Evolution der Kultur (?).

Und betrachtet man wissenschaftliche Literatur, dann gibt es nahezu kein Wissenschaftsbereich, in dem nicht der Begriff "Evolution" verwendte wird. Wie z.B. D.C. North: Understanding the Process of Economic Change, der den Begriff 63 Mal verwendet. Oder Acemoglu: Introduction to Modern Economic Growth, der Evolution 44 Mal verwendet. Noch deutlicher wird die intensive Verwendung beispielsweise bei Fukuyama: The Origins of Political Order, der den Begriff 105 Mal heranzieht.

Mir war so, als ob North mit dem Begriff Evolution deutlich machen möchte, dass die wirtschaftliche Entwicklung über die Jahrtausende gewissen Mechanismen folgt. Ähnlich wie eben die "biologische Evolution" dem Mechanismus der Selektion-Varianz-Überleben (Anm: Diese Reihenfolge hat keinen tieferen Sinn).

Auch mir erscheint es so, dass der Begriff Evolution in jedem Wissenschaftszweig Verwendung findet, jeweils angewandt auf den eigenen Gegenstand. Es gibt sogar evolutionäre Theorien des strategischen Managements.

Was dabei allerdings meistens außer Acht gelassen wird, ist die Tatsache das Darwin den Evolutionsprozes als von zwei Mechanismen getragen bezeichnet. Der natürlichen und der sexuellen Selektion. Die Eingangs erwähnte Kritik am zu großen Geweih des Hirschs ist typisch für diejenige Sicht auf die Evolutionstheorie, die nur auf die natürliche Auslese abstellt. Das Hirschgeweih mag zu groß sein, um dem Hirsch eine effektive Verteidigung im Falle eines Angriffs durch Fressfeinde (Wolfsrudel )zu bieten, bzw. mag aufgrund hoher Energiekosten seine Überlebensfähigkeit in schwierigen Lebenssituationen beschränken.
Allerdings ist das Geweih auch Mittel des Hirsches, sich gegen Paarungskonkurrenz durchzusetzen. Somit könnte man die Entwicklung hin zu immer größeren Geweihen somit erklären, dass sie zwar im Lichte der natürlichen Selektion ein Nachteil darstellen, aus Sicht der sexuellen Selektion den entscheidenden Vorteil bieten, seine Gene weiterzugeben.

Genau dieser Aspekt der sexuellen Auslese, mit dem Darwin unter anderem auch das knallblaue Federkleid der Straussen erklärt (wenn ich mich richtig erinnere), das dem Weibchen signalisiert, der feine Herr ist so begabt, dass ihm selbst dieser Nachteil keine Probleme bereitet, der in den nicht-biologischen Evolutionstheorien nur selten vorkommt.

Man hat teils versucht die sexuelle Auslese in Organisationen als eine Art interne Selektion zu modellieren, das gelingt aber nur bedingt, denn die Akteursbeziehungen innerhalb von Organisationen sind nun mal nicht so einfach zu erklären wie, naja ihr wisst schon, Bienen und Blüten und so...
 
Evolution findet doch eigentlich nicht zu Nachteil der Natur statt. Nichts hat sich aber für die belebte Natur so zerstörerisch gezeigt wie die menschliche Kultur.

Das ist falsch. Als sich bspw die Cyano-Bakterien als erste Photosynthese betreibende Lebensformen entwickelten und dadurch erstmals gro0e Mengen Sauerstoff in Meeren und Atmosphäre freigesetzt wurden, war das das Todesurteil für den großteil der vorherigen Bakterien-Fauna, für die Sauerstoff ein Gift war.

Erstaunlich finde ich, dass es auch Völker gab, wie Naturvölker, die mit dem Erreichten offenbar zufrieden waren und Jahrhunderte keinerlei Veränderung ihrer Kultur erfahren haben. Offenbar lag das aber an ihren relativ isolierten Lebensräumen in die keine Einflüsse von anderen Kulturen zustande kamen.

Gibt doch auch „lebende Fossilien“... ;)

Die Vorstellungen, Gesellschaften blieben stabil bzw unverändert, weil die Menschen in diesen „mit dem Erreichten zufrieden“ wären, halte ich für problematisch. Es beschwört das Bild des faul in der Sonne liegenden „Wilden“ herauf, im Gegensatz zum „vorwärts strebenden, zivilisierten Menschen“. Dass für die Entwicklung von Gesellschaften und die zugrunde liegenden Prozesse äußere Einflüsse (bspw durch den Lebensraum) eine wichtige Rolle spielen, kommt dabei zu kurz.

Noch eine Anmerkung zu kulturellen Phänomenen wie Sprache, Malerei oder Literatur: Ich denke, es ist weitgehend unumstritten, dass diese Dinge zum modernen Menschen dazugehören; kein Volk auf Erden kommt ohne aus. Die Entwicklung von Kunst und komplexer Sprache könnte eine der Dinge sein, die wir (modernen Menschen) unseren ausgestorbenen Verwandten der Gattung Homo voraus hatten, aber hängt stark mit der biologischen Evolution des Menschen zusammen, um die es hier nicht geht.

Fraglich wäre, ob die kulturelle Entwicklung (Evolution) von Sprache und Kunst zu Rückkopplungseffekten führt, die wiederum die Gesellschaft verändern. Für manche Phänomene könnte man das mE mit ja beantworten, ins besonders wenn es um neue Phänomene geht. Die Entstehung des Theaters im antiken Griechenland bspw könnte auf die gesellschaftliche Entwicklung zurückgewirkt haben, da sie ein neues Medium sozialer Kommunikation und Auseinandersetzung darstellte, was für die Entwicklung der antiken Demokratie wichtig war, was wiederum die Entwicklung des Theaters voran trieb usw usf. Ähnliches ließe sich mWn für das elisabethanische Theater sagen, Shakespeare vorne weg.

Lässt sich das aber auch für die Entwicklung „innerhalb“ eines solchen Phänomens sagen? Macht es einen Unterschied, welche Form des Theaters in einer Gesellschaft vorherrscht, ob die Malerei konkret oder abstrakt ist? Spielt es für die sozio-kulturelle Entwicklung eine Rolle, ob eine Gesellschaft die eine oder die andere Sprache spricht? ME nicht, oder nur sehr, sehr untergeordnet.

