Zustand der (Land-)Wirtschaft im späten 4. Jahrhundert

Ich interpretiere den Text anders. In den Schlussabsätzen liest sich das eher so, dass es die von Dir genannten negative Effekte in den untersuchten kleinen Dörfern gegeben hat, nicht aber im sonstigen Ägypten.

Die von mir genannten negativen Effekte bezogen sich nur auf Produktivität und Output der Landwirtschaft, aufgrund unserer vorherigen Diskussion:winke:

Auf die Steuer wollte ich nicht eingehen.

Bagnall hat die Forschungen übrigens weiter getrieben. Aufgrund der sE ausreichenden Datenlage meinte er 2005, dass isoliert für Ägypten ggf. sogar mittelfristig ein makroökonomisches Modell für das 4. Jhdt. entwickelt werden könne.
 
Auf die Steuer wollte ich nicht eingehen.

Das ist dir auch nicht vorzuwerfen; vielen Dank nochmals für das Dokument.

Du stimmst doch aber sicher zu, daß eine isolierte Betrachtung der römischen Wirtschaft eher akademischen Wert hat, wenn wir uns nicht für den Hauptzweck einer Wirtschaft interessieren: Wohlstand, Bevölkerungswachstum und steuerbare Überschüsse für den Staatshaushalt? Ich finde das Steuersystem auch interessant, vor Allem, weil Besteuerung eine Volkswirtschaft ruinieren kann. Manche Historiker glauben, das genau das passiert ist.
 
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Die von mir genannten negativen Effekte bezogen sich nur auf Produktivität und Output der Landwirtschaft, aufgrund unserer vorherigen Diskussion:winke:

Auf die Steuer wollte ich nicht eingehen.

Bagnall hat die Forschungen übrigens weiter getrieben. Aufgrund der sE ausreichenden Datenlage meinte er 2005, dass isoliert für Ägypten ggf. sogar mittelfristig ein makroökonomisches Modell für das 4. Jhdt. entwickelt werden könne.

Aber auch bezogen auf Produktivität / Output finde ich in dem Dokument nur eine Aussage bezogen auf die untesuchten Dörfer. Oder überlese ich da etwas?:confused:
 
Nochmal zum generellen Thema. Ich habe auch nochmal in dem Buch The Fall of Rome and the End of Civilization vom Archäologen und Historiker Bryan Ward-Perkins nachgeschaut, welches ich vor einigen Jahren gelesen hatte.

Auch er vertritt nach archäologischen Ergebnissen die These, dass im Osten und zumindest in Teilen des Westens (Nordafrika und Spanien) die Landwirtschaft auch im 4. Jh. keinen Niedergang erleiden musste.

Aber wie gsagt, in kann nicht beurteilen, ob das alles Einzelmeinungen sind oder ob sich diese Ansicht in der Wissenschaft / Archäologie ingesamt durchgesetzt hat.
 
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So, und wo ich schon dabei bin hier ein Auszug aus dem Beitrag von Alexandra Chavarria & Tamara Lewit Archaeological Research on the Late Antique Countryside: A Bibliographic Essay zum Buch Recent Research on the Late Antique Countryside (herausgegeben von William Bowden, Luke Lavan und Carlos Machado (2004).

http://www.academia.edu/255278/Recent_Research_on_Late_Antique_Countryside_a_bibliographical_essay_in_W._Bowden_L._Lavan_a_cura_di_Recent_Research_on_Late_Antique_Countryside_Late_Antique_Archaeology_2_Leiden_2004_pp._3-51._ISBN_9789004136076

“In the East of the Roman Empire, the major development of late Antiquity was an explosion of rural settlement, with many regions witnessing a peak in density of occupation, levels of production and rural prosperity. In the West, recent archaeological surveys and excavations of rural settlements, cemeteries, churches, and monasteries, have shown that the countryside experienced considerable change during Late Antiquity, the interpretation of which is still much debated.”

Auch das hört sich zumindest für den Osten ziemlich eindeutig positiv an.
 
