Das Freimaurertum in England und das Bild der ägyptischen Mysterien

Virginiaa

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Hallo liebe Forenmitglieder,

Ich befinde mich grade in der Planungsphase meiner Examensarbeit und bin zufällig über Religio duplex von Jan Assmann gestolpert. Mich hat das dargestellte Thema sehr interessiert und ein Arbeiten in diesem Bereich schien mir passend für meine Fächerkombination Englisch/Geschichte. Eine genaue wissenschaftliche Fragestellung kam mir zwar noch nicht in den Sinn, aber ich ging auch davon aus, erst einmal längere Zeit mit dem Sichten der Literatur beschäftigt zu sein.
Nun hat sich jedoch die Möglichkeit ergeben, ein Stipendium für das Abfassen der Arbeit in England zu beantragen. Ich müßte im Motivationsschreiben jedoch konkreter auf mein Examensthema eingehen, als ich dies derzeit vermag.
Hättet Ihr eine Idee, in welche Richtung ich mich bewegen könnte, wenn es mir darum geht, eine Verbindungslinie zwischen der englischen Geheimbundliteratur ( Reise des Cyrus z.B.) und der freimaurerrischen Religionsrezeption ausgehend von ihrem Ägyptenbild zu ziehen?

Vielen Dank an alle
Virginia
 
Nun es ist schon erstaunlich ,wie eine ehemals aufklärerische Vereinigung wie die Freimaurer ihre Ziele quasi ins Gegenteil verkehren konnte und sich dem Mystizismus widmete.Das zu untersuchen ist recht spannend und sicherlich vor dem Hintergrund heutiger Mysteriengläubigkeit auch interessant..
Die Hinwendung zu ägyptischen Mysterien hat letztlich mit Napoleons Ägyptenfeldzug zu tun .Danach waren die Pharaonen Mode in Europa und auch die " geheimen Gesellschaften " nahmen sich dieses Phänomens an. Man sah sich als Nachfolger vermeintlicher ägyptischer Priesterbünde,den "Phylen".
Folglich erfolgte die erste Gründung einer Loge nach ägyptischem Ritus auch in Frankreich :

Der "Orientalischer Freimaurerorden von Memphis" wurde von einem Samuel Honis aus Kairo 1815 mit Baron Dumas Marquis de Laroque, Gabriel-Mathieu Marconis de Negre u. a. in Mont Auban (Departement Tarn /Frankreich ) gegründet .Die Loge , deren Großmeister sich als Groß-Hierophant bezeichnete, löste sich schnell wieder auf und wurde erst 1838 wieder aufleben lassen, worauf es zur Gründung einer Großloge "Osiris" in Paris kam. Zwischenzeitlich hatte Champollion(der übrigens aus dem Nachbardepartement Lot stammte) 1824 die Hieroglyphen entziffert und auch Marconis hatte sich mit den alten griechischen und ägyptischen Mysterien beschäftigt und Bücher wie "Rameau d'Or d'Eleusis" darüber geschrieben. Nach seiner Darstellung, die allerdings freie Erfindung war, ging der Orden auf den "Alten und Primitiven Ritus von Memphis" und die sogenannten "Dionysische Mysterien" zurück, der um 1060 v. Chr. von griechischen Eingeweihten nach Kleinasien gebracht worden sein soll. Der ägyptische Weise Ormus habe die Mysterien der ägyptischen Priester mit denen des Neuen Gesetzes vereinigt und Kreuzfahrer hätten die Lehren nach England und Frankreich gebracht.
1841 und 1851 wurde der Orden verboten, in Frankreich aufgelöst , dafür aber in England etabliert und 1853 auch in Paris wieder eingesetzt.
1856 und 1860 erfolgte eine neuerliche Reorganisation. In den folgenden Jahren erfolgte eine Angliederung an den Grand Orient de France,

Eine Zeitlang fand dann der Ritus in Amerika durch Harry J. Seymour, in England durch John Yarker Verbreitung. Durch Erlaß vom 28. April 1876 wurde vonYarker der Misraim-Ritus in England dem 1872 gegründeten Souveränen Sanktuarium für Großbritannien und Irland des Memphis-Ritus angegliedert.

Man adaptierte weniger die religiösen Vorstellungen der alten Ägypter, die man,wenn überhaupt , nur aus griechischen Sekundärquellen kannte, sondern versuchte eher eine fiktive Traditionslinie aufzubauen ,mit der man die interne Gliederung und das Hochgradsystem rechtfertigen konnte.
 
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Nun es ist schon erstaunlich ,wie eine ehemals aufklärerische Vereinigung wie die Freimaurer ihre Ziele quasi ins Gegenteil verkehren konnte und sich dem Mystizismus widmete.Das zu untersuchen ist recht spannend und sicherlich vor dem Hintergrund heutiger Mysteriengläubigkeit auch interessant..

Könntest du das im ersten Satz enthaltene Verdikt gegen den von dir sogenannten "Mystizismus" näher begründen sowie besagten Begriff gegen seine Urform "Mystik" abgrenzen und darüber hinaus darlegen, in welchem Verhältnis beide Begriffe bzw. Bereiche deiner Ansicht nach sowohl zum Freimaurertum als auch zur ägyptischen Mysterienreligion stehen?
 
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Nun Mystizismus hat mit der realen christlichen Mystik des Mittelalters genauso wenig gemein wie mit den realen altorientalischen Mysterienkulten.

