Hofbuckelurnen: Stellen sie weibliche Brüste dar? Fruchtbarkeitskult?

Stefan70

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Liebe Historiker und Geschichtsinteressierte,

ich habe eine Frage zu etwas, was ich in dem Link http://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/geschichte/ufg/pdf/lausitzer_kultur.pdf in El Quichotes Thema http://www.geschichtsforum.de/f54/l...-nder-bei-leichenbrand-f-hrenden-urnen-44217/ entdeckt habe. Da steht was von Hofbuckelurnen. Ich finde, daß die Aussehen wie Brüste. Was meint ihr?
Und wenn es sich um Brüste handelt, was glaubt ihr, ob die Gefäße etwas mit einem Fruchtbarkeitskult zu tun hatten?

Ich freue mich auf eine spannende Diskussion

Stefan
 

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Und wenn es sich um Brüste handelt, was glaubt ihr, ob die Gefäße etwas mit einem Fruchtbarkeitskult zu tun hatten?

Spott der Archäologen über ihre eigene Peer: Alles was der Archäologe nicht auf Anhieb erklären kann, ist kultisch.

[ironie]
Genauso könnte man annehmen, dass die bronzezeitlichen Lausitzer Milchtrinker waren und die Kegelhalsterrinen mit Hofbuckeln die damaligen Milchflaschen waren: In Ermangelung einer Schrift formte man halt Brüste.[/ironie]

Aber ich muss zugeben: Die Ähnlichkeit ist wirklich frappierend.
 
Sehe darin ebensowenig eine Fruchtbarkeitssymbolik, wie wahrscheinlich jene Lausitzer. Erstens sind die Brüste hierfür viel zu klein, und zweitens dient eher eine breite Hüftform zur Darstellung von Fruchtbarkeit. Da hier die Form mit den draufgesetzten Brüsten zum Torso gemacht wurde, geht es hier nur um die Weiblichkeit, oder um die Nahrung.

Deshalb:

Falls das Gefäß Leichenbrand enthielt, würde ich auf eine Urne für eine Frau tippen, und nicht auf die Darstellung irgendeiner ‘Urmutter’, der die Überreste wieder zurückgegeben werden.

Falls ohne Leichenbrand, dann vielleicht ein Milchkrug, wie bereits von El Quijote vermutet, oder lediglich ‘erotic pottery’, zur Freude der Lausitzer.

Auf Milchkanne könnten die zwei Henkel deuten, die an eine Aufhängevorrichtung für Stöcke erinnern, sodass vier Lausitzerinnen eine Kanne tragen konnten. Und damit hätten wir nicht nur eine Urform der Milchkanne, sondern auch die Rollenverteilung beim Melken. (sag jetzt nicht, dass das Ding nur 20cm hoch ist :D )
 
That wasn't really serious.
Na gut, El Quijote will da nicht reingezogen werden... :D Finde aber die Milchthese nach wie vor die beste. Für den Transport einer Flüssigkeit spricht übrigens auch die Größe der Brüste. Große Ausbuchtungen würden die Kanne beim Transport mit den zwei Stecken aus dem Gleichgewicht bringen. Zumindest aber den Transport mit zwei Stecken sehe ich fast als zwingend (ob mit zwei oder vier Trägern, sei dahingestellt), sofern die Kanne nicht zum Einzeltraining der Finger verwendet wurde.
 
Nun sind so genannte Buckelwarzenurnen in der UFZ (Lausitzer Kultur ist Bestandteil der UFZ) nicht selten und treten zumindestens in Mitteldeutschland von der Oberlausitz bis nach Süd- bzw. Westthüringen auf. In Ostthüringen bzw. im Vogtland werden solche Urnen in die "junge UFZ" datiert -so um 800 v.Chr. [Ursula R. Lappe: Die Urnenfelderzeit in Ostthüringen und im Vogtland, Weimar 1986]
 
Auch wenn die genannten Gebiete über das als Lausitz bezeichnete Gebiet hinaus gehen, so handelt es sich doch um Gebiete der Lausitzer Kultur, die sich auf den Erstfundplatz in der Lausitz bezieht, aber die Kultur nicht notwendigerweise auf die Lausitz beschränkt. Ähnlich, wie wir ja auch die Kelten archäologisch in die Hallstatt- und die La Téne-Zeit aufteilen (mit weiteren Unterteilungen), nach zwei konkreten Fundorten, obwohl entsprechende Funde sehr viel weiter gestreut sind.
 
Noch mal nachgehakt: Wie sieht es denn nun aus mit der Idee, dass es sich um einen Mutterkult oder Fruchtbarkeitskult handelt?
 
Noch mal nachgehakt: Wie sieht es denn nun aus mit der Idee, dass es sich um einen Mutterkult oder Fruchtbarkeitskult handelt?

Zoka und ich hatten unsere Skepsis ob dieser Interpretation schon ausgedrückt.

Spott der Archäologen über ihre eigene Peer: Alles was der Archäologe nicht auf Anhieb erklären kann, ist kultisch.

Sehe darin ebensowenig eine Fruchtbarkeitssymbolik, wie wahrscheinlich jene Lausitzer.

Allerdings schließe ich mich den weiteren Überlegungen nicht so ohne weiteres an.

Erstens sind die Brüste hierfür viel zu klein, und zweitens dient eher eine breite Hüftform zur Darstellung von Fruchtbarkeit. Da hier die Form mit den draufgesetzten Brüsten zum Torso gemacht wurde, geht es hier nur um die Weiblichkeit, oder um die Nahrung.

Ich schrieb ja, dass ich die Ähnlichkeit ebenfalls als frappierend empfände (dazu siehe unten), allerdings würde ich darauf nicht so weitreichende Hypothesen aufbauen, dass damit irgendetwas ausgedrückt werden sollte.
Die Größendiskussion halte ich für fehlgehend, da sie sicher von den Proportionen des Gefäßes ahängig war, wenn also eine bestimmte Darstellung beabsichtigt war, unterlag sie dem Zwang der Proportion. Man muss bedenken, dass die Gefäße schon sehr elaboriert sind, der Töpfer also sein Handwerk verstand. Wer selber schon mal getöpfert hat, weiß, dass das ungeübt nicht ganz einfach ist. Und um Drehscheibenkeramik handelt es sich auch noch nicht.

Falls das Gefäß Leichenbrand enthielt, würde ich auf eine Urne für eine Frau tippen, und nicht auf die Darstellung irgendeiner ‘Urmutter’, der die Überreste wieder zurückgegeben werden.

Auch wenn man von irgendwelchen kultischen Funktionen ausginge und in Richtung eines wie auch immer gearteten Weiblichkeitskult dächte, müsste die Abweichung dieser bronzezeitlichen Keramik von irgendwelchen neolithischen Venus-Figurinnen mit überdimensionierten primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen, die häufig als 'Urmütter' o.ä. interpretiert werden, überhaupt nicht zwingend sein. Es ließe sich vieles denken. Aber genau das ist eben auch das Problem: Wir wissen es nicht.

Und wenn man sich mal die zweite Hofbuckelurne, die in dem Beitrag dargestellt ist, anschaut, dann sieht man, dass die Hofbuckel dort schon viel weniger Ähnlichkeit mit der menschlichen Anatomie haben, da trifft das Adverb frappierend überhaupt nicht mehr.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bin Archäologe und habe in den frühen 1980er Jahren im Hessischen Ried an der Ausgrabung einer ältestbandkeramischen Siedlung bei Goddelau teilgenommen; ich habe damals ein ebensolches Keramikfragment gefunden. Offenbar gibt es diese Darstellung durch alle Zeitläufte hinweg: Olaf Höckmann, Ein Statuettenteil aus der ältesten Linienbandkeramik von Goddelau, Kr. Gross-Gerau. Archäologisches Korrespondenzblatt 1, 1988, 15-24.
 
Bin Archäologe und habe in den frühen 1980er Jahren im Hessischen Ried an der Ausgrabung einer ältestbandkeramischen Siedlung bei Goddelau teilgenommen; ich habe damals ein ebensolches Keramikfragment gefunden. Offenbar gibt es diese Darstellung durch alle Zeitläufte hinweg: Olaf Höckmann, Ein Statuettenteil aus der ältesten Linienbandkeramik von Goddelau, Kr. Gross-Gerau. Archäologisches Korrespondenzblatt 1, 1988, 15-24.

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