Manche Historiker führen als einen Hauptrund für das Überleben des Ostreichs auch seine besondere strategische Lage an. Mit dem Bollwerk Konstantinopel, das für alle damaligen Armeen uneinnehmbar war waren die Kernlande geschützt. Das Ostreich konnte jederzeit seine Truppen am Euphrat auf hohem Niveau halten, denn diese Grenze war die größere Bedrohung für Kleinasien, Syrien und Ägypten. Den Balkan und auch Griechenland, hat man mehr als einmal zur Plünderung freigegeben. Der Bosporus war sozusagen eine natürliche Grenzverkürzung, die automatisch immer eintrat, wenn es im Norden zu Einfällen kam. Dadurch konnte man das Niveau der Euphrattruppen hoch halten, ohne im Westen zu viel zu verlieren.
Ich glaube nicht, dass man den Balkan "zur Plünderung freigegeben" hat. Die Kriegsführung am Balkan unterschied sich einfach fundamental von der an der Euphratfront. Letztere kam den Oströmern eher entgegen. Die Kriege zwischen Oströmern und Persern verliefen (vom großen Perserkrieg unter Herakleios I. einmal abgesehen) vom 4. bis zum 6. Jhdt. meist überschaubar und mit begrenzten Zielsetzungen: Eine Armee mit meist überschaubarer Größe marschierte ins Feindesland ein und belagerte und eroberte ein paar Festungen und Städte, während die feindliche Armee die Rückeroberung und ihrerseits einen Einfall ins Feindesland versuchte. Wirklich große, geplante Feldschlachten waren eher selten, die meisten Schlachten in diesen Kriegen waren eher größere Gefechte oder entwickelten sich ungeplant durch eher zufällige Begegnungen. Nach einiger Zeit wurde der Krieg dann wieder beigelegt, indem eine Seite vertraglich ein paar Städte und Landstriche erhielt, ohne dass sich wirklich etwas gravierend verändert hätte. Symptomatisch für diese Art der Kriegsführung sind auch die langwierigen Kämpfe um Kolchis: Dann und wann fiel eine persische Armee dort ein, brachte das Land unter Kontrolle und errichtete eine Festung. Dann marschierte eine oströmische Armee hin, es wurde um die persische Festung gekämpft und sie eventuell erobert, woraufhin dann im nächsten Jahr wieder eine neue persische Armee erschien, etc.... Gekämpft wurde in den Kriegen zwischen Römern und Persern also meist um einzelne Städte und Festungen. Um zu siegen, musste man die eigenen schützen und dem Feind einige wegnehmen, bis dann wieder zumindest ein Waffenstillstand geschlossen wurde. Das war eine andere Art der Kriegsführung als am Balkan, wo verschiedene Barbarenhaufen kreuz und quer zogen, um zu plündern, Tribut zu erpressen oder sich gar irgendwo niederzulassen. Diese sich bewegenden Eindringlinge waren viel schwerer zu bekämpfen als einzelne feindliche Städte zu belagern, zumindest mit den meist eher kleinen Armeen der Spätantike. Hier wäre eine raumdeckende Grenzsicherung von der Adria bis zum Schwarzen Meer nötig gewesen, während man an der Ostfront im Wesentlichen nur Garnisonen (die nicht die Qualität von Feldheeren haben mussten) für die Städte und Festungen und kleinere Verbände für die offensive Kriegsführung benötigte. Schon in früheren Jahrhunderten waren die Römer kaum in der Lage gewesen, Einfälle größerer fremder Heere am Balkan von vornherein zu vereiteln, aber sie hatten damals noch Feldheere besessen, die groß genug waren, um (notfalls in mehrere eigenständig operierende Korps geteilt) die Eindringlinge aufspüren, abfangen und ausschalten zu können. Das war in der Spätantike immer weniger der Fall.