Als Mystizismus bezeichne ich eine Gegenströmung zum aufgeklärten Rationalismus voltairscher und kantscher Prägung, die sich im 18/19.Jahrhundert etablierte .
Kennzeichen dieser Strömung war die Schaffung von künstlichen Mysterien und Traditionslinien im Wege historischer Fiktion.,die sich einerseits an die christliche Mystik des Mittelalters und andererseits an die (vermeintliche) Mystik alter vorderorientalischer Kulte und Kulturen anlehnte und dies durch entsprechende Rituale auch manifestierte um eine Art Ersatzreligionen zu schaffen.
Das ganze verstehe ich als Gegenbewegung zur Aufklärung und als Oberbegriff für das ,was sich in diversen Zirkeln ,Logen und Geheimgesellschaften wie den Rosenkreuzern,Illuminaten,Freimaurern u.a. abspielte.
Bei den Freimaurern zeigt sich das,wie oben bereits dargestellt in den diversen Ritualen und in den (gefakten) Traditionslinien zu mittelaterlichen Bauhütten und ägyptischen Pyramidenbauern.,

Interessant ist,dass ein Teil der heutigen Verschwörungstheoretiker (und auch die NS-Mystik des 3.Reichs) sich genau auf diese mystizistischen Quellen und Strömungen beruft und auch mit dem gleichen Mittel der historischen Fiktion arbeitet.
 
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Weil ich gerade von Illuminaten und Freimauerern bei euch lese......

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Illuminaten und Freimaurern ?

Denn diese beiden Vereinigungen werden oft miteinander verglichen, weshalb es mich immer verwirrt ?
 
@Raeticus:

Der von Adam Weishaupt 1776 gegründete "Bund der Perfektibilisten", der ein paar Jahre darauf den Namen "Illuminatenorden" erhielt, war eine Art Konkurrenzunternehmen zu den viel älteren Freimaurern. Motiviert war Weishaupt durch seine Gegnerschaft zu den Jesuiten, aber auch zu einer Strömung innerhalb des Freimaurertums (die Rosenkreuzer) , die ihm zu mystisch bzw. spirituell erschien. Unter der Mitführung des Freiherrn von Knigge plagiierte der Illuminatenorden die Struktur der Freimaurer mit einem ähnlichen System von drei Graden. Aufgrund einer Krise der Freimaurerei Ende des 18. Jh. gelang es den Illuminaten, zahlreiche Freimaurer an sich zu ziehen. Recht erfolgreich waren sie auch im "Unterwandern" staatlicher Institutionen.

Inhaltlich hatten beide Organisationen sehr ähnliche Ideale, wobei die Illuminaten aber stärker als die Freimaurer die politische Umsetzung im Auge hatten.
 
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Danke @ Chan, für die ausführliche Erklärung, daher kommt dies das beide Gruppen so ähnlich erscheinen, jetzt wird mir einiges klar.....
 
)
Recht erfolgreich waren sie auch im "Unterwandern" staatlicher Institutionen.
Nun, das war zumindest die Theorie der "Reaktion" nach den ersten Erfolgen der französischen Revolutionäre.
Als Anlass nahm man die Vorgänge in Mainz. Der Mainzer Churfürst war ja Erzkanzler des Heiligen Römischen Reiches und somit zumindest de jure die administrative Spitze der Reichsregierung.
Am kurmainzischen Hof waren unter den Kurfürsten Johann Friedrich Karl von Ostein und Emmerich Joseph von Breidenbach-Bürresheim und deren Großhofmeister Anton Heinrich Friedrich Graf von Stadion , sowie auch unter ihrem Nachfolger Freidrich Karl von Erthal im Sinne der Aufklärung zahlreiche Reformen veranlasst worden.
Unter anderem wurde die Universität reformiert ,Klöster aufgelöst und enteignet und die Jesuiten des Landes verwiesen.
In diesem relativ liberalen Klima gründeten sich mehrere aufklärerische Geheime Gesellschaften ,so die Geheime Lesegesellschaft , die Freimaurerloge "Zu den drei Disteln" , verschiedene freimaurerisch beeinflusste Studentenorden und letzlich auch die Illuminaten. Mainz war mit ca. 50 Mitgliedern zu denen unter anderem der Koadjutor und spätere Erzbischof Karl Theodor von Dalberg gehörte neben München und Wien die Hochburg im Reich.
Nach Verbot des Illuminaten-Ordens ,der in Mainz die Speerspitze der Aufklärung bildete, organisierten sich viele der führenden Illuminaten im zunächst geheimen Jakobinerclub ,der auch wie ein Illuminatenorden organisiert war.
Nach der Eroberung von Mainz durch die Franzosen 1792 übernahmen Angehörige dieses Jacobinerclubs die Macht und riefen die "Mainzer Republik" aus.

Diese Ereignisse führten dazu,dass von Seiten der reaktionären Kräfte und der Jesuiten die Verschwörungstheorie von der Weltherrschaft der Illuminaten und Freimaurer in die welt gesetzt wurde.
(Wen das Thema näher interessiert,der lese das hochinteressante Buch von Jörg Schweighard "Die Liebe zur Freiheit ruft uns an den Rhein" -Gernsbach 2005)
 
@zaphodB:

(ich gehe hier nur auf deinen älteren Artikel ein)

Nun Mystizismus hat mit der realen christlichen Mystik des Mittelalters genauso wenig gemein wie mit den realen altorientalischen Mysterienkulten.

Als Mystizismus bezeichne ich eine Gegenströmung zum aufgeklärten Rationalismus voltairscher und kantscher Prägung, die sich im 18/19.Jahrhundert etablierte .
Kennzeichen dieser Strömung war die Schaffung von künstlichen Mysterien und Traditionslinien im Wege historischer Fiktion.,die sich einerseits an die christliche Mystik des Mittelalters und andererseits an die (vermeintliche) Mystik alter vorderorientalischer Kulte und Kulturen anlehnte und dies durch entsprechende Rituale auch manifestierte um eine Art Ersatzreligionen zu schaffen.

+ "Mystik" erscheint bei dir in zwei speziellen Kontexten: einerseits als "reale christliche Mystik", andererseits als "(vermeintliche) Mystik alter vorderorientalischer Kulte". Damit weiß ich weder, was du unter "Mystik" verstehst (die ein globales Phänomen quer durch die Jahrtausende bis zum heutigen Tag ist), noch, wieso die christliche Mystik eine "reale" ist, noch, wieso die Mystik der orientalischen Kulte nur eine "vermeintliche" ist.

+ "Mystizismus" erscheint bei dir als "Schaffung von künstlichen Mysterien und Traditionslinien im Wege historischer Fiktion". Ich frage mich, ob der Begriff "Mystizismus" hier sinnvoll ist und nicht besser durch "Mythizismus" ersetzt werden sollte. "Mythizismus" könnte bedeuten, dass sich etwas zwecks der eigenen Aufwertung mit Legenden und exotischen Ritualen schmückt. Dass, wie du behauptest, bei den Freimaurern des 18./19. Jh. eine Tendenz zum "Mystizismus" vorliegt, müsstest du belegen, indem du (deinen eigenen Verständnis des Mystizismus-Begriffs entsprechend) nachweist, dass ihr Konzept mit echter Mystik nichts zu tun hat. Unklar bleibt auch deine Behauptung, die von jenen Freimaurern kopierten historischen Originale (die "vorderorientalischen Kulte") seien nur "vermeintlich" mystisch, womit du vermutlich meinst, dass diese Kulte von den Freimaurern als "mystisch" missverstanden wurden. Da sehe ich ein logisches Problem: Wenn die Freimaurer das Mystische in die alten Kulte hineinprojizierten, dann müssen sie doch einen Begriff und ein Verständnis vom echten Mystischen gehabt haben. Warum also verfehlen sie - deiner Ansicht nach - das Mystische in ihrem eigenen Konzept? Ich meine: Wer das Mystische erkannt hat und versteht, der kann es gar nicht verfehlen, jedenfalls nicht in einem Maße, dass es vollständig zum "Mystizistischen" (was immer das auch sein mag) degeneriert.

Eine perfekte Definition von "Mystik" ist leider nicht möglich, da jeder Definitionsversuch neue Fragen aufwirft. Es gibt z.B. die Definition, Mystik sei "das Verschmelzen des Ich mit dem Wesen Gottes". Das versteht nur, wer das Mystische wirklich kennt. Problematisch hierbei sind nämlich die Begriffe "Wesen" und (vor allem) "Gott". Wer das Mystische nicht kennt, projiziert eine Menge in diese Definition hinein, was gar nicht hineingehört. Die Mystik kennt den personalen Gottesbegriff nicht, da das mystische "Göttliche" nichts ist, was einem Ich als Person mit eigenem Willen gegenübersteht, wie es für die Götter des Polytheismus und des Monotheismus so typisch ist. Mystisch gesehen gibt es keine Grenze zwischen Subjekt und einem anderen Subjekt bzw. Objekt, womit jede Basis für einen personalen Gott wegfällt.

Eine einfache Definiton bietet der Pan(-en)-theismus. Der Pan-theismus sagt: "Gott" ist in Allem. Der Pan-en-theismus sagt: "Gott" transzendiert die Welt und ist ihr zugleich vollständig immanent (er ist in Allem). Nimmt man "Gott" hier als das "Göttliche", also als eine apersonale schöpferische und vitalisierende Kraft, die in allem Seienden enthalten ist, dann hat man in etwa den mystischen Standpunkt.

Gibt es diese Auffassung, in welcher Begrifflichkeit auch immer, in den ägyptischen Mysterienkulten? Es sieht so aus. Ab Mitte des 2. Jt. entwickelte sich in Ägypten die Auffassung vom "Unsichtbaren Gott", der die Welt und die Götter sowohl transzendiert als ihnen als einzig wirkende Macht auch immanent ist. Das entspricht nicht unbedingt dem pan-en-theistischen, aber doch dem pan-theistischen Standpunkt (das Göttliche ist in Allem). In der ägyptischen Tempelinschrift "Der große geheime Hymnus auf Amun-Re, gesprochen von den acht Urgöttern", entstanden in der Perserzeit, heißt es:

Sei gegrüßt, du Einer, der sich zu Millionen machte,
der sich in Raum und Zeit ausdehnt ohne Grenzen,
gerüstete Macht, die von selbst entstand,
Uräusschlange mit gewaltiger Flamme,
der Zauberreiche mit geheimer Gestalt,
der geheime Ba, dem Ehrfurcht erwiesen wird.

