Manche Historiker führen als einen Hauptrund für das Überleben des Ostreichs auch seine besondere strategische Lage an. Mit dem Bollwerk Konstantinopel, das für alle damaligen Armeen uneinnehmbar war waren die Kernlande geschützt. Das Ostreich konnte jederzeit seine Truppen am Euphrat auf hohem Niveau halten, denn diese Grenze war die größere Bedrohung für Kleinasien, Syrien und Ägypten. Den Balkan und auch Griechenland, hat man mehr als einmal zur Plünderung freigegeben. Der Bosporus war sozusagen eine natürliche Grenzverkürzung, die automatisch immer eintrat, wenn es im Norden zu Einfällen kam. Dadurch konnte man das Niveau der Euphrattruppen hoch halten, ohne im Westen zu viel zu verlieren.
Ich glaube nicht, dass man den Balkan "zur Plünderung freigegeben" hat. Die Kriegsführung am Balkan unterschied sich einfach fundamental von der an der Euphratfront. Letztere kam den Oströmern eher entgegen. Die Kriege zwischen Oströmern und Persern verliefen (vom großen Perserkrieg unter Herakleios I. einmal abgesehen) vom 4. bis zum 6. Jhdt. meist überschaubar und mit begrenzten Zielsetzungen: Eine Armee mit meist überschaubarer Größe marschierte ins Feindesland ein und belagerte und eroberte ein paar Festungen und Städte, während die feindliche Armee die Rückeroberung und ihrerseits einen Einfall ins Feindesland versuchte. Wirklich große, geplante Feldschlachten waren eher selten, die meisten Schlachten in diesen Kriegen waren eher größere Gefechte oder entwickelten sich ungeplant durch eher zufällige Begegnungen. Nach einiger Zeit wurde der Krieg dann wieder beigelegt, indem eine Seite vertraglich ein paar Städte und Landstriche erhielt, ohne dass sich wirklich etwas gravierend verändert hätte. Symptomatisch für diese Art der Kriegsführung sind auch die langwierigen Kämpfe um Kolchis: Dann und wann fiel eine persische Armee dort ein, brachte das Land unter Kontrolle und errichtete eine Festung. Dann marschierte eine oströmische Armee hin, es wurde um die persische Festung gekämpft und sie eventuell erobert, woraufhin dann im nächsten Jahr wieder eine neue persische Armee erschien, etc.... Gekämpft wurde in den Kriegen zwischen Römern und Persern also meist um einzelne Städte und Festungen. Um zu siegen, musste man die eigenen schützen und dem Feind einige wegnehmen, bis dann wieder zumindest ein Waffenstillstand geschlossen wurde. Das war eine andere Art der Kriegsführung als am Balkan, wo verschiedene Barbarenhaufen kreuz und quer zogen, um zu plündern, Tribut zu erpressen oder sich gar irgendwo niederzulassen. Diese sich bewegenden Eindringlinge waren viel schwerer zu bekämpfen als einzelne feindliche Städte zu belagern, zumindest mit den meist eher kleinen Armeen der Spätantike. Hier wäre eine raumdeckende Grenzsicherung von der Adria bis zum Schwarzen Meer nötig gewesen, während man an der Ostfront im Wesentlichen nur Garnisonen (die nicht die Qualität von Feldheeren haben mussten) für die Städte und Festungen und kleinere Verbände für die offensive Kriegsführung benötigte. Schon in früheren Jahrhunderten waren die Römer kaum in der Lage gewesen, Einfälle größerer fremder Heere am Balkan von vornherein zu vereiteln, aber sie hatten damals noch Feldheere besessen, die groß genug waren, um (notfalls in mehrere eigenständig operierende Korps geteilt) die Eindringlinge aufspüren, abfangen und ausschalten zu können. Das war in der Spätantike immer weniger der Fall.
Ich muss nochmal auf das Ergebnis der Regierungszeit Anastasios zurückkommen. Ich weiß, seine Zeit liegt etwas mehr als 100 Jahre später als das von mir im Thread Titel erwähnte Zeitalter, aber Du bist bisher nicht wirklich auf meine Frage eingegangen, wie Anastatsios riesige Finanzmittel bei seinem Tod hinterlassen konnte. Das kann eigentlich nur funktioniert haben, wenn die Wirtschaft in seinem Zeitalter sehr gut funktionierte. Und wenn hier schon von Wahrscheinlichkeiten die Rede ist: Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Ostroms im 4 Jh. so veschlechtert haben soll, um dann im 5. Jh. wieder aufzublühen...
