Westfälischer Friede - Bewertung in Historie und Politologie

W

Westafalle

Gast
Ich habe vor einen Text zu schreiben über die unterschiedliche Bewertung des Westfälischen Friedens in der historischen und der politologischen Wissenschaft.

Dabei habe ich schon mal folgendes herausgearbeitet:
1. Die Politologen sehen im Westfälischen Frieden den Beginn einer neuen Art, Geopolitik zu betreiben, das sogenannte Westfälische Modell. Es basiert auf staatlicher Souveränitäten, die sich im Inneren als Herrschaft über ein gewisses Territorium mit Gewaltmonopol und im Äußeren in der Möglichkeit ausdrückt, selbstständig vertraglich Recht zu schaffen (oder ggf. für Eroberungskriege auch zu brechen). Religiöse Differenzen und/oder Ideologien spielen dabei keine besondere Rolle, das System an sich ist säkular.
[...]weshalb die Politikwissenschaft hier die Grundlagen des souveränen Nationalstaats sieht. Die Politikwissenschaft bezieht sich bei der Betrachtung von internationalen Beziehungen explizit aber nicht ausschließlich auf die Interaktion zwischen souveränen Staaten, das so genannte Westfälische System. Für dessen Aufrechterhaltung plädiert der Realismus.
Aus der Wikipedia: Westfälischer Friede ? Wikipedia
2. Die Historiker scheinen die Sichtweise kritischer zu sehen und/oder sogar abzulehnen, offenbar weil er die Absichten und unmittelbaren Auswirkungen des Friedens, sowie die Vorgeschichte nicht berücksichtigt. So hatte es vor den Westfälischen Frieden schon mehrere (gescheiterte) Vermittlungsversuche zwischen Protestanten und Katholiken, bzw. Kaiser und Reichsfürsten gegeben, was beweist (oder so interpretiert werden kann), dass der Westfälische Frieden erst der krönende Abschluss einer langen Serie erfolgloser Friedensbemühungen war. So zumindest habe ich das Verstanden.
In der Geschichtswissenschaft wird der Begriff des Westfälischen System nicht verwendet und kritisch gesehen, da er einerseits den Prozess der Nationalstaatswerdung in Europa zu sehr auf einen bestimmten Zeitraum einengt und andererseits durch die Intentionen der beteiligten Verhandlungspartner und die tatsächlichen Beschlüsse des Friedenkongresses von Münster und Osnabrück nicht gedeckt wird.
Aus der Wikipedia: Westfälisches System ? Wikipedia

Nun kommen meine Frage:
1. Habe ich das so, aus Sicht von euch Historikern, korrekt wiedergegeben? Wo seht ihr die eigentlichen Kritikpunkte? Welche Ansichten muss ich da ergänzen? Habt ihr vielleicht Quellen?
2. Wie konnte es zu so unterschiedlichen Bewertungen kommen?
Habt ihr vielleicht Quellen (Links oder Bücher/Zeitschriftenartikel), die den Unterschied zwischen den beiden Ansichten wiedergeben? Habt ihr vielleicht eine Quelle für die Verteidigung der Politologischen Sicht?
Eventuell ein Politologie-Forum, wo ich die Frage auch stellen könnte? (Das wäre sehr nett, denn auch die politologische Seite sollte ihren Standpunkt zur Wort kommen lassen können!)
 
@Westafalle

Ich habe mich noch nie mit der Rezeptionsgeschichte des Westfälischen Friedens beschäftigt und schon gar nicht mit einer eventuellen unterschiedlichen Rezeption in der Politikwissenschaft und der Geschichte.

Ein Versuch, als "Sprengsel" für Deine Überlegungen.

In der Politikwissenschaft sucht man u.a. nach Modellen und der westfälische Frieden war aus diesem Blickwinkel ein erfolgreiches Modell. Alle Reichsstände und die anderen europäischen Mächte konnten sich auf ihn, als kleinsten gemeinsamen Nenner, immer einigen, daß dagegen verstoßen wurde und er trotzdem auch weiterhin Bestand hatte, um so erfolgreicher war das Modell. In Gefahr geriet dieses Modell erst dann, als das HRR in seinem Bestand bedroht war. Spätestens 1803, Reichsdeputationshauptausschuß.

Das könnte m.E. der politikwissenschaftliche Ansatz sein.

Historiker wiederum lehnen einen derartig hoch abstrakten Ansatz meist ab. Der westfälische Frieden war durchlöchert wie ein alter Mantel, Reichsstände hatten gegen das Reichsoberhaupt Kriege geführt und Bündnisse geschlossen.

Das wäre so mein Ideenansatz. Modellcharakter einerseits, Verstoß dagegen andererseits, aber Anerkennung der Grundsätze.

Ein modernes Beispiel, die UN-Charta haben alle Mitgliedsstaaten unterschrieben und ständig wird dagegen verstoßen, aber am Anfang jeder Konferenz versichern alle Teilnehmer, daß sie auf dem Boden der Charta stehen.

Die Artikelüberschrift könnte z.B. so lauten, "Der westfälische Frieden, die "UN-Charta" des 17. und 18. Jh."?"

Dann in der Argumentation, aus politikwissenschaftlicher Sicht der Modellcharakter, aus historischer Sich die Einzelfallbetrachtung.

Nur so, als Idee.

M.
 
1. Die Politologen sehen im Westfälischen Frieden den Beginn einer neuen Art, Geopolitik zu betreiben, das sogenannte Westfälische Modell. Es basiert auf staatlicher Souveränitäten, die sich im Inneren als Herrschaft über ein gewisses Territorium mit Gewaltmonopol und im Äußeren in der Möglichkeit ausdrückt, selbstständig vertraglich Recht zu schaffen (oder ggf. für Eroberungskriege auch zu brechen). Religiöse Differenzen und/oder Ideologien spielen dabei keine besondere Rolle, das System an sich ist säkular.

Zunächst eimal ist festzuhalten, dass es in diesem Kontext nicht "Die Politologen" gibt. Gemeint ist in diesem Kontext eine Richtung der Interpretation außenpolitischer Beziehungen, die auf H.E. Carr oder Morgenthau zurück geht.

http://rzv039.rz.tu-bs.de/isw/sandra/lexikon/cmsimpleplus/?A-D:Carr%2C_Edward_H.

http://rzv039.rz.tu-bs.de/isw/sandra/lexikon/cmsimpleplus/?M-P:Morgenthau,_Hans_J.

Daneben sind alternative Deutungsmodelle vorhanden, die ebenfalls eine Erklärung für zwischenstaatliches Handeln bereitstellen. In diesem Sinne hat das realistische Paradigma kein Deutungsmonopol auf internationale Beziehungen.

Sehr gutes Übersichtswerk zu dem Thema:
http://books.google.de/books?id=1tl...eorie der internationalen beziehungen&f=false

Aber was hat das eigentlich mit "Geopolitik" zu tun? Und, die Kriterien, die angeblich das Westphälische Modell ausmachen, gelten m.E. allerdings bereits auch für das Römische Reich oder ander Konstellationen.
 
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