Annales qui dicuntur Einhardi (Annales regni Francorum)

jchatt

Aktives Mitglied
In dem Buch "Die Sachsen" schreibt Matthias Springer über die sogenannten Einhardsannalen, dass diese ganze Textpassagen aus der klassischen (römischen?) Literatur enthält. Das finde ich sehr interessant.
Weiss jemand von Euch welche Stellen das sind und welche Vorbilder sie haben ?
Ich vermute mal z.B. Sueton?

Wahlweise würde mir auch der Link zu einer lateinischen Textversion der Einhardsannalen helfen.
Die könnte man ja dann mittels Textvergleichssoftware gegen die üblichen Verdächtigen laufen lassen.

In der "Latin Library" finde ich leider nur die Lorscher Annalen.


Gruss
jchatt
 
Sorry, beim Namen Einhard ist die Verknüpfung eben da, was auch daran liegt, dass man heute ja eigentlich nicht mehr von Einhardsannalen spricht.
Die findest du im MGH-Band SS rer. Germ VI:
dMGH | Band | Scriptores [Geschichtsschreiber] | Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi (SS rer. Germ.) | [6]: Annales regni Francorum inde a. 741 usque ad 829, qui dicuntur Annales Laurissenses maiores et Einhardi | Annales
Du kannst sie dir als Bildscan oder als HTML ansehen, aber die HTML eignet sich nur sehr schwer für dein Vorhaben.
Wo ich an deiner Stelle suchen würde, wäre in der Library of Latin Texts, auf der Seite von brepolis. Das lohnt sich aber nicht von zuhause aus, weil du da keinen Zugriff hast. Musst du in eine wissenschaftliche Bibliothek für gehen.
 
Wo ich an deiner Stelle suchen würde, wäre in der Library of Latin Texts, auf der Seite von brepolis. Das lohnt sich aber nicht von zuhause aus, weil du da keinen Zugriff hast. Musst du in eine wissenschaftliche Bibliothek für gehen.
Zumindest einen Benutzerausweis haben ; aber das das unter die Nationallizenzen fällt, kann man sich da auch eine kostenlose Einzellizenz geben lassen:
Der deutschlandweite Zugriff auf die Datenbank Library of Latin Texts von Brepols wird durch die Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglicht und durch die Bayerische Staatsbibliothek München organisiert.
Einzelpersonen mit ständigem Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland können sich persönlich für einen kostenlosen Zugriff registrieren lassen, falls ihnen der Zugang über ein Universitätsnetz, bzw. über ihre wissenschaftliche Bibliothek, nicht zur Verfügung steht.
Login für registrierte Einzelnutzer:
https://proxy.nationallizenzen.de/login?
url=http://www.brepolis.net
CD-Rom- und Online-Datenbanken/Einzeltrefferanzeige
 

die "Annales qui dicuntur Einhardi " sind eine überarbeitete Fassung der Annales regni Francorum. Dein Link verweist, so wie ich das sehe, auf letzteres, auch Reichsannalen genannte Werk.

Sinngemäß schreibt Matthias Springer über die Annales qui dicuntur Einhardi ungefähr:
"Der Autor der früher auch Einhardannalen genannten Aufzeichnungen, der wahrscheinlich nicht mit Einhard identisch war, hat einige der gröbsten Unsachlichkeiten der Annales Regni Francorum (Reichsanalen) getilgt und lehnt sich im Stil stark an die klassische Literatur an, wobei ganze Textpassagen von dort übernommen wurden"

Im Prinzip will ich diese Aussagen überprüfen. Dafür brauche ich beide Annalen-Quellen und die Vorbilder aus der klassischen Literatur.

Gruss
jchatt
 
Wenn Du einmal einen richtig ergiebigen Text lesen willst, der etliche (teilweise beinahe wörtliche) Passagen aus älteren Werken enthält, empfehle ich Dir die ältere der beiden anonymen Biographien über Mathilde, die Mutter Ottos I. (Vita Mathildis reginae antiquior - natürlich auch in der MGH zu finden). Dort findet sich alles Mögliche - von Sulpicius Severus' Biographie des hl. Martin über Venantius Fortunatus bis hin zu Vergil.
 
Wenn Du einmal einen richtig ergiebigen Text lesen willst, der etliche (teilweise beinahe wörtliche) Passagen aus älteren Werken enthält, empfehle ich Dir die ältere der beiden anonymen Biographien über Mathilde, die Mutter Ottos I. (Vita Mathildis reginae antiquior - natürlich auch in der MGH zu finden). Dort findet sich alles Mögliche - von Sulpicius Severus' Biographie des hl. Martin über Venantius Fortunatus bis hin zu Vergil.

Danke für den Hinweis. Zeitlich passt das ja in etwa zu meinen Annalen.
Sind diese Textstellen irgendwo schon in einer Arbeit behandelt worden, oder muss ich da als Nichtlateiner auch mittels Plagiatssoftware auf die Suche gehen?
Mich interessiert vor allem in welchem Ausmaß von der klassischen Literatur übernommen wurde. Waren das nur Floskeln, oder wurden auch ganze Handlungen übernommen?

Gruß
jchatt
 
Teils, teils.

Der Anfang des Prologs erinnert deutlich an den Beginn des ersten Kapitels von Sulpicius Severus' Biographie des hl. Martin:
Mathilde:
Dum plerique mortalium studio seculari inaniter dediti, perhennem sui nominis memoriam seu humani mercedem favoris inde quaerentes vitas clarorum sapienter populares propagando ad aures philosophatico fabulose illustrarent stilo virorum
Sulpicius Severus:
Plerique mortales studio et gloriae saeculari inaniter dediti exinde perennem, ut putabant, memoriam nominis sui quaesierunt, si vitas clarorum virorum stilo illustrassent.

Ein paar Sätze weiter ein fast wörtliches Zitat aus der Praefatio des hl. Martin:
Mathilde:
materiam disertis merito reservandam scriptoribus inprudenter occupavimus
Sulpicius Severus:
materiam disertis merito scriptoribus reservandam impudens occupassem

Wenig später eine zumindest sinngemäße Übereinstimmung, wieder zwischen einer Stelle aus dem Prolog der Mathilde und einer aus der Praefatio des hl. Martin:
Mathilde:
nam tantorum latere virtutes temeritate silencii nefas putavimus
Sulpicius Severus:
ego enim, cum primum animum ad scribendum appuli, quia nefas putarem tanti viri latere virtutes, apud me ipse decidi, ut soloecismis non erubescerem

Und dann der Schluss des Prologs der Mathilde und der Schluss des ersten Kapitels des hl. Martin:
Mathilde:
Plura vero ex his, que comperta sunt nobis, omisimus, quia sufficere, si tantum excellentia notarentur, credidimus; simul, ne legentibus superflua fastidium ingererent, fecimus. Hec autem qui lecturi sunt, fidem dictis adhibeant, petimus nec me quicquam nisi probata scripsisse arbitrentur
Sulpicius Severus:
Quamquam etiam ex his, quas comperta nobis erant, plura omisimus, quia sufficere credidimus, si tantum excellentia notarentur: simul et legentibus consulendum fuit, ne quod his pareret copia congesta fastidium. Obsecro autem eos qui lecturi sunt, ut fidem dictis adhibeant, neque me quicquam nisi compertum et probatum scripsisse arbitrentur: alioquin tacere quam falsa dicere maluissem.

Derartig auffällige Parallelen zwischen den beiden Werken gibt es noch so einige.

Aber schauen wir uns einmal im 3. Kapitel der Mathilde an, wie sich Heinrich in Mathilde verliebt:
Que procedens, niveas genas permixta ignis rubore, candida veluti lilia rubentibus rosis intermixta tales dabat ore colores. Quam Heinricus ut vidit remque ex integro persensit, fixit in virgine vultum in tantum in eius succensus amore

Zum Vergleich aus dem 12. Gesang (V. 65 ff.) von Vergils Aeneis:
flagrantis perfusa genas, cui plurimus ignem
subiecit rubor et calefacta per ora cucurrit.
Indum sanguineo veluti violaverit ostro
si quis ebur, aut mixta rubent ubi lilia multa
alba rosa, talis virgo dabat ore colores.
Illum turbat amor figitque in virgine vultus

Das nur als ein paar Beispiele. In der Ausgabe in den MGH wird auch auf derartige Parallelen hingewiesen.
 
Vielen Dank Ravenik,

das gibt mir einen guten Überblick.
Ich denke aber, dass eine Vergleichssoftware gerade die letzten Deiner Beispiele nicht finden wird, da sie in der Wortwahl doch erheblich differieren:cry:
Es wäre ja auch zu schön gewesen, sich dieses Thema nur durch einen Knopfdruck erschliessen zu können.

Offenbar war es wohl sehr beliebt bei den Klassikern abzuschreiben. Da die Auswahl an Literatur damals wahrscheinlich eher begrenzt war, ist es ja nicht unwahrscheinlich, dass diese Plagiate auch von anderen als solche erkannt wurden. Also wollte man sich offenbar bewusst in die Tradition dieser Werke stellen. Kann man das so sehen ?

Gruß
jchatt
 
Keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass diese Frage überhaupt beantwortbar ist, da wir nicht wissen, was in den Köpfen der mittelalterlichen Autoren vorging - es sei denn, einer von ihnen hat in seinem Werk selbst über seine Kopiertätigkeit reflektiert, was mir aber nicht bekannt ist. (Allerdings kenne ich mich mit mittelalterlicher Literatur auch nicht besonders gut aus.) Aus dem Bauch heraus würde ich aber vermuten, dass abschreibende Autoren entweder mit ihrer Gelehrtheit bei ebenfalls belesenen (und die Originale kennenden) Lesern angeben wollten oder aber auf Vorlagen zurückgriffen, um ihre eigenen Werke möglichst schön hinzubekommen. Für Ersteres spricht im Fall des anonymen Verfassers der Mathilde-Biographie wohl, dass er stark auf Sulpicius Severus' Martinsbiographie zurückgriff. Das Werk ist heute zwar nur noch wenig bekannt, war im Mittelalter aber populär und wird zumindest etlichen geistlichen Lesern (die wohl auch die Masse der potentiellen Leser der Mathildebiographie stellten) gut bekannt gewesen sein. Das mit dem bewusst in die Tradition dieser Werke Stellen könnte natürlich auch hinkommen, wobei ich darauf tippen würde, dass man durch das Nachahmen den Respekt vor den Originalen bekunden wollte.
 
Das mit dem bewusst in die Tradition dieser Werke Stellen könnte natürlich auch hinkommen, wobei ich darauf tippen würde, dass man durch das Nachahmen den Respekt vor den Originalen bekunden wollte.
vielleicht ist das auch im Kontext eines literarischen Topos des frühen Mittelalters zu sehen, welcher in der Entschuldigung bestand, nicht mehr so klar und perfekt Latein zu können wie "die Alten" - u.v.a. z.B. bei Gregor von Tours --- das zitieren / sich-anlehnen / integrieren stellt also eine literarisch-stilistische Kontinuität her, welche hohe literarische Qualität bedeuten soll. (auch im weltlichen Bereich erahnbar: ein ritter so geleret waz / daz er in den buochen laz)
 
Generell war es bei den frühmittelalterlichen Autoren üblich, sich für die eigenen mangelhaften Fähigkeiten, ein schönes Werk zu verfassen, zu entschuldigen. Dazu kam mitunter noch der Zusatz, es handle sich beim eigenen Werk nur um eine Art Vorarbeit, die ein gewandterer Autor vollenden möge. Manche Autoren - so auch der Verfasser der Mathilde-Biographie - riefen geradezu dazu auf, jemand anderer möge ihr Werk überarbeiten. (Gregor von Tours ist da allerdings eine Ausnahme: Am Ende seines Geschichtswerkes bat er ausdrücklich darum, es unverändert zu lassen.)
 
In dem Buch "Die Sachsen" schreibt Matthias Springer über die sogenannten Einhardsannalen, dass diese ganze Textpassagen aus der klassischen (römischen?) Literatur enthält. Das finde ich sehr interessant.
Weiss jemand von Euch welche Stellen das sind und welche Vorbilder sie haben ?
Ich vermute mal z.B. Sueton?

Also die Vita Karoli Magni von Einhard ist definitiv bei Sueton abgekupfert. Vom Aufbau her usw.
Musst mal die Vita Karoli und die Augustusbiographie von Sueton lesen, dann weißte Bescheid. ;)
Zweck: natürlich Karl als "Nachfahre" des Augustus darstellen.

Bei den Annalen weiß ich jetzt grad nix zu... :grübel:
 
Also die Vita Karoli Magni von Einhard ist definitiv bei Sueton abgekupfert. Vom Aufbau her usw.
Musst mal die Vita Karoli und die Augustusbiographie von Sueton lesen, dann weißte Bescheid. ;)
Zweck: natürlich Karl als "Nachfahre" des Augustus darstellen.
Ich glaube, soweit muss man nicht zwingend gehen. Sueton galt lange Zeit als Maß aller Dinge, was das Schreiben von Biographien anbelangte - vor allem unter Gelehrten, denen Plutarchs Biographien nicht zugänglich waren oder die sie mangels Griechischkenntnissen nicht lesen konnten. Somit ist es nur natürlich, dass Einhard sich Suetons Biographienschreibstil zum Vorbild nahm.

Im Übrigen geht Einhard nur relativ knapp auf Karls Kaiserwürde ein (im Wesentlichen nur im 28. Kap.) anstatt sie groß herauszukehren. Mit der Nase stößt er den Leser also nicht gerade auf einen Bezug zu Augustus, und er konnte auch nicht unbedingt voraussetzen, dass seine Leser das Original kennen würden und ihnen somit die Parallele in die Augen springen würde.
 
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