In einem anderen Hymnus im gleichen Tempel heißt es:

Kein Gott kennt seine wahre Gestalt,
sein Bild wird nicht entfaltet in den Schriftrollen,
man lehrt nicht über ihn.
Er ist zu geheimnisvoll, um seine Hoheit zu enthüllen,
zu stark, um ihn zu erkennen.

Die oberen Verse deuten auf eine Gottheit im apersonalen und pantheistischen Sinn der Mystik, die unteren auf einen esoterischen Gottesbegriff (im Unterschied zur exoterischen polytheistischen Volks- und Staatsreligion). Jan Assmann spricht von der "religio duplex" und meint damit das Splitting des religiösen Denkens in eine volksnahe mythologisierende "exoterische" Religion und in mystisch orientierte "esoterische" Kulte für die Eingeweihten. Erstere fand in Ägypten an der Oberfläche statt (also oberhalb des Erdbodens), letztere in unterirdischen Anlagen, vor allem in den Pyramiden. Im doppelten Sinne sind die jeweiligen Praktiken und Denkformen also "oberflächlich" und "tiefgründig".

Eine überlieferte Inschrift in Sais gibt eine Aretalogie (Selbstaussage) der Göttin Isis wieder:

Ich bin alles, was war, was ist und was sein wird.

Das ist Pantheismus pur und, wenn man Isis als Symbol und nicht als reale Göttin nimmt, auch mystisch. Die freimaurerischen und pantheistischen Kreise des späten 18. Jhs., z.B. Schiller und Goethe (Freimaurer und angeblich auch Illuminat), waren von dieser Inschrift begeistert, bei Beethoven stand sie sogar in allerdings vereinfachter Form eingerahmt auf dem Schreibtisch.

Folgende Beschreibung der Initiation eines ägyptischen Adepten wird Plutarch zugeschrieben:

Hier ist die Seele ohne Erkenntnis außer wenn sie dem Tode nah ist. Dann aber macht sie eine Erfahrung, wie sie jene durchmachen, die sich der Einweihung in die Großen Mysterien unterziehen. Daher sind auch das Wort „sterben" ebenso wie der Vorgang, den es ausdrückt, und das Wort „eingeweiht werden" ebenso wie damit bezeichnete Handlung einander gleich. Die erste Stufe ist nur mühevolles Umherirren, Verwirrung, angstvolles Laufen durch die Finsternis ohne Ziel. Dann, vor dem Ende, ist man von jeder Art von Schrecken erfaßt, und alles ist Schaudern, Zittern, Schweiß und Angst. Zuletzt aber grüßt ein wunderbares göttliches Licht und man wird in reine Gefilde und blühende Wiesen aufgenommen, wo Stimmen erklingen und man Tänze erblickt, wo man feierlich-heilige Gesänge hört und göttliche Erscheinungen erblickt. Unter solchen Klängen und Erscheinungen wird man dann, endlich vollkommen und vollständig eingeweiht, frei und wandelt ohne Fesseln mit Blumen bekränzt, um die heiligen Riten zu feiern im Kreise der heiliger und reiner Menschen.

Der äußerliche Kontext dieser Erfahrung konnte z.B. so aussehen, dass der Adept - nach jahrelangen Vorbereitungen - von Priestern in eine unterirdische Krypta geführt wurde, wo er sich in einen Sarg legen musste, um darin für einige Stunden in völliger Finsternis zu verbleiben. Dabei verfiel der Adept in einen visionären Zustand, von dessen Erfahrung (siehe oben) er nachher den Priestern zu berichten hatte. Das erinnert an die "Samadhi-Tanks" von John Lilly in den 70ern, in welchen die Probanden, abgeschottet von allen sinnlichen Wahrnehmungen incl. Schwerkraft und Körpergefühl, zu halluzinieren begannen (ich kenne eine Journalistin, die das für den "Cosmopolitan" mit Erfolg getestet hat).

Es ist aber unwahrscheinlich, dass sich die Priester allein auf die stundenlange Dunkelheit verließen, um den gewünschten Effekt zu erreichen, daher werden sie, ähnlich wie das in den späteren, durch die Ägypter inspirierten Mysterien von Eleusis geschah, den Probanden erkenntnisfördernde Drogen verabreicht haben, deren Wirkung in der außerordentlichen Situation des Eingesperrtseins in einen finsteren Sarg gewiss gewaltig war. Plutarchs Schilderung ist allerdings nicht dahingehend zu verstehen, als seien die geschauten "Tänze" und gehörten "Gesänge" usw. wesentlich für das mystische Erlebnis. Entscheidend ist vielmehr der Übergang vom Sterben zum neuen und höheren Leben im "wunderbaren göttlichen Licht".

Soviel für den Moment zur Frage, ob und inwieweit die alten Mysterien nur "vermeintlich" mystisch waren. Ich denke, sie waren es wirklich und nicht nur vermeintlich. Dass das mystische Denken sich auch in jenen geistig hochentwickelten Kreisen - zeitbedingt - mit magischem Denken vermischte (wie später auch in der Freimaurerei), ist natürlich unstrittig. Dennoch lassen sich diese Sphären bei genauem Hinsehen problemlos trennen.

