückgehaltene ideologische Begründungen, die in der zweiten Phase dominant in Erscheinung treten.

Zur sematischen Differenzierung von Strategie und Kalkül: Auch eine Strategie kann man ins Kalkül einer Handlungsweise einbeziehen. Eine Strategie ist aus meiner Sicht ein Handlungssystem inklusiver einer Zeitschiene. Ein Kalkül wäre aus meiner Sicht dagegen ein kognitiv ausgerichteter Kriterienkatalog, der handlungsrelevant sein kann bzw. mentale Prozesse steuert.

In diesem Sinne ist die Triade Taktik, Operativ und Strategie eine sinnvollere Dimension, um das Konstrukt zu entwickeln, da mit jeder Stufe die Komplexität bzw. Mächtigkeit zunimmt.

Aber letztlich ist es ja eh alles eine intersubjektiv ausgehandelte Definitionsfrage, welche Begriffe für welche Konstrukte verwandt werden.
 
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