Seit wann gibt es den nordischen Glauben

Man kann sicher an die römische Gleichung Merkur = Wotan und Mars = Tyr/Tiwaz/Ziu glauben, doch sicher ist das nicht. Folgt man, so wird Wotan/ Merkur von Tacitus bereits im 1. Jh. n. Chr. erwähnt, was natürlich nicht den Zeitpunkt der Entstehung dieses Gottes bedeutet. Man darf ihn getrost einige Jahrhunderte (und vielleicht noch länger) zuvor ansetzen.

Ich glaube, da besteht ein Missverständnis.
 
Ich glaube, da besteht ein Missverständnis.

Nun ja, nach der interpretatio romana soll das so sein, wobei durchaus Zweifel angebracht sind. Allerdings muss es Götter gegeben haben, die die Römer mit Merkur und Mars belegten. Und wenn es nicht Wotan und Tiwaz waren, wer waren sie dann?
 
Es ist somit gut möglich, dass Wotan und Tyr/Tiwaz die gegensätzlichen Pole des indogermanischen und frühgermanischen Götterhimmels bildeten: Tyr/Tiwaz als lichter, weiser, friedliebender Himmelsgott (der er ursprünglich einmal war, bevor er zum Gott des Kampfes mutierte) und Wotan als Todes- und Sturmgott, usprünglich ein nur ein dunkler Gott der Gespenster, der wilde Jäger, dem die Geister folgen.
ist das nicht auch zumindest teilweise ein von späterem (!) Wissen beeinflusstes Wunschdenken?

also bzgl. Wotan:
- 1 - wann wird diese Gottheit erstmals mit dem Totenheer, der wilden Jagd etc. in Verbindung gebracht?
- 2 - in welcher antiken oder kaiserzeitlichen Quelle wird Wotan als wilder Jäger dargestellt (oder mit sonstigen erst viel viel später belegten Eigenschaften ausgestattet)?
- 3 - welche altengl. und althochdeutsche Quelle erwähnt die später belegten Charakteristika sowie die wilde Jagd?
- - wenn diese drei Fragen keine Antwort finden, wie kann man dann dem skand.-isländ. Odin eine Herkunft als düsterem Todesgott attestieren? denn diese Deutung müsste ja zeitlich noch vor den völkerwanderungszeitlichen und kaiserzeitlichen Quellen (die nichts dergleichen erwähnen) angesetzt werden.

ich weiß, vergleichend religionsgeschichtlich wird vermutet, dass z.B. die Walküren ursprünglich Leichendämonen gewesen sein sollen - aber dafür gibt es keine eindeutigen Quellen, was diese Erklärung eben ein wenig spekulativ macht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Welche eindeutigen Belege gibt es eigentlich dafür, dass Tyr/Ziu ursprünglich ein lichter, weiser, friedliebender Himmelsgott war?
 
Keine.

Ich wäre sowieso vorsichtig die bei Tacitus und anderswo erwähnten Gottheiten mit Cyo oder Wodan zu identifizieren.

Was Inschriften angeht sieht es so aus:

Mars: Halamardhus (Roermond, Holland), Thingsus (Housesteads, England)
Merkur: Channinius (Blankenheim), Cimbrianus (Heidelberg, Mitelnberg, Mainz), Friausius/Eriausus (Nijmegen, Holland), Hranno (Bornheim-Sechtem)

Hercules: Baldruus, Magusanus, Saxanus

daran würde ich mich halten bei der Interpretatio, das ist alles 1.-3. Jhd. und am nächsten an Tacitus Zeit, geographisch sowieso da Tacitus höchstens die Belgica kannte. Die oft zitierten Wochentage sind erst spät und könnten bereits eine rein gelehrte Übertragung darstell.en, ich denke sie sind nicht früher als ins 4. Jhd. anzusiedeln.
 
Keine.

Ich wäre sowieso vorsichtig die bei Tacitus und anderswo erwähnten Gottheiten mit Cyo oder Wodan zu identifizieren.
tendierst du auch eher dazu, in den lakonischen älteren Belegen (Tacitus, Weihesteine, Nordendorfer Spange, Zaubersprüche, Historia Langobardorum u.a.) besser nicht die beliebten breit ausgeschmückten Göttereigenschaften des 13. Jh. zu vermuten?
 
ist das nicht auch zumindest teilweise ein von späterem (!) Wissen beeinflusstes Wunschdenken?

also bzgl. Wotan:
- 1 - wann wird diese Gottheit erstmals mit dem Totenheer, der wilden Jagd etc. in Verbindung gebracht?
- 2 - in welcher antiken oder kaiserzeitlichen Quelle wird Wotan als wilder Jäger dargestellt (oder mit sonstigen erst viel viel später belegten Eigenschaften ausgestattet)?
- 3 - welche altengl. und althochdeutsche Quelle erwähnt die später belegten Charakteristika sowie die wilde Jagd?

Über das Alter der Wodan-(Odin)-Verehrung bestehen Unstimmigkeiten. Einige Forscher halten den Gott für eine recht früh, andere für eine verhältnismäßig spät aus dem Südosten in die Germania libera eingedrungene Erscheinung. Dass Kimbern und Teutonen Wodan verehrten, bestätigt vielleicht die Inschrift "Mercurio Cimbrio" auf einem Weihestein vom Heiligenberg bei Heidelberg. Auch bei dem großen Opfer der Kimbern und Teutonen nach der siegreichen Schlacht bei Arausio im Jahr 105 v. Chr. dürfte es sich um ein Wodansopfer gehandelt haben.

Weil die Stämme auf ihrem Weg vom Norden in den Süden nur teilweise germanisches Gebiet berührt hatten, vermutet man, Wodan sei ihnen bereits in den Ausgangsgebieten der Wanderung als einheimischer Gott vertraut gewesen. Nach anderer Auffassung gelangte er von den Kelten (!) zu den germanischen Stämmen am Rhein und von dort zu den übrigen Stämmen.

In den spärlichen Quellen erscheint Wodan als eine dämonische, mit den Seelen der Toten und, als ihr Führer, mit dem Sturm verbundene Gestalt. Er ist in vielen Sagen und Legenden Führer des Totenheers und der Wilde Jäger. Die Germanen bezeichneten das Heer der Seelen als das "wütende" und dieses "wütende Heer" und Wodan - *wodaz = wütend und *wodjan = wüten - gehören unauflöslich zusammen. Aus diesem Bereich wurde Wodan allmählich herausgelöst und der Sturm- und Totengott stieg zum Himmelsgott auf, wobei er andere Götter wie Tyr/Ziu verdrängte.

Der Religionswissenschftler und skandinavische Mediävist Jan de Vries hält es nicht für unmöglich, den Wodan-Odins-Kult bis in die Bronzezeit zurückzuverfolgen, indem er auf die Felsbild-Darstellungen von großen Speerträgern in Südschweden und auf Odins Speer Gungnir hinweist. Frühe Wodanverehrung lässt sich mit einiger Sicherheit bei den Hariern, den Kimbern und Teutonen nachweisen und da die Harier als Teilvolk der Lugier ebenso wie Kimbern und Teutonen unter keltischem Einfluss standen, ist der Verdacht auf keltischen Ursprung der Wodangestalt nicht ganz unbegründet.

Die älteste germanische Darstellung des Wodan als einäugiger Gott mit Andeutung einer Genealogie stammt aus der späten römischen Kaiserzeit und zeigt einen Bernsteinanhänger aus dem Grab des "Fürsten" von Haßleben, Kreis Erfurt.

Der ursprünglich für Ruhm und Krieg personifizierte Himmelsgott Tyr/Ziu/Tiwaz musste seine Bedeutung in der Zeit kriegerischer Ausbreitung an Wodan abgeben. Im Gegensatz zu den Wanen wurden die Asengötter von den Adligen und ihren Gefolgschaften verehrt und traten in den kriegerischen Zeiten der Völkerwanderung immer mehr in den Vordergrund - was nicht heißt, dass sie da erst entstanden - und drängten den alten Himmels- und Kriegsgott Ziu in den Hintergrund.

Interessant ist daher ein ganz anderer Aspekt der nordischen Mythologie, nämlich die Herkunft und Rolle der Wanengötter und ihr Verhältnis zu den Asen. Vielfach wird darin eine Spiegelung der sozialen Schichtung der Gesellschaft gesehen, wobei die Wanen vermutlich das ältere Göttergeschlecht waren. Zu den Wanen aus Wanaheim zählen die Fruchtbarkeitsgötter, die für Wachstum und Zeugung verantwortlich waren und vorwiegend von der bäuerlichen Bevölkerung verehrt wurden. Zu ihnen gehören vor allem Freyr, Njörd und Freyja, zu den Asen aus Asgard vor allem Wodan/Odin, Donar/Thor mit den zugehörigen Frauen und Verwandten. Sie wurden vorwiegend von der aristokratischen Elite und deren Gefolgschaften verehrt.

Verschiedentlich wird vermutet, dass der in der Edda geschilderte Wanenkampf auf eine Auseinandersetzung zwischen alteingesessener vorgermanischer bäuerlicher Bevölkerung und der Invasion germanischer Stämme hindeuten könnte. im Lauf der Jahrhunderte - so die Hypothese - kam es zu einem Ausgleich beider Bevölkerungselemente, sichtbar an der Verbindung von Asen und Wanen und deren gleichberechtigter Aufnahme in den Kreis der Asen.
 
lieber Dieter, bitte zürne mir nicht, wenn ich deinem interessanten Beitrag widerspreche - mich interessiert ja das Thema sehr!

(1)
In den spärlichen Quellen erscheint Wodan als eine dämonische, mit den Seelen der Toten und, als ihr Führer, mit dem Sturm verbundene Gestalt.
(2)
Er ist in vielen Sagen und Legenden Führer des Totenheers und der Wilde Jäger.
(3)
Die Germanen bezeichneten das Heer der Seelen als das "wütende" und dieses "wütende Heer" und Wodan - *wodaz = wütend und *wodjan = wüten - gehören unauflöslich zusammen. Aus diesem Bereich wurde Wodan allmählich herausgelöst und der Sturm- und Totengott stieg zum Himmelsgott auf, wobei er andere Götter wie Tyr/Ziu verdrängte.
(1) welche frühmittelalterliche oder gar spätantike Quelle bezeichnet Wodan eindeutig als dämonischen Anführer des Totenheeres? Ich kenne keine solche - das sind doch Vermutungen, die auf viel späteren recht heterogenen und nicht zwingend verläßlichen "Quellen" beruhen (Sagen, Legenden, ggf sogar Brauchtum - aber alles viel viel jünger).

(2) aus welcher Zeit sind diese Sagen und Legenden?

(3) weiß man wirklich, ob und wie "die Germanen" ein Heer der Seelen bezeichneten? sind erschlossene Wortformen beweiskräftig für spezielle religiöse Inhalte?

Frühe Wodanverehrung lässt sich mit einiger Sicherheit bei den Hariern, den Kimbern und Teutonen nachweisen und da die Harier als Teilvolk der Lugier ebenso wie Kimbern und Teutonen unter keltischem Einfluss standen, ist der Verdacht auf keltischen Ursprung der Wodangestalt nicht ganz unbegründet.
lässt sich das tatsächlich nachweisen, oder verbirgt sich in deiner Formulierung nicht doch eher spekulatives?... es gibt weder harische noch kimbrische Quellen zu religiösen Vorstellungen.

Die älteste germanische Darstellung des Wodan als einäugiger Gott mit Andeutung einer Genealogie stammt aus der späten römischen Kaiserzeit und zeigt einen Bernsteinanhänger aus dem Grab des "Fürsten" von Haßleben, Kreis Erfurt.
späte Kaiserzeit also, dazu ohne sprachl. Zeugnis (keine Runen etc.)

Ich habe de Vries gelesen - allerdings auch den ernüchternden Sonderband zur germanischen Religionsgeschichte des RGA. Höfler und Dumezil sind mir nicht unbekannt. Übrigens ist sehr zweifelhaft, ob phallische Felsbilder in Skandinavien den Odin/Wodan zeigen. Und niemand weiß, ob der lat. Mercurius als Wodan zwingend schon die erst im 13. Jh. verfassten Charakteristika hatte (warum sollten germanische Legionäre oder Auxiliareinheiten einen Totendämon anbeten? oder gar einen walhallischen Tunichtgut, ihm aber dabei nicht seinen eigenen Namen geben? Wieso ist der vermeintliche Hauptgott auf den Weihesteinen des 2.-3. Jhs. namenlos, aber andere Götter/innen haben einen germanischen Namen (Baduhenna etc))

ich tendiere zum erwähnten RGA Sonderband: wir wissen kaum was über die Eigenschaften der frühmittelalterlichen germanischen Götter.
 
ich tendiere zum erwähnten RGA Sonderband: wir wissen kaum was über die Eigenschaften der frühmittelalterlichen germanischen Götter.

Dass vieles Hypothese und Spekulation bleibt, ist unstrittig. Die Wandlung Wodans vom Sturm- und Totengott zum Himmelsgott findest so in zahlreichen Publikationen, deren Wahrscheinlichkeit ich als Laie nicht nachprüfen kann.

Interessanter wäre es allerdings, wenn wir den Bereich Wodan endlich verlassen würden und uns anderen Aspekten der nordischen Mythologie zuwenden könnten.

Z.B. der Rolle der Wanen und ihrem Verhältnis zu den Asen und der gesellschaftlichen Herkunft ihrer jeweiligen Verehrer.
 
Dass vieles Hypothese und Spekulation bleibt, ist unstrittig.
ist mir klar - allerdings finde ich, dass man Hypothesen und Spekulationen nicht wie sichere Fakten darstellen sollte.

Die Wandlung Wodans vom Sturm- und Totengott zum Himmelsgott findest so in zahlreichen Publikationen, deren Wahrscheinlichkeit ich als Laie nicht nachprüfen kann.
ist mir bekannt, ändert aber nichts an den nun schon oft genug dargestellten Problemen mit der Quellenlage.

Interessanter wäre es allerdings, wenn wir den Bereich Wodan endlich verlassen würden und uns anderen Aspekten der nordischen Mythologie zuwenden könnten.
angesichts der Frage nach dem Alter der nordischen Mythologie halte ich Überlegungen zu deren Chefgottheit Odin weder für abwegig noch für langweilig, zumal das bis jetzt ja nicht geklärt ist.
 
angesichts der Frage nach dem Alter der nordischen Mythologie halte ich Überlegungen zu deren Chefgottheit Odin weder für abwegig noch für langweilig, zumal das bis jetzt ja nicht geklärt ist.

Wie wir gesehen haben, lässt sich das Alter der nordischen Mythologie nur mit Hilfe von Hypothesen bestimmen, die hier bereits mehrfach angeführt wurden. Das gilt auch für Odin/Wotan und andere germanische Götter.

Immens wichtig gerade für die nordische Mythologie sind die Götter Freyr, Njörd und Freyja, über die bislang überhaupt noch nicht diskutiert wurde.

Interessant finde ich diese Deutung zu den Wanen und zum Wanenkrieg:

Eine Theorie besagt, dass der Wanenkrieg die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Stammvölkern der Germanen, den Indogermanen und den Trägern der sog. Megalithkultur, schildert. Diese Ansicht geht auf Publikationen von Gustav Schwantes aus den 1930er Jahren zurück. Ein anderer Ansatz ist, dass der Krieg eine frühe geistesgeschichtliche Auseinandersetzung zwischen zwei Kulturidealen war: auf der einen Seite die alte bäuerlich-handfeste Göttervorstellung, auf der anderen Seite eine kultiviertere, transzendente Auffassung von den Göttern. In der Muttergöttin Freyja (einer Wanin) und Frigga (einer Asin) überschneiden sich die Vorstellungen anschaulich.

http://de.wikipedia.org/wiki/Wanen
 
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Wie wir gesehen haben, lässt sich das Alter der nordischen Mythologie nur mit Hilfe von Hypothesen bestimmen,
...bestimmen? ...eher vermuten :winke:

was Freia betrifft, so taucht sie bei den Langobarden als Gattin von Godan auf. Ob sie dort aber die Eigenschaften hat, welche die isländ.-skand. Göttin hat, wissen wir nicht.
 
...bestimmen? ...eher vermuten :winke:

Natürlich - nur vermuten!

was Freia betrifft, so taucht sie bei den Langobarden als Gattin von Godan auf. Ob sie dort aber die Eigenschaften hat, welche die isländ.-skand. Göttin hat, wissen wir nicht.

Im Gegensatz zu den Asen waren die Wanen Fruchtbarkeitsgötter und es gab nach Saxo ein kultisches Zentrum in Uppsala, wo Freyr verehrt wurde. Ob es sogar einen regelrechten Tempel gab, ist ungwiss und strittig.

Bei den Germanen des Kontinents hat es ausgesprochene Fruchtbarkeitsgöttinnen anscheinend nicht gegeben oder sie sanken nach Verfestigung des Asenglaubens zu Erd- und Korndämonen herab. Möglicherweise waren Figuren wie die Roggenmuhme, Frau Holle, Berchta und andere ursprünglich gestandene Götter, die ihren Platz räumen mussten.

Allerdings kennen wir nach Tacitus die Nerthus, deren Kult gut überliefert ist, die aber ebenfalls aus dem Norden - Dänemark u. Skandinavien ? - stammt. Sie ist nach Tacitus die Terra Mater, also eine Fruchtbarkeitsgöttin. Ob sie mit der in der Edda überlieferten Erdgöttin Jörd verwandt ist, ist fraglich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Natürlich - nur vermuten!
das hättest du doch gleich sagen können, am Ende glaubt noch jemand, dass man das Alter der nordischen Götter mittels Hypothesen bestimmen kann... und es hätte ein umfangreiches nachfragen vermieden werden können :winke:

Möglicherweise waren Figuren wie die Roggenmuhme, Frau Holle, Berchta und andere ursprünglich gestandene Götter, die ihren Platz räumen mussten.
...ja... all die Legenden- und Sagengestalten, vereinzeltes Brauchtum - das Alter wie auch die Herkunft vieler solcher vermeintlich paganer germanischer Indizien ist höchst ungewiß (wenn nicht gar viel zu jung). Im 19. Jh. gab es mal eine Art Seuche, in allerlei partout "germanisch-heidnisches" finden zu wollen, was teilweise zu sehr komischen Ergebnissen führte :) man denke nur an Ostara... -- mein Vorschlag: lassen wir die Gestalten jüngerer oder unbestimmbarer Märchenstoffe lieber weg, ebenso manches nicht immer sonderlich gut belegte Brauchtum.

Nerthus - die Erdgöttin, deretwegen Sklaven ertränkt weden müssen (Menschenopfer), ist in Tacitus Germania natürlich eine spektakuläre Gestalt! Aber sie taucht später eigentlich nicht mehr auf, auch nicht ihr grausiges Ritual (wobei mir unklar ist, weshalb man ein Opfer für eine Erdmutter ertränken muss) - die Flußopfer der Goten sowie der alemannischen Horden von Leuthari und Buchtilin scheinen nichts mit der Erdmutter zu tun zu haben. Dass Percht(a) und gar Frau Holle quasi Fortsetzungen der Nerthus seien, wie Tante Wiki mitteilt, ist höchst ungewiß... es ist zum Haare ausreißen: mal soll Frau Holle die Erdmutter, mal die Hel, mal Frigg(a) sein... gegen dieses mythenwabernde Durcheinander in der verschiedenen Wiki-Artikeln ist Wagners Ring ja geradezu wissenschaftlich :):)

abgesehen von bloßen Namen einiger, nicht aller (!) Gottheiten, lassen sich nicht eben viele Verbindungen zwischen der nordischen Mythologie und den frühmittelalterlichen bzw. spätantiken festlandgerman. Göttern herstellen - und da letztere in den Quellen ziemlich eigenschaftslos sind (mal abgesehen von der Gattin Godans bei den Langobarden, die Humor zu haben scheint mit ihrem Bärtetrick) hat man halt nicht viel in den Händen...

interessant aber könnte sein, bei diesem Thema auch mal das anzuschauen in der nord. Mythologie, was keinerlei mehr oder weniger greifbare Verbindungen zu den älteren "südlicheren" Quellen hat -- etwas Erheiterung verspricht da der "Völsi", ein sehr merkwürdiger "nordischer Fruchtbarkeitskult"
 
Dass Kimbern und Teutonen Wodan verehrten, bestätigt vielleicht die Inschrift "Mercurio Cimbrio" auf einem Weihestein vom Heiligenberg bei Heidelberg.
Aber nur wenn man von der Voraussetzung ausgeht, dass mit Mercurius Wodan gemeint sei.

Auch bei dem großen Opfer der Kimbern und Teutonen nach der siegreichen Schlacht bei Arausio im Jahr 105 v. Chr. dürfte es sich um ein Wodansopfer gehandelt haben.
Woraus leitest Du das ab? Die Hauptquelle dazu ist Orosius, aber dort wird kein Gott genannt. Auf Wodan könnte man höchstens daraus schließen, dass Gefangene aufgehängt wurden, allerdings nur wenn man Odins Charakter als Gott des Hängens rückprojiziert.

Der Religionswissenschftler und skandinavische Mediävist Jan de Vries hält es nicht für unmöglich, den Wodan-Odins-Kult bis in die Bronzezeit zurückzuverfolgen, indem er auf die Felsbild-Darstellungen von großen Speerträgern in Südschweden und auf Odins Speer Gungnir hinweist.
Die Abbildung von Männern mit Speeren ist natürlich etwas total Ausgefallenes ... Auch auf ägyptischen Reliefs sieht man Männer mit Speeren, also haben die Ägypter vermutlich auch Wodan verehrt.

Frühe Wodanverehrung lässt sich mit einiger Sicherheit bei den Hariern, den Kimbern und Teutonen nachweisen
Dazu hätte ich gerne nähere Erläuterungen.

Die älteste germanische Darstellung des Wodan als einäugiger Gott mit Andeutung einer Genealogie stammt aus der späten römischen Kaiserzeit und zeigt einen Bernsteinanhänger aus dem Grab des "Fürsten" von Haßleben, Kreis Erfurt.
Woher weiß man, dass Wodan abgebildet ist?

Der ursprünglich für Ruhm und Krieg personifizierte Himmelsgott Tyr/Ziu/Tiwaz musste seine Bedeutung in der Zeit kriegerischer Ausbreitung an Wodan abgeben. Im Gegensatz zu den Wanen wurden die Asengötter von den Adligen und ihren Gefolgschaften verehrt und traten in den kriegerischen Zeiten der Völkerwanderung immer mehr in den Vordergrund - was nicht heißt, dass sie da erst entstanden - und drängten den alten Himmels- und Kriegsgott Ziu in den Hintergrund.
Welche Belege gibt es eigentlich dafür, dass im kontinentalgermanischen Bereich in der Völkerwanderungszeit zwischen Wanen und Asen unterschieden wurde und die einen von den anderen verdrängt wurden?

Allerdings kennen wir nach Tacitus die Nerthus, deren Kult gut überliefert ist, die aber ebenfalls aus dem Norden - Dänemark u. Skandinavien ? - stammt.
Woraus leitest Du das ab? Tacitus schreibt nur, dass sich ihr Heiligtum auf einer Insel befand, und nennt ein paar Stämme, die sie verehrten. Dass sie aus dem Norden stammte, geht nirgends hervor.
 
...ja... all die Legenden- und Sagengestalten, vereinzeltes Brauchtum - das Alter wie auch die Herkunft vieler solcher vermeintlich paganer germanischer Indizien ist höchst ungewiß (wenn nicht gar viel zu jung). mein Vorschlag: lassen wir die Gestalten jüngerer oder unbestimmbarer Märchenstoffe lieber weg, ebenso manches nicht immer sonderlich gut belegte Brauchtum.

Es lässt sich einwandfrei belegen, dass Gestalten, wie Perchta, Holle oder Hulda zum alten bäuerlichen Brauchtum zählen und unleugbar mit ihnen ein gutes Stück Heidentum fortlebt. Dass sie vorwiegend erst in den Sagensammlungen des 19. Jh. auftauchen, ist nicht verwunderlich, weil man früher der Volkssage nur selten und beiläufig Beachtung schenkte. Dennoch lassen sich einzelne dieser Figuren bis ins hohe Mittelalter zurückverfolgen, was für Alter und Echtheit bürgt. Es bleibt - abgesehen von Erfindungen des frommen Übereifers moderner Forscher - in älteren Quellen ein unanfechtbarer Rest bestehen.

Nerthus - die Erdgöttin, deretwegen Sklaven ertränkt weden müssen (Menschenopfer), ist in Tacitus Germania natürlich eine spektakuläre Gestalt! Aber sie taucht später eigentlich nicht mehr auf, auch nicht ihr grausiges Ritual (wobei mir unklar ist, weshalb man ein Opfer für eine Erdmutter ertränken muss) - die Flußopfer der Goten sowie der alemannischen Horden von Leuthari und Buchtilin scheinen nichts mit der Erdmutter zu tun zu haben.

Wir müssen dankbar sein, dass mit dem Bericht des Tacitus über die Terra Mater Nerthus die einzige ausführliche zeitgenössische Quelle über Kultpraktiken der frühen Germanen vorliegt - auch wenn uns einiges unverständlich erscheint. Auch die Schweden feierten die Umfahrt des von einer Priesterin geleiteten Freyr, des Sohnes des Njörd, wovon sie ein fruchtbares Jahr erhofften.

Zweifellos entspringt die Nerthusfeier demselben Glauben, der im Mittelalter und in der Neuzeit in zahllosen Volksbräuchen, in Bittgängen um Ackersegen nachwirkt. Der Grundgedanke liegt in der feierlichen Umfahrt, welche den Frühling erweckte und die Felder mit Fruchtbarkeit segnete. Dass besonders Fruchtbarkeitsriten in archaischer Zeit auch mit Menschenopfern verbunden waren, ist bekannt. Die dienenden Knechte der Nerthus wurden nach der Umfahrt bzw. der Wassertauche ertränkt

abgesehen von bloßen Namen einiger, nicht aller (!) Gottheiten, lassen sich nicht eben viele Verbindungen zwischen der nordischen Mythologie und den frühmittelalterlichen bzw. spätantiken festlandgerman. Göttern herstellen -

Das liegt eher an der mangelhaften Quellenlage, da wir leider keine westgermanische bzw. kontinentalgermanische Edda haben.
 
Es lässt sich einwandfrei belegen, dass Gestalten, wie Perchta, Holle oder Hulda zum alten bäuerlichen Brauchtum zählen und unleugbar mit ihnen ein gutes Stück Heidentum fortlebt. Dass sie vorwiegend erst in den Sagensammlungen des 19. Jh. auftauchen, ist nicht verwunderlich, weil man früher der Volkssage nur selten und beiläufig Beachtung schenkte. Dennoch lassen sich einzelne dieser Figuren bis ins hohe Mittelalter zurückverfolgen, was für Alter und Echtheit bürgt
welches Heidentum soll es im hohen Mittelalter gegeben haben? tauchen irgendwo außerhalb von Skandinavien die germanischen Götter im hohen Mittelalter auf??
Frau Holle & Co. im bäuerlichen Brauchtum ist ja ok - aber bzgl. des Alters der Bräuche herrscht zumeist Unklarheit. Insofern sind angebliche Verbindungen zum germanischen oder nordischen Heidentum nicht nur sehr diffus, sondern wohl auch eine Art Rückprojektion. Deine und andere Sagen- / Märchengestalt taucht als Name zwar vereinzelt (beileibe nicht alle!!) im 12. Jh. auf, aber dabei ist nicht viel heidnisches zu erfahren...

Wir müssen dankbar sein, dass mit dem Bericht des Tacitus über die Terra Mater Nerthus die einzige ausführliche zeitgenössische Quelle über Kultpraktiken der frühen Germanen vorliegt - auch wenn uns einiges unverständlich erscheint. Auch die Schweden feierten die Umfahrt des von einer Priesterin geleiteten Freyr, des Sohnes des Njörd, wovon sie ein fruchtbares Jahr erhofften.

Zweifellos entspringt die Nerthusfeier demselben Glauben, der im Mittelalter und in der Neuzeit in zahllosen Volksbräuchen, in Bittgängen um Ackersegen nachwirkt. Der Grundgedanke liegt in der feierlichen Umfahrt, welche den Frühling erweckte und die Felder mit Fruchtbarkeit segnete. Dass besonders Fruchtbarkeitsriten in archaischer Zeit auch mit Menschenopfern verbunden waren, ist bekannt.
die merowingischen Könige haben auch feierliche Umfahrten auf Ochsenkarren praktiziert, wie merowingische Quellen belegen, aber deswegen sind sie weder Fruchtbarkeitsgötter noch haben sie dabei Fruchtbarkeitsrituale durchgeführt :winke:

fatalerweise scheint Nerthus nicht die einzige germanische Erdmutter gewesen zu sein, wie man einem altengl. Zauberspruch entnehmen kann, der eine "Erce" dreimal anruft...

im Mittelalter, im hohen Mittelalter und danach tauchen aber weder Nerthus noch Erce erneut auf... also wenn etwas sehr alt, sehr folgenreich usw. gewesen sein soll, dann wäre doch etwas mehr Kontinuität in den Überlieferungen nötig.

...nein, ganz so zweifellos ist das alles nicht - es ist motivgeschichtlich, gewissermaßen religions- und sagengeschichtlich hochinteressant, aber so feste Sicherheiten, wie du sie gerne formulierst, lassen sich da NICHT festmachen: es bleibt bei motivischen Verbindungen und Wahrscheinlichkeiten
 
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