War die Gründung eines deutschen Nationalstaats zwangsläufig?

Christly

Neues Mitglied
Hi Leute,
ich beschäftige mich gerade mit dem Thema der Reichsgründung Bismarcks und stelle nun die Frage, ob es nicht sogar zwangsläufig auf eine Gründung des deuschen Nationalstaates hinaus lief?
Meines Erachtens war diese nur durch den Druck der Bürger vielleicht auf eine Art und Weise zwangsläufig... aber diesen hätte man ja auch weiterhin unterdrücken können. Ansonsten hatte Bismarck ja nur die Absicht Preußen zu stärken.
Was meint ihr dazu?
 
ob es nicht sogar zwangsläufig auf eine Gründung des deuschen Nationalstaates hinaus lief?

Wie meinst du das? Zwangsläufig = unausweichlich?

Das Wort würde ich bei historischen Zusammenhängen selten benutzen.
 
Meines Erachtens war diese nur durch den Druck der Bürger vielleicht auf eine Art und Weise zwangsläufig...

Zu Zwangsläufigkeiten hat iamNex sich schon geäußert. Ich sehe das auch so.

Wen Du Dir die Situation 1866/70 anschaust: von welchem Druck der Bürger, und von welchen außenpolitischen Realitäten gehst Du da aus?

Mir scheint, dass da einige wirkmächtige soziale und wirtschaftliche Veränderungen nach 1871 für die bürgerliche Gesellschaft nicht scharf von den Realitäten vor 1866 abgetrennt werden. Oder anders: Machtzuwachs und nationaler Überschwang nach 1871 scheint auf die Situation 1866 einfach übertragen worden zu sein.
 
Ohne Preußens Sieg 1866 und die folgende Verdrängung Österreich-Ungarns aus dem Deutschen Bund wäre das mit dem Nationalstaat so schwierig geblieben wie vorher. Die 1871 vollzogene kleindeutsche Lösung war mE weniger eine Manifestierung des Bürgerwillens, sondern eine v.a. militärisch-wirtschaftliche Lösung zugunsten Preußens.

Man muss es ja nicht positiv bewerten, aber inhaltlich hatte Bismarck schon nicht Unrecht...

„Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht; Bayern, Württemberg, Baden mögen dem Liberalismus indulgieren, darum wird ihnen doch keiner Preußens Rolle anweisen; Preußen muß seine Kraft zusammenfaßen und zusammenhalten auf den günstigen Augenblick, der schon einige Male verpaßt ist; Preußens Grenzen nach den Wiener Verträgen sind zu einem gesunden Staatsleben nicht günstig; nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.[2]

Blut und Eisen ? Wikipedia
 
[FONT=&quot]Von Zwangsläufigkeit kann keine Rede sein. Der Süden hatte durch die Schutz- und Trutzbündnisse und darüber hinaus durch die Mitgliedschaft im Zollverein nicht ganz unwesentliche Bestanteile seiner Souveränität verloren gehabt.[/FONT]
[FONT=&quot]
[/FONT]
[FONT=&quot] Auf der anderen Seite ist aber anzumerken, das nach der Euphorie des Jahres 1866 die Einheitsbestrebungen und Begeisterung für Preußen merklich abkühlten. So drohte im Frühjahr 1870 beispielsweise sowohl in Bayern als auch in Württemberg eine Art von Heeres- ja sogar ein Verfassungskonflikt, ganz ähnlich wie in Preußen von 1862 bis1866, weil mit den Heeresreformgesetzten das preußische Militärsystem übernommen werden sollten. Die Parlamente nahmen aber ihr Recht, das Budget für das Heer zu verweigern, in Anspruch. In Bayern hat dann der der Regierungswechsel von Hohenlohe zu Bray auch nichts daran geändert.[/FONT]
[FONT=&quot]
[/FONT]
[FONT=&quot]Außenpolitisch war die Situation ebenfalls nicht einfach, denn der Süden sah sich durch Österreich-Ungarn und Frankreich in seiner Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt.[/FONT]
[FONT=&quot]
[/FONT]
[FONT=&quot]Es war von Bismarck vielleicht keine so gute Idee nach Königgrätz Kurhessen, Nassau, Frankfurt, Schleswig und Holstein zu annektieren und darüber hinaus auch das brutale Vorgehen gegenüber der Stadt Frankfurt und den König Georg von Hannover. Das hat im Süden die Begeisterung spürbar gedämpft.[/FONT]
 
Zuletzt bearbeitet:
[FONT=&quot]Von Zwangsläufigkeit kann keine Rede sein. Der Süden hatte durch die Schutz- und Trutzbündnisse und darüber hinaus durch die Mitgliedschaft im Zollverein nicht ganz unwesentliche Bestanteile seiner Souveränität verloren gehabt.[/FONT]

Von "Zwangsläufigkeit" kann sicher keine Rede sein, aber immerhin lag die Begründung von Nationalstaaten sozusagen in der Luft, was dem allgemeinen nationalstaatlichen Denken in Europa geschuldet war. Es ist immerhin bemerkenswert, dass auch das in Klein- und Mittelstaaten zersplitterte Italien Ende des 19. Jh. zu einem Nationalstaat fand.

Allerdings hätte es leicht geschehen können, dass die lose Klammer des Deutschen Bundes zerbrochen wäre und deutsche Staaten ohne jede föderative Bindung ihren Weg genommen hätten. Dann wäre der Begriff "Deutschland" zu einem historischen Konstrukt geworden, das der Vergangenheit angehört hätte.
 
