...Da mit der Oktober-Revolution eine teils unkontrollierte Landnahme durch die Bauern einherging, die später durch die Bolschewiki legalisiert wurden, verbesserte sie die Grundlage des Lebens gerade der ländlichen Bevölkerung bis ca. 1928.
...Im Rahmen von NEP förderte die Landnahme den regionale bzw. auch überregionale Handel und somit auch die Ausbildung eines gewissen Wohlstands der ländlichen Bevölkerung und stellte im Gegenzug die ausreichende Versorgung der großen Städte sicher.
...Bis ca. 1926 konnte in etwa das Vorkriegsnivau bei wichtigen volkswirtschaftlichen Kennzahlen für Russland wieder erreicht werden. Auch, indem sie auf eine konsequente Förderung der Infrastruktur Wert legten und so die Integration der Wirtschaftsstandorte inklusive der Bergbauzentren etc. förderten und die Erholung so begünstigten.
Es wäre interessant, diese - sehr stark in der Literatur vertretene Meinung, Harrison, Wheatcraft, Allen etc. - zu diskutieren. Die Protagonisten der empirischen Forschung zur Ökonomie der Sowjetunion vor 1941 stehen wohl überwiegend auf dem Standpunkt, dass sich das wirtschaftliche Niveau bis 1928 der Vorkriegszeit angenähert habe oder es ungefähr erreicht habe.
Dazu einige Gedanken (dabei wird regelmäßig und zutreffend in der Diskussion der Gebiets- und Bevölkerungsverlust "eingerechnet"):
- zum einen ist die These nicht überraschend, da mindestens 80% der Wirtschaftskraft der SU in den frühen Jahren auf dem Agrarsektor beruhte. Hier gab es zwar auch Zerstörungen, Bevölkerungsverluste, Ernteverluste etc., aber die Strukturänderung zu kleineren Einheiten kompensierte evt. Ausrüstungsverluste. Der hohe Agraranteil müsste demnach bei halbwegs eintretender "Ruhe"/Normalisierung relativ schnell (gegenüber investitionsintensiven Sektoren) eine Erholung aufgewiesen haben, über deren systemischen Anteil man nun streiten kann.
- andererseits gibt es in den Analysen des Agrarsektors Widerspruch. Nachgewiesen und wohl von Harrison etc. akzeptiert sind Produktivitätsverluste 1925/28 gegenüber 1913 von rund 10%. Diese Verluste werden breit anerkannt auch für die Jahre 1925/26 mit sehr gutem Erntewetter, mit deutlichen Unterschreitungen des Jahresdurchschnitts 1909/13 in den Hektarerträgen. Durchschnittlich 10% bewirken hier aber Ernteverluste in der Größenordnung von 7 bis 10 Mio. Tonnen, sind also keine Kleinigkeiten.
- Fakt ist auch, dass die NEP 1928 zu solchen Problemen geführt haben soll, die in die Kollektivierung mündeten. Entweder sind diese Probleme "vorgeschoben", oder sie waren real in der Versorgung vorhanden, und es wäre nach den Ursachen zu forschen.
- weiter gibt es eine breite Diskussion über das statistische Datenmaterial. Die Protagonisten in der Forschung versuchen hier, über "adjustments", Plausibilisierungen und Kalibrierung des Datenmaterials voranzukommen. Diese Ansätze finde ich nicht überzeugend. Gearbeitet wird mit der Datenzuverlässigkeit im Vergleich etwa zu Kranken- und Bevölkerungsstatistiken, Mortalitätsraten, Seuchenwellen etc. Die Validität wird dann, ggf. mit Kalibrierung, auf die makroökonomische Datenbasis übertragen. Ich habe da große Zweifel, ob dieses Vorgehen berechtigt ist, bzw. ob der Vergleich solcher Statistiken "fraud and error" zuverlässig ausgleichen kann, aus zwei Gründen
-- Bewertungsprobleme und Rechnungsgrundlagen (methodisches Umfeld)
-- Probleme der Erfassung bei den Mengenstatistiken (dort also, wo Bewertungen nicht erforderlich sind, sondern vereinfacht das statistische Material auf messen, wiegen, zählen, etc. beruht - Erfassung von reinen Mengengerüsten)
Das Preisproblem liegt - glaube ich - auf der Hand und muss nicht weiter begründet werden. Das Mengenproblem stellt auf Erfassungsfehler, Qualitätsunterschiede, Schwund, Bestandsaufbau etc. ab. Ein einfaches Beispiel: werden 100.000 Tonnen Weizen - korrektes Messen unterstellt - auf dem Halm, nach der Ernte, in der Distribution etc. gemessen? Wieviel "versickerte", wieviel Verluste entstanden, was verschwand in den Lager- und Transportstrecken zwischen Soll und Ist. Plausibilisierungen mit dem Verbrauch gelangen oder scheiterten bislang nur punktuell.
"It is as if we tried to measure how much a caterpillar grows when it turns into a butterfly" (Nutter)
Die Datenbasis zur SU, ihre "Kalibirierung" und ihre Auswertung sind heute noch so umstritten wie zur Zeit des Kalten Krieges (Carol Leonard, in seiner aktuellen Studie zu dem russischen Agrarsektor).