Da die völkerrechtliche Lage noch einmal angesprochen wurde:
Das zeitgenössische "Kolonialvölkerrecht" sah bereits für Afrika (und Asien/Pazifik) eine "entgrenzte Ordnung" vor, in dem ähnlich wie gegen Irreguläre, Freischärler und Partisanen in der Europäischen Ordnung, alles erlaubt war.
Dieser territorial entgrenzten Ordnung folgte entgrenzte Gewalt. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu den Vorgängen im NS, ein Bruch, keine Kontinuität im "kolonialen Sonderweg" des Deutschen Reichs. Den Sonderweg gibt es schon deshalb nicht, weil die Vorgänge bei anderen Kolonialmächten derselben Logik folgten, und vergleichsweise entgrenzte Gewalt hervorbrachten.
Zu der Völkerrechtslage, auch in Bezug auf den Herero-Aufstand, ist dieses sehr zu empfehlen:
Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus: Genese, Bedeutung und Nachwirkungen, VRÜ 2006, S. 397. Im Interet verfügbar.
Das sollte man sich einmal durchlesen, wenn der Kontext interessiert.
Hier wird auch deutlich, was dann zB den Mau-Mau-Krieg von 1904 unterscheidet.
Mau-Mau-Krieg ? Wikipedia
Ebenso Armenien, da das Osmanische Reich der Europäischen Rechtsordnung uneingeschränkt angeschlossen war.
Die Kontinuitätsthese, die Ausweitung auf "genozidale militärische Kampagnen" oder "Military Culture" ist damit auf mangelnde Differenzierung zurückzuführen. Die Vorgänge werden - was moralisch verständlich ist - nur nach den Opfern/in den Folgen bewertet, was im Ergebnis jede entgrenzte Gewalt und Massentötung der letzten 3000 Jahre vergleichbar machen würde.
So einfach ist es also nicht. Es gibt keinen kontinuierlichen deutschen Sonderweg vom Waterberg nach Ausschwitz.
Vielleicht ist es hilfreich, auf eine weitere Differenzierung und Kritik der Genozid-Diskussion hinzuweisen: ...
http://www.zeithistorische-forschun...uments/pdf/2008-3/KundrusStrotbek_Genozid.pdf
Kundrus/Strotbek: "Genozid"-Moöglichkeiten und Grenzen eines Forschungsbegriffes.
Die beiden Autoren weisen auf die mittlerweile inflationäre Verwendung des Begriffes hin, was mit dem Kernbereich der neueren völkerrechtlichen Verwendung nichts mehr zu tun hat. Der Versuch, einen generischen Begriff zu finden, der alle vergangenen und künftigen Vorgänge umfasst, hat im Ergebnis eine Definition hervorgebracht, der es an Substanz und Differenzierung mangelt, und die viel zu flexibel auf alle Formen von "mass violence" anwendbar ist. Diese Unschärfe begründet dann logischerweise (falsche) Kontinuitätsvermutungen, bei hoher moralischer Aufladung, die immer mit unzureichenden völkerrechtlichen Kenntnissen kombiniert auftritt.
Die unterschiedlichen Phänomene "organisierter Gewaltgrenzung" werden hierdurch alle unter einen Tisch gekehrt, "Einsichten über das empirisch vielgestaltige Auftreten" massenhafter Gewalt werden sogar zugunsten von Kontinuitätstheorien verhindert. Ebenso fatal und problematisch ist dann, wenn reflexhaft auf den Kontinuitätsvorwurf mit dem pauschalen Einwand gearbeitet wird: das sei denen damals nicht als Verbrechen klar gewesen (mit dem Einwand könnte man ansonsten auch in den Nürnberger Prozess "einfallen" und beliebig Verbrechen des Kaiserreiches im Sinne einer Kolonialromantik relativieren). Der differenzierte Blick lohnt: die ganz unterschiedlichen Täter, Strukturen, Ereignisse, Motive, Wirkungsrichtungen, ideologischen Aufladungen, etc. zu betrachten. Da ist dann nämlich keine Kontinuität vom Waterberg nach Ausschwitz oder Stalingrad.
Hier liegt noch ein Problem. An der Diskussion oben ist auch klar ablesbar, wie die politisch-moralischen Bewertungen immer wieder mit der aktuellen Völkerrechtslage vermischt wurden. Die scharfe Kritik von Kundrus/Strotbek wird damit nur bestätigt.
@Reinecke: danke für die Hinweise. Wir liegen da tatsächlich nicht weit auseinander, auch in der Bewertung als Genozid. Mit den ergänzenden Erläuterungen habe ich jetzt hoffentlich klar gemacht, wo ich das Problem sehe.