Ob die Freimaurer mit dem mystischen Idealen (inwieweit sie das Mystische praktisch realisierten, sei dahingestellt) dem Ideal der Aufklärung widersprachen, ist eine Frage der Definition der Aufklärung. Nimmt man sie als Protest- und Gegenbewegung gegen die Dogmatik und Mythologie des Christentums, dann sehe ich keinen Grund, den mystischen Aspekt als anti-aufklärerisch zu bezeichnen, da Mystik mit dem dogmatischen Christentum und seiner personalen Gottesvorstellung unvereinbar ist. Das späte 18. und frühe 19. Jh. stand im Zeichen einer Sehnsucht nach dem Mystischen, das zeigt auch die Einstellung von christentumkritischen, aber pantheistisch orientierten Geistern wie Goethe, Schiller, Beethoven, Schelling usw. mehr als deutlich. Mit flachen materialistischen Konzepten à la Holbach und Comte war es für sie nicht getan.

Das, was du "reale christliche Mystik" nennst, halte ich für ein Zwitterwesen ohne Lebenskraft. Das genuin Christliche ist un-mystisch, seine Gottesidee ist der mystischen Idee um 180 Grad entgegengesetzt. Im NT gibt es keine Mystik, nicht mal für einen Cent. Dass einige Mystiker des 2. Jt. uZ als "christliche Mystiker" bezeichnet werden, hat seinen Grund allein darin, dass sie nicht anders konnten als ihre Einsichten christlich zu formulieren. Andernfalls hätte ihn der Scheiterhaufen o.ä. gedroht. Meister Eckhard z.B. verstarb auf ungeklärte Weise kurz vor dem Ketzerprozess, den die Kirche gegen ihn angestrengt hatte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Im NT gibt es keine Mystik, nicht mal für einen Cent.

Nicht? Feiern die Kirchen nicht z.B. Mariä Verkündigung? Sind die Botschaften, die diverse Personen gerade rund um die Geburtsgeschichte Jesu bekommen nicht mystisch? (Maria, Josef, die Weisen aus dem Morgenland) Oder stehen die nicht im NT?

Dass einige Mystiker des 2. Jt. uZ als "christliche Mystiker" bezeichnet werden, hat seinen Grund allein darin, dass sie nicht anders konnten als ihre Einsichten christlich zu formulieren.
Ist dem so? Bei Teresa von Ávila? (Gerade bei den Karmeliterinnen scheint das häufiger Mysterikinnen gegeben zu haben) Mechthild von Magdeburg und Gertrud von Helfta? Auch bei dem von dir erwähnten Meister Eckhard sehe ich jetzt keinen Grund seine Mystik nicht als christliche Mystik einzustufen. Auch bei den Dominikanern als Inquisitionsorden gab es einige Mystiker und Ignacio de Loyola, Gründer des Jesuitenordens war ebenfalls einer. Ich fände es arg befremdlich den Gründer der Societatis Jesu außerhalb des Christentums zu stellen...

Andernfalls hätte ihn der Scheiterhaufen o.ä. gedroht. Meister Eckhard z.B. verstarb auf ungeklärte Weise kurz vor dem Ketzerprozess, den die Kirche gegen ihn angestrengt hatte.

Es ist klar, was du insinuierst, aber der Mann war auch 68 Jahre alt, ein Alter in dem es selbst noch heute, wo die durchschnittliche Lebenserwartung etwa zehn Jahre darüber liegt und die tatsächliche Lebenserwartung sogar in den Spitzen bis zu 40 Jahre darüber, nicht unüblich zu sterben.
 
@ Chan:

Hallo, Du zitierst von zaphodB. folgende Zeilen:

Nun Mystizismus hat mit der realen christlichen Mystik des Mittelalters genauso wenig gemein wie mit den realen altorientalischen Mysterienkulten.

Als Mystizismus bezeichne ich eine Gegenströmung zum aufgeklärten Rationalismus voltairscher und kantscher Prägung, die sich im 18/19.Jahrhundert etablierte .
Kennzeichen dieser Strömung war die Schaffung von künstlichen Mysterien und Traditionslinien im Wege historischer Fiktion.,die sich einerseits an die christliche Mystik des Mittelalters und andererseits an die (vermeintliche) Mystik alter vorderorientalischer Kulte und Kulturen anlehnte und dies durch entsprechende Rituale auch manifestierte um eine Art Ersatzreligionen zu schaffen.

Ich finde, zaphodB. hat sich hier nicht nur sehr klar, sondern auch richtig ausgedrückt.
Im ersten Satz spricht er von "realer christlicher Mystik" und von "realen altorientalischen Mysterienkulten" - das Adjektiv "real" ist nicht als Wertung, sondern als Hinweis auf die historische Existenz solcher christlicher Mystik im Mittelalter und solcher Mysterienkulte im antiken Orient aufzufassen.
Wenn man nun ganz richtig sagt, dass sich zahlreiche freimaurerische Systeme, vor allem viele Hochgradsysteme entweder gerne in der Tradition jener historischen Mystik des Mittelalters oder, andere, gerne in der Tradition der orientalischen und ägyptischen Mysterienkulte der Antike stehen sahen, so muss man folgerichtig sagen, dass sie sich lediglich auf "vermeintliche" Lehren der alten Mysterienbünde stützten, denn in der Neuzeit wusste doch niemand mehr, welchen Inhalts das antike Geheimwissen denn wirklich einstmals gewesen war. Der in der Antike in die Mysterien "Eingeweihte" hatte vor den "Nicht-Eingeweihten" über die geheimen Erkenntnisse zu schweigen; und deshalb gibt es heute auch, soweit ich weiß, kaum Quellen über die tatsächlichen Praktiken und Lehren der antiken Mysterienbünde.
Die freimaurerischen Hochgradsysteme waren geheimnisumwittert, aber werden kaum tatsächliches Geheimwissen der Antike besessen haben - genau so wie sich andere Hochgradsysteme auf das Geheimwissen der Templer beriefen, ohne es natürlich zu besitzen (falls es das überhaupt gegeben hatte). Deshalb zaphodB.'s passende Vokabel "vermeintlich".

Und da macht es dann Sinn in Abgrenzung von den historischen Mysterienkulten von einem historisierenden "Mystizismus" zu sprechen. Warum man von "Mythizismus" sprechen sollte, begreife ich nicht, denn es geht hierbei doch nicht um Mythen (wie die in der Antike nicht-geheimen Götter- und Heldenmythen). Du machst die Angelegenheit in Deinem Beitrag m. E. zu kompliziert.


PS:
Im NT gibt es keine Mystik, nicht mal für einen Cent.
Ja weißt Du denn nicht, dass sich sowieso nichts an der Frohen Botschaft mit Geld aufwiegen lässt?:)
 
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Sorry für die Verzögerung, hatte viel um die Ohren.

@El Quichote:

Chan:
Im NT gibt es keine Mystik, nicht mal für einen Cent.
Nicht? Feiern die Kirchen nicht z.B. Mariä Verkündigung? Sind die Botschaften, die diverse Personen gerade rund um die Geburtsgeschichte Jesu bekommen nicht mystisch? (Maria, Josef, die Weisen aus dem Morgenland) Oder stehen die nicht im NT?
Genau diese Beispiele zeigen, warum meiner Ansicht nach das NT keine Mystik kennt. Es handelt sich um mythische Phantasien, die der Verklärung einer personalen Gottheit und deres "Sohnes" dienen. Meine Definition von Mystik habe ich oben gegeben - sie impliziert immer einen vollständigen Pantheismus bzw. Panentheismus. Mit beidem haben die genannten mythischen Allegorien sowie die christliche Theologie - gleich ob die frühchristliche oder alle späteren - nichts zu tun.

Chan :
Dass einige Mystiker des 2. Jt. uZ als "christliche Mystiker" bezeichnet werden, hat seinen Grund allein darin, dass sie nicht anders konnten als ihre Einsichten christlich zu formulieren.
Ist dem so? Bei Teresa von Ávila? (...) Auch bei dem von dir erwähnten Meister Eckhard sehe ich jetzt keinen Grund seine Mystik nicht als christliche Mystik einzustufen.
Ich streite nicht ab, dass einige Christen zu mystischen Einsichten fähig waren (siehe meine Formulierung "dass einige Mystiker des 2. Jt. uZ"). Ich bezweifle z.B. nicht, dass Teresa - mit der ich mich wiederholt befasst habe - in manchen ihrer visionären Zustände Mystik realisierte. Mystik aber widerspricht - ich wiederhole es - unter ihrem monistischen und pan(en)theistischen Aspekt den Grundaussagen des NT, darüber hinaus auch den dualistischen Grundüberzeugungen der späteren christlichen Theologie. Insofern sind genau jene Elemente in den Texten der "christlichen Mystiker" un-christlich, die auf das genuin Mystische hindeuten.

Soll heißen: "Christliche Mystik" ist ein Widerspruch in sich. Entweder Christentum - oder Mystik. Eine Synthese ist nicht möglich. Deshalb schrieb ich von einem "Zwitterwesen ohne Lebenskraft".

Da das Thema nicht direkt in diesen Thread passt, belasse ich es dabei. Vielleicht lässt sich diese Fragestellung in einem gesonderten Thread im Christentum-Forum neu aufrollen, mal gucken.

Chan:
Andernfalls hätte ihn der Scheiterhaufen o.ä. gedroht. Meister Eckhard z.B. verstarb auf ungeklärte Weise kurz vor dem Ketzerprozess, den die Kirche gegen ihn angestrengt hatte.
Es ist klar, was du insinuierst, aber der Mann war auch 68 Jahre alt, ein Alter in dem es selbst noch heute, wo die durchschnittliche Lebenserwartung etwa zehn Jahre darüber liegt und die tatsächliche Lebenserwartung sogar in den Spitzen bis zu 40 Jahre darüber, nicht unüblich zu sterben.
Er verstarb - da lag ich falsch - nicht kurz vor Prozessbeginn, sondern -ende. Das ist noch merkwürdiger. Da er laut zweifelhafter klerikaler Behauptung vor seinem Tod seine Thesen widerrufen hat, kann davon ausgegangen werden (hypothetisch), dass er auch physisch unter Druck gesetzt worden war und an den Folgen starb.