Von "Zwangsläufigkeit" kann sicher keine Rede sein, aber immerhin lag die Begründung von Nationalstaaten sozusagen in der Luft, was dem allgemeinen nationalstaatlichen Denken in Europa geschuldet war. Es ist immerhin bemerkenswert, dass auch das in Klein- und Mittelstaaten zersplitterte Italien Ende des 19. Jh. zu einem Nationalstaat fand.

Allerdings hätte es leicht geschehen können, dass die lose Klammer des Deutschen Bundes zerbrochen wäre und deutsche Staaten ohne jede föderative Bindung ihren Weg genommen hätten. Dann wäre der Begriff "Deutschland" zu einem historischen Konstrukt geworden, das der Vergangenheit angehört hätte.

Österreich-Ungarn war bemüht die Ergebnisse von 1866 rückgängig zu machen. Zu diesem Zwecke bedurfte es Zeit, um das Militär zu reorganisieren und man stand in Verhandlungen mit Frankreich und Italien. Beust wollte Bismarck auf das verminte Gelände des Orients locken und ihm dort von Russland zu trennen. So hätte Preußen seinen einzigen Bundesgenossen verloren und es Österreich ermöglicht eben einen nicht nationalen Krieg gegen Deutschland zu führen. Nur Napoleon seine Blicke waren zu starr auf die Deutsche Frage gerichtet. Beust hat sich noch später bitter beklagt, das Napoleon seinen Plan nie begriffen hat.

Und Napoleon III. und sein Außenminister Gramont konnten beide Bismarck auf dem diplomatischen Parkett nicht annäherend das Wasser reichen. Ihre Politik in der Julikrise des Jahres 1870 war überaus ungeschickt, so das Bismarck die Einheit wie eine reife Frucht abpflücken konnte.

Wenn Frankreichs Außenpolitik aber mit größerer Weit- und Umsicht agiert hätte, wer weiß wie dann die Frage der Natinalstaatsbildung für Deutschland ausgegangen wäre. Die Situation war vor der Julikrise alles andere als günstig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Österreich-Ungarn war bemüht die Ergebnisse von 1866 rückgängig zu machen.

Der Vielvölkerstaat Österreich hatte natürlich keinerlei Interesse an einem Nationalstaat - aus begreiflichen Gründen. Verhindern konnte es allerdings diese Entwicklung weder in Italien noch in Deujtschland.

Wenn Frankreichs Außenpolitik aber mit größerer Weit- und Umsicht agiert hätte, wer weiß wie dann die Frage der Natinalstaatsbildung für Deutschland ausgegangen wäre. Die Situation war vor der Julikrise alles andere als günstig.

Einen solchen deutschen Nationalstaat hätte es möglicherweise nicht gegeben. Im Rahmen einer spekulativen Geschichte wäre es interessant, sich die Folgen auszumalen. :grübel:
 
Turgot schrieb:
Österreich-Ungarn war bemüht die Ergebnisse von 1866 rückgängig zu machen. Zu diesem Zwecke bedurfte es Zeit, um das Militär zu reorganisieren und man stand in Verhandlungen mit Frankreich und Italien. Beust wollte Bismarck auf das verminte Gelände des Orients locken und ihm dort von Russland zu trennen. So hätte Preußen seinen einzigen Bundesgenossen verloren und es Österreich ermöglicht eben einen nicht nationalen Krieg gegen Deutschland zu führen. Nur Napoleon seine Blicke waren zu starr auf die Deutsche Frage gerichtet. Beust hat sich noch später bitter beklagt, das Napoleon seinen Plan nie begriffen hat.

Aus einer Depesche Bismarcks an den Gesandten Reuß in Petersburg wird deutlich, dass er das Spiel Beusts durchschaut hatte.

„Ich sprach Herrn von Oubril (Anmerkung von mit: Russischer Botschafter in Berlin) von der Tendenz der Politik des Grafen Beust – welche ich auch E.D. gegenüber schon widerholt signalisiert habe – eine Komplikation der europäischen Verhältnisse herbeizuführen, in welche für Preußen nur die Wahl bliebe, entweder Rußland in seinem Konflikt mit Frankreich im Stich zu lassen und dadurch unser Verhältnis zu unseren östlichen Bundesgenossen zu verderben oder zugunsten Rußlands einen unpoplärer Angriffskrieg gegen Frankreich zu führen. Ich bemerkte, daß wir diese Politik durchschauten, aber nicht fürchteten. Wir würden in die uns damit gestellte Falle nicht hineingehen.

Wir würden, wenn die Aussicht auf eine solche Komplikation vorhanden wäre, es immer in der Hand haben, rechtzeitig die Entwicklung eine andere Wendung zu geben. Wir würden dann unsere Beteiligung an der Seite Rußlands durch eine Haltung und ein Vorgehen herbeizuführen suchen, welches Frankreich zum Angriffe oder zur Bedrohung Deutschlands nötige. Truppenaufstellungen, nationale Manifestationen in Deutschland und Italien sowie unsere Beziehungen zu Belgien, selbst zu Spanien, würden uns Gelegenheit zu Diversionen bieten, welche unser Eingreifen herbeiführten, ohne demselben gerade die Form eines aggressiven Cabinetskrieges zu geben.


Becker, Bismarcks spanische Diversion 1870 und der preußisch-deutsche Reichsgründungkrieg
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben