Ja - zum einen habe ich das gewaltig verkürzt und zum anderen betrachtete ich den inneren Widerspruch als Zentrum des Pro und Contra´s (Vor- und Nachteil) in der Frage des Fragestellers...
Ah so. In deinem Post klang es erst so, als ob der Naturmensch einfach direkt vom Bürger abgelöst würde, der sich zu seiner eigenen Sicherheit unterordnet und alle möglichen Regeln des Zusammenlebens beherzigt - und das wäre ja dann Hobbes, nicht Rousseau.
Aus der eigentlichen Fragestellung werde ich allerdings auch nicht ganz schlau. Soll das heißen, was sind die Vor- und Nachteile des Gesellschaftsvertrags? Vor- und Nachteile welchem Vergleichsmodell gegenüber? Kann man das überhaupt seriös beantworten, wenn das ein streckenweise utopisches Weltmodell ist?
Ich weiß leider nicht inwiefern bei Rousseau die Tugendethik nach moderner Lesart hineinspielt... Als Tugend könnte man das Verlangen sittlich gut zu handeln bezeichnen. Die Sittlichkeit aber verweist ihrerseits auf die Moral und somit auch auf die Wechselwirkung innerhalb einer Gesellschaft.
Würde sich eine Untersuchung hinsichtlich des Gedankens an den (völlig selbstbezogenen) Selbsterhaltungstrieb und der Goldenen Regel (tue mir nichts, ich tue dir auch nichts an...) zur Motivation des Willen, Gutes zu tun lohnen? Wäre dies eine (Natur-)Ethik, die sich aus dem Menschen (ohne Gesellschaft) heraus ergibt, welche ihn zum "Guten" anspornt?
Richtig, genau so hatte ich Tugend gemeint. Ich müsste raussuchen, wo genau das steht, aber Rousseau trifft definitiv diese Unterscheidung. Andererseits ich bin mir nicht sicher, ob du verstanden hast, was ich mit "gut" gemeint habe, denn es ist eben gerade nicht gut im Sinne von "Motivation Gutes tun" (das hieße ja wieder etwas Sittliches) sondern einfach "unschuldig im Naturzustand leben."
Die Goldene Regel im Naturzustand ist auch nicht "Tu mir nichts, dann tu ich dir nichts." Die Goldene Regel des Naturzustandes ist im aufklärerischen Gedankengut allgemein - und auch bei Rousseau im Speziellen - wesentlich brutaler: "Nulla crimen sine lege" - wo kein Gesetz da kein Verbrechen. Das heißt, es kann durchaus Gewalt ausgeübt werden. Da diese aber tierisch-unschuldig ist, hat sie keine sittliche Dimension und ist daher nicht moralisch verwerflich. Das meint Rousseau mit "gut." Mehr nicht. Ist halt einfach eine ungewöhnliche und alltagsungebräuchliche Art, das Wort "gut" zu benutzen (diese Philosophen... :autsch
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Du hast aber insofern nicht ganz unrecht, weil man einschränkend hinzufügen muss, dass Rousseau dem Menschen im Naturzustand ein grundsätzlich einzelgängerisches, freundliches Gemüt zuschreibt. Das ist neu bei ihm, und unterscheidet ihnen von seinen Vorgängern. Für Rousseau war der Mensch im Naturzustand allerdings mit dem heutigen Menschen gar nicht zu vergleichen; der Naturzustand war für ihn eine historische Größe, in der der Mensch in seinen Eigenschaften wirklich fundamental anders war - daher auch seine spekulativen Überlegungen zu den Orang-Utans.
Die Motivationsfragen, die du dir stellst, ergeben daher wesentlich mehr Sinn bei Hobbes' Naturzustand. Der hat nämlich in der Tat gesagt, dass im Naturzustand der Mensch von seinen wesentlichen Eigenschaften her genauso ist wie der heutige, und dass die menschliche Motivation zur Tat der Schlüssel sowohl für den Naturzustand als auch für das gesellschaftliches Sich-Erheben aus demselben ist. Dass er den Naturmenschen und den gesellschaftlichen Menschen nicht weiter in seinen Eigenschaften differenziert ist Hobbes auch zum Vorwurf gemacht worden, insbesondere von Rousseau.
Rousseau war statt dessen der Meinung, dass der heutige Mensch grundsätzlich nicht im Naturzustand leben könnte, einfach weil er vom Naturmenschen nicht mehr genug Eigenschaften übrig hatte. Deswegen musste auch eine dritte Stufe der Entfremdung her um eine Alternative zur Bourgeoisie zu formulieren, ein utopischer Mensch der den Gesellschaftsvertrag auch leben kann (speziell zu dieser "zweiten substanziellen Entfremdung" gibt's ein gutes Buch von Sally Howard Campbell, das 2012 rausgekommen ist). Problematisch bei Rousseau ist halt, dass bei ihm irgendwie immer der ganze Mensch transformiert und zu einem völlig anderen Wesen wird. Das heißt, irgendwie muss der heutige Mensch sich auch wieder transformieren, um den Gesellschaftsvertrag überhaupt leben zu können. Das meinte ich eben mit utopischer Dimension.