Anastasios förderte den Handel und das städtische Gewerbe - auch durch steuerliche Erleichterungen -, belastete allerdings im Gegenzug die Landwirtschaft weiter, sowohl steuerlich als auch durch Zwangsaufkäufe von Lebensmitteln zu festgesetzten Preisen. Das Gelbe vom Ei war seine Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht, denn auch wenn er einen gewaltigen Staatsschatz aufhäufen konnte, so waren der Preis dafür zunehmende Unruhen und Rebellionen.
Folgt man dieser fragmentarischen, militärhistorisch unbrauchbaren und "metaphysisch überhöhten" Schlachtbeschreibung (zu "" siehe -> Brodka, Der Gotenkrieg und die Schlacht bei Adrianopel) von Ammianus, liegt für die Militärhistorie also die Gottesstrafe in der falschen Aufklärung bzw. der Dusseligkeit des Feldherren? Da ist er nicht der letzte geblieben.
Auffällig ist die oben schon zitierte "metaphysische" Überhöhung seiner Niederlage in der Beschreibung des Ammianus, und dem gingen in den 20 Jahren zuvor erhebliche religiös-politische Auseinandersetzungen zuvor. An Valens wird kein gutes Haar gelassen, auch sein tröpfchenweises Verschieben von Truppen aus Syrien in die Krisenregion, 377 und ein Jahr vor seiner Niederlage, wird kritisiert. Den Abschluss bildet das "Gottesgericht" und die göttliche Strafe von Adrianopel. Mir scheint, diese Berichterstattung ist vor dem Hintergrund der religiösen Verwerfungen zuvor nicht ganz ungefärbt geblieben.
Der Vorwurf, Ammianus habe die Schlachtschilderung metaphysisch überhöht und zum Gottesgericht gestempelt, ist für mich quellenmäßig nur bedingt nachvollziehbar, vor allem hatte das nicht mit den religiösen Verwerfungen zu tun, die Ammianus kaum interessierten. Eine derartige Sichtweise würde ohnehin eher zu katholischen christlichen Autoren passen, die den Arianer Valens ablehnten, als zum Heiden Ammianus, der den innerchristlichen Streitereien, aber auch den Konflikten zwischen Christen und Heiden recht teilnahmslos, ratlos und unparteiisch gegenüberstand. Ammianus lehnte generell religiös motivierte Auseinandersetzungen und Maßnahmen ab, das galt ebenso für die christenfeindlichen Maßnahmen von Kaiser Iulianus, so etwas war für ihn immer Unrecht, egal von wem gegen wen oder was sie sich richteten. Die Denkweise, dass ein Kaiser für seine "falsche" Religion bestraft würde, ist Ammianus fremd. Es gibt zwar an früheren Stellen tatsächlich Andeutungen, dass Valens, der von Ammianus eher negativ dargestellt wird, für seine Untaten später seine Strafe erhalten würde, die Schlachtschilderung selbst ist aber rational gehalten. Wenn überhaupt, kann man nur Valens' eigenen Tod im Zuge der Schlacht auf das (früher angedeutete) göttliche Strafgericht zurückführen, nicht aber die ganze Niederlage. (Es werden zwar Omina für ein bevorstehendes Unheil erwähnt, allerdings sind Omina nur wertfreie Vorzeichen, also etwas anderes als ein bewusst vergeltendes göttliches Strafgericht.) Als Gründe für die Niederlage führt Ammianus insbesondere zwei Punkte an: Dass Valens nicht das Eintreffen Gratians abwarten wollte, um nicht den Ruhm des Sieges teilen zu müssen bzw. dem Erfolg Gratians gegen die Lentienser einen eigenen gegen die Goten entgegenstellen zu können, und dass er die Lage nach vorangegangenen kleineren Erfolgen des Sebastianus zu optimistisch beurteilte.