Ideologische Rechtfertigungen der imperialistischen Politik Englands

Felix I.

Neues Mitglied
Hallo alle zusammen!

Ich muss in meinem Geschichts-LK ein Referat zu dem Thema "Imperialismus am Beispiel Englands" erstellen. Aufgrund meines Geschichtsbuches und diverser Internetquellen habe ich schon einen recht guten Überblick über das Thema.

Ich habe zwar einige Reden von Cecil Rhodes und Benjamin Disraeli vorliegen, habe allerdings das Problem, dass ich deren Rechtfertigungen für eine imperialistisch-geprägte Politik nicht aus den Reden herauslesen kann.

Ich würde mich über einige Links oder Buchempfehlungen freuen.

Vielen Dank schon im Vorraus!

Felix I.


 
Ich fand diese Aussprache von Cecil Rhodes sehr klar: ,,Da (Gott) sich die englischsprechende Rasse offensichtlich zu seinem auserwählten Werkzeug geformt hat, durch welches er einen auf Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden gegründeten Zustand der Gesellschaft hervorbringen will, muss es auch seinem Wunsch entsprechen, dass ich alles in meiner Macht stehende tue, um jener Rasse so viel Spielraum und Macht wie möglich zu verschaffen.“

Das hier sollte am besten auch nicht fehlen: das sprichwörtliche "The White Man's Burden" von Rudyard Kipling.
 
Vielen Dank für deine Info.

Leider ist der Link für Kipling defekt. Könntest du bitte danach schauen.
Danke schon jetzt.

Felix
 
Dazu empfiehlt es sich auch Joseph Chamberlain (* 1836 +1914) zu lesen. Ich meine es gab da ein Werk mit seinen Reden aus den 30er Jahren. Den Titel trage ich bei Zeiten nach, aber vielleicht findest du ihn ja auch so.
 
Wieso empfiehlt es sich Joseph Chamberlain zu lesen? Wenn schon eine Empfehlung dieses Autors stattfindet, dann soll auch auf Hobson hingewiesen werden.
Imperialism - John Atkinson Hobson - Google Bücher

Und im Rahmen Wehler`s Reader über Imperialismus, der eher zu empfehlen ist wie Chamberlain, schreibt Lüthy:

Imperialismus - Google Bücher

"...geht Hobsons ganze Argumentation darauf hinaus, die wirtschaftliche Begründung ds Kolonialismus, wie sie von Cecil Rhodes, Joseph Chamberlain und andere angeführt wurden, als demagogischen Humbug zu entlarven.

Und Hobsbawm geht auf Chamberlain im "Das imperiale Zeitalter" noch nicht mal inhaltlich ein.

Man kann durchaus auf Chamberlain verweisen, dennoch ist eine Einordnung der Wichtigkeit seiner Theorie auch vorzunehmen, auch um Mißverständnisse in Richtung einer unkritischen Rezeption zu vermeiden.

Nicht zuletzt auch um den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Interesse und einer ideologischen Zweckrationalisierung der Ziele nicht aus dem Blickwinkel zu verlieren.
 
Weil mir Chamberlain besonders im Gedächnis geblieben ist, als Politiker, der auf der einen Seite als Liberaler die demokratisierung Großbritanniens unterstütze und zugleich für einen Menschen moderner Prägung ein fast unausstehliches Rassendenken anwandte, nach dem man die Welt unterwerfen und "zivilisieren" solle. Dazu kommt, dass seine Reden in meinen Augen für sich selbst stehen. Er ist mir auch nicht als Autor bekannt, sondern lediglich über die Reden, die als Sammelband erschienen sind und in meinen Augen wohl ein gutes Zeugnis der damaligen Gedankenwelt abgeben. Chamberlains Reden sind wohl eher Zeitzeugnisse als Literatur.
 
"...geht Hobsons ganze Argumentation darauf hinaus, die wirtschaftliche Begründung ds Kolonialismus, wie sie von Cecil Rhodes, Joseph Chamberlain und andere angeführt wurden, als demagogischen Humbug zu entlarven. ...

Man kann durchaus auf Chamberlain verweisen, dennoch ist eine Einordnung der Wichtigkeit seiner Theorie auch vorzunehmen, auch um Mißverständnisse in Richtung einer unkritischen Rezeption zu vermeiden.

Nicht zuletzt auch um den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Interesse und einer ideologischen Zweckrationalisierung der Ziele nicht aus dem Blickwinkel zu verlieren.

Guter Hinweis.

Schaut man sich das von der realpolitischen Seite und der "Gewichtung" hinter geschlossenen Türen der zuständigen Ministerien an, ging es im 19. Jahrhundert immer wieder um die Sicherung Indiens als Wohlstandsbasis des Empire.

Das reichte als Rechtfertigung regelmäßig aus, war geradezu Totschlagarument bei strategischen Betrachtungen. Der "demagogische Humbug" (s.o. thanepowers Hinweis, den "ökonomischen Humbug" möchte man ergänzen) diente als einfache Verpackung für die Öffentlichkeit.
 
Das reichte als Rechtfertigung regelmäßig aus, war geradezu Totschlagarument bei strategischen Betrachtungen. Der "demagogische Humbug" (s.o. thanepowers Hinweis, den "ökonomischen Humbug" möchte man ergänzen) diente als einfache Verpackung für die Öffentlichkeit.

Das finde ich ein bisschen zu schlicht formuliert. Mir ist immer etwas unwohl, wenn man von "Verpackung für die Öffentlichkeit" redet als gäbe es da irgendwo im Zentrum der Dinge eine Verschwörung zynischer Machtpolitiker mit einer Legion von Pressesprechern, die alle anderen das Blaue vom Himmel erzählen während die Verschwörer heimlich ihre eigentlichen Interessen verfolgen. Bei der imperialen Politik Englands muss man einfach sehen, dass das strukturell tief eingebettet ist und Imperialismus durchaus, von einer gewissen Perspektive aus (die wir heute glücklicherweise nicht mehr einnehmen!) ehrlichen Herzens als gute, moralisch richtige Politik verstanden werden kann.

Ein illustrierendes Beispiel ist etwa, dass England bereits im 17. Jahrhundert die Core-Periphery-Konstellation erfunden hat, also dass es ein gemeinsames Machtzentrum für alle gibt und der Rest bloß näher oder weiter entfernte "Ränder" oder Dependancen sind. So ein Modell basiert darauf, dass das staatliche Gewaltmonopol zentralisiert wird und lokale Machtstrukturen dafür zerbrochen werden. Da ist in den englischen Gewässern James I entscheidend; er ist gleichzeitig derjenige, der die East India Company stark fördert und Hand in Hand mit der Zentralisierung seiner Macht im Inland die Handelsmacht seines Staates systematisch ausweitet. Entscheidend ist ja bei dieser Idee der Zentralisierung, dass alles um das Zentrum herum potenziell erfasst werden kann - die Peripherie kann beliebig weit nach außen geschoben werden, Kolonien sind da kein besonders großer gedanklicher Sprung mehr. Wenn man seit Generationen mitten in so einem System und der entsprechenden Logik drinsteckt, wirkt das für einen selbst vermutlich ganz plausibel und gottgewollt, zumal es ja durch wirtschaftlichen Erfolg auch noch belohnt wird.

Ich will damit nur sagen, dass wir die tiefen strukturellen Voraussetzungen des Imperialismus nicht unterschätzen sollten, denn sie sind es vor allem, die den handelnden Akteuren die Vorstellung vermittelt haben, es mit dem Imperialismus auch moralisch richtig zu machen. Dass da eine sehr große Zweckrationalität mitspielte und durchaus nicht alle gleichermaßen davon überzeugt waren, ist unbenommen. Aber wir sollten diese Perspektive schon ernst nehmen, wenn wir darüber sprechen.
 
Mein posting oben verkürzt sicher stark, ist aber weder in Richtung einer Komplexitätsreduktion noch Verschwörungstheorie zu deuten.

Im Gegenteil, der britische Imperialismus im 19. Jhdt. basiert auf extrem komplexen strategischen Grundlagen, die sich nach 1860 stark (immer stärker) auf die strategischen Bedrohungen Indiens zuspitzten. Selbst prima vista (nur) offensiv erscheinende imperialistische Linien wie beim Scamble for Africa haben eine diesbezügliche defensive Komponente.

Verwurzelte imperialistische strukturelle Voraussetzungen, bezogen auf Personen, spielten mE bei den militärischen und politischen Entscheidungen in dieser im Wortsinn komplexen Realpolitik eine untergeordnete Rolle. Mir ist auch keine aktuelle Studie aus dem politisch-ökonomisch-militärischen Bereich bekannt, die diesen "Verwurzelungs-Faktor" strapazieren würde.

Ich lasse mich aber gern auf diesen Aspekt hinweisen, sofern anhand von Beispielen belegt werden kann, dass solche Verwurzelungen den britischen Pragmatismus in den zunehmend komplexen Krisen nach 1856 realpolitisch bestimmt haben.
 
Mein posting oben verkürzt sicher stark, ist aber weder in Richtung einer Komplexitätsreduktion noch Verschwörungstheorie zu deuten.

Nicht dass wir uns missverstehen, ich habe bewusst von Formulierungen gesprochen, die mir nicht gefallen. Ich glaube sofort, dass du weder Komplexitätsreduktion noch Verschwörungstheorie im Sinn hattest, als du diesen Beitrag gepostet hast. Ich sorge mich immer nur ein bisschen, dass bei solchen Verkürzungen schnell ein falscher Konsens entsteht, weil man ja in der Diskussion ja oft nicht nochmal darauf zurückkommt. Und das finde ich dann problematisch.

Im Gegenteil, der britische Imperialismus im 19. Jhdt. basiert auf extrem komplexen strategischen Grundlagen, die sich nach 1860 stark (immer stärker) auf die strategischen Bedrohungen Indiens zuspitzten. Selbst prima vista (nur) offensiv erscheinende imperialistische Linien wie beim Scamble for Africa haben eine diesbezügliche defensive Komponente.

Verwurzelte imperialistische strukturelle Voraussetzungen, bezogen auf Personen, spielten mE bei den militärischen und politischen Entscheidungen in dieser im Wortsinn komplexen Realpolitik eine untergeordnete Rolle. Mir ist auch keine aktuelle Studie aus dem politisch-ökonomisch-militärischen Bereich bekannt, die diesen "Verwurzelungs-Faktor" strapazieren würde.

Das finde ich ja enorm spannend, was du da über Indien und Afrika erzählst. Es ist zwar offensichtlich, dass die ganzen kolonialen Strategien irgendwie verwoben sein mussten weil sie alle den Zwecken Englands dienten, aber macht man sich selten klar, wie spannend das sein muss, wenn man da ein bisschen ins strategische Detail geht. Hast du da vielleicht ein Buch oder einen Artikel über diese globalen strategischen Diskussionen, das/den du empfehlen kannst?

Ich glaube allerdings, dass du mich irgendwo missverstanden hast, wenn es um einzelne Personen und deren "Verwurzelung" angeht. Ich meine ja keine isolierten Schulen oder Sekten die für die einen ein Einfluss sind und für den anderen halt nicht, sondern ich rede von breiten politisch-kulturelle Strömungen, aus denen sich die gesamte kolonialistische Strategie erst speist.

Eine herausragende Besonderheit des europäischen und gerade des englischen Kolonialismus ist es ja gerade, immer rechtmäßig und legitim erscheinen zu wollen - auch und gerade dann, wenn das Recht und der gute christliche Vorsatz vor lauter strategischem Pragmatismus mal wieder gebeugt worden sind. (Gute Quelle dazu: der erste Artikel in der PDF, der von Jörg Fisch) Daher muss man davon ausgehen, dass der Impuls hinter der Strategie nicht nur ein realpolitischer war, sondern auch einer, der versucht, das Realpolitische als möglichst human dastehen zu lassen, egal wie abartig das dann kulturell wird. Der oben genannte Curse of Ham ist ein gutes Beispiel. An sowas haben eben auch nicht nur die Lakaien geglaubt, sondern auch die Entscheidungsträger. Und das hat auch die Art ihrer Entscheidungen geprägt. Realpolitik existiert nicht in einem Vakuum, nur weil sie selbst behauptet, ausschließlich in der Realität verwurzelt zu sein. Realpolitik ist eine Perspektive und damit immer auch kulturell.

Ich lasse mich aber gern auf diesen Aspekt hinweisen, sofern anhand von Beispielen belegt werden kann, dass solche Verwurzelungen den britischen Pragmatismus in den zunehmend komplexen Krisen nach 1856 realpolitisch bestimmt haben.

Naja, gerade das Core-Periphery-Modell, das ich angeführt habe, ist ein Urmodell des politischen Realismus, das schon seit dem 17. Jahrhundert existiert und im 19. Jahrhundert erst seinen vollen Durchbruch hat. Gerade weil die Außenpolitik komplexer wird und gleichzeitig die englische Hegemonie das einzig immergleiche, zentrale Merkmal in all den Außenbeziehungen bleiben soll, wird diese (strategische!) Grundbeziehung modellhaft verstärkt und normativ ausgebaut. Auch der grundsätzliche Zivilisationsbegriff z.B. ändert sich in England. Statt "christlich geprägt/europäisch" heißt es plötzlich außerdem noch "industrialisiert," um die eigene Vorherrschaft als rechtmäßige Spitze allen Seins noch weiter zu zementieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das finde ich ja enorm spannend, was du da über Indien und Afrika erzählst. Es ist zwar offensichtlich, dass die ganzen kolonialen Strategien irgendwie verwoben sein mussten weil sie alle den Zwecken Englands dienten, aber macht man sich selten klar, wie spannend das sein muss, wenn man da ein bisschen ins strategische Detail geht. Hast du da vielleicht ein Buch oder einen Artikel über diese globalen strategischen Diskussionen, das/den du empfehlen kannst?
Den "Knaller" zu dieser Fragestellung habe ich noch nicht gesehen. Das Ganze ist mehr meine Wahrnehmung der angelsächsischen Literatur der letzten 30 Jahre. Als einen Startpunkt würde ich zB Kennedy ansehen, mit seiner Analyse des deutsch-britschen Antagonismus vor 1914 (allerdings zu einseitig, und inzwischen überholt). Siehe auch zB Schmidt in War&Society 1986. In der deutschen Literatur scheint das in den letzten 10 Jahren langsam anzukommen, siehe Schöllgen, Schröder, Rose, usw., letztens Geppert/Rose: Machtpolitik und Flottenbau vor 1914. Zur Neuinterpretation britischer Außenpolitik im Zeitalter des Hochimperialismus, HZ 2011, S. 401-437.

Als Desiderat der Forschung halte ich das für zutreffend beschrieben in: Greg Kennedy, Imperial Defence - The Old World Order 1856-1950, 2008, zB von Otte: The Foreign Office and Defence of Empire 1856-1914. Ebenso zB Neilsson, Keith: Britain and the Last Tsar - British Policy and Russia 1894 - 1917.

Literatur findet sich auch hier:
http://www.geschichtsforum.de/f58/l...-zeitspanne-von-1870-1914-a-36907/#post627462


Ich glaube allerdings, dass du mich irgendwo missverstanden hast, wenn es um einzelne Personen und deren "Verwurzelung" angeht. Ich meine ja keine isolierten Schulen oder Sekten die für die einen ein Einfluss sind und für den anderen halt nicht, sondern ich rede von breiten politisch-kulturelle Strömungen, aus denen sich die gesamte kolonialistische Strategie erst speist.
Ich meinte auch keine Schulen oder Personenkreise, sondern das britische "System" einer Staatspolitik, das sich 100 Jahre konstant durch alle Kabinette zog, eine "policy of the political system" (Schmidt, im Gegensatz zu Sammlungsbewegungen, Verbandsprotektionismus etc. zB im Kaiserreich). Von Hormuz/Napoleon bis Burenpolitik, Suez, Straits und Bagdadbahn zieht sich ein militärisch-politischer Konsens in der Regierungen wie ein roter Faden, dessen (ökonomischer) Endpunkt Indien darstellt. Das kann man anhand von Einzelstudien diskutieren.

Natürlich gibt es andererseits in der angelsächsischen (sozialwissenschaftlichen) Literatur Forschungskontroversen über den britischen Imperialismus, ausgehend von Strömungen, Standpunkten, Akteuren (außerhalb den "men on the spot", mit innenpolitischen Reflexen). Die Relevanz des gentlemen-Imperialismus liegt auf der Hand, legt sozialwissenschaftlich "Wurzeln" nahe, indes fehlt dem die politisch-ökonomisch-militärische Verknüpfung -> die Themenüberschrift Rechtfertigung ist da schon vielsagend und zielführend.

maW: äußerer Anschein und fundamentale Prinzipien sind voneinander zu trennen. Das sprengt im großen Rahmen hier das Forum, diskutieren kann man das nur anhand von Ereignissen. Ansatzpunkte gibt es reichlich im Forum, zB:
http://www.geschichtsforum.de/f58/japan-und-das-deutsche-reich-23259/
http://www.geschichtsforum.de/f58/d...es-russisch-japanischen-krieges-1904-a-36476/
Flottenwettrüsten, Burenkrieg, Cape-Cairo, Straits, Suez, Persien, Öl, China usw.

P.S. bei diesem weiten Bogen wirken die älteren deutschen Beiträge zur britischen Fixierung auf Gleichgewichtspolitik auf dem Kontinent, Wirtschafts-Antagonismus, Flottenpolitik natürlich überholt. Das zeigt sich auch allmählich in der neueren Literatur. Schröder/Schöllgen/Rose&Co. haben da Grundsteine für eine Neubewertung gelegt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Natürlich gibt es andererseits in der angelsächsischen (sozialwissenschaftlichen) Literatur Forschungskontroversen über den britischen Imperialismus,

Noch ein Nachtrag, ein polarisierendes Beispiel für die Frage der ideologischen Basis/Rechtfertigung des britischen Imperialismus, wenn der Fragestellung quasi vorweg schon die Grundlage entzogen wird:

Bernhard Porter: The Absent-Minded Imperialists - Empire, Society, and Culture in Britain, Oxford University Press 2004
 
Erstmal: Vielen Dank für die vielen Literaturverweise! Da muss ich mich jetzt erstmal durcharbeiten.

Den "Knaller" zu dieser Fragestellung habe ich noch nicht gesehen. Das Ganze ist mehr meine Wahrnehmung der angelsächsischen Literatur der letzten 30 Jahre.

Naja, der Knaller ist vielleicht tatsächlich eher der persönlichen Begeisterung geschuldet und kommt daher, wie ich an das Thema Imperialismus gekommen bin. Mein Hauptwissen über Imperialstrukturen stammt nicht vom britischen Empire, sondern eher von Literatur über das amerikanische Empire. In dieser (eher neuen) Forschungsdiskussion ist es ja ganz erheblich, Strukturen und Verknüpfungen überhaupt erst sichtbar zu machen, weil die USA ja bis 9/11 kaum als Imperialmacht wahrgenommen wurde. Da gab es dann diese Studien, ich denke hier vornehmlich an Chalmers Johnson's Sorrows of Empire, die versucht haben, die strukturelle Seite eines Imperiums aufzurollen und von dort aus zu argumentieren. Das fand ich schon ganz überzeugend, um den Zusammenhang zwischen Tagesgeschäft und Tiefenstruktur deutlich zu machen, und auch wie bestimmte Entscheidungen oder infrastrukturelle Entwicklungen ein ganzes System repräsentieren können.

So modellhaft so ein Ansatz letztendlich natürlich bleiben muss (denn das meiste Konkrete trifft sich ja nicht gerade sauber mit dem politisch-diskursiv Übergeordneten, wie ja auch an Johnson kritisiert wird) finde ich schon, dass so ein Ansatz sehr spannende Erklärungsansätze bietet. Ganz besonders relevant finde ich das bei geschichtlichen Themen wie wir sie behandeln, weil über diesen Umweg versucht werden kann, ein Verständnis für den zeitgenössischen Kontext zu schaffen, den wir ja mit schöner Regelmäßigkeit nur unzureichend verstehen - oft auch an Stellen, von denen uns gar nicht klar war, dass wir da etwas missverstehen könnten.

Mein persönliches Lieblingsbeispiel ist das Wort Zivilisation, das wir Deutschen ja oft einfach mit Hochkultur übersetzen. Im Englischen hat es aber eine ganz stark christlich-missionarisch-progressivistische Konnotation, die außerdem ab dem 19. Jahrhundert (britischer Imperialismus!) noch eine entscheidende ökonomische Komponente bekommt. Plötzlich heißt Zivilisierung neben den bisherigen Bedeutungen auch automatisch noch Industrialisierung. Da schwingt also eine ganze Menge Wichtiges aber für uns weitgehend Unsichtbares mit, wenn ein 19.Jhdt-Brite in Indien so ein Wort benutzt, zum Beispiel.

Vielleicht wird daran auch klar, warum ich hier immer so auf der kulturellen bzw. diskursiven Dimension herumreite. Es geht mir gar nicht darum zu sagen, dass hier noch eine zusätzliche oder gar übergeordnete Dimension existiert, die dem Politischen oder Ökonomischen den Rang abläuft. Die haben ja damals garantiert nicht gesagt, so, jetzt haben wir hier dieses schöne Core-Periphery-Modell, jetzt machen wir da mal Politik zu. Von daher verstehe ich schon dein Unbehagen an dieser Stelle.

Es geht mir vielmehr darum zu sagen, dass wir einige Dinge an der politischen und ökonomischen Dimension besser verstehen können, wenn uns klar ist, was für gesamtgesellschaftliche Verkürzungen und Konsensstrukturen in jener Zeit existiert haben. Es erlaubt einem, sicherer und akkurater Prioritäten zu setzen in dem was man untersucht und wie man es untersucht - oder sich über zumindest über die Prioritäten dieser Zeit besser bewusst zu sein. Ich finde das einfach methodisch einen sehr dankbaren Ansatz.
 
Vielleicht wird daran auch klar, warum ich hier immer so auf der kulturellen bzw. diskursiven Dimension herumreite. Es geht mir gar nicht darum zu sagen, dass hier noch eine zusätzliche oder gar übergeordnete Dimension existiert, die dem Politischen oder Ökonomischen den Rang abläuft. Die haben ja damals garantiert nicht gesagt, so, jetzt haben wir hier dieses schöne Core-Periphery-Modell, jetzt machen wir da mal Politik zu. Von daher verstehe ich schon dein Unbehagen an dieser Stelle.

Es geht mir vielmehr darum zu sagen, dass wir einige Dinge an der politischen und ökonomischen Dimension besser verstehen können, wenn uns klar ist, was für gesamtgesellschaftliche Verkürzungen und Konsensstrukturen in jener Zeit existiert haben. Es erlaubt einem, sicherer und akkurater Prioritäten zu setzen in dem was man untersucht und wie man es untersucht - oder sich über zumindest über die Prioritäten dieser Zeit besser bewusst zu sein. Ich finde das einfach methodisch einen sehr dankbaren Ansatz.

Danke für die Hinweise und Klarstellungen! So in etwa hatte ich Dich auch verstanden. Der britische Fall ist - wie die Kontroverse zeigt - hier auch besonders interessant. Die Frage ist, welche gesamtgesellschaftlichen Konsensstrukturen als quasi-Hintergrundrauschen überhaupt existierten (was weniger hinsichtlich des Konsenses als vielmehr mE in der strukturellen Bedeutung der ideologischen Komponente umstritten ist) und welche Bedeutung sie im Kontext mit der recht geschlossenen britischen politischen Führungsschicht (Policy of the Political System) entwickelten.

Das ist eine hochspannende Angelegenheit. Neben den imperialistischen Aktivitäten (auf Basis der Konsensstrukturen) wird man sicher genau umgekehrt das Ausbremsen und Abstoppen verfolgen können, wenn dieses mit strategischen Faktoren kollidierte. These wäre, dass für das britische "System" eine Ordnung herrschte, in der "einfacher" Sozialimperialismus Unterordnungen unter strategischen Faktoren erfuhr, und Kompromisse abgezwungen wurden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Finde ich überzeugend, deine These. Ich bin betreffs der Erforschung des Hintergrundrauschens methodisch sehr begeistert vom "Law & Culture" - Ansatz (ursprünglich "Law & Literature", wurde dann zu Culture ausgeweitet), wo Methoden entwickelt werden, Recht auf seine diskursive und sozial konstitutive Dimension hin zu analysieren. Speziell für Geschichte wäre hier Hayden White's Buch Metahistory Grundlage der Debatte (in der deutschen Übersetzung sogar wesentlich besser lesbar als im englischen Original).

Ich finde es gerade im englischen Zusammenhang interessant, das Recht als Quelle zu nehmen, denn:

- Recht wird grundsätzlich erstmal vom gleichen Elitenclub konstitutiert, der auch imperial die Fäden in der Hand hat; man kann hier zumindest von einer signifikanten Überschneidung der Zirkel sprechen.

- gleichzeitig können in diesem Bereich unmittelbare Backlashes oder spätere Abänderungen und Kompromisse mit vergleichsweise traumhafter Quellenlage verfolgt werden (wenn hier jemand gegen ein Gesetz revoltiert, ist der normative Impuls dahinter oft sehr eindeutig und tendenziell auch immer gut in mehreren Quellen belegt).

- GB hat Common Law, das sich im Vergleich zum Civil Law über viel mehr Instanzen konstituiert und grundsätzlich dialogischer ist, auch in den Begründungen, warum man (in jeder Entscheidung!) bestimmte Prioritäten betreffs der Rechtstradition setzt. Hier können auch innersystemische Kontroversen und Prioritäten gut nachvollzogen werden.

- GB neigte dazu, sein Rechtssystem in den Kolonien zu reproduzieren, oder zumindest eindeutige Verhältnismäßigkeiten zum Heimatrecht zu schaffen, die dann wiederum als (eine!) Ausformulierung einer Systemstruktur des Empires untersucht werden können.
 
Finde ich überzeugend, deine These. Ich bin betreffs der Erforschung des Hintergrundrauschens methodisch sehr begeistert vom "Law & Culture" - Ansatz ...
- GB neigte dazu, sein Rechtssystem in den Kolonien zu reproduzieren, oder zumindest eindeutige Verhältnismäßigkeiten zum Heimatrecht zu schaffen, die dann wiederum als (eine!) Ausformulierung einer Systemstruktur des Empires untersucht werden können.

Das ist - ohne dass ich da in Bezug auf Großbritannien weitergehende Kenntnisse habe - ein interessanter Ansatz, und klingt vielversprechend bzgl. der Zirkel-Homogenität und der Quellendichte.

Zu dem exportierten Rechtssystem habe ich immer nur randweise etwas gelesen. Dabei habe ich in Erinnerung, dass die britische Kolonialisierung flexibel, pragmatisch, effizient reagierte und - sofern nicht existentielle Fragen berührt waren - stets von den Grundbedingungen aus operierte, dass die britische "Herrschaft" meist auf wenige materielle Kräfte (Truppen, Verwaltungspersonen etc.) gestützt war. Aber das sind eher oberflächlich angelesene Bemerkungen.

Die Frage ist nun, ob das Rechtssystem tatsächlich - wo, und wie geeignet, mit welchem Erfolg? - ggf. auch gegen Widerstand durchgesetzt wurde (wenn es denn imperialistischer Prägung, stabilisierender Bestandteil der Systemstruktur gewesen ist). Wie gesagt, spezielle Literatur dazu kenne ich nicht.

Hast Du da Empfehlungen, ich wäre sehr interessiert.:winke:
 
Zu dem exportierten Rechtssystem habe ich immer nur randweise etwas gelesen. Dabei habe ich in Erinnerung, dass die britische Kolonialisierung flexibel, pragmatisch, effizient reagierte und - sofern nicht existentielle Fragen berührt waren - stets von den Grundbedingungen aus operierte, dass die britische "Herrschaft" meist auf wenige materielle Kräfte (Truppen, Verwaltungspersonen etc.) gestützt war. Aber das sind eher oberflächlich angelesene Bemerkungen.

Soweit ich informiert bin, sind die auch absolut zutreffend. Carl Schmitt (ausgerechnet) hat den britischen Ansatz mal sehr anschaulich zusammengefasst, als er in seinem kleinen Essay Land und Meer erklärt, dass die Betrachtungsweise des britischen Empires sich eben ganz grundsätzlich von dem klassischer Landmächte unterscheidet, nämlich dass GB das Empire ganz radikal in Stützpunkten, Fabriken, Häfen und Militäranlagen denkt statt in der Beherrschung des ganzen Landes. Das ist dann realpolitisch in dem, was du sagst, genau umgesetzt.

Die Frage ist nun, ob das Rechtssystem tatsächlich - wo, und wie geeignet, mit welchem Erfolg? - ggf. auch gegen Widerstand durchgesetzt wurde (wenn es denn imperialistischer Prägung, stabilisierender Bestandteil der Systemstruktur gewesen ist). Wie gesagt, spezielle Literatur dazu kenne ich nicht.

Hast Du da Empfehlungen, ich wäre sehr interessiert.:winke:

Kolonisten galten erstmal als normale britische Untertanen mit allen Rechten und Pflichten. Entscheidender Unterschied waren die Gesetze, was den Handel anging, weil es da in den Kolonien von Anfang an eingebaute, restriktive Monopolstellungen gab, die die Briten bevorzugten und die Einheimischen benachteiligten. Die wurden quasi von Anfang an mit implementiert und dann immer wieder verstärkt und erneuert, je nachdem, wie die Kolonisten versuchten das zu umgehen (und auch das taten sie von Beginn an). Früher oder später gab es genau gegen diese Gesetze in so gut wie allen Kolonien offenen Widerstand, ob man nun als berühmte Beispiele die Bosten Tea Party in Nordamerika nimmt oder Ghandis Salzmarsch in Indien.

Recht in den Kolonien war erstmal das Recht des Mutterlandes, so profitabel wie möglich Handel zu treiben. Praktisch daran war, dass das Mutterland auch die parlamentarische Vertretung der Kolonien übernahm und auch oft die Richter stellte - gerade im 17. und 18. Jahrhundert mussten Gefangene (ok, ich kenne da vor allem Piratenprozesse) oft nach GB verschifft werden, damit eine Verurteilung überhaupt möglich war. Allein die Einsetzung von Gerichten in den Kolonien ist da schon eine spannende Geschichte. Einen ersten Eindrucke dieser Geschichte kann man bekommen, wenn man sich zB anschaut, wie Richterroben in vielen ehemaligen Kolonien heute noch aussehen (bisschen runterscrollen beim Link, dann kommen vergleichende Bilder).

Es gibt da ne - soweit ich mich entsinne - relativ gute Publikation, in der dieses Spannungsverhältnis der Briten zu ihren Kolonien und deren Rechten nochmal genauer beleuchtet wird, nämlich

Parkinson, Charles: "Bills of rights and decolonization: the emergence of domestic human rights instruments in Britain's overseas territories" (2007)

Ich bin gerade am Gucken was es da noch so gibt... garantiert ne Menge... aber ich muss erstmal genauer schauen, ehe ich da noch mehr empfehlen kann. Ich würde vermuten, dass man sich die Gründungsdokumente von Kolonien anschauen kann, das sind ja eigentlich auch Rechtsdokumente. Da steht bestimmt interessantes Zeug drin, weil dieses Ungleichgewicht ja, wie gesagt, von Anfang an eingebaut war.
 
Kurz notiert aus der Rubrik "Das Neuste vom Neuen in der Forschungsliteratur zum Recht in den Kolonien" - hier ist eine Konferenz von diesem Jahr, also allerneuster Forschungsstand zum Thema. In der Regel sind Veröffentlichungen einschlägiger Keynote Speakers gute Tips zum Weiterlesen, und unter den Themen der vorgestellten Papers findet sich sicher auch die eine oder Anregung, bei welchem Forscher man sonst noch in den Publikationen stöbern könnte.
 
Soweit ich informiert bin, sind die auch absolut zutreffend. Carl Schmitt (ausgerechnet) hat den britischen Ansatz mal sehr anschaulich zusammengefasst, als er in seinem kleinen Essay Land und Meer erklärt, dass die Betrachtungsweise des britischen Empires sich eben ganz grundsätzlich von dem klassischer Landmächte unterscheidet, nämlich dass GB das Empire ganz radikal in Stützpunkten, Fabriken, Häfen und Militäranlagen denkt statt in der Beherrschung des ganzen Landes. Das ist dann realpolitisch in dem, was du sagst, genau umgesetzt.

Danke für den Hinweis! Das Zitat kannte ich nicht, sondern habe mir das aus der englischen Literatur so zusammengesetzt.

Das eine ist sicher die Frage, welche Ausprägungen und konkreten Strategien die britischen Vorgehensweise dort aufwiesen, wo man sie "vor Ort" als imperialistisch bezeichnen kann (zB Mesopotamien etc.). Ein anderer Aspekt ist die Grundeinstellung, gewissermaßen der Rahmen (Indien) für solche Vorgehensweisen on the spot.

Aufgrund eines Hinweises von Turgot in einem anderen Thema hatte ich Hildebrands "No Intervention - Die Pax Britannica und Preußen" in der Hand. Der fasst (S. 56-57) das treffend wie folgt zusammen, und spricht damit auch das sporadische, meistens isolierte englische Hintergrundrauschen des Sozialimperialismus an:

"In diesem Zusammenhang [abnehmendes Interesse Englands an Konstantinopel und wachsende Bedrohung durch das Deutsche Reich] ist die Tatsache hervorzuheben, dass alle diese Debatten über die Gestaltung der britischen Weltpolitik, dass heißt im Grunde auch über das Problem einer als Ersatz für innere Reformen entworfenen oder mit deren Existenz verträglichen Außenpolitik bereits vor dem Einbruch der so genannten Großen Depression ... 1873 stattfanden und dass sie auch nach deren Ende 1896 nicht abbrachen: Die Kontinuität der "British Interests", das Bemühen um die Bewahrung der imperialen Position und des europäischen Einflusses, des "free trade" und später des "fair trade", der Institutionen des Landes und seiner freiheitlichen Verfaßtheit, kurzum das Streben danach, die spezifische nationale Kultur Großbritanniens zu erhalten, ist im Grunde für den Gang der englischen Politik, der äußeren ebenso wie der inneren, im 19. Jahrhundert bestimmend gewesen.

Damit ist aber die zweite entscheidende, die innenpolitische Dimension der "British interests" benannt. Vorab ist dazu folgendes festzustellen: Englische Weltpolitik des 19. Jahrhunderts bietet kein Experimentierfeld für theoretische und weltanschauliche Exerzitien, die geeignet sein könnten, die umstrittenen Thesen vom Primat der inneren oder der äußeren Politik zu bestätigen oder zu verwerfen. ...

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war englische Außenpolitik zu keiner Phase eine Strategie des sozialen Imperialismus, die vornehmlich oder gar ausschließlich dazu gedient hätte, innenpolitische, vor allem gesellschaftliche Probleme nach außen abzulenken, und die äußere Politik zu benutzen, um den Status Quo im Inneren zu festigen. Im Hinblick auf England von einer "sozialimperialisitschen Tradition" zu sprechen, kann nur bedeuten, einschlägige Äußerungen, die sich leicht auffinden lassen, als für das Land [hier sollte Hildebrand besser von der jeweils herrschenden Politischen Führung als "Gruppe" und ihrer Kontinuität in dieser Frage sprechen] representativ mißzuverstehen, was sie schwerlich waren. [Einzelne!] Vertreter der Wissenschaft, der Öffentlichkeit und der Politik, die für eine entschiedene Orientierung Großbritanniens im Sinne einer Strategie des sozialen Imperialismus eintraten, sind allesamt gescheitert, weil sie das spezifische Bewegungsgesetz des Landes, die interdependenz von Innen- und Außenpolitik, von Freiheit und Macht, von Parlament und Empire in Frage stellten."


Der Hinweis auf das Empire zielt auf den tragenden Kern: strategische Fixpunkte wie Indien, die jeden sonstigen (sozial-)imperialistischen Gelüsten im Konfliktfall vorgingen. Damit werden auch scheinbar geopferte oder sonst aufgegebene Interessen und Aktivitäten verständlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben