Seit wann gibt es den nordischen Glauben

Hier sei noch angemerkt, dass es ein drittes Göttergeschlecht gibt: die Riesen nämlich. Die sind sogar die ältesten Götter. (...)

Auf mich wirkt diese ganze Mythologie, die dort in isländischen Schriftquellen geschildert wird, sehr patchworkartig. Da scheinen viele verschiedene Glaubensvorstellungen ineinandergeflossen zu sein - mit regional unterschiedlichen Schwerpunkten. Deshalb würde ich vermuten, dass dieses "Glaubensgebäude" in der Zeit der Völkerwanderung entstanden ist.
zu den Riesen gibt es nicht viele frühmittelalterliche Quellen; ahd tumbo saz ze berke wird als Riese gedeutet.
Einheitlich, dazu stringent und sinnvoll in sich geschlossen wirkt nicht einmal die späte "Mythologie" der Eddas - was religiöse Vorstellungen in Skandinavien bzw Südskandinavien betrifft, so sah das Pantheon im frühen Mittelalter mit Thor als höchstem Gott etwas anders aus als die spätere Walhall-Idylle mit Odin, Einherjern und Walküren.
 
Die von Dir erwähnte gleichberechtigte Aufnahme der Wanen widerspricht der These, dass hier die Götterwelt ein Spiegel sozialer Schichtung ist. Sie widerspricht auch der von Dir weiter oben aufgestellten These, dass eine bäuerlich geprägte Gesellschaft von Wanen-Anbetern von kriegerischen Gruppen von Asen-Anbetern "überschichtet" worden wäre.

Das manche Hypothesen sich gegenseitig ausschließlen, liegt in der Natur der Sache. Und so ist das auch bei der Deutung von Asen vs. Wanen.

Wenn man davon ausgeht, dass die Menschen die Konflikte im "Diesseits" als Spiegel von Konflikten in der Götterwelt ansahen, dann kann die Fusion der Göttergeschlechter der Asen und Wanen nur als Anzeichen dafür lesen, dass zwei menschliche Gesellschaften nach anfänglichen Konflikten zusammenwuchsen.

Diese Hypothese wurde bereits oben angeführt. Sie besagt, dass eine kriegerische und bäuerliche Bevölkerung nach anfänglichen Auseinanderstzungen (Wanenkampf) zu einem Ausgleich fanden (Verbindung von Asen und Wanen). Abgesehen davon kann der Wanenkampf auch den Streit zweier Stämme widerspiegeln oder lediglich Ergebnis eines erzählerischen Erfindungsreichtums sein.

Auf mich wirkt diese ganze Mythologie, die dort in isländischen Schriftquellen geschildert wird, sehr patchworkartig. Da scheinen viele verschiedene Glaubensvorstellungen ineinandergeflossen zu sein - mit regional unterschiedlichen Schwerpunkten. Deshalb würde ich vermuten, dass dieses "Glaubensgebäude" in der Zeit der Völkerwanderung entstanden ist.

Es gibt keinen verlässlichen Zusammenhang zwischen dem Götterbild der Edda und den antiken und archäologischen Quellen zur vorchristlichen germanischen Mythologie bis hin zur Völkerwanderung.
 
Es gibt keinen verlässlichen Zusammenhang zwischen dem Götterbild der Edda und den antiken und archäologischen Quellen zur vorchristlichen germanischen Mythologie bis hin zur Völkerwanderung.
Ich sehe da vor allem ein Problem der fehlenden völkerwanderungszeitlichen Überlieferung.
Die Helden der Lieder-Edda sind Goten, Burgunden und Hunnen. Dass die Wurzeln jener Mythologie in die Völkerwanderungszeit zurückreichen, ist unbestreitbar. Das heroic age der Isländer ist die Völkerwanderungszeit, Ort der Handlung ist nicht Skandinavien. (Ein besonderer Witz ist noch, dass viele der historischen Personen, die den eddischen Helden zugrunde liegen, eigentlich schon Christen waren.)
Für die Göttersagen mag ähnliches gelten, nämlich ein südlicher Ursprung. Allerdings mangelt es an aussagekräftigen Quellen hierzu im west- und ostgermanischen Bereich, die über die bloße Nennung von Namen hinausgehen.
Aussagekräftiger ist hingegen die Sachkultur. Hier ergibt sich zumindest das Bild, dass der südskandinavische Raum die gleiche mythologische Bildsprache benutzte wie Allamannen, Angelsachsen, Goten und andere.
 
zu den Riesen gibt es nicht viele frühmittelalterliche Quellen; ahd tumbo saz ze berke wird als Riese gedeutet.
Einheitlich, dazu stringent und sinnvoll in sich geschlossen wirkt nicht einmal die späte "Mythologie" der Eddas - was religiöse Vorstellungen in Skandinavien bzw Südskandinavien betrifft, so sah das Pantheon im frühen Mittelalter mit Thor als höchstem Gott etwas anders aus als die spätere Walhall-Idylle mit Odin, Einherjern und Walküren.

Zweifellos. Da sind wir dann wieder bei der Erkenntnis, dass sich mythologische Vorstellungen gewandelt haben und dass sie regionale Unterschiede aufweisen, was uns zu der Frage zurückführt, welche Wurzeln sie haben und wie alt diese Wurzeln sind. Ich präzisiere also: Isländische Überlieferungen zeichnen das Bild einer Götterwelt, in der drei Geschlechter in Kontakt traten. Von denen waren die Riesen das älteste und der erklärte Feind der Asen, der am "jüngsten Tag" zu bekämpfen ist. Dieses Bild einer Götterwelt ist das einzige, das man als "nordische Mythologie" bezeichnen kann. Ich wollte keineswegs andeuten, dass alle diese Glaubensvorstellungen stringent sind, schon lange existierten oder gar schon lange zusammengehörten.


Das manche Hypothesen sich gegenseitig ausschließlen, liegt in der Natur der Sache. Und so ist das auch bei der Deutung von Asen vs. Wanen.
Deshalb kann man solche gegensätzlichen Hypothesen einander gegenüberstellen und auf ihre Plausibilität hinterfragen. Man kann aber nicht zwei einander widersprechende Thesen zusammenfügen und daraus dann einen Schluss ziehen, der beide Thesen widerspruchsfrei stützt.

Diese Hypothese wurde bereits oben angeführt. Sie besagt, dass eine kriegerische und bäuerliche Bevölkerung nach anfänglichen Auseinanderstzungen (Wanenkampf) zu einem Ausgleich fanden (Verbindung von Asen und Wanen).
Dem habe ich nicht widersprochen. Ich bezog mich auf die weiter oben geäußerte These, dass der Wanenkampf Ausdruck einer "Überschichtung" einer bäuerlichen Gesellschaft durch ein kriegerisches Volk mit deutlich schamanistischen Glaubensvorstellungen sein könnte. Auf Überschichtung deutet nichts hin, allenfalls auf Fusion.

MfG
 
Ich präzisiere also: Isländische Überlieferungen zeichnen das Bild einer Götterwelt, in der drei Geschlechter in Kontakt traten. Von denen waren die Riesen das älteste und der erklärte Feind der Asen, der am "jüngsten Tag" zu bekämpfen ist. Dieses Bild einer Götterwelt ist das einzige, das man als "nordische Mythologie" bezeichnen kann. Ich wollte keineswegs andeuten, dass alle diese Glaubensvorstellungen stringent sind, schon lange existierten oder gar schon lange zusammengehörten.

Aber haben wir das nicht auch schon in der griechischen Mythologie? Der sich wiederholende Vatermord (Uranos wird durch die Titanen entmannt), Kronos frisst seine Kinder, weil er weiß, dass eines - Zeus - ihn töten wird?

:D
 
Ich sehe da vor allem ein Problem der fehlenden völkerwanderungszeitlichen Überlieferung.
ja, auch stoff- und motivgeschichtlich erschließbare völkerwanderungszeitliche und frühmittelalterliche Sagen oder Epen (u.v.a. fränkische Vorläufer des Niebelungenlieds) geben keine auskunft über religiöse bzw. heidnische Vorstellungen dieser Zeit

Die Helden der Lieder-Edda sind Goten, Burgunden und Hunnen. Dass die Wurzeln jener Mythologie in die Völkerwanderungszeit zurückreichen, ist unbestreitbar. Das heroic age der Isländer ist die Völkerwanderungszeit, Ort der Handlung ist nicht Skandinavien. (Ein besonderer Witz ist noch, dass viele der historischen Personen, die den eddischen Helden zugrunde liegen, eigentlich schon Christen waren.)
Für die Göttersagen mag ähnliches gelten, nämlich ein südlicher Ursprung.
dass Stoffe, Motive, Geschichten aus dem Süden in den Norden kamen, findet sich doch in den mittelalterl. skand. Quellen: irgendwo ist die Rede davon, dass "Männer aus dem Süden" diese und jene Geschichte mitgebracht hatten.

eine Ausnahme scheint der altengl. Beowulf zu sein, der zwar mehr oder weniger altengl. aufgeschrieben ist, aber der Ort seiner Handlung ist wohl Südskandinavien (?)

Aussagekräftiger ist hingegen die Sachkultur. Hier ergibt sich zumindest das Bild, dass der südskandinavische Raum die gleiche mythologische Bildsprache benutzte wie Allamannen, Angelsachsen, Goten und andere.
jetzt staune ich: welche mythologische Bildsprache, die der südskandinavischen ähnlich wäre, weisen die gotischen Hinterlassenschaften auf?
 
Dem habe ich nicht widersprochen. Ich bezog mich auf die weiter oben geäußerte These, dass der Wanenkampf Ausdruck einer "Überschichtung" einer bäuerlichen Gesellschaft durch ein kriegerisches Volk mit deutlich schamanistischen Glaubensvorstellungen sein könnte. Auf Überschichtung deutet nichts hin, allenfalls auf Fusion.

Auch die Hypothese einer "Überschichtung" ist nicht auszuschließen, sofern man von der Vorstellung ausgeht, dass die germanischen Stämme ihre Sprache und Kultur gegenüber einer nichtgermanischen Vorbevölkerung durchsetzten. Dabei erhebt sich dann die kaum zu beantwortende Frage, ob es sich hier um eine indogermanische oder sogar vorindogermanische Vorbevölkerung handelt.

Dass es sich bei diesem Szenario um ein spekulatives Gedankenspiel handelt, dürfte klar sein.
 
Auch die Hypothese einer "Überschichtung" ist nicht auszuschließen, sofern man von der Vorstellung ausgeht, dass die germanischen Stämme ihre Sprache und Kultur gegenüber einer nichtgermanischen Vorbevölkerung durchsetzten. Dabei erhebt sich dann die kaum zu beantwortende Frage, ob es sich hier um eine indogermanische oder sogar vorindogermanische Vorbevölkerung handelt.
Wir reden aneinander vorbei. Du hast recht: Es könnte sein, dass ein germanisches, indogermanisches oder vorindogermanisches kriegerisches Nomadenvolk in die Wohngebiete eines bäuerlichen Volkes eingedungen ist und dieses "überschichtet". Wenn man will, kann man auch von der Vorstellung ausgehen, dass die Eindringlinge zumindest weitgehend ihre Sprache und Kultur beibehalten haben. Mir stellt sich dann zwar die Frage, WARUM man davon ausgehen sollte, denn es gibt keine archäologischen oder gar historiografischen Anhaltspunkte für dieses Szenario.

Aber darüber diskutieren wir hier gar nicht. Wir diskutieren - unter anderem - über die Frage, ob der Wanenkrieg ein ins Mythologische übertragener Ausdruck eines realen Konflikts zwischen einer bäuerlich strukturierten Gesellschaft und einer schamanistisch geprägten Stammesgesellschaft ist. Wenn dies der Fall sein SOLLTE (was ich durchaus für möglich halte), dann liefert die religiöse Idee des Wanenkriegs allerdings keinen Hinweis auf eine Überschichtung, sondern vielmehr auf Fusion. Die beiden Göttergeschlechter wachsen so eng zusammen, dass in der nordischen Mythologie praktisch kein Unterschied mehr zwischen Asen und Wanen zu erkennen ist. Es gibt keine Über- oder Unterordnungsverhältnisse.

Dass es sich bei diesem Szenario um ein spekulatives Gedankenspiel handelt, dürfte klar sein.
Ja, ist klar. Ich wette, hier ist niemand, der Odin für eine reale Persönlichkeit hält. Das Gedankenspiel sollte nur in sich plausibel sein. Und mir erscheint es nunmal nicht plausibel, dass gleichgestellte Koexistenz zweier Göttergeschlechter ein Indiz für die Überschichtung einer Gesellschaft durch eine andere sein soll.

MfG
 
Wenn dies der Fall sein SOLLTE (was ich durchaus für möglich halte), dann liefert die religiöse Idee des Wanenkriegs allerdings keinen Hinweis auf eine Überschichtung, sondern vielmehr auf Fusion.

Ich hab mir das noch einmal durch den Kopf gehen lassen und muss dir recht geben: Der Begriff "Fusion" ist in der tat angebrachter: Der "Wanenkrieg" zegt, dass - folgt man dem Gedankenspiel - die alten Götter nicht verdrängt, sondern gleichberechtigt in den Kreis der neuen Götter aufgenommen wurden. Von einer "Überschichtung" hätte man reden können, wenn die alten Götter entweder völlig verschwunden oder zu Dämonen und Gespenstern abgesunken wären. :yes:
 
Von einer "Überschichtung" hätte man reden können, wenn die alten Götter entweder völlig verschwunden oder zu Dämonen und Gespenstern abgesunken wären. :yes:
selbst dann kann man nicht zwingend auf eine Überschichtung schließen, bestes Beispiel ist die "Germanenmnission": die germanischen Stammesbände wurden nicht überschichtet, obwohl ihre Götter zu Dämonen und Unholden herabsanken (bzw. herabgesetzt wurden)
 
ich möchte noch mal diese Frage wiederholen - das interessiert mich sehr, wenn es da Parallelen geben sollte
Naja, die Goten ... eigentlich kenne ich mich nicht damit nicht so ganz aus. Mehr als das der Adler auch im Norden vorkommt, kann ich nicht vermelden.
Bei näherer Betrachtung gehen die meisten völkerwanderungs- und vendelzeitlichen mythologisch deutbaren Bildmotive auf römische Vorbilder zurück.
Vorbild der germanische Brakteate sind römische Schaumünzen mit Kaisermotiv. Der Sieghelfer auf der allemannischen Reiterscheibe von Pliezhausen oder dem Sutton-Hoo-Helm geht ebenfalls auch römische Darstellungen des reitenden Kaisers zurück. Eigentlich geht fast alle bildlichen Darstellungen auf römischer Vorbilder zurück. Bei den Goten finden sich meist noch römische Originale oder nur geringfügig abweichende Nachahmungen, während in späterere Zeit anderen Barbaren die Motive nach eigenen Vorstellungen neu bearbeiten.
Das frühe Kunsthandwerk der Germanen war fast ausnahmslos abstrakt.
Das Urbild Odins ist der Kaiser Konstantin.:rofl:
 
selbst dann kann man nicht zwingend auf eine Überschichtung schließen, bestes Beispiel ist die "Germanenmnission": die germanischen Stammesbände wurden nicht überschichtet, obwohl ihre Götter zu Dämonen und Unholden herabsanken (bzw. herabgesetzt wurden)

Man darf in solchen Fällen nicht nur die Götter betrachten, sondern muss bei ethnischen Überschichtungsvorgängen auch die Sprache, eventuelle Substrate und die gesamte kulturelle und gesellschaftliche Situation berücksichtigen. Das haben wir bei unserem "Gedankenspiel" Asen vs. Wanen natürlich nicht gemacht und lässt sich hier kaum entfalten.
 
Man darf in solchen Fällen nicht nur die Götter betrachten, sondern muss bei ethnischen Überschichtungsvorgängen auch die Sprache, eventuelle Substrate und die gesamte kulturelle und gesellschaftliche Situation berücksichtigen.
..aber alles andere als der Wechsel der Götter trifft ja bei der Germanenmission nicht zu ;) da gabs keine ethnischen und sprachlichen Überschichtungen etc -- also Veränderungen der religiösen Anschauungen können nicht zwingend als Belege für ethnische Überschichtungen verwendet werden.
 
Von einer "Überschichtung" hätte man reden können, wenn die alten Götter entweder völlig verschwunden oder zu Dämonen und Gespenstern abgesunken wären. :yes:
Das hat auch niemand behauptet.
:winke:
...u.a. Bonifatius hat dafür gesorgt, dass die alten Götter zu Dämonen herabsanken, ganz ohne Überschichtungen etc. -- siehst du nicht, dass es sehr fragwürdig ist, selbst gravierende religiöse Veränderungen, ja sogar Religionswechsel als Indizien für ethnische Überschichtungen sehen zu wollen?
 
Tiere wie Wolf, Adler, Bär oder andere Totemtiere sind universell und nicht abhängig von römischen Symbolen.
Die Zierscheiben von Eschwege-Niederrhone liefern jedoch ein klares Bild. Was gemeinhin als tanzender Berserker gedeutet wurde, folgt direkt dem Motiv dem byzantinisch-parthischen Motiv einer Göttin mit Löwen an anderer Stelle im gleichen Pferdegeschirr.
Das Motiv taucht auf ungefähr gleich alten Pressblech in Sutton Hoo (England) und Torslunda (Schweden) auf. Besonders bemerkenswert finde ich die zahlreiche Funde aus Schweden. Im siebten Jahrhundert dürfte es noch keine Missionare oder irgendeine Form der Romanisierung gegeben haben. Die germanische Religion übernahm die Bildsprache der römischen Spätantike in Mitteleuropa und exportierte diese nach Skandinavien. (Auffälige Frühformen sind meines Erachtens die Zierscheiben von Thorsberg.)
Der Ursprung jenes angeblichen Totem-Kultes ergibt sich durch den Fund aus Eschwege klar und deutlich.

Genausogut könnte ich natürlich das Runenkästchen von Auzon (auch "Frank Casket") als Quelle dafür abgeben, dass der Gott Tyr eigentlich auf den römischen Kaiser Titus zurückgeht.:grübel:
 
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