@buschhons:

Wenn man nun ganz richtig sagt, dass sich zahlreiche freimaurerische Systeme, vor allem viele Hochgradsysteme entweder gerne in der Tradition jener historischen Mystik des Mittelalters oder, andere, gerne in der Tradition der orientalischen und ägyptischen Mysterienkulte der Antike stehen sahen, so muss man folgerichtig sagen, dass sie sich lediglich auf "vermeintliche" Lehren der alten Mysterienbünde stützten, denn in der Neuzeit wusste doch niemand mehr, welchen Inhalts das antike Geheimwissen denn wirklich einstmals gewesen war.
Ich meine, dass man im 18. Jahrhundert eine hinreichend klare Vorstellung von den Inhalten der antiken Mysterien hatte. Es lagen antike Texte vor, die Aufschluss über das geben, was der Adept zu leisten hatte und zu erfahren vermochte. Den Plutarch zugeschriebenen Text habe ich schon zitiert. Einen großen Einfluss auf die Mysterienbegeisterten des 18. Jh. - auch was praktische Aspekte wie die Feuer- und Wasserprobe bei freimaurerischen Ritualen betrifft - hatte der Roman "Der goldene Esel" von Apuleios, der über die Isis-Mysterien äußerst detailliert und gewiss auch authentisch berichtet.

Weiterhin kursierte eine Reihe von gelehrten Abhandlungen in der gebildeten Schicht, allen voran die 1776 erschienene "Über die Mysterien der Alten, besonders die Eleusinischen Geheimnisse" von Christoph Meiners, was den Mysterienboom auslöste, sowie eine Riesenstudie von Ignaz von Born über die "Mysterien der Ägypter" und, noch vor Meiners Werk erschienen, die lange Abhandlung über die antiken Mysterien "The Divine Legation of Moses" von William Warburton.

Im NT gibt es keine Mystik, nicht mal für einen Cent.
Ja weißt Du denn nicht, dass sich sowieso nichts an der Frohen Botschaft mit Geld aufwiegen lässt?:)
Sag das nur nicht dem Papst - der müsste sonst die 8 Milliarden rausrücken, die der Vatikan in Form von moralisch nicht immer astreinen Anlagen und Konten besitzt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich meine, dass man im 18. Jahrhundert eine hinreichend klare Vorstellung von den Inhalten der antiken Mysterien hatte. Es lagen antike Texte vor, die Aufschluss über das geben, was der Adept zu leisten hatte und zu erfahren vermochte. Den Plutarch zugeschriebenen Text habe ich schon zitiert. Einen großen Einfluss auf die Mysterienbegeisterten des 18. Jh. - auch was praktische Aspekte wie die Feuer- und Wasserprobe bei freimaurerischen Ritualen betrifft - hatte der Roman "Der goldene Esel" von Apuleios, der über die Isis-Mysterien äußerst detailliert und gewiss auch authentisch berichtet.

Weiterhin kursierte eine Reihe von gelehrten Abhandlungen in der gebildeten Schicht, allen voran die 1776 erschienene "Über die Mysterien der Alten, besonders die Eleusinischen Geheimnisse" von Christoph Meiners, was den Mysterienboom auslöste, sowie eine Riesenstudie von Ignaz von Born über die "Mysterien der Ägypter" und, noch vor Meiners Werk erschienen, die lange Abhandlung über die antiken Mysterien "The Divine Legation of Moses" von William Warburton.

OK, hast Dich astrein geschlagen. Das war mir nicht bewusst. Danke für die Infos.
 
Ich meine, dass man im 18. Jahrhundert eine hinreichend klare Vorstellung von den Inhalten der antiken Mysterien hatte.

Das wage ich ,mit Verlaub gesagt,zu bezweifeln.
Vor dem 27. September 1822 war es nicht möglich ,Hieroglyphen zu lesen., folglich waren die Primärquellen,nämlich die ägyptischen Papiri nicht zugänglich.
Man war vielmehr auf mehr oder weniger glaubwürdige Sekundärquellen angewiesen, von denen die beste ein Roman war, nämlich der von Dir angesprochenen "goldene Esel", der auch nur einige Aspekte der hellenistisch-römischen Interpretation des Isis-Kultes wiedergab. Hieraus eine eine klare Vorstellung von den Inhalten der ägyptischen Kulte abzuleiten ist ungefähr so wie wenn man versuchen würde aus einem Dan-Brown-Roman auf den philospophisch-theologischen Hintergrund der Hochscholastik zu schließen.
Man hatte wie selbst die von Dir zitierten seriöseren Abhandlungen von Ignatz von Born und Bischof Warburton beweisen, nur sehr vage, partielle Vorstellungen von der ägyptischen Mythologie , die durch Interpretation der bekannten antiken Sekundärquellen entstanden.
Zum Professor der Weltweisheit Meiners muß man glaube ich nichts weiter sagen.
Der Mann schrieb zu allem was,von dem er nichts verstand,so auch zu den Mysterien der Ägypter. :D
Meiners ist allerdings ein gutes Beispiel für einen Vertreter der "esoterischen Philosophie", die den philosophischen Überbau zum Mystizismus im 18/19.Jahrhundert bildete und in der Freimaurerei und ähnlichen Bewegungen immer mehr Anklang fand, was letztlich eine Abkehr von den ursprünglich aufklärerischen Prinzipien zur Folge hatte.
 
Nochmals sorry für die Verzögerung.

Vor dem 27. September 1822 war es nicht möglich ,Hieroglyphen zu lesen., folglich waren die Primärquellen,nämlich die ägyptischen Papiri nicht zugänglich.

Es lagen aber griechische Übersetzungen religiöser ägyptischer Texte sowie griechische Texte über diverse Mysterienkulte wie die Eleusinischen Mysterien sowie den Attis- und den Mithraskult vor. So wie du es suggerierst, dass die Jungs im 18. Jahrhundert im Kaffeesatz lesen mussten, um etwas über antike Kulte zu erfahren, ist es sicher nicht :)

Man war vielmehr auf mehr oder weniger glaubwürdige Sekundärquellen angewiesen, von denen die beste ein Roman war, nämlich der von Dir angesprochenen "goldene Esel", der auch nur einige Aspekte der hellenistisch-römischen Interpretation des Isis-Kultes wiedergab.

Apuleios war ein Gelehrter und Philosoph, der persönlich in den Isiskult und andere Mysterien eingeweiht war. Es gibt keinen Grund, seine Darstellungen in Zweifel zu ziehen. Im übrigen hält er sich an der entscheidenden Stelle, also der kultisch angestrebten Erleuchtung, unter Hinweis auf das Schweigegebot durchaus zurück. Wer aber weiß, um was es in der Mystik geht, kann auch aus diesen Andeutungen das Gemeinte herauslesen. Und wer es nicht weiß, würde es sowieso nicht verstehen...

O-Ton Apuleios:

Vielleicht fragst du hier neugierig, geneigter Leser, was nun gesprochen und vorgenommen worden ist! – Wie gern wollte ich’s sagen, wenn ich es sagen dürfte! Wie heilig solltest du es erfahren, wenn dir zu hören erlaubt wäre! Doch Zunge und Ohr würden gleich hart für den Frevel zu büßen haben! […] Ich ging bis zur Grenzscheide zwischen Leben und Tod. Ich betrat Proserpinas Schwelle, und nachdem ich durch alle Elemente gefahren war, kehrte ich wiederum zurück. Zur Zeit der tiefsten Mitternacht sah ich die Sonne in ihrem hellsten Licht leuchten; ich schaute Unter- und Obergötter von Angesicht zu Angesicht und betete sie in der Nähe an...

Hieraus eine eine klare Vorstellung von den Inhalten der ägyptischen Kulte abzuleiten ist ungefähr so wie wenn man versuchen würde aus einem Dan-Brown-Roman auf den philospophisch-theologischen Hintergrund der Hochscholastik zu schließen.

Ich schrieb bewusst "hinreichend klar" statt nur "klar". Damit ist gemeint, dass zumindest das Wesentliche der geistigen Prinzipien jener Kulte dem 18. Jahrhundert verständlich war. Man muss auch sagen, dass das philologische Verständnis der alten Papyri allein noch keine Garantie für das Verständnis des religiös Gemeinten ist. Die Interpretationen der Fachleute sind keineswegs mit Konsens gesegnet. Aber das müsste man im Detail erörtern.

Man hatte wie selbst die von Dir zitierten seriöseren Abhandlungen von Ignatz von Born und Bischof Warburton beweisen, nur sehr vage, partielle Vorstellungen von der ägyptischen Mythologie , die durch Interpretation der bekannten antiken Sekundärquellen entstanden.

Hast du Einblick in diese Texte oder sagst du das nur Daumen mal Pi? Ich selbst bezog mich nur auf Erwähnungen dieser Herren bei Assmann. Assmann selbst lässt nicht erkennen, dass er die fachliche Kompetenz des 18. Jahrhunderts in Sachen Mysterienkunde auch nur entfernt so kritisch sieht wie du.
 
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@zaphodB:

Was Ignaz von Born betrifft, so hat er sich beim Abfassen der 116 Seiten über die "Mysterien der Ägypter" nach Angaben der Sekundärliteratur hauptsächlich auf die antiken Autoren Diodor, Herodot, Plutarch und natürlich Apuleius gestützt. Seine Arbeit war übrigens der Auslöser und bot das mysterienkundliche Material für das "Zauberflöte"-Projekt von Mozart/Schikaneder (beide Freimaurer).

Von Plutarch lag Born z.B. dessen Abhandlung über den Isis-Osiris-Kult vor. Ich verlinke diese hier in englischer Sprache (das erste Fünftel des Gesamttextes):

Plutarch ? Isis and Osiris (Part*1 of 5)

Du hast natürlich darin Recht, dass man im 18. Jh. im großen und ganzen auf sekundäre Quellen angewiesen war. Nur, meine ich, waren diese Quellen recht informativ, vor allem, wenn man sie zu einem Gesamtbild zusammensetzte. Die Kenntnis der Hieroglyphenschrift und die Vielzahl bekannt gewordener Zauberpapyri seit dem 19. Jh. wiederum hat in Fachkreisen noch nicht einmal zu einem Konsens über die Frage führen können, ob das altägyptische Konzept der Göttlichkeit des Pharao eine rein "königsideologische" Angelegenheit war (wie bei den Sumerern, den Babyloniern und den Israeliten) oder aber das Resultat einer Mysterien-Initiation. Assmann ist Protagonist der Mysterienvariante, der skeptische Hornung dagegen insistiert auf dem ideologischen Hintergrund. In einem Krönungstext von Thutmosis III. heißt es jedenfalls:

Er tat mir die Tore des Himmels auf,
er öffnete mir die Türen seines Horizontes.
Ich flog empor zum Himmel als göttlicher Falke,
damit ich sein himmlisches Geheimbild sähe,
damit ich seine Majestät anbete...

Das klingt doch sehr nach einer initiatorischen Vision, könnte man meinen. Ich halte es daher mit Assmann.​

Das ist nur ein Beispiel für die hermeneutischen Unklarheiten, die trotz der Fortschritte seit dem 18. Jh. immer noch für Dissens unter den Experten sorgen.​
 
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