Das Germanenbild im Wandel der Zeit

Helle Haare und weiße Körper dichteten sie auch den "goldäugigen" Alanen (heute wohl Osseten oder Tschetschenen) an, sie dienten bei den Goten als Offizierskaste.
 
Es ist schließlich erlaubt, nach eigenen Maßstäben zu urteilen.
Habe ich es etwa verboten? Auch mir ist es erlaubt, über fremde Meinungen, nicht nur die der Germanen, nach meinen Maßstäben zu urteilen.

Die Germanen und umliegenden Völker mögen eine andere Auffassung von der zwischenmenschlichen Ethik gehabt haben, das darf aber niemanden daran hindern diese Auffassung, gemessen an der eigenen, als ungenügend überlegt und reflektiert einzuordnen.
Und niemand ist daran gehindert, diese Einordnung als ungenügend überlegt und reflektiert einzuordnen. Erst recht muss es in einem Geschichtsforum erlaubt sein, eine solche Einordnung als ahistorisch zu kritisieren.
Das hat nicht das geringste mit Hochmut zu tun.
Na scön, dann hat es etwas mit mangelndem historischen Verständnis zu tun.
Daher verstehe ich nicht, was so ein Einwurf soll: Wir messen doch alles an unseren Maßstäben, so entstehen doch erst Bewertungen.
"Homo mensura" ist doch immer das Motto? ;)
Lieschen Müller am Stammtisch mag das so halten. Ein historisch denkender Mensch sollte sich bemühen, die Maßstäbe der jeweiligen Zeit zu ermitteln und diese anzulegen. Der heutige gebildete Mitteleuropäer ist bei weitem nicht das Maß aller Dinge. Dies aber zu glauben, wage ich (stell dir vor!) als "Hochmut" zu klassifizieren.
 
Jordanes z.B., oder eben die Personengruppen, die das salfrämkische Recht für rechtsgültig hielten oder an die Mannus-Sage glaubten. Ob es da jetzt Unterschiede zwischen sozialen Schichten gab, kann ich wohl schlecht wissen.
Wo im salfränkischen Recht steht etwas von der Abstammung? Wir wissen nur von Jordanes, dass die, mit denen er gesprochen hat, an die Abstammung von Mannus glaubten Und selbst das ist nicht gewiss - siehe unten). Da es damals noch nicht üblich war, statistisch relevante Grundgesamtheiten, nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, zu befragen (und das wissen wir!), können wir nur sagen, dass er Gesprächspartner hatte, die das glaubten. Wir wissen auch, dass diese schon von der methodischen Erhebung her nicht repräsentativ für die Bevölkerung gewesen sein können.

Wir können aus Jordanes nur entnehmen, dass es den Glauben an die Abstammung von Mannus gab und dass es Gesprächspartner gab, die diesen Glauben teilten, und dürfen davon ausgehen, dass der damaligen Sitte der Informationsverbreitung gemäß diese der Oberschicht angehörten. Dabei ist noch sehr fraglich, ob dieser Glaube durchgängig geteilt wurde.

Wir können heute einen erhellenden Vergleich zu Völkern ähnlicher Zivilisationsstufe ziehen: zu den Skandinaviern. Früher dachte man, diese glaubten an Odin, Asen, Vanen, Walküren und Walhall. Heute wissen wir, dass dies höfische Dichtung einer Kriegerkaste war, während das Volk nach den archäologischen Zeugnissen (und auch früher unterbewerteten Texten) an Elfen, Wiedergängern und Fruchtbarkeitswesen glaubte und Walküren samt Wallhall keine Rolle spielten. Wir wissen auch aus den Quellen, dass eine ganze Reihe vorchristlicher Krieger nicht an die Götter glaubten, sondern nur an ihre eigene Kraft, also Atheisten waren. Man darf durchaus davon ausgehen, dass diese Heterogenität ubiquitär und zeitübergreifend existiert hat.

Dass Jordanes davon nichts mitteilt, hängt sicher mit seiner Darstellungsabsicht zusammen. Wenn ich heute katholische Priester (Oberschicht) nach dem katholischen Glauben frage, werde ich kaum etwas über den Glauben der sogenannten "Teilidentifizierten" erfahren, die z.B. die Unfehlbarkeit oder die Mariendogmen nicht akzeptieren. Und wenn da ein Atheist gewordener Priester dazwischen ist, dann werde ich bei der Darstellung der religiösen Inhalte diesen nicht erwähnen. Wenn nun jemand aus dieser Darstellung entnähme, die deutschen Katholiken glaubten dies oder jenes, dann wäre das schlicht falsch.

Mehr ist auch aus Jordanes nicht zu ermitteln.
 
Habe ich es etwa verboten? Auch mir ist es erlaubt, über fremde Meinungen, nicht nur die der Germanen, nach meinen Maßstäben zu urteilen.


Und niemand ist daran gehindert, diese Einordnung als ungenügend überlegt und reflektiert einzuordnen. Erst recht muss es in einem Geschichtsforum erlaubt sein, eine solche Einordnung als ahistorisch zu kritisieren.
Na scön, dann hat es etwas mit mangelndem historischen Verständnis zu tun.

Lieschen Müller am Stammtisch mag das so halten. Ein historisch denkender Mensch sollte sich bemühen, die Maßstäbe der jeweiligen Zeit zu ermitteln und diese anzulegen. Der heutige gebildete Mitteleuropäer ist bei weitem nicht das Maß aller Dinge. Dies aber zu glauben, wage ich (stell dir vor!) als "Hochmut" zu klassifizieren.

Man kann sich durchaus in einen historischen Kontext hineinversetzen, aber darum sofort die Maßstäbe dieses Kontexts anzunehmen, ist m.E. nicht notwendig. Man sollte natürlich versuchen, eine Geisteshaltung nachzuvollziehen. Doch dabei ist es eben nicht zu verurteilen, auch moderne Sichtweisen einzubringen. Ansonsten urteile ich über die Menschen in einem seltsamen Kontext. Was im Altertum an Fremdenfeindlichkeit üblich war, hatte durchaus den Charakter eines frühen Rassismus. Dabei kann ich mir natürlich überlegen, dass die Menschen dieser Zeit das noch nicht so ausführlich begreifen und überdenken konnten wie wir an der neueren deutschen Geschichte, aber das legitimiert diese Haltung noch lange nicht. Denn eine verschlossene, unvernünftige Haltung kann ich einem solchen Verhalten dennoch attestieren. Auch ohne dass ich Menschenrechte und Demokratie gewohnt bin.
Was das nun mit einer ahistorischen Haltung zu tun hat, weiß ich nicht. Denn gerade so lernt man aus einem geschichtlichen Sachverhalt. Dass den Germanen natürlich Ökologie etc. noch keine Begriffe waren, ist mir auch vollkommen klar. Es gilt eben, zu differenzieren. :fs:
 
Man kann sich durchaus in einen historischen Kontext hineinversetzen, aber darum sofort die Maßstäbe dieses Kontexts anzunehmen, ist m.E. nicht notwendig. Man sollte natürlich versuchen, eine Geisteshaltung nachzuvollziehen. Doch dabei ist es eben nicht zu verurteilen, auch moderne Sichtweisen einzubringen. Ansonsten urteile ich über die Menschen in einem seltsamen Kontext.

Liegt hier vielleicht ein Mißverständnis vor?
Wir sollten uns bemühen, historische Sachverhalte aus ihrem jeweiligen Wertesystem heraus zu verstehen, darüber herrscht doch Einvernehmen, oder?
Dass uns dies, bei allem Bemühen, nur unzureichend gelingen kann, weil wir unsere eigene Sozialisation / unser Wertesystem nicht abschalten können, sollte ebenso unstrittig sein.

Die historische Betrachtung der Germanen in anderen Zeiten hatte erstmal das gleiche Problem.
Hier wäre darüberhinaus zu betrachten, in welchen Schriften man sich um den Historikeransatz bemühte oder in welchen historische Begebenheiten offenkundig mit einem bestimmten Ziel interpretiert wurden.
Und das kann man dann auch bewerten.
 
@Maglor et Fingalo,

seid Ihr Euch eigentlich sicher, dass Jordanes die Herkunft der Goten von Mannus herleitet? Nach Wikipedia ist der einzige Beleg für eine Gottheit bzw. Adamsgestalt Mannus Tacitus' Germania. Im Register des MGH-Bandes zu Jordanes Getica, bezeichnenderweise mit NOMINADEORVM HOMINVMQVE überschrieben, findet sich Mannus auch nicht wieder (S. 152).
 
Nein, ich fürchte ich habe hier zu viele Thesen auf einmal in den Raum geworfen. Die sich gerade wild miteinander paaren.:red:

Jordanes behauptet, die Goten stammten allesamt von einer fernen Insel Skandza, Skandinavien. Von dort habe ihr König Berig sie in drei Schiffen an die Ostseeküste überführt. Nach Jordanes stammen alle Goten von diesen Schiffsmannschaften ab. Von einer vielfältigen Abstammung und einem bunt zusammengewürfelten Volk weiß er nichts zu berichten. Ebensowenig von Mannus, nur von einem gewissen Gapt/Gaut als göttlichen? Stammvater der Amaler.
Dass in Wirklichkeit nicht alle Goten am Schwarzen Meer wirklich skandinavische Wurzeln haben, ist mir klar, die Jordanes und eine unbestimme Zahl anderer Goten waren da offensichtlich anderer Meinung.

Zum salfränkischen Recht:
Wenn einer einen freien Franken oder sonstigen Germanen (original Barbaren), der nach salfränkischen Gesetz lebt, tötet, werde er, dem es nachgewiesen wird, - gerichtlich „Manngeld“ genannt – 8000 Pfennige (denar) , die mach 200 Schillinge (solidi), zu schulden verurteilt...
Wenn aber ein römischer Mann, der Grundbesitzer und nicht Tischgenosse des Königs gewesen ist, getötet wird, werde, der ihn getötet zu haben erwiesen wird – gerichtlich „Welschenmanngeld“ genannt -, 4000 Pfennige, die machen 100 Schillinge, zu schulden verurteilt
Ich wollte nur darauf hinweisen, dass nach diesem germanischen Recht ein freier Franke doppelt so viel Wert ist wie ein Romane. Wohlbemerkt geht es hier um die Höherwertigkeit einer Volksgruppe (Franken und sonstige Germanen/Barbaren) gegenüber einer anderen (Romanen) im Frankenreich.

Worauf ich eigentlich hinaus:
In der antiken Geschichtsschreibung tauchen die Germanen eben nicht als bunt zusammengewürfeltes Volk auf. Im Gegenteil wird die gemeinsame Abstammung der Germanen durch die Autoren betont.
Ab deutlichsten ist hier mal wieder Tacitus in seiner Germania:
Ich selbst trete deren Meinung bei, die glauben, dass die Völkerschaften Germaniens, ohne je durch eheliche Verbindungen mit anderen Stämmen fremdartige Bestandteile in sich aufgenommen zu haben, ein eigenständiges, reines, nur sich selbst ähnliches Volk geworden sind. Daher ist auch die Körperbeschaffenheit trotz der großen Menschenzahl bei allen die gleiche: blaue Augen mit wildem Ausdruck, rötliches Haar, hochgewachsene und nur für den Angriff starke Leiber; für Mühsal und Arbeiten haben sie nicht in dem selben Maß Ausdauer, und am wenigsten ertragen sie Durst und Hitze. An Kälte und Hunger haben sie sich infolge Klima oder Boden gewöhnt.
Von komplizierten Ethnogenese-Prozessen ist da nicht die Rede. Die Sache mit den blonden Herrenmenschen wurde mitnichten im 19. Jahrhundert erfunden. Eine mehr oder weniger rassische Deutung der Germanen nehmen schon die antiken Autoren vor. Und die unterschiedlichen Abstammungsmythen der Germanen gehen in die gleiche Richtung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Man kann sich durchaus in einen historischen Kontext hineinversetzen, aber darum sofort die Maßstäbe dieses Kontexts anzunehmen, ist m.E. nicht notwendig. Man sollte natürlich versuchen, eine Geisteshaltung nachzuvollziehen. Doch dabei ist es eben nicht zu verurteilen, auch moderne Sichtweisen einzubringen. Ansonsten urteile ich über die Menschen in einem seltsamen Kontext.
Wenn ich Geschichte betreibe (und das tun wir hier), dann moralisiere ich nicht. Ethische Urteile kann man ja fällen, aber dann ist man nicht als Historiker tätig. Moralische Werturteile sind also nur insoweit von Belang, als sie zeitgenössischen Maßstäben entsprechen. Alles andere gehört in andere Diskussionsforen im Internet, von denen es genügend gibt, disich mit sowas befassen.
Was das nun mit einer ahistorischen Haltung zu tun hat, weiß ich nicht. Denn gerade so lernt man aus einem geschichtlichen Sachverhalt. Dass den Germanen natürlich Ökologie etc. noch keine Begriffe waren, ist mir auch vollkommen klar. Es gilt eben, zu differenzieren. :fs:
Moralische Urteile aus heutiger Sicht sind per Definitionem ahistorisch.

Worauf ich eigentlich hinaus:
In der antiken Geschichtsschreibung tauchen die Germanen eben nicht als bunt zusammengewürfeltes Volk auf. Im Gegenteil wird die gemeinsame Abstammung der Germanen durch die Autoren betont.
Ab deutlichsten ist hier mal wieder Tacitus in seiner Germania:

Von komplizierten Ethnogenese-Prozessen ist da nicht die Rede. Die Sache mit den blonden Herrenmenschen wurde mitnichten im 19. Jahrhundert erfunden. Eine mehr oder weniger rassische Deutung der Germanen nehmen schon die antiken Autoren vor. Und die unterschiedlichen Abstammungsmythen der Germanen gehen in die gleiche Richtung.
Da muss man aber auch die Darstellungsabsicht des Tacitus in Rechnung stellen, der die Germanen als Vorbild charakterisieren wollte. "Ich selbst trete der Meinung bei ..." heißt doch, dass es andere Meinungen gab. Aber die passten nicht in sein Konzept.

Ich wehre mich gegen den Begriff "Rassismus" ohne Rassenbegriff. Fremdenfeindlichkeit in unterschiedlicher Intensität lasse ich ohne weiteres gelten, auch in Form der Abwertung des Fremden.
 
Hallo, Gemeinde!

Mir scheint, dass die Meinungsverschiedenheiten in diesem Thread schon im Titel angelegt sind: Die einen reden vom Germanenbild (also von unseren modern geprägten Meinungen und Gefühlen zu den Damen und Herren), die anderen von durch Quellen belegten Erkenntnissen.

Es spricht auch gar nichts dagegen, Erkenntnisse an eigenen Maßstäben zu messen. Das Problem ist nur, dass die eigenen Maßstäbe manchmal auf die Erkenntnisse zurückwirken "wollen". Skald sprach das an, als er sagte, er bevorzuge ein "positives" Germanenbild (@Skald: Ist nicht persönlich gemeint). Die eigenen Maßstäbe können dann eine Voreingenommenheit ("wenn die Informationen es zulassen, werde ich gemäß meiner Meinung urteilen"), im schlimmsten Fall ein Vorurteil ("egal, was die Informationen sagen, ich werde gemäß meiner Meinung urteilen") generieren.

Ich habe bezüglich der Germanen auch meine Voreingenommenheiten, anderenfalls würde ich hier nicht mitdiskutieren. Dieser Voreingenommenheiten bin ich mir aber bewusst, und deshalb kann ich sie ausblenden, wenn ich Informationen sammele. Beispiel: Wir wissen, dass die Spartiaten "Rassisten" und Sklavenhalter waren. Diesen Umstand können und sollen wir heute moralisch bewerten ("Rassismus ist bääh"). Diese Bewertung ist aber doch für die Interpretation zum Beispiel eines archäologischen Funds völlig irrelevant. Unsere Meinung ändert ja nichts an den damaligen Verhältnissen.

Das gleiche gilt für unsere Sicht der Germanen. Auch dazu ein Beispiel: Alle literarischen und archäologischen "Quellen", die wir über sie haben, besagen, dass sie technologisch und kulturell "rückständig" waren. Diese Quellen muss ich zur Kenntnis nehmen. Spielt es da eine Rolle, dass es mir emotional lieber wäre, wenn sie nicht rückständig gewesen wären? Warum sollte sich ihre damalige Rückständigkeit denn überhaupt irgendwie auf mein heutiges Befinden auswirken? Das alles ist 2000 Jahre her. Warum sollte ich sie also positiv oder auch negativ sehen? Es geht doch letztlich darum, einigermaßen zuverlässige Informationen darüber zu gewinnen, wie sie tatsächlich waren.

Insbesondere die Archäologie könnte dazu beitragen, dass sich langsam mal ein neues, realistischeres Germanenbild entwickelt. Leider machen es uns die Damen und Herren Germanen nicht leicht. Die haben fast nichts Greifbares hinterlassen. Zum Beispiel gibt es bislang keine Möglichkeiten, archäologische Funde bestimmten Stämmen zuzuordnen.

Dazu stehen übrigens im Katalog zur neuen Dauerausstellung im Kalkriese-Museum ganz interessante Dinge.

Was im Altertum an Fremdenfeindlichkeit üblich war, hatte durchaus den Charakter eines frühen Rassismus.
Nicht notwendigerweise. Es kann auch mit den Umständen zusammengehangen haben. Als Beleg nenne ich mal den hochmodernen Begriff des "gender mainstreaming": Diskriminierung von Frauen erfolgt nicht zwingend wegen des Geschlechts, sondern wegen der Lebensumstände. Ein Mann, der "Hausmann" ist oder neben dem Beruf ein Kind allein versorgen muss, lebt in den gleichen Lebensumständen und erfährt die gleiche Diskriminierung. Als Diskriminierung von Frauen erscheint uns das nur, weil Frauen statistisch sehr viel häufiger in der "diskriminierungsträchtigen" Situation leben und deshalb überproportional häufig davon betroffen sind.

Die "Xenophobie" der germanischen Stämme kann demnach einfach mit der Notwendigkeit zusammengehangen haben, das eigene Siedlungsgebiet - das nur eine begrenzte Anzahl von Menschen am Leben erhalten konnte - für sich zu behalten. Dann hätten die Stämme damals einfach JEDEN, der massiert und organisiert ihr Siedlungsgebiet bedrängt hat, als Feind betrachten können. Umgekehrt hätten sie jeden, der zwar gleich nebenan wohnte, aber nicht ihre Lebensgrundlage gefährdet hat, als guten Nachbarn betrachten können.

Dann hätte Freundschaft oder Feindschaft eben gerade nicht von der "Rasse" abgehangen. Dann wäre es möglich gewesen, dass eindringende germanische Stämme als Feinde, benachbarte Kelten z.B. aber weiterhin als Nachbarn behandelt worden sind. Die archäologischen Befunde und die schriftlichen Quellen widersprechen dieser Sicht der Dinge nicht. Die Quellen deuten darauf hin, dass die Stämme oft Krieg gegeneinander geführt haben (ohne dass wir wissen, welcher Ethnie die jeweiligen Kriegsparteien angehörten). Und die Funde belegen, dass Germanen und Kelten und sogar Römer auch innerhalb Germaniens über lange Zeit hinweg konfliktfrei in unmittelbarer Nachbarschaft gelebt haben.

Das Grundproblem bleibt: Archäologisch sind die Germanen fast nicht zu fassen. Und literarisch sind uns nur die "gefärbten" Informationen der Römer geblieben. Wir wissen fast nichts über sie. Der Rest sind Voreingenommenheiten.

MfG
 
Moralische Urteile aus heutiger Sicht sind per Definitionem ahistorisch.
Da widerspreche ich doch einfach mal. Wir verurteilen heute doch auch die westliche Kolonialherrschaft, die Besiedlung des amerikanischen Kontinents mit Ausrottung der Ureinwohner sowie alle Verbrechen die in der Zeit von 1933-1945 begangen wurden. Ist das dann auch ahistorisch? Dürften wir uns darüber garkeine Meinung bilden oder unterliege ich hier einem Denkfehler?

Das gleiche gilt für unsere Sicht der Germanen. Auch dazu ein Beispiel: Alle literarischen und archäologischen "Quellen", die wir über sie haben, besagen, dass sie technologisch und kulturell "rückständig" waren. Diese Quellen muss ich zur Kenntnis nehmen. Spielt es da eine Rolle, dass es mir emotional lieber wäre, wenn sie nicht rückständig gewesen wären?

Im ersten Semester war das erste, was wir zu hören bekommen haben, dass solche Termini wie "Rückständig" und "Weiterentwickelt" vermieden werden sollten. Es handelt sich dabei um verschiedene Lebensmodelle die eben zur damaligen Zeit in dem damaligen Gebiet funktionierten.
Behalten wir diese Termini bei, kann ja auch für das Ende der VWZ postuliert werden, dass die Überreste des römischen Imperiums nur noch von den lange vergangenen, goldenen Zeitaltern der Antike zehrten und ansonsten eigentlich brach lagen. Da war das Pendel eigentlich schon zur anderen Seite umgeschlagen. Schaffende Kraft waren hier die germanischen Stämme, mit deren Königreichen es auch wieder zu einer kulturellen und wirtschaftlichen Blüte in den einstigen Provinzen kam. Das goldene Zeitalter der Antike ging schon vor der VWZ langsama ber stetig den Bach runter, der Mythos vom Germanen, der die Antike zerstörte und das dunkle Mittelalter auslöst ist meiner Meinung nach überholt.
 
Zuletzt bearbeitet:
fingalo, ich fand deine Antwort sehr gelungen, wenn ich ehrlich bin.
Die Unterscheidung zwischen historischer und moralischer Bewertung habe ich wohl nicht scharf genug getroffen.
Auch ich bin der Meinung, dass der Titel hier wohl zwei Sparten aufgetan hat:
Bewertung von zwei Standpunkten aus, die hier schwer zu trennen sind.
 
Wir verurteilen heute doch auch die westliche Kolonialherrschaft, die Besiedlung des amerikanischen Kontinents mit Ausrottung der Ureinwohner sowie alle Verbrechen die in der Zeit von 1933-1945 begangen wurden. Ist das dann auch ahistorisch? Dürften wir uns darüber garkeine Meinung bilden oder unterliege ich hier einem Denkfehler?

Soweit ich Fingalo verstanden hatte, bezog er seinen Satz auf diese seine frühere Anmerkung:
Ein historisch denkender Mensch sollte sich bemühen, die Maßstäbe der jeweiligen Zeit zu ermitteln und diese anzulegen. Der heutige gebildete Mitteleuropäer ist bei weitem nicht das Maß aller Dinge...

Wir sollten uns eben darum bemühen, die geltenden Wertmaßstäbe der Zeit - man spricht dabei mW auch vom geistigen Klima - zu Grunde zu legen, d.h., daß sich bspw. im 18. Jh. zumindest in Europa und auch in Nordamerika ein Weltbild durchsetzte, welches auf den Gedanken von Humanismus und Aufklärung beruhte und worauf dann im 19. Jh., v.a. aber gerade auch im 20. Jh. jeder zurückgreifen konnte: daß es konkurrierende Weltsichten gab sowie kulturelle Entwicklungen wie z.B. Toleranz, Gleichheit der Menschen, Vernunftsrecht etc.
Dies jedoch auf frühere Zeiten - insbes. 16. Jh. und früher - anzuwenden, wäre in der Tat ahistorisch, da sich humanistisches Denken im 15./16. Jh. erst herausbildete, Neuhumanismus und aufklärerisches Denken dann sogar in noch späterer Zeit (17./18. Jh.).



Anm.: Auch wenn es in diesem Thread etwas Off Topic ist, möchte ich darauf hinweisen, daß gerade der genannte Kontext Besiedlung des amerikanischen Kontinents mit Ausrottung der Ureinwohner von Historikern als ein jahrhundertelanger komplexer Vorgang aus wirtschaftlicher Ausbeutung, desolaten sozialen Verhältnissen, Vernachlässigung, kriegerischen Auseinandersetzungen, Epidemien, Sklavenjagd und Genozidversuchen - mit dem Tiefpunkt im 19. Jh. sowie beginnenden 20. Jh. insbes. in Nordamerika - charakterisiert wird. Vgl. dazu auch "Demozid" - der befohlene Tod - Google Buchsuche
Aber die Diskussion darüber sollte nicht hier, sondern in einem eigenen Thread erfolgen...
 
Da widerspreche ich doch einfach mal. Wir verurteilen heute doch auch die westliche Kolonialherrschaft, die Besiedlung des amerikanischen Kontinents mit Ausrottung der Ureinwohner sowie alle Verbrechen die in der Zeit von 1933-1945 begangen wurden. Ist das dann auch ahistorisch? Dürften wir uns darüber garkeine Meinung bilden oder unterliege ich hier einem Denkfehler?
Wie @thimoteus schon andeutete, die heutigen Maßstäbe waren bereits 1933 entwickelt. Wenn wir die in der zivilierten Welt gültigen Maßstäbe von 1933 auf die NS-Leute anwenden, dann kommen wir zu einem negativen Urteil, das keineswegs ahistorisch ist. Aber der Historiker ist beschreibend tätig.

Im ersten Semester war das erste, was wir zu hören bekommen haben, dass solche Termini wie "Rückständig" und "Weiterentwickelt" vermieden werden sollten. Es handelt sich dabei um verschiedene Lebensmodelle die eben zur damaligen Zeit in dem damaligen Gebiet funktionierten.
Für Lebensmodelle gilt das ohne weiteres. Für andere Bereiche nicht. Dass die Dreifelderwirtschaft ein Fortschritt, die Zeit davor "rückständig" war, wird man wohl kaum bezweifeln können. Aber das aus dem 1. Semester zitierte Verdikt richtet sich gegen eine evolutionistische Geschichtsauffassung, die z.B. eine Entwicklung von klassischer Monarchie über Absolutismus, aufgeklärten Absolutismus zur Demokratie gesehen hat, wobei die jeweils frühere Stufe gegenüber der nächsten eben noch "rückständig" gewesen sei. Aber wenn z.B. das Ziel einer Regierung das Wohlergehen der Regierten ist (auch zum eigenen Machterhalt durch Zustimmung der Regierten), dann kann man schon Unterschiede in der Methodik erkennen, die besser oder schlechter geeignet sind, das Ziel zu erreichen. Und das Prinzip "trial and error" impliziert dann natürlich auch eine Weiterentwicklung. So kann die Weiterentwicklung der Infrastruktur mit Beschleunigung der Informationsübermittlung und die Ablösung der Tauschwirtschaft durch eine Geldwirtschaft auch eine Weiterentwicklung der Regierung zur Folge haben, die nunmehr von einem festen Standort erfolgen kann und nicht mehr im Herrschaftsgebiet umherreisen muss, um den Regierungsapparat zu ernähren und seine Entscheidungen durchzusetzen.
Das goldene Zeitalter der Antike ging schon vor der VWZ langsam aber stetig den Bach runter, der Mythos vom Germanen, der die Antike zerstörte und das dunkle Mittelalter auslöst ist meiner Meinung nach überholt.
Das ist zwar zweifellos richtig. Aber "den Bach runter" impliziert, dass die folgende Zeit gegenüber der Antike eben "rückständig" wurde und war, indem es viele Kulturtechniken der Antike einfach verschimmeln ließ.
Bei solchen erstsemestrigen Merksätzen muss man immer darauf schauen, auf was sie gemünzt sind und welchen Fehlentwicklungen man damit begegnen will, weil man sonst leicht das Kind mit dem Bade ausschüttet.
 
Hallo "Gemeinde". Ich bin neu hier und hoffe, ich poste hier an der sinnvollsten Stelle. Ich habe für meine Examensstunde in einer Haupt- und Realschulklasse das Thema (Vor-)urteile über Germanen gewählt. Dabei möchte ich den Schülern natürlich auch erläutern, dass "Germanen" ein Kunstbegriff Cäsars ist (bis auf die Sprachgemeinschaft). Vor allem möchte ich aber FALSCHE Darstellungen der "Germanen" zeigen, welche sich wissenschaftlich (am Besten durch Bilder) widerlegen lassen.

Da es sich um eine 6. Klasse handelt habe ich bis jetzt wirklich nur sehr einfache Dinge gesammelt wie z.B. "Alle Germanen hatten große Bärte" -> Widerlegt durch rasierte Moorleichen.

Germanen waren primitiv und hatten keine feine Kleidung -> Widerlegt durch ein Filmschnipsel einer N24 Doku, in der eine Textilspezialistin nachweist dass die Germanische Kleidung gefärbt war und auch schöne Muster aufwies.

Solches abklopfen von historischen Darstellungen bzw. Darstellungen aus dem Alltag (Werbung, Spielzeug, Buchcover) sollen den Kern der Stunde stellen. Das Thema ist also weniger Inhaltslernen (so war Geschichtsunterricht ja früher aufgebaut) als eher kompetenzorientiert Vorurteile historisch abzuklopfen. (Wie schon gesagt, alles auf dem Niveau einer 6. Klasse Realschule !!!).

Könntet ihr solche LEICHT WIDERLEGBAREN bzw. leicht belegbaren (Vor-)urteile hier einmal Listen? Ich habe mir noch die Ausgabe "Asterix und die Goten" bestellt, da dort ein paar wirklich sehr plumpe Falschdarstellungen (Goten mit Pickelhauben) vorkommen.

Über ähnliche falsche Darstellungen würde ich mich freuen, solange ihr zitiert wo ihr sie herhabt und wo die Informationen her sind, mit denen man sie widerlegen kann.

Grüße

Found
 
Die Goten mit Pickelhauben könntest du auch leicht verwenden um auf den Germanenmythos als Hilfe der Bildung eines Nationalitätsbewusstseins hinzuführen (Arminius / Hermann, Kampf gegen Überfremdung und die ganze Geschichte), sofern das nicht zu weit führt für eine 6te Klasse, also zeigen, dass es auch nicht "die" Germanen gab.

Gegenfrage, seit wann gibt es in der 6. Klasse Geschichte? Nicht dass ich das nicht begrüße, aber es überrascht mich schon, fing bei mir erst in Klasse 7 an so weit ich mich erinnere.
 
Dabei möchte ich den Schülern natürlich auch erläutern, dass "Germanen" ein Kunstbegriff Cäsars ist (bis auf die Sprachgemeinschaft).
Da hätten wir doch schon einmal ein Beispiel für eine Falschdarstellung, da der Begriff schon vor Caesar verwendet wurde. Widerlegbar ist dies durch die früheren Nennungen.

Zu den bekanntesten falschen Darstellungen gehört, dass die Germanen so riesengroß gewesen wären oder dass sie halbnackt oder in Fellen herumliefen. Widerlegbar durch Leichen und die von Dir schon erwähnten Funde vernünftiger Kleidung.
Erwähnenswert wäre aber auch, dass gerne die nordische Mythologie, wie sie vor allem in den beiden Eddas dargestellt ist (Asen, Walhall, Walküren, wilde Kämpfe gegen Riesen etc.), auf die Germanen zur Zeit der Römer rückprojiziert wird, obwohl wir über deren Religion und Mythen in Wahrheit nur sehr wenig wissen. Zu widerlegen ist das freilich etwas schwieriger, da das weitgehende Fehlen von Quellen zur kontinentalgermanischen Mythologie der Antike kein Gegenbeweis ist.
 
Über ähnliche falsche Darstellungen würde ich mich freuen, solange ihr zitiert wo ihr sie herhabt und wo die Informationen her sind, mit denen man sie widerlegen kann.

Ohne Dir jetzt Fundstellen mitzuliefern (das müsstest Du dann selbst nachholen) noch einige Gedanken zu einer falschen, übertriebenen oder merkwürdigen Darstellung der Germanen:

Stichwort: "Furor Teutonicus" und das nachhaltig bei den Römern eingebrannte Germanenbild, das der verheerende Konflikt mit Kimbern und Teutonen verursacht hatte.

Armin/Hermann - insbesondere das Hermannsdenkmal in Detmold (mit Asterix-Flügelhelm) und die Rezeption des "Germanentums" in Deutschland zu Zeiten des Nationalismus. (Dazu gibt es viel Material im Zusammenhang mit der Varusschlacht und dem Museum in Kalkriese).
Im Anklang dazu (und Richtung auch gegenwärtiger Zeiten) das ganze "groß, blond, blauäugig, einfach, ehrlich und ein bisserl dumm" - Getue von den völkisch angehauchten Damen und HERREN.

Zum guten Schluß kannst Du ja noch die ketzerische Frage stellen, ob es irgendeinen Sinnzusammenhang mit dem Thorshammer gibt, den ein großer amerikanischer Lebensmittelresteverwerter vor einigen Wochen als Wicki-"Spielzeug" in sein Happymeal geworfen hat :still:
 
Im Prinzip ist ja eine ganze Architekturepoche nach diesem Vorurteil benannt: die Gotik-abgeleitet von den Goten/Germanen war ursprünglich ein abwertend gebrauchter Kampfbegriff der Renaissance für die mittelalterliche Bauepoche,die man damals als caotisch -barbarischen Gegenpol zur "ebenmäßigen" Architektur der klassischen Antike empfand.
 
Stichwort: "Furor Teutonicus" und das nachhaltig bei den Römern eingebrannte Germanenbild, das der verheerende Konflikt mit Kimbern und Teutonen verursacht hatte.
Geht die Angst nicht auf den Keltensturm des 4. Jh. v. Chr. zurück und wurde durch die Kimbern/Teutonen nur neu belebt?
 
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