Zweiverband Frankreich-Rußland

Wenn die britische Mittelmeerflotte so stark war, dann müssten doch eigentlich auch die Franzosen dort ein Interesse an russischer Unterstützung, also an der Öffnung der Meerengen, gehabt haben. Und trotzdem ist dies in den Abmachungen ausgespart geblieben.
 
1892 besuchte eine frz. Flotte Kronstadt, 1893 eine russische Flotte Toulon. Die britische Aufregung war entsprechend groß.

Es war Dogma der Royal Navy 1880/1898, dass die Meerengen nicht wirksam für die russische Flotte gesperrt werden können, wenn sich Frankreich feindselig verhalten würde.

Bei Otte, From "war in sight" to nearly war: Anglo-French Relations in the Age of High Imperialism 1875-1898, findet man dazu Hinweise ab S. 702.

Ein Ansatz könnte natürlich sein, dass beide (FRA/RUS) diesen "Effekt" auf der Rechnung hatten, beide aber kein Interesse an der Formulierung hatten.

Desweiteren ist zu Bemerken, daß in jenen Jahren die Royal Navy den Nummer 1 Status so langsam an Frankreich verlor, bzw. gleich auf waren. Die Royal Navy erkannte auch, daß ihr Netz über den Globus zur Versorgung der neuen Panzerschiffe überarbeitet werden müsse (1887 Kolonialkonferenz).
Aber was noch nicht erwähnt wurde, ist, daß das Mittelmeer in jener Zeit der Dreh- und Angelpunkt der neuen Panzerschiffflotten war, vor allem wegem dem neuen schnellen Seeweg durch den Suezkanal. Die Royal Navy baute auf Malta das Mittelmeergeschwader so stark aus, daß dies größer war, als die Home Fleet, nicht zuletzt, weil Italien sehr stark durch neue Seerüstung wurde und die französische Flotte ebenfalls in das Mittelmeer velegt wurde.

Das ist der Punkt. Die Öffnung der Meerengen hätte die Dinge weiter zugespitzt. Die Aufregung war so schon groß genug bei den gegenseitigen Flottenbesuchen, und bei paralleler Zuspitzung des "Great Game" in Asien.
 
Dann hätten Russland und Frankreich doch ein "Geheimes Zusatzprotokoll" aufsetzten können. Ähnlich wie es beim Rückversicherungsvertrag der Fall gewesen war. Oder einfach ein Austausch von Noten oder Briefen der Staatsoberhäupter. Ich denke, eine rein mündliche war für so eine bedeutende Frage einfach zu wenig.

Die Russen betrachten die Meerengen quasi als ihren Haustürschlüssel und die Aufregung der Briten war für sie wohl nicht so von überragender Bedeutung. Die britischen Landstreitkräfte reichten wohl kaum aus, um die Russen in ernsthafter Verlegenheit zu bringen. Allein die gewaltigen logistischen Probleme, die da zu bewältigen wären. Man hat ja schom beim Aufstand der Buren sehen können, das der Navy bei der Versorgung der eigenen Truppen das letzte abgefordert worden war.

Von elementarer Bedeutung dürfte in dieser Frage die Haltung des Deutschen Reiches gewesen sein. Bis Ende der Ära Bismarck konnten sich die Russen der deutschen Unterstützung in Konstantinopel sicher sein. Ab 1892/94 sah das sicher anders aus, und das Deutsche Reich war für Russland eine sehr reale Bedrohung.
 
Von elementarer Bedeutung dürfte in dieser Frage die Haltung des Deutschen Reiches gewesen sein. Bis Ende der Ära Bismarck konnten sich die Russen der deutschen Unterstützung in Konstantinopel sicher sein. Ab 1892/94 sah das sicher anders aus, und das Deutsche Reich war für Russland eine sehr reale Bedrohung.

Möglicherweise war das dann doch kein Aspekt für die russische Seite. Verstärken könnte man das Argument mit der strategischen Überlegung, dass Großbritannien im Fall des Falles durch die Landbedrohung Indiens (die "Nordwestgrenze") erpressbar sein würde, und deswegen maritim keine Rolle bei der Blockade der Meerengen spielen konnte.

Dann war der einzige Aspekt, mit Frankreich einen Gegenpart zum Deutschen Reich zu gewinnen, so dass man es auf dem Balkan nur mit Ö-U zu tun bekommt.

Wenn das stimmt, wäre der vom Ploetz behauptete "anti-britische" Aspekt des Zweiverbandes auf die Sichtweise Frankreichs zu reduzieren, wenn nicht ganz zu streichen.
 
Von welcher Meerengen sprecht Ihr, die für die Russen wichtig sind, die Dardanellen oder den Suezkanal?

Das neue und schnelle Tor nach Übersee war der Suezkanal und den haben sich die Engländer nach 1882 zu eigen gemacht.
Frankreich war mit Indochina beschäftigt bzw. mit dem Chinesisch -Französischen Krieg 1884-85 (Hierbei erbat die französische Regierung den Bau zweier Panzerschiffe für China auf deutschen Werften zu verzögern).

Die russische Schwarzmeerflotte wurde seit 1871 neu aufgebaut und mit den Panzerschiffen der Ekaterina II - Klasse waren erstmals 4 große moderne Einheiten ab 1883 im Bau. Den Einsatz der Baltischen Flotte im Mittelmeer halte ich für unmöglich, vor allem wenn der Gegner die Royal Navy ist.
Für den Zusammenschluß der französischen und russischen Flotte würde ich nur den Bereich der Nordsee als Kriegsschauplatz darstellen. Immerhin erkannten die Engländer die Gefahr dieser Problematik früh und steuerten ein neues Konzept bei der Flottenrüstung mit dem Naval Defence Act von 1889 an.
Direkter Berührungsgrund zwischen England und Russland war doch die Expasionspolitik im Bereich des Afghanistan 1885, hier wohl auch das von mir schon erwähnte Vorgehen der Royal Navy die baltische Flotte anzugreifen.

OT: Noch etwas am Rande, zur italiensichen Rolle im Mittelmeer zum Ende des 19. Jahrhunderts. Ab den Jahr 1873 beginnt die Italiensiche Marine mit dem Wiederaufbau unter KAdm Saint Bon und dem Ingenieur Benedetto Brin. Hier werden schnelle und kampfstarke Panzerschiffe gebau, die Italien auf den dritten Platz in der Rangfolge nach England und Frankreich bringen. Die italienischen Panzerschiffe beeinflußen dabei sogar den Bau von englischen Panzerschiffen in den Jahren 1870 - 80iger Jahren und nicht zuletzt war eine Bewunderer, der Kommandant KptzS Fisher der Inflexible darunter, der auch später das Konzept Schnell und Schlagkraft aufgreifen wird.
 
Zuletzt bearbeitet:
Von welcher Meerengen sprecht Ihr, die für die Russen wichtig sind, die Dardanellen oder den Suezkanal?

Von den Dardanellen, in Bezug auf Russlands Ziele.

Bei den Wahrnehmungen ist deutlich abzugrenzen, was aus heutiger Sicht für möglich gehalten wird, und was zeitgenössisch (auch in der drohenden Aufsplittung der RN auf verschiedene Schauplätze) nachweisbar ist, und das Handeln der Akteure bestimmte.
 
Von den Dardanellen, in Bezug auf Russlands Ziele.

Bei den Wahrnehmungen ist deutlich abzugrenzen, was aus heutiger Sicht für möglich gehalten wird, und was zeitgenössisch (auch in der drohenden Aufsplittung der RN auf verschiedene Schauplätze) nachweisbar ist, und das Handeln der Akteure bestimmte.

Aber die Dardanellen werden vom Osmanischen Reich kontrolliert, auch nach 1878.
 
Aber die Dardanellen werden vom Osmanischen Reich kontrolliert, auch nach 1878.

Das war die "Orientalische Frage", ob nämlich das Osmanische Reich auseinanderbrechen würde, und Russland Zugang zu den Dardanellen erhalten würde. Bismarck hat hier - um die Konkretisierung zu unterstreichen - wohlwollende Unterstützung im Rückversicherungsvertrag für diesen Fall zugesichert, Salisbury spekulierte über das Ende des Osmanischen Reiches, Russland war vorher im Krieg 1877/78 erfolgreich und erhielt Gebietszuwachs im Kaukasus und versuchte anschließend, Bulgarien unter seine Kontrolle zu bringen.
 
Möglicherweise war das dann doch kein Aspekt für die russische Seite. Verstärken könnte man das Argument mit der strategischen Überlegung, dass Großbritannien im Fall des Falles durch die Landbedrohung Indiens (die "Nordwestgrenze") erpressbar sein würde, und deswegen maritim keine Rolle bei der Blockade der Meerengen spielen konnte.

Dann war der einzige Aspekt, mit Frankreich einen Gegenpart zum Deutschen Reich zu gewinnen, so dass man es auf dem Balkan nur mit Ö-U zu tun bekommt.

Wenn das stimmt, wäre der vom Ploetz behauptete "anti-britische" Aspekt des Zweiverbandes auf die Sichtweise Frankreichs zu reduzieren, wenn nicht ganz zu streichen.


Er ist zu streichen!!
 
Zusammenfassend: dass es sowohl russische, wie britische und frz. Gedankenspiele im Kontext der Allianz gab, in Bezug auf eine damit verschobene Lage zuungunsten von Großbritannien. Die britische Analyse befürchtete nun jederzeit einen "Handstreich" Russlands gegen die Meerengen, und sah sich außerstande, dem wirksam entgegen zu treten (wegen Frankreich).

Mal sehen, vielleicht finden sich auch in der deutschen Literatur dazu Hinweise.
 
Aha. Auf der anderen Seite gab es aber ja die Mittelmeerentente, die ja vorsah, den Status Quo, also die Meerengen unter Kontrolle der Türken, zu bewahren.

Eine brisante Blockbildung war das zu jener Zeit gewesen.
 
Ein Knackpunkt war sicherlich, wenn Frankreich sich in Nordafrika dermaßen ausgebremst sah, Bismarck stand ja eigentlich auf der Seite der Briten, hat dafür aber die Mittelmeerentente eingehandelt, das man sich in Paris veranlaßt sehen könnte, sich wieder verstärkt europäischen Angelegenheiten, Stichwort Elsaß-Lothringen zuzuwenden. Oder, auch eine denkbare Spielart, jetzt wurde die Öffnung der Meerengen für die Franzosen nötig, da nur Petersburg die französischen Interessen in Nordafrika beförsdern konnte. Eine reichlich verzwickte Situation.
 
Da könnten sich wirklich neue Blickrichtungen ergeben haben.

Was mich ansonsten erstaunt, ist diese rege Besuchtätigkeit der russ.-frz. Flotten untereinander 1892/94, während das Abkommen nur eine Landkomponente aufwies (keine Marinekomponente, die erst 1912 nachgearbeitet wurde). Oder wollten hier die Marinen mehr als in den Absprachen geregelt wurde?

Oder war das eine Nebelkerze, um einen entsprechenden Eindruck in GB/ITA/DR zu hinterlassen?

Nur eine Konsequenz: das DR ließ genau in der Zeit (auch unter dem Eindruck der frz. Flottenbesuche in der Ostsee) von seinen "Ostplanungen" (zu Lande/zu Wasser) für den Kriegsfall ab, und ging quasi zum späteren Schlieffenplan über. Den kann man als Reaktion natürlich auch direkt dem Bündnisschluss zu Lande in die Schuhe schieben, allerdings wurden die deutschen Flottenplanungen für die Ostsee parallel aufgegeben.
 
Da könnten sich wirklich neue Blickrichtungen ergeben haben.

Was mich ansonsten erstaunt, ist diese rege Besuchtätigkeit der russ.-frz. Flotten untereinander 1892/94, während das Abkommen nur eine Landkomponente aufwies (keine Marinekomponente, die erst 1912 nachgearbeitet wurde). Oder wollten hier die Marinen mehr als in den Absprachen geregelt wurde?

Oder war das eine Nebelkerze, um einen entsprechenden Eindruck in GB/ITA/DR zu hinterlassen?

Nur eine Konsequenz: das DR ließ genau in der Zeit (auch unter dem Eindruck der frz. Flottenbesuche in der Ostsee) von seinen "Ostplanungen" (zu Lande/zu Wasser) für den Kriegsfall ab, und ging quasi zum späteren Schlieffenplan über. Den kann man als Reaktion natürlich auch direkt dem Bündnisschluss zu Lande in die Schuhe schieben, allerdings wurden die deutschen Flottenplanungen für die Ostsee parallel aufgegeben.


Eine weitere Eigentümlichkeit, denn gerade die militärische Kooperation auf maritimen Gebiet wäre gerade hinsichtlich der Meerengen/Mittelmeer von Interesse gewesen.

Bismarck wollte Krieg verhindern und deshalb war er eigentlich willens die Russen, so weit es irgend möglich war, auf dem Balkan, insbeondere in Bulgarien, "machen" lassen.

Er setzte also wohl darauf, das es mit Russland in nächster Zeit nicht zu Auseinansetzungen käme. Ich glaube, er hatte da eher Frankreich in Visier. Boulanger musste schleunigst abserviert werden, damit dieser sich gemäß Bismarck nicht zum neuen Militärdiktator aufschwingt und dann in Russland einen Katkow, der noch stärker als bis dator, für eine Anlehnung an Frankreich eintritt.

Gleichzeitig galt es den Ballhauplatz zu "diziplinieren", damit dieser die Füße stillhält. Ein kompliziertes Gebäude, in dem nicht immer direkte Einwirkungsmöglichkeiten besaß.
 
Turgot;63280Bismarck wollte Krieg verhindern und deshalb war er eigentlich willens die Russen schrieb:
... oder England?

Jedes weitere Vordringen Russlands auf dem Balkan Richtung der "Straits" musste England zur Blockade der Dardanellen auf den Plan rufen.

Das kommt somit sehr seinem Bestreben entgegen (seinem Hauptziel der späten Jahre?), zu einem Bündnis mit England zu kommen.
 
Turgot schrieb:
Er setzte also wohl darauf, das es mit Russland in nächster Zeit nicht zu Auseinansetzungen käme. Ich glaube, er hatte da eher Frankreich in Visier

Diese Passage bezog sich auf die, gemäß Bismarck, Möglichkeit eines Krieges mit Frankreichs. Boulanger war noch nicht als Machtfaktor "liqudiert" und stellte somit ein Grund zur Besorgnis dar.

Hinsichtlich Großbritannien stimmen wir vollkommen überein.
 
Was die Diskussion doch zeigt, ist das unglaublich komplizierte, fragile und volatile Geflecht von Interessen und Machtfaktoren.

Jeder "Zug" ist vielfach interpretierbar, und hat auch ohne Interpretation Auswirkungen auf mehreren "Bühnen".

Hinzu kamen dann noch die Wechselwirkungen zwischen Europa und der (kolonialen) Peripherie.
 
Zurück
Oben