Ich muss nochmal auf das Ergebnis der Regierungszeit Anastasios zurückkommen. Ich weiß, seine Zeit liegt etwas mehr als 100 Jahre später als das von mir im Thread Titel erwähnte Zeitalter, aber Du bist bisher nicht wirklich auf meine Frage eingegangen, wie Anastatsios riesige Finanzmittel bei seinem Tod hinterlassen konnte. Das kann eigentlich nur funktioniert haben, wenn die Wirtschaft in seinem Zeitalter sehr gut funktionierte. Und wenn hier schon von Wahrscheinlichkeiten die Rede ist: Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Ostroms im 4 Jh. so veschlechtert haben soll, um dann im 5. Jh. wieder aufzublühen...
Anastasios förderte den Handel und das städtische Gewerbe - auch durch steuerliche Erleichterungen -, belastete allerdings im Gegenzug die Landwirtschaft weiter, sowohl steuerlich als auch durch Zwangsaufkäufe von Lebensmitteln zu festgesetzten Preisen. Das Gelbe vom Ei war seine Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht, denn auch wenn er einen gewaltigen Staatsschatz aufhäufen konnte, so waren der Preis dafür zunehmende Unruhen und Rebellionen.

Folgt man dieser fragmentarischen, militärhistorisch unbrauchbaren und "metaphysisch überhöhten" Schlachtbeschreibung (zu "" siehe -> Brodka, Der Gotenkrieg und die Schlacht bei Adrianopel) von Ammianus, liegt für die Militärhistorie also die Gottesstrafe in der falschen Aufklärung bzw. der Dusseligkeit des Feldherren? Da ist er nicht der letzte geblieben.
Auffällig ist die oben schon zitierte "metaphysische" Überhöhung seiner Niederlage in der Beschreibung des Ammianus, und dem gingen in den 20 Jahren zuvor erhebliche religiös-politische Auseinandersetzungen zuvor. An Valens wird kein gutes Haar gelassen, auch sein tröpfchenweises Verschieben von Truppen aus Syrien in die Krisenregion, 377 und ein Jahr vor seiner Niederlage, wird kritisiert. Den Abschluss bildet das "Gottesgericht" und die göttliche Strafe von Adrianopel. Mir scheint, diese Berichterstattung ist vor dem Hintergrund der religiösen Verwerfungen zuvor nicht ganz ungefärbt geblieben.
Der Vorwurf, Ammianus habe die Schlachtschilderung metaphysisch überhöht und zum Gottesgericht gestempelt, ist für mich quellenmäßig nur bedingt nachvollziehbar, vor allem hatte das nicht mit den religiösen Verwerfungen zu tun, die Ammianus kaum interessierten. Eine derartige Sichtweise würde ohnehin eher zu katholischen christlichen Autoren passen, die den Arianer Valens ablehnten, als zum Heiden Ammianus, der den innerchristlichen Streitereien, aber auch den Konflikten zwischen Christen und Heiden recht teilnahmslos, ratlos und unparteiisch gegenüberstand. Ammianus lehnte generell religiös motivierte Auseinandersetzungen und Maßnahmen ab, das galt ebenso für die christenfeindlichen Maßnahmen von Kaiser Iulianus, so etwas war für ihn immer Unrecht, egal von wem gegen wen oder was sie sich richteten. Die Denkweise, dass ein Kaiser für seine "falsche" Religion bestraft würde, ist Ammianus fremd. Es gibt zwar an früheren Stellen tatsächlich Andeutungen, dass Valens, der von Ammianus eher negativ dargestellt wird, für seine Untaten später seine Strafe erhalten würde, die Schlachtschilderung selbst ist aber rational gehalten. Wenn überhaupt, kann man nur Valens' eigenen Tod im Zuge der Schlacht auf das (früher angedeutete) göttliche Strafgericht zurückführen, nicht aber die ganze Niederlage. (Es werden zwar Omina für ein bevorstehendes Unheil erwähnt, allerdings sind Omina nur wertfreie Vorzeichen, also etwas anderes als ein bewusst vergeltendes göttliches Strafgericht.) Als Gründe für die Niederlage führt Ammianus insbesondere zwei Punkte an: Dass Valens nicht das Eintreffen Gratians abwarten wollte, um nicht den Ruhm des Sieges teilen zu müssen bzw. dem Erfolg Gratians gegen die Lentienser einen eigenen gegen die Goten entgegenstellen zu können, und dass er die Lage nach vorangegangenen kleineren Erfolgen des Sebastianus zu optimistisch beurteilte.
 
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Der Vorwurf, Ammianus habe die Schlachtschilderung metaphysisch überhöht und zum Gottesgericht gestempelt, ist für mich quellenmäßig nur bedingt nachvollziehbar, vor allem hatte das nicht mit den religiösen Verwerfungen zu tun, die Ammianus kaum interessierten. Eine derartige Sichtweise würde ohnehin eher zu katholischen christlichen Autoren passen, die den Arianer Valens ablehnten, als zum Heiden Ammianus, der den innerchristlichen Streitereien, aber auch den Konflikten zwischen Christen und Heiden recht teilnahmslos, ratlos und unparteiisch gegenüberstand. Ammianus lehnte generell religiös motivierte Auseinandersetzungen und Maßnahmen ab, das galt ebenso für die christenfeindlichen Maßnahmen von Kaiser Iulianus, so etwas war für ihn immer Unrecht, egal von wem gegen wen oder was sie sich richteten. Die Denkweise, dass ein Kaiser für seine "falsche" Religion bestraft würde, ist Ammianus fremd. Es gibt zwar an früheren Stellen tatsächlich Andeutungen, dass Valens, der von Ammianus eher negativ dargestellt wird, für seine Untaten später seine Strafe erhalten würde, die Schlachtschilderung selbst ist aber rational gehalten. Wenn überhaupt, kann man nur Valens' eigenen Tod im Zuge der Schlacht auf das (früher angedeutete) göttliche Strafgericht zurückführen, nicht aber die ganze Niederlage. (Es werden zwar Omina für ein bevorstehendes Unheil erwähnt, allerdings sind Omina nur wertfreie Vorzeichen, also etwas anderes als ein bewusst vergeltendes göttliches Strafgericht.) Als Gründe für die Niederlage führt Ammianus insbesondere zwei Punkte an: Dass Valens nicht das Eintreffen Gratians abwarten wollte, um nicht den Ruhm des Sieges teilen zu müssen bzw. dem Erfolg Gratians gegen die Lentienser einen eigenen gegen die Goten entgegenstellen zu können, und dass er die Lage nach vorangegangenen kleineren Erfolgen des Sebastianus zu optimistisch beurteilte.

Die Res Gestae ist insgesamt ein Spannungsbogen von gottgegebenem römischen Weltherrschaftsanspruch, lobgepriesenen Protagonisten wie Julian und verdammungswürdigen Versagern wie Valens. Damit ist auch der Bogen von Erfolg und Rückschlag erklärt.

Die Niederlage von Adrianopel folgt dem Stereotyp der völligen persönlichen Fehlleistung bzw. fehlender Tüchtigkeit eines Einzelnen und der regelmässig bei Ammianus angesetzten "Unterzahl" der tapferen Römer bei römischen Rückschlägen, die im Gegensatz zu der Vorbestimmung, zum Fatum/Schicksal des Römischen Weltreiches natürlich nichts an dessen Existenz ändern.

Diese Erfüllung des Valens im Untergang inkl. Heer, sein fehlendes Glück, entspricht der metaphysischen Ordnung bei Ammianus iSv göttlicher Bestrafung/Fatum des Einzelnen. Militärhistorisch oder ökonomisch ist die Beschreibung, ähnlich wie der Perserfeldzug Julians, unbrauchbar.

Brodka hat das in seiner Analyse des Geschichtswerks von Ammianus Marcellinus untersucht und dargestellt.
 
So einseitig hat Ammianus keineswegs geschrieben. Iulianus z. B. ist bei ihm keineswegs nur ein "lobgepriesener Protagonist", sondern muss auch viel Kritik einstecken, nicht nur wegen seiner christenfeindlichen Maßnahmen, sondern auch wegen seiner oft schon lächerlichen Affektiertheit, mit der er als Philosoph und bescheidener republikanisch gesinnter Römer der alten Schule erscheinen wollte, seines Hangs zu übertrieben verschwenderischen Opfern - und nicht zuletzt auch wegen des Perserfeldzugs, bei der Ammianus (der den Kaiser persönlich kannte) klar äußerte, dass Iulianus den Krieg ohne Notwendigkeit aus Kriegslust und Ruhmgier angezettelt habe.
Umgekehrt ist Valens nicht nur ein "verdammungswürdiger Versager", sondern Ammianus würdigt durchaus seinen Einsatz für eine gerechte, pflichtbewusste und korruptionsfreie Verwaltung, seine Loyalität gegenüber Freunden verbunden mit einer Abneigung gegen Freunderlwirtschaft, seine Freigiebigkeit, seinen Einsatz für die Renovierung öffentlicher Gebäude und seine Versuche, die finanzielle Belastung der Bürger zu mindern.

Dass die Römer bei Schlachten in der Unterzahl gewesen sein sollen, ist in der antiken römischen Geschichtsschreibung normal, auch bei Ammianus und auch bei Siegen wie z. B. in der Schlacht bei Straßburg Iulians gegen die Alemannen oder bei den Kämpfen Gratians gegen die Lentienser. Bei der Schlacht bei Adrianopel werden übrigens gar keine konkreten Heeresstärken angegeben.

Bei der Darstellung des Verhaltens von Valens vor und in der Schlacht tadelt Ammianus zwar den Entschluss des Kaisers, sich überhaupt auf die Schlacht einzulassen, entlastet ihn aber zugleich ein bisschen, indem er auf einen Fehler der Aufklärung hinweist, durch den die Römer den Feind auf nicht mehr als 10.000 Mann schätzten.
 
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Auch wenn Valens die (negative) Antithese zur Huldigung von Julian darstellt, verweigert er ihm nicht eine Anerkennung, eine Verteidigung seiner Leistungen.

Diese "differenzierte" Haltung solltest Du nicht überbewerten. Die Verdamnis seiner Grausamkeiten und Valens Verbrechen führen zur Ankündigung der kommenden Strafe: RG 29.2.20
Das sind metaphysische Kräfte, das Fatum Valens wird mit "iustitia" gekoppelt.

In RG 29.2.21 werden dann die Furien bemüht, in diesem Kontext das kommende Unheil im Osten und die Rückschläge für das Reich anzukündigen.

Das wird in RG 31.2.1-12 ausgeweitet auf die Hunnen, den Auslöser der Völkerwanderung. Schuld wird dagegen Valens zugewiesen, der die Lage falsch eingeschätzt hat. RG 31.4.1-8 werden dann auch die Motive Valens erwogen, ohne sie objektiv darzustellen. Sie werden samt Berater verâchtlich gemacht. Auch hier findet sich die scheinbare "Differenzierung", die nur dazu dient, Valens und seine Berater negativ darzustellen. Das gipfelt im alten Dekadenzgedanken, 31.4.10, der die Reichskrisen erklären soll.

Alle Probleme werden auf individuelle Habgier der führenden Persönlichkeiten zurückgeführt, RG 31.4.4, wobei das Bild der Habgier bei Valens "allusiv" in allen seinen Kalkulationen auftaucht (Brodka).

Ebenso wenig, wie man sich an diesen scheinbar objektiven Abwägungen (auch einzelne negative Bemerkungen zu Julian, oder einzelne positive Bemerkungen zu Valens) aufhalten sollte, ist die Einfügung von Glück und Zufall bei Ammianus ein Widerspruch zum Fatum und zur Herrschaftsrealität des Römischen Imperiums ( das getragen wird von den Mühen und dem Einsatz der herausragenden Persönlichkeiten) bzw. Widerspruch zum vorherbestimmten Urteil über den Versager.

Der Zufall ist in metaphysischer Überhöhung nicht in der Lage, beides - teleologisch vorherbestimmt - ins jeweilige Gegenteil zu verkehren.

Ravenik schrieb:
Bei der Schlacht bei Adrianopel werden übrigens gar keine konkreten Heeresstärken angegeben.

Bei der Darstellung des Verhaltens von Valens vor und in der Schlacht tadelt Ammianus zwar den Entschluss des Kaisers, sich überhaupt auf die Schlacht einzulassen, entlastet ihn aber zugleich ein bisschen, indem er auf einen Fehler der Aufklärung hinweist, durch den die Römer den Feind auf nicht mehr als 10.000 Mann schätzten.

Der Fehler der Aufklärung ist ein Versäumnis, und ist negativ ins Gesamtbild von Valens zu stellen.