(Es gibt die Idee, das Griechische oder Deutsche hätten durch ihre komplexe Struktur das Philosophieren begünstigt und wäre so für die Erfolge griechischer Philosophen in der Antike oder deutscher in der Neuzeit mitverantwortlich, aber damit kenne ich mich viel zu wenig aus, um das beurteilen zu können. Außer natürlich bei den Römern; dass die alle Latein sprachen beweist ja geradezu ihre kulturelle Überlegenheit... ;) )

Gleiches lässt sich mE parallel bei manchen evolutionsbiologischen Entwicklungen beobachten. Die Fellmusterung von Großkatzen ist zweifellos ein evolutionsbiologischer Prozess, der als Tarnung eine wichtige Rolle spielt. Ob sich aber nun Streifen (Tiger), Flecken (Leoparden ) oder Ringe (Jaguar) zeigen, könnte für diesen Zweck weitestgehend bedeutungslos sein und dem Zufall (oder der sexuellen Evolution) unterliegen; so wie es meiner theaterwissenschaftlich ungebildeten Meinung weitestgehend egal ist, ob Schauspieler Shakespeare nun im historischen Kostüm, moderner Kleidung oder nackt aufführen; Hauptsache Shakespeare. ;)

Zum Abschluss, da es einige Male in diesem Thread anklang: Es bringt mE gar nichts, bei der Betrachtung des Jetztmenschen und seiner kulturellen und geschichtlichen Entwicklung zwischen „Kultur“ (-zustand) und „Natur“ (-zustand) zu unterscheiden. Die Kultur ist der Naturzustand des Menschen; zumindest des Homo sapiens, evtl auch schon früherer Arten des Homo. Durch die biologische Evolution sind Wesen entstanden (wir), deren nicht-biologische, kulturelle Entwicklung derart wirkmächtig und va schnell ablief, dass die biologische Evolution fast keinen Einfluss mehr auf diese Entwicklung nehmen konnte; und das „fast“ steht da auch nur wegen Nebensächlichkeiten wie der bspw der Laktosetoleranz, die allenfalls winzige Nuancen in diesem komplexen Prozess darstellen.
 
Interessant! Und in welchem Kontext diskutiert er diese Frage, in welchem Sinne verwendet er den Begriff "evolutionary" und zu welcher Antwort kommt er?
Veblen verwendet den Begriff wohl im Sinne von Institutionen (Praktiken, Gewohnheiten), die sich ueber Zeit aus aelteren entwickeln. Er bezieht das auch darauf, wie sich diese Institutionen im Laufe der Zeit entwickeln.

_______________________________________________

Der Begriff "Ökosystem" verweist wohl weniger auf ein natürliches Biotop, sondern wird wohl adaptiert und eher im Sinne des "Systembegriffs" verwendet und der Vorstellung, dass innerhalb von Systemen Regelkreisläufe vorhanden sind. Gleichzeitig weist diese Vorstellungen bestimmten Teilen dieser Systeme bestimmten Funktionen zu.
....
In Anlehnung an die struktur-funktionalistische Schule hat diese Vorstellung von Gesellschaft als ein sich selber regelndes System Luhman oder beispielsweise Münch vertreten
So wuerde ich das eigentlich auch verstehen. Nur im Unterschied zu Maschine und Organismus gibt es da einen Haken. Letztere besteht aus Atomen oder Zellen, die sich nach Naturgesetzen, statistischer Wahrscheinlichkeiten und im Falle der Zellen nach deren DNA-Program richten. Im Falle der Wirtschaft ist es aber so, dass das nicht aus Atomen oder Zellen besteht, sondern aus einzelnen Akteuren, die Entscheidungen treffen, je nach ihrer gegenwaertigen subjektiven Wertauslegung. Allerdings ist es auch so, dass diese sich nach biologischen und kulturellen Gegebenheiten, den Institutionen eben, ausrichten.
 
....

Zum Abschluss, da es einige Male in diesem Thread anklang: Es bringt mE gar nichts, bei der Betrachtung des Jetztmenschen und seiner kulturellen und geschichtlichen Entwicklung zwischen „Kultur“ (-zustand) und „Natur“ (-zustand) zu unterscheiden. Die Kultur ist der Naturzustand des Menschen; zumindest des Homo sapiens, evtl auch schon früherer Arten des Homo. Durch die biologische Evolution sind Wesen entstanden (wir), deren nicht-biologische, kulturelle Entwicklung derart wirkmächtig und va schnell ablief, dass die biologische Evolution fast keinen Einfluss mehr auf diese Entwicklung nehmen konnte; und das „fast“ steht da auch nur wegen Nebensächlichkeiten wie der bspw der Laktosetoleranz, die allenfalls winzige Nuancen in diesem komplexen Prozess darstellen.

Das ist wesentlich und sehr gut ausgedrückt.

hatl

Beachtenswert ist auch der zeitliche Verlauf der Beschleunigung der 'wirkmächtigen Entwicklung'.
Die biologische Evolution des Menschen ist davon zeitlich so stark abgekoppelt, dass sie vielleicht noch begriffliche Erklärungsanalogien beisteuern kann.
Mehr zu erwarten führte ins Missverständnis.
 
Rena8,
Mmh, allgemein eingeführte Begriffe wie Evolution und Entwicklung kann man diskutieren, z.B. in welchen Zusammenhängen der eine oder andere passender ist.
Wenn ich dich richtig verstanden habe, Reinecke, meinst du, man könnte deshalb den Begriff Evolution für menschliche Kultur verwenden, weil diese aus vielfältigsten Ausdrücken besteht, die sich ständig verändern.
Das könnte man, wenn diese vielfältigen Kulturausdrücke zufällig entständen. Tun sie das aber?
Mir kommt es vor, als seien dies nur scheinbare Zufälle, denn wir hatten und haben noch immer die großen Zielsetzer Religion, Gesetze, Moral, politische Ideen. Diese wirken sich auf die vielfältigen Kulturausdrücke aus, in der Summe entsteht so etwas wie Zeitgeist. Der sich natürlich laufend verändert aber nicht zufällig evolutionär sondern von menschlichen Gedanken gesteuert. Und da paßt für mich Entwicklung besser.

Religion ist ein ganz besonderes Thema deshalb, weil diese eine sehr alte Erscheinung ist und sich bis in die Anfänge der Entstehung des modernen Menschen zurückverfolgen lässt.
Insofern ist hier eine Abbildung in der biologischen Verfasstheit des Menschen nicht widersinnig.

Es ist auch ein Missverständnis zu meinen, dem Begriff„evolutionär“ könne man ohne weiteres, und sozusagen nebenbei, das Prädikat „zufällig“ beifügen.
Die Vorstellung einer Steuerung der Geschichte durch „menschliche Gedanken“ ist nicht plausibel.
Denn eine solche Steuerung ist selbst durch die mächtigsten und eindruckvollsten Denker und Herrscher nie wirklich gelungen und der Weg der Geschichte war stets überraschend.
(man könnte hier einerseits den Zufall erblicken und andererseits einen nicht verstandenen steuernden „Mechanismus“ oder menschlichen Geist. Es erscheint mir naheliegend anzunehmen, dass weder das Eine noch das Andere die Sache ausreichend erklären kann.)

Ich will betonen, dass Religion etwas sehr Frühes ist.
(Etwa wenn man diese mit der neueren Erscheinung der zeitlich explosionsartigen Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik vergleicht)

Mit dem evolutionären Charakter, im Sinne des evolutionären Algorithmus (was war das gleich wieder?) von Religion befasst sich der Religionswissenschaftler Michael Blume.
http://www.blume-religionswissenschaft.de/pdf/EthikUnterrichtEvolutionReligion.pdf

Daraus:
Religiosität und Religionen in evolutionärer
Perspektive

Während der mittleren Altsteinzeit, nach aktueller
Fundlage vor etwa 100.000 Jahren, begannen unsere
Homo sapiens-Vorfahren (wie auch die später
erloschenen Linien von Homo neanderthalensis),
ihre Toten nicht mehr einfach zurückzulassen, sondern
mit Bestattungen und zunehmend auch mit
Beigaben wie Werkzeugen, Schmuck und Farben
(wie dem roten Ocker, der wohl auf Leben und Blut
verwies) rituell ins Jenseits zu geleiten. Etwa von
der gleichen Zeit an finden wir erste Ritzmuster auf
Gebrauchsgegenständen sowie schmückende Ketten
aus durchbohrten Meeresschnecken, was die
zunehmende Komplexität nicht nur von Gehirnen,
sondern auch von Sozialbeziehungen unterstreicht.
Vor etwa 40.000 Jahren setzte dann eine wahre Explosion
bei der Herstellung von Kunstobjekten ein:
Höhlenmalereien und exquisit gearbeitete Figurinen
etwa von Frauen (die so genannten »Venus-
Figurinen«) und Tier-Mensch-Verbindungen (wie
den »Löwenmenschen«) eröffnen den Blick auf eine
reichhaltige, geistige Welt unserer Vorfahren.1
…............
4. Kooperatives und reproduktives Potenzial
In spontanen Tests erweisen sich religiös vergemeinschaftete
Menschen nicht als »moralischer«
(z. B. hilfsbereiter) als Konfessionsfreie. Erstere sind
allerdings erfolgreicher darin, kooperative Sozialverbände
zu gründen. Ein evolutionsbiologisch zentraler,
aber auch kulturwissenschaftlich wichtiger
Effekt ist demografischer Art:
Menschen, die eine Religion praktizieren, weisen im
Durchschnitt deutlich höhere Kinderzahlen auf als
Konfessionsfreie. Erfolgreiche religiöse Traditionen
entwickeln zudem eigene Institutionen zur Unterstützung
kinderreicher Familien wie Schulen, Hospize,
Ferienlager und vieles mehr. Einige entbinden
sogar Einzelne von der eigenen Familiengründung,
um als religiös beglaubigte »Helfer am Nest« Überleben
und Reproduktion der Gemeinschaft durch
Lehre, Heilung, Bildung und Kinderbetreuung zu
unterstützen. Man denke hierbei beispielsweise an
Nonnen und Mönche in christlichen und buddhistischen
Traditionen wie auch an lebenslang unverheiratete
Lehrerinnen bei den Old Order Amish.4
…...
Biokultureller Blick auf die Religionsgeschichte
…...
Ebenso wird die »demografische Wende« ursprünglich
familienkritischer Traditionen wie des frühen
Christentums oder Buddhismus zugänglich: Auch
im Wettbewerb der Auslegungen in einer religiösen
Tradition setzen sich über Generationen hinweg
tendenziell die kinderreicheren Varianten durch.
Damit wirkt dieser kooperative und reproduktive
Effekt wiederum verstärkend auf die biologischen
Veranlagungen der Religiosität zurück: Menschen,
die stärker religiös empfanden, hatten und haben
eine etwas erhöhte Chance, ihre entsprechenden
Gene und Gehirnstrukturen an kommende Generationen
weiter zu geben.
Zwillingsstudien belegen heute, dass Religiosität
analog zur Musikalität auch genetisch veranlagt und
mithin ein ganz »normales« und entsprechend universelles
Merkmal menschlicher Natur geworden
ist.

Um eiligen Befürchtungen entgegenzutreten:
Daraus lässt sich kein Rassismus basteln
und daraus wird auch kein „biologistischer“ Ansatz der Kulturentwicklung der unseligen Auswüchse eines verwirrten Zeitgeistes in neuerer Zeit.
 
Zuletzt bearbeitet:
....

Man kann meinen:
1.Kultur ist ein Evolutionsprodukt;
2. Kultur hat evolutionäre Komponenten;

Lieber hatl, ich müsste für einige Zeit diese Zitatsinhalt vor dem ich darauf antworte, in mir reifen zu lassen...

-ich denke, der "treibende" Kraft hier, für die Entwicklung/Evolution der Kultur war sicher nicht der "seelischen Faulheit".

Dies überhaupt -nach dem Bibel- ist eine "Sünde" ( der seelische Faulheit) ? (Der Begründung hier zum meine Frage: Der Inhalt/Lehre des Bibels hat doch eine durchhaus prägende Einfluss durch Jahrhunderte lang auf uns, auf unseren Moral/Tugend -Einstellung/darüber unseren Vorstellung/Auffassung ausgeübt. Ohne diese prägende Einfluss auf den Abendland, frage ich mich/fragt sich schon - in welche Richtung könnte dann der Evolution der "Kultur" gehen/gegangen sein ?)
 
Um eiligen Befürchtungen entgegenzutreten:
Daraus lässt sich kein Rassismus basteln
und daraus wird auch kein „biologistischer“ Ansatz der Kulturentwicklung der unseligen Auswüchse eines verwirrten Zeitgeistes in neuerer Zeit.
aber, wenn auch sicher nicht so intentioniert, es lässt sich doch amüsantes aus dem Zitat ersehen:
Menschen,
die stärker religiös empfanden, hatten und haben
eine etwas erhöhte Chance, ihre entsprechenden
Gene und Gehirnstrukturen an kommende Generationen
weiter zu geben.
...mit gemischten Gefühlen denke ich da an den angeblich mit besseren Genweitergabechancen ausgestatteten katholischen Klerus inklusive seiner abstinenzlerischen Regeln... =)

Zwillingsstudien belegen heute, dass Religiosität
analog zur Musikalität auch genetisch veranlagt und
mithin ein ganz »normales« und entsprechend universelles
Merkmal menschlicher Natur geworden
die genetische Veranlagung zur Musikalität scheint mir zweifelhaft, da eigentlich keine sonderlich stichhaltige Definition dieses eher schwammigen Begriffs vorhanden ist (und sollte auf die Familie Bach verwiesen werden: die gibt es nicht mehr...)
 
Dekumatland,

die Bach-Familie ist m.E. ein gutes Beispiel für ein Missverständnis.
Eigenschaften wie Musikalität vererben sich ja nicht einfach auf die folgende Generation sondern haben eine erhebliche Streuung. Ein Hochbegabter wird mit hoher Wahrscheinlichkeit einen weniger begabten Nachkommen hervorbringen.
Man kann hier also nur spekulieren ob die Bachs eine genetische Veranlagung zur Musik hatten,
während man davon ausgehen darf, dass die soziale Prägung bezüglich der Musikalität gegeben war.

Eine gänzlich andere Frage ist, inwiefern es überhaupt eine genetische Abbildung von Musikalität und Religiosität gibt.
Nachdem es hier ja keine Laborbedingungen gibt behilft man sich mit "Zwillingsstudien".
Man untersucht also genetisch identische eineige Zwillinge mit unterschiedlicher sozialer Prägung,
und ergänzend genetisch unterschiedliche Zwillinge mit vergleichbarer sozialer Prägung.

Und hier ist lt. Quelle eine entsprechende Korrelation bei genetisch identischen Menschen gegeben.
Wenn dem so ist, was ich für vernünftig annehmbar halte,
dann findet man auch ein Indiz dafür, wie zeitlich tief welche Wurzeln welcher Kulturerscheinung zu vermuten sind.

Dass der Dampfmaschinenbau, oder der Bau der Galeassen, genetische Spuren hinterlassen haben könnte, scheint mir eher unwahrscheinlich.:pfeif:

hatl

P.S. selbst der Affe macht Musik.
Wie sich das anhört kann man im Fußballstadion oder bei Aufmärschen hören.
:D
 
Dass der Dampfmaschinenbau, oder der Bau der Galeassen, genetische Spuren hinterlassen haben könnte, scheint mir eher unwahrscheinlich.:pfeif:
:D:D
...um nennenswert genetische Spuren zu hinterlassen, waren der Dampfmaschinenbau wie auch der Galeassenbau wohl nicht religiös genug... :pfeif: ...nachzuforschen lohnend in diesem Kontext müsste sein, die genetischen Spuren des Tempel-, Kathedralen- und Klosterbaus zu betrachten :pfeif:;)
 
Zuletzt bearbeitet:
Eine gänzlich andere Frage ist, inwiefern es überhaupt eine genetische Abbildung von Musikalität und Religiosität gibt.
Nachdem es hier ja keine Laborbedingungen gibt behilft man sich mit "Zwillingsstudien".
Man untersucht also genetisch identische eineige Zwillinge mit unterschiedlicher sozialer Prägung, und ergänzend genetisch unterschiedliche Zwillinge mit vergleichbarer sozialer Prägung.

Und hier ist lt. Quelle eine entsprechende Korrelation bei genetisch identischen Menschen gegeben.
Wenn dem so ist, was ich für vernünftig annehmbar halte,
dann findet man auch ein Indiz dafür, wie zeitlich tief welche Wurzeln welcher Kulturerscheinung zu vermuten sind.

Erst einmal, welche Quelle? Also wer hat solche Zwillingsstudien zur Vererbung von Begabungen (Musikalität) und illusionären Gefühlen (Religiösität) durchgeführt? Und wenn gelesen: Wie wurden die Phänomene zum Hypothesentesten operationalisiert?
 
Erst einmal, welche Quelle? Also wer hat solche Zwillingsstudien zur Vererbung von Begabungen (Musikalität) und illusionären Gefühlen (Religiösität) durchgeführt? Und wenn gelesen: Wie wurden die Phänomene zum Hypothesentesten operationalisiert?

Im von mir angegeben Link gibt Blume hierfür (genetische "Prägung" von Religiosität) keine Quelle an.

Hier
bezieht er sich auf Thomas J. Bouchard, Jr. - Wikipedia, the free encyclopedia :
-> http://www.blume-religionswissenschaft.de/pdf/GeneticEnvironmentalInfluencesReligiousness2006.pdf

(eine Korrelation zwischen identischer Gen-Ausstattung und Musikalität setzt Blume, soweit ich es verstehe, als bekannten wissenschaftlichen Konsense voraus.)

Allerdings sind hier Spezialfälle dessen gegeben, was man als "Evolution der Kultur" bezeichnen kann.

hatl

P.S.
Hierzu: "Wie wurden die Phänomene zum Hypothesentesten operationalisiert?" kann ich Dir leider nichts sagen, weil ich garnicht weiss was das ist.
Ich nehme aber an, dass sich die Beantwortung aus der Methodik der Zwillingsforschung ergibt.
P.S.2
Die Zuordnung von Religiosität zu den "illusionären Gefühlen" ist nicht ganz unproblematisch.
 
Zuletzt bearbeitet:
Im von mir angegeben Link gibt Blume hierfür (genetische "Prägung" von Religiosität) keine Quelle an.
Hier bezieht er sich auf Thomas J Bouchard, Jr.

(eine Korrelation zwischen identischer Gen-Ausstattung und Musikalität setzt Blume, soweit ich es verstehe, als bekannten wissenschaftlichen Konsense voraus.)

Allerdings sind hier Spezialfälle dessen gegeben, was man als "Evolution der Kultur" bezeichnen kann.

Danke für den Hinweis auf deine Referenzliteratur: den Artikel von Laura B. Koenig & T. J. Bouchard (in: Patrick McNamara, Where God & Science Meet. London, 2006, Vol. I, Ch. 3) habe ich mir zur gründlichen Lektüre ausgedruckt. Der Artikel kann als gute Diskussionsgrundlage dienen.


Hierzu: "Wie wurden die Phänomene zum Hypothesentesten operationalisiert?" kann ich Dir leider nichts sagen, weil ich garnicht weiss was das ist.
Ich nehme aber an, dass sich die Beantwortung aus der Methodik der Zwillingsforschung ergibt.

Vom ersten spontanen Eindruck wird Religiösität als Charakterzug untersucht, wobei verschiedene Variablen wie Autoritarismus und Konservativismus miteinbezogen werden. Mich erinnert das an die Autoritarismusstudien Adornos et al., die man zum Vergleich der Schlußfolgerungen zur Diskussion heranziehen könnte.

Die Zuordnung von Religiosität zu den "illusionären Gefühlen" ist nicht ganz unproblematisch.

Mag sein, ich spiele mit dieser Bezeichnung vornehmlich auf Sigmund Freuds Betrachtungweise an; es müssen zumindest auch Gefühle mit ins Spiel gebracht werden, wenn man über das Phänomen Religiösität sprechen möchte, wie etwa Hoffnung, Glück oder vielleicht auch Trauer; oder sogar auch Schuld und Scham, denn nicht ganz zufällig stellen Koenig & Bouchard ihre Diskussion der Vererbbarkeit von Religiösität in einen Kontext von moralischen Werten.
 
Im von mir angegeben Link gibt Blume hierfür (genetische "Prägung" von Religiosität) keine Quelle an.
"Religiosität" ist kein eindeutiger Begriff. Zu unterschiedlich bis hin zum Antagonismus sind die konkreten Ausformungen von Religionen, als dass sie ohne weiteres unter diesem Begriff vereinheitlicht werden können. Zu unterscheiden ist vor allem zwischen Spiritualität und Religiosität. Oftmals wird bei Überlegungen über das Religiöse in reduktionistischer Weise das Christentum bwz. die abrahamitischen Religionen zum Modell genommen, obwohl es sich hier nur um einen Sonderfall im extrem weiten Feld religiöser Systeme handelt. Bekanntlich ist auch Freud - bei aller Wertschätzung seiner Pionierleistungen - dieser Irrtum unterlaufen.

Das Gottes-Gen - bild der wissenschaft

Zitat:

Wichtig ist, Spiritualität und Religiosität zu unterscheiden:
• Religiosität hängt eng mit bestimmten theoretischen Vorstellungen (etwa Gottesbild, Dogmen, Heilsgeschichten) und Praktiken (wie Gebeten und Ritualen) zusammen.
• Spiritualität dagegen hat mehr damit zu tun, sich in ein größeres Ganzes eingebettet zu fühlen, in bestimmten Tätigkeiten aufzugehen, sich also selbst zu transzendieren oder zu vergessen – bis hin zu mystischen Bewusstseinszuständen.
Die Bedeutung der Unterscheidung zeigt sich schon darin, dass manche Menschen sehr spirituell, aber nicht religiös sind, andere dagegen strenggläubig und fest in ihrer religiösen Gemeinschaft verwurzelt sind, ohne jemals intensive spirituelle Erfahrungen gemacht zu haben. Oft ergänzen und bestärken sich beide Aspekte freilich. Religiosität ist aber nicht angeboren, sondern im sozialen Umfeld erlernt. Welcher Religion man angehört, hängt hauptsächlich vom Glauben der Eltern ab. Spiritualität hat dagegen eine starke genetische Komponente, wie Zwillingsstudien ergaben.

Mag sein, ich spiele mit dieser Bezeichnung vornehmlich auf Sigmund Freuds Betrachtungweise an; es müssen zumindest auch Gefühle mit ins Spiel gebracht werden, wenn man über das Phänomen Religiösität sprechen möchte, wie etwa Hoffnung, Glück oder vielleicht auch Trauer; oder sogar auch Schuld und Scham, denn nicht ganz zufällig stellen Koenig & Bouchard ihre Diskussion der Vererbbarkeit von Religiösität in einen Kontext von moralischen Werten.

In dem Maße, in dem Religionen anthropomorphe Gottesbilder haben, sind diese Gestalten Objekt von Emotionen. Theistische Systeme waren seit dem Paläolithikum immer auch Projektionen irdischer Verhältnisse - fachsprachlich: sie waren soziomorph. Ursprünglich wurde - dieser verbreiteten These hänge ich an - ausschließlich eine Muttergottheit bzw. Urmutter verehrt, d.h. die Fruchtbarkeit der Frau hatte eine quasi kosmische Dimension (von Vaterschaft hatten die Menschen damals höchstwahrscheinlich keine Kenntnis). Das änderte sich erst im Neolithikum, als die ersten Viehzüchter entdeckten, dass männliche Tiere für den Fortbestand der Rinderherden unabdingbar waren (weil die Nachkommenschaft ausblieb, wenn man alle männlichen Tiere schlachtete), und daraus auf sich selbst schlossen. So kam es zu ersten Vergöttlichungen des Männlichen - zunächst als Stiergott und Sohn-Gemahl der Muttergöttin. Die späteren polytheistischen Systeme der Hochkulturen waren Abbilder irdischer Herrschafts- und Familienstrukturen, wobei die weiblichen Gottheiten nach und nach den männlichen untergeordnet wurden, bis sie in den monotheistischen Systemen ganz verschwanden, analog zur fortschreitenden Unterdrückung der Frau, die in den monotheistischen Gesellschaften ihren Höhepunkt fand.

Religiosität erschöpft sich aber nicht in solch anthropomorphen Konzepten, das zeigen die mystischen Systeme, wie z.B. der Buddhismus, in welchem Emotionen gerade keine Rolle spielen bzw. keinen Erkenntniswert haben, im Gegenteil, sie gelten als Symptome der Verblendung. Von daher ist eine Differenzierung in Spiritualität und Religiosität sehr sinnvoll.

Was die eigentliche Debatte über genetische Kausalität betrifft, wäre ein Hinweis auf die philosophische Qualia-Debatte ganz hilfreich. Denn damit rückt ein Aspekt in den Fokus, ohne den die Debatte meines Erachtens in der Luft hängt: die (rätselhafte) Differenz zwischen Geist und Körper bzw. Bewusstsein und Materie.

Zur Anregung verlinke ich den entsprechenden Wiki-Artikel:

Qualia ? Wikipedia

Zitat:

Unter „Qualia" wird der subjektive Erlebnisgehalt mentaler Zustände verstanden. Doch gerade ein solches subjektives Element scheint sich jeder intersubjektiven Begriffsbestimmung zu widersetzen. Der Philosoph Thomas Nagel hat zur Bestimmung der Qualia die Redeweise geprägt, dass es sich „auf eine bestimmte Weise anfühlt", in einem mentalen Zustand zu sein (what is it like). Wenn eine Person etwa friert, so hat dies in der Regel verschiedene Konsequenzen. In der Person laufen etwa verschiedene neuronale Prozesse ab und die Person wird ein bestimmtes Verhalten zeigen. Doch das ist nicht alles: „Es fühlt sich für die Person auch auf eine bestimmte Weise an", zu frieren. Allerdings kann Nagels Bestimmungsversuch nicht als allgemeine Definition gelten. Eine Bestimmung von Qualia durch die Phrase „sich auf bestimmte Weise anfühlen" setzt voraus, dass diese Phrase schon verstanden ist. Wem jedoch die Rede von subjektiven Erlebnisgehalten nicht einleuchtet, der wird die Phrase auch nicht verstehen.
 
 
Zuletzt bearbeitet:

So, den Artikel von Koenig & Bouchard habe ich durch.
Ich habe den starken Eindruck, daß es sich um eine Reinterpretation von Forschungsbefunden handelt, wobei die rezipierten Studien zum Teil nicht nur sehr divergente Ergebnisse haben, zudem die Populationen nicht unbedingt Vergleiche zulassen, sondern ein solcher Vergleich wird auch noch erschwert durch die teilweise auch schwach erscheinende Repräsentativität.
Läßt man diese grundlegende methodische Schwäche beiseite, wird deutlich, daß die Reinterpretation der Daten im Hinblick auf die eigene Theoriebildung erfolgt. Insofern der Artikel im Prinzip als Review zur Verhaltensgenetik hinsichtlich eines "charakterzüglichen" Phänomens angelegt ist, ist immerhin löblich, daß widersprechende Interpretation gelegentlich erwähnt werden. So kommen die Autoren letztendlich nicht um die Schlußfolgerung herum: In conclusion, religiousness and the rest of the TMVT are moderately heritable, especially in adulthood.“ Das heißt im Grunde nicht mehr als: unsere Forschungsergebnisse lasse eindeutige Schlußfolgerungen nicht zu, was angesichts des grob schematischen Zuganges zur Debatte über Umwelt oder Anlage nicht wirklich überrascht.
Ich will hier nicht den Begriff der Dialektik, aber etwas mehr wechselseitigen Einfluß zwischen Umwelterfahrungen und Genexpression sollte in Betracht gezogen werden, wofür in der Biologie auch schon lange ein Begriff geprägt wurde, nämlich derjenige der Epigenese.


Obwohl sich der Artikel von Koenig & Bouchard im übrigen in einem ansprüchlich neurowissenschaftlichen Kontext publiziert ist, gibt es nur eine sehr kurze Diskussion eines solchen Bezugs, und zwar bezeichnenderweise im Zusammenhang mit der Gottes-Gen-These von Dean Hamer, der mir trotz breiter Kritik einen ernstzunehmenderen Forschungsansatz vertritt. Ein Satz der Autoren ist zitierungswürdig, weil er ohne neurobiologisches Hintergrundwissen meiner Ansicht nicht verständlich wird und bezweifel, daß sich die Verhaltensgenetiker bestimmter Implikationen bewußt sind:
„The gene he discusses (VMAT2, also called SLC18A2) may be important in the influencing traits we are discussing, as their products modulate mechanisms which psychoactive drugs work on the central nervous system.“
Der Satz irritiert mich, weil er bis zur Sinnlosigkeit banalisierend klingt: Hier
wird der Geneinfluß auf Charakterzüge mit der Wirkung von psychoaktiven Drogen auf das Gehirn in Verbindung gebracht, und das nur in Anspielung.
Unter Ausblendung von Lernerfahrungen, für die sich die Autoren merklich wenig interessieren, ergibt die Behauptung, daß die Produkte der Genexpression Gehirmechanismen beeinflussen, igend schwer Sinn. Genaugenommen unterläuft ihr Vorschlag meiner nach sogar deren Modell: Die einzige stabile Korrelation, die die Autoren identifizieren konnte ist ein Zusammenhang von Autoritarismus, Konservativismus und dem, was die Autoren Religiösität nennen, wobei es definitiv nicht um religiöse Erfahrung geht (Spirtualität oder Mystizismus, das sei an dieser Stelle bemerkt, ist übrigens ein problematisches Phänomen, das die Autoren auch nicht wagen, in ihrem Modell mit aufzunehmen).* Dieser – mutmaßlich stark kognitiv belastete - Phänomenkomplex soll nun verantwortlich gemacht werden für Mechanismen im Gehirn, auf die auch die Wirkung von psychoaktiven Drogen zurückgeführt wird.
Tatsächlich nimmt man heutzutage auch an, daß Lernerfahrungen durchaus auch über das Zusammenspiel verschiedener Neurotransmitter wie Endorphin und Dopamin etwa im frühen Kindheitsalter Gehirnwachstum anregt, das wiederum über Genexpression vermittelt wird; in Frage stehende Neuromodulatoren sind auch sehr bedeutsam für die Wirkung von psychoaktiven Drogen, die allerdings auch bestimmte Erlebnisweisen verstärken.
Aus bestimmten Gründen beschäftigen sich Koenig & Bouchard mit solchen Fragen nicht: denn sie müßten die oben genannte, aber von ihnen froschungsstrategisch ausgeschlossene Variable, miteinbeziehen.
Um noch einmal auf die Schlußfolgerungen zu zitieren, denn irgendwie ahnen die Autoren letztendlich selbst, daß ihre Ergebnisse ihr verhaltensgentisches Modell auch unterminieren: Im Anschluß an die Feststellung eines mäßigen Geneinflusses speziell im Erwachsenenalter bemerken die Autoren, daß aber in der Kindheit der Familieneinfluß bedeutend sei, und die spezifischen Faktoren noch zu identifzieren seien.
Meine Gesamteinschätzung der so präsentierten Forschungsergebnisse läuft darauf hinaus, eher eine Validierung von Ergebnissen der Autoritarismusforschung aus verhaltengenetischer Sicht zu sein. Nur wäre ein solches Zugeständnis wohl kaum mit der biologistischen Ausgangsdoktrin der Autoren vereinbar. Bezeichnenderweise diskutieren sie ihre Ergebnisse aber auch auf dem Hintergrund ihrer evolutionären Aushypothese, nämlich im Hinblick auf eine "Anpassungsfähigkeitshypothese" (adaptiveness hypotheses), demnach sich bestimmte Gene im Pleistozen gebildet haben sollten, darunter eben irgendwelche für ihre "Moralwertetriade", wobei sie vorschützend behaupten, daß sich die seinerzeit gebildeten Gene, ja auch ja heutzutage auch anders äußern könnten, womit sie die Evolutionsfrage geschickt wieder beiseite schieben.
Im Gesamtergebnis diesen Thread heißt das schließlich: Für eine Evolution der Kultur haben wir keine positiven Ergebnissen vorliegen.

(eine Korrelation zwischen identischer Gen-Ausstattung und Musikalität setzt Blume, soweit ich es verstehe, als bekannten wissenschaftlichen Konsense voraus.)

* Michael Blum scheint mir der Ausschluß dieses Aspektes entgangen zu sein, wenn er selbst einen Zusammenhang mit Musikalität hervorhebt. Auf Bouchards Forschung kann er sich jedenfalls nicht stützen.
 
.... ist Evolution auf den Prozess der Kulturentwicklung anwendbar?
Ist Evolution ein biologischer Begriff, oder geht er darüber hinaus,
und beschreibt nicht mehr,

Im Gesamtergebnis diesen Thread heißt das schließlich: Für eine Evolution der Kultur haben wir keine positiven Ergebnissen vorliegen.

Zunächst, vielen Dank an Muspilli für die präzise Aufbereitung des Artikels.

Der generalisierenden Schlußfolgerung mag ich insofern zustimmen, als nach wie vor, der Begriff "Evolution", auch gerade weil er im englischen identisch genutzt wird, in der Regel in den meisten Ansätzen zur Ökonomie, Soziologie bzw. Politologie im trivialen umgangssprachlichen Sinne genutzt wird.

Der Versuch ihn exklusiv für eine biologische Sicht zu nutzen geht schlichtweg an der Realität vorbei. Und die biologische Sichtweise zur Kultur ist im Vergleich zu anderen Bereichen rein vom Umfang relativ unbedeutend.

"Evolution der Kultur" heist im Rahmen der meisten Ansätze nichts anderes, als dass sie sich entwickelt, von einem Zustand zum nächsten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Muspilli,

ich möchte Dir meinen Respekt aussprechen.
Sich durch so einen Artikel zu arbeiten..!

Mir selber ist dieser fachlich nicht zugänglich.
Denn ich verstehe weder die Methode, noch die Fachbegriffe, ausreichend.
So wie ich es verstehe, wird in diesem nicht etwa der dominierende soziale Einfluss bestritten, sondern darauf hingewiesen, dass es immerhin genetische Veranlagungen zur Religiosität geringer, aber vorhandener, Relevanz gibt.

Deine Schlussfolgerung
Im Gesamtergebnis diesen Thread heißt das schließlich: Für eine Evolution der Kultur haben wir keine positiven Ergebnissen vorliegen.
möchte ich relativieren.
Es sollte doch besser heißen: Für eine biologische Evolution der Kultur haben wir keine positiven Ergebnisse vorliegen.

Grüße hatl
 
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Naja wie weit die Evolution auf die Geschichte anwendbar ist, das hängt von der Definition ab. Wenn es nur bedeutet das sich das anpasst, dann sicherlich.

Wenn man es wie in der Biologie versteht, dann bleiben doch erhebliche Zweifel. Das Mem ist ein Gedankenkonstrukt und wenn es gibt, dann ändert kann es sich mehrmals im Leben ändern. Wenn man es dann genau nimmt überleben dann die Ideen die sich für das Überleben länger als diejenigen welche dir dabei nicht helfen nicht. Kann man das so beweisen. Nicht das ich das für Unmöglich halte, aber schwer zu beweisen.

Sollte Religiösität wirklich im großen Maß vererblich sein, dann würde das einen stetigen Anstieg von Religiösen bedeuten in Zukunft, denn religiöse Menschen haben mehr Kinder.
 
"Religiosität" ist kein eindeutiger Begriff. Zu unterschiedlich bis hin zum Antagonismus sind die konkreten Ausformungen von Religionen, als dass sie ohne weiteres unter diesem Begriff vereinheitlicht werden können. Zu unterscheiden ist vor allem zwischen Spiritualität und Religiosität. Oftmals wird bei Überlegungen über das Religiöse in reduktionistischer Weise das Christentum bwz. die abrahamitischen Religionen zum Modell genommen, obwohl es sich hier nur um einen Sonderfall im extrem weiten Feld religiöser Systeme handelt. Bekanntlich ist auch Freud - bei aller Wertschätzung seiner Pionierleistungen - dieser Irrtum unterlaufen.

Im Grunde sehe ich das so, daß Modelle zunächst zur Analyse und annähenderm Verständnis bestimmter Phänomene einen guten Zugang bereitstellen, ein ein solcher Ausgangspunkt könnte dann sogar Freuds Versuch über die monotheistische Religion sein. Aber damit habe ich mich leider immer noch nicht intensiv befaßt. Mit meiner Bezugnahme auf Freud spielte ich auf das "ozeanische Gefühl", das er auf dem Hintergrund seiner Triebtheorie zu verstehen suchte, zudem er ein solches intimes Verhältnis zu Gottheiten selbst nicht verspürte - zu sehr war er der Aufklärung verpflichtet und man könnte vielleicht auch sagen Rationalist.
Ich habe aber gerade Das Unbehagen in der Kultur nicht vorliegen, worin er das angesprochenen mentalen Zustand thematisiert, daher mit Rückgriff auf Wikipedia:
"Rolland zufolge ist die Grundlage der Religion nicht die Vatersehnsucht, sondern das „ozeanische Gefühl“. Freud rekonstruiert das „ozeanische Gefühl“ als primären Narzissmus noch ohne Grenze zwischen Ich und Außenwelt und erklärt ihn für eine sekundäre Quelle der Religion." (Die Zukunft einer Illusion ? Wikipedia)
Die primäre Quelle wäre anscheinend die ursprüngliche Hilflosigkeit des Säuglings bzw. bei Freud (nach Zukunft der Illusion) zeigt sie sich:
"- in der Ohnmacht des Menschen gegenüber der äußeren Natur,
- in seiner Machtlosigkeit gegenüber Krankheit und Tod,
- und sie beruht schließlich auf den Entbehrungen, die ihm von der Kultur abgenötigt werden.
Der Erwachsene deutet seine Hilflosigkeit nach dem Vorbild derjenigen Hilflosigkeit, die er als Kind erfahren hat; und wie das Kind verbindet er seine Hilflosigkeit mit der Sehnsucht nach einem schützenden Vater. Diese Vatersehnsucht ist die Grundlage für die Entstehung der Götter, die Götter sind idealisierte Vatergestalten. Die Religion ist eine Art Menschheitsneurose – eine kollektive Zwangsneurose." (ebd.)
Der Vorteil bei dieses Erklärungsmodells liegt meiner Ansicht in der Verbindung von Ritualisierung (Gottesdienst z. B.) mit der affektiven Natur von Religiösität. Im postmodernen Zeitalter - und ich denke hierbei vornehmlich an die westlichen Industriegesellschaften - hat sich diese Verbindung allerdings gelöst, was freilich eine Schwierigkeit für eine Theorie von Religiösität ausmacht; wenn Freud seine Hoffnung auf Akzeptanz der Triebnatur qua Intellekt tatsächlich als mögliche Illusion qualifiziert, ließe sich aber das Problem der Wissenschaftgläubigkeit ansprechen, der freilich ebenso eine historische Wahrheit zugesprochen werden wie der Religion, die Freud seinerzeit für überholt hielt. Von einer psychoanalytische Kulturtheorie ließe sich dann Rückkehr zur Relgiösität als regressives Phänomen betrachten, das sich einerseits in zwangsneurotischen Fixierungen manifestieren kann (Autoritarismus, Konservativismus), andererseits Festhalten am Glücksversprechen (Spiritualismus), wobei ich Abschattungen zwischen den Phänomenbereichen nicht ausschließen würde.
Ich muß aber zugeben, das klingt noch ungenügend ausgearbeitet. Wenn ich aber die Zuwendungen zu Religionen betrachte, so gibt es heutzutage durchaus Annäherungen zwischen verschiedenen Konfessionen im weitesten Sinne (man könnte auch von Globalisierung der Religionen sprechen, z. T. auch in Kukurrenz untereinander) und es gibt auch nahezu einen Markt dafür; und das wäre in einer zeitgemäßen Theorie miteinzubeziehen.

In dem Maße, in dem Religionen anthropomorphe Gottesbilder haben, sind diese Gestalten Objekt von Emotionen. Theistische Systeme waren seit dem Paläolithikum immer auch Projektionen irdischer Verhältnisse - fachsprachlich: sie waren soziomorph. Ursprünglich wurde - dieser verbreiteten These hänge ich an - ausschließlich eine Muttergottheit bzw. Urmutter verehrt, d.h. die Fruchtbarkeit der Frau hatte eine quasi kosmische Dimension (von Vaterschaft hatten die Menschen damals höchstwahrscheinlich keine Kenntnis). Das änderte sich erst im Neolithikum, als die ersten Viehzüchter entdeckten, dass männliche Tiere für den Fortbestand der Rinderherden unabdingbar waren (weil die Nachkommenschaft ausblieb, wenn man alle männlichen Tiere schlachtete), und daraus auf sich selbst schlossen. So kam es zu ersten Vergöttlichungen des Männlichen - zunächst als Stiergott und Sohn-Gemahl der Muttergöttin. Die späteren polytheistischen Systeme der Hochkulturen waren Abbilder irdischer Herrschafts- und Familienstrukturen, wobei die weiblichen Gottheiten nach und nach den männlichen untergeordnet wurden, bis sie in den monotheistischen Systemen ganz verschwanden, analog zur fortschreitenden Unterdrückung der Frau, die in den monotheistischen Gesellschaften ihren Höhepunkt fand.

So sympathisch mir dein Zugang zur Entwicklung der monotheistischen Religion auch ist, will ich deinen ersten Satz nicht so recht zustimmen: Ich sehe die Emotionalität des Religiöse nicht erst in dem Augenblick entstehen, wenn das Göttliche antropomorph gestaltet wird, obwohl eine originäre Subjekt-Objekttrennung vollzogen werden muß. Wie erfährt das Göttliche (Transzendentale) seine äußere (objekthafte) Manifestation? Ich sehe zunächst die subjektive Seite - gewissermaßen eher das ozeanische Gefühl oder Eriksons Urververtrauen als Grundlage. Erst wenn dieses primäre Gefühl gegenüber den Mitmenschen kommuniziert wird, drängt sich eine symbolische Manifestation auf, die aber nicht unbedingt anthropomorph sein muß, wie du selbst auch andeutest:

Religiosität erschöpft sich aber nicht in solch anthropomorphen Konzepten, das zeigen die mystischen Systeme, wie z.B. der Buddhismus, in welchem Emotionen gerade keine Rolle spielen bzw. keinen Erkenntniswert haben, im Gegenteil, sie gelten als Symptome der Verblendung. Von daher ist eine Differenzierung in Spiritualität und Religiosität sehr sinnvoll.

Vielleicht hat der Buddhismus mit Stoa in dieser Hinsicht viel gemein? Hier wäre ein Vergleich zwischen der Entstehung der altindischen Religionsphilosophie und der antiken Philosophie bis zu den beiden Ausformungen des Buddhismus & Stoa ggf. interessant). Als ich die den Begriff der Emotionalität in den Thread einbrachte, dachte ich eben nicht (das dürfte schon deutlich geworden sein) in erster Linie an diesen spezifischen Umgang mit einzelnen Gefühlen (Affekten), wenn ich diese auch als erläuternd zur notwendigen Einbeziehung anführte.

Was die eigentliche Debatte über genetische Kausalität betrifft, wäre ein Hinweis auf die philosophische Qualia-Debatte ganz hilfreich. Denn damit rückt ein Aspekt in den Fokus, ohne den die Debatte meines Erachtens in der Luft hängt: die (rätselhafte) Differenz zwischen Geist und Körper bzw. Bewusstsein und Materie.

An sich finde ich auch diesen Hinweis gut, allerdings erscheint er mir höchst unvermittelt. Ich muß aber zugeben, daß ich ihn in der Verbindung mit deinem Link zum Gottes-Gen höchst instruktiv empfinde, weil es den neurowissenschaftlichen Aspekt in die Diskussion gebracht hat; der Hinweis auf die Qualia-Debatte verkompliziert freilich diesen Aspekt, weil sich die Philosophen letztendlich nicht abschließend einig geworden sind, ob der Dualismus nun verworfen werden sollte oder nicht und die Argumente sind manchmal nicht in allen ihren Konsequenzen abzusehen. Vielleicht kannst du noch einmal deutlich machen, worauf du mit deinem hinweisenden Frage nach gentischer Kausalität abzielst.
 
Meine Kritik an der Evolutionären Psychologie scheint ein avancierter Neurowissenschaftler zu teilen: Jaak Panksepp (vgl. The Sins of Evolutionary Psychology | Genealogy of Religion) - in der englischen Wikipedia gibt es auch den Versuch einer Gliederung der Debatte: Criticism of evolutionary psychology - Wikipedia, the free encyclopedia

Thanepower & Hatl schlagen vor, für kulturelle Erscheinungen einen Evolutionsbegriff unabhängig von der biologischen Verwendung zu konzeptualisieren bzw. meinen vielleicht, daß es einen solchen Begriff geben kann. In der suche nach einem passenden Paradigma will ich versuchen einen solchen Gedanken einer kulturellen Entwicklung durchzuspielen; hier liegt die Ideengeschichte nahe. Hier ließen sich vielleicht Entwicklungslinien konstruieren, aber auch wenn sich Ideen durchsetzen, bleiben sie doch auch einem politischen Feld ausgesetzt, der ein beständiger Kampfplatz sein kann. Ist daher der Revolutionsbegriff nicht angemessener oder wenigstens in einen nicht-biologischen Begriff einer Evolution der Kultur miteinzubeziehen?
 
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