Dass die Truppenstärken für Adrianopel nicht genannt sind, hatte ich oben schon mehrfach erwähnt (inkl. die Spekulationen dazu). Hier ging es darum, dass sie in Unterzahl waren, und die typisierten Darstellungen der Unterzahl bei Ammianus in den Rückschlägen an sich.
 
P.S. Wir kommen hier übrigens immer weiter vom Thema Wirtschaft im 4. Jhdt. ab.

Soll die Diskussion über die Wertung der Geschichtsschreibung des Ammianus - Valens vs. Julian etc., Perserfeldzug, Adrianopel, abgekoppelt werden?

Oder ist die Diskussion evt. nützlich, um sich über die Eignung der RG als Quelle klarzuwerden?
 
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Ich glaube nicht, dass man den Balkan "zur Plünderung freigegeben" hat. Die Kriegsführung am Balkan unterschied sich einfach fundamental von der an der Euphratfront.

....

Schon in früheren Jahrhunderten waren die Römer kaum in der Lage gewesen, Einfälle größerer fremder Heere am Balkan von vornherein zu vereiteln, aber sie hatten damals noch Feldheere besessen, die groß genug waren, um (notfalls in mehrere eigenständig operierende Korps geteilt) die Eindringlinge aufspüren, abfangen und ausschalten zu können. Das war in der Spätantike immer weniger der Fall.

Es mag wohl sein, daß man den Balkan nicht freiwillig zur Plünderung freigab, das ändert aber Nichts an der Argumentation, daß es hier mit dem Bosporus eine wirksame Grenzverkürzung gab, ohne zu viel Wirtschaftskraft zu opfern. Anders im Westen, wo Gallien zu der Zeit wohl eine der Säulen der Volkswirtschaft war, die ohnehin schwächer als im Osten gewesen sein soll. Diese Ausfälle, geschahen nicht nur durch Barbareneinfälle und nicht erst seit 406 sondern auch schon vorher und auch durch die nicht unhäufigen Usurpationen in Gallien.

Daß die Römer offensichtlich keine großen Feldheere mehr hatten ist genau meine Rede und mangelnde Einnahmen ist eine naheliegende Ursache. Leider lässt die Quellenlage nicht zu, zu ermitteln, ab wann dem so war. Seit Frigidus ist dies für den Westen unbestritten, aber es ist nicht auszuschliessen, daß es schon früher im 4ten Jahhundert deutlich geringere Truppenzahlen gab, als einige Historiker (auch antike) hochrechnen.
 
Anders im Westen, wo Gallien zu der Zeit wohl eine der Säulen der Volkswirtschaft war, die ohnehin schwächer als im Osten gewesen sein soll. Diese Ausfälle, geschahen nicht nur durch Barbareneinfälle und nicht erst seit 406 sondern auch schon vorher und auch durch die nicht unhäufigen Usurpationen in Gallien..

Legt man DeMartino, Römische Wirtschaftsgeschichte, zugrunde, dann ist die Krise des 3. Jhdts in Gallien wohl nicht überwunden worden. Und das begründet er mit Aufständen und Einfällen im Verlauf des 4. Jhdts., permanenten Schwächungen.

Die hier eingetretene Veränderung gegenüber der Blütezeit Galliens ist nach diesem Autor nie überwunden worden. Fraglich ist natürlich, ob das anderweitig im 4. Jhdt kompensiert werden konnte. Fraglich ist auch, ob sich das flächig für Gallien feststellen ließ, oder nur bestimmte Landesteile betraf. Dazu fehlen belastbare Erkenntnisse.
 
Wir sind bei strukturellen Rückschlüssen ohne irgendein Datenmaterial, mit einer völlig unbrauchbaren Feldzugquelle "Ammianus" für plausible Details des Ablaufs.

Ein Nachtrag zu Ammianus, den vermittelten Inhalten und seinen Kenntnissen:

Barbara Sidwell: The portrayal and role of anger in the Res Gestae of Ammianus Marcellinus
Dissertation Adelaide 2008 (2,4 MB im download)
http://digital.library.adelaide.edu.au/dspace/bitstream/2440/49424/1/02whole.pdf
 
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