Politikverdrossenheit im klassischen Athen

max_22

Neues Mitglied
Hallo,
ich schreibe eine Hausarbeit über das oben genannte Thema.
Jedoch fehlen mir noch Quellen, Sekundärliteratur etc. welche eine mögliche Politikverdrossenheit aufzeigen oder worin mögliche Sanktionen/Strafen gegen Bürger, welche sich weigerten ein Amt anzunehmen, aufgezeigt werden. Über Quellen-/ Büchertipps oder andere Hinweise würde ich mich sehr freuen.

Grüße und noch ein schönes Wochenende
Max
 
Hast Du das Thema selbst gewählt oder wurde es Dir vorgegeben?

Grundsätzlich denke ich nämlich, dass Politikverdrossenheit quellenmäßig kaum fassbar ist - zumindest, wenn man unter Politikverdrossenheit Desinteresse an und Abkehr von der Politik versteht. Es gibt in der antiken Literatur viel Material zu Kritik mancher Athener am demokratischen politischen System ihrer Stadt, aber das ist nicht automatisch dasselbe wie Politikverdrossenheit, sondern im Gegenteil der Wunsch nach einer Veränderung, meist Richtung Oligarchie.

Ein Quellentipp sind die Komödien von Aristophanes. Er nahm in seinen Stücken gerne diverse Missstände der athenischen Demokratie aufs Korn, was allerdings auch nicht mit Politikverdrossenheit gleichzusetzen ist, sondern im Gegenteil, er beschäftigte sich aktiv mit der Politik und baute in seine Werke zahlreiche Anspielungen auf die Tagespolitik ein, fast wie heutzutage Kabarettisten. Am ehesten wird so etwas wie Politikverdrossenheit noch im Stück "Die Vögel" thematisiert.

Wenn man will, könnte man die Einführung und spätere Erhöhung der Bezahlung für die Teilnahme an der Volksversammlung als Maßnahme gegen zunehmende Politikverdrossenheit der Teilnahmeberechtigten interpretieren - oder als Populismus oder als Sozialmaßnahme oder ...

Auch den in Athen entstandenen Epikureismus kann man bestenfalls bedingt als Zeichen für Politikverdrossenheit werten, denn seine Abkehr von der Politik beruhte nicht wie bei Politikverdrossenheit auf Desinteresse oder einem Ohnmachtsgefühl, sondern auf der philosophischen Auffassung, dass politische Betätigung aufreibend und belastend und daher schlecht für einen ausgeglichenen Seelenzustand sei, der anzustreben sei, um glücklich zu werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es lohnt sich vielleicht auch ein Blick auf die politische Topographie Athens. Auf den Pnyx passten gar nicht so viele Menschen, wie es Volllbürger gab. Und mal ehrlich, wer aus einem entfernten attischen Dorf eine Zweitagesreise machen musste, um zur Volksversammlung zu gehen, der wird sich das zwei Mal überlegt haben, auch ohne politikverdrossen gewesen zu sein.
 
Hallo,
ich schreibe eine Hausarbeit über das oben genannte Thema.
Jedoch fehlen mir noch Quellen, Sekundärliteratur etc. welche eine mögliche Politikverdrossenheit aufzeigen oder worin mögliche Sanktionen/Strafen gegen Bürger, welche sich weigerten ein Amt anzunehmen, aufgezeigt werden.

Am fündigsten dürfte man für dieses Thema in den Jahrzehnten nach Perikles´ Tod werden, als die Demokratie auf Talfahrt ging und für ein paar Jahre sogar von einer Oligarchie abgelöst wurde. Da war keine charismatische Figur in Sicht, die glaubhaft die Ideale der Demokratie verkörpern konnte. Den Anti-Typ einer solchen Figur gab Alkibiades, ein politisches "Chamäleon" par excellence (Plutarch) und gewiss ein guter Motivator für Politikverdrossenheit.

Hier gibt´s viele Details zum Thema "Losverfahren". Ich kam noch nicht dazu, es unter dem Aspekt ´Sanktion bei Weigerung´ durchzusehen:

http://www.nibuki.de/studies/ha_ge-losung.pdf
 
Komisch das bei den Strapazen die jemand von außerhalb der Stadt aufnehmen musste, um an Volksabstimmungen teilzunehmen, die Athener nicht auf die Idee der Briefwahl gekommen sind.
 
Ich empfehle mal zu lesen, was Bleicken schreibt: Bleicken, Jochen. Die athenische Demokratie. 4. Auflage Paderborn 1995.
Mein Eindruck war, dass er begründet, weshalb sich so viele Bürger eingebracht haben. Der gesellschaftliche Zwang zur politischen Tätigkeit wird auch beschrieben.
Bei Aristoteles könnte auch was stehen, er schreibt ja auch vom Menschen als zoon politikon.
 
Komisch das bei den Strapazen die jemand von außerhalb der Stadt aufnehmen musste, um an Volksabstimmungen teilzunehmen, die Athener nicht auf die Idee der Briefwahl gekommen sind.
vielleicht lag das auch daran, dass das Postgeheimnis/Briefgeheimnis damals noch nicht sonderlich streng eingehalten wurde? ;)

Und mal ehrlich, wer aus einem entfernten attischen Dorf eine Zweitagesreise machen musste, um zur Volksversammlung zu gehen, der wird sich das zwei Mal überlegt haben, auch ohne politikverdrossen gewesen zu sein.
ähnliches hab ich mich auch schon bzgl. der merowingischen und karolingischen Heerschau und des altenglischen Fyrd gefragt, ob nämlich alle, die theoretisch befugt oder beauftragt waren, immer teilnahmen: allein die Überprüfung würde ja damals jeweils aktuelle Einwohnerlisten erfordert haben, was mir für damals als schwierig zu praktizieren vorkommt - so schleicht sich in meine Überlegungen der Verdacht ein, ob diese klassisch athenischen Volksversammlungen nicht vielleicht doch eher eine Angelegenheit einer vernetzten Elite gewesen waren?... wenn dem so war, so würde das zu einer Verdrossenheit a la " ja ja die Großkopfeten können und dürfen, aber wir kleinen bewirken nix..." geführt haben können.
 
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Natürlich. Es war ein Luxus, sein Geschäft einen Tag oder ggf. sogar ein paar Tage ruhen zu lassen, um an den Abstimmungen teilnehmen zu können und ggf. sogar noch die Herberge bezahlen zu müssen. Auf der anderen Seite ist natürlich der Idiot derjenige, der sich aus dem Politischen zurückhielt, der 'Privatmann', von ἴδιος, 'selbst'. Ich finde, darauf kann man gar nicht genug hinweisen. :winke:
 
Am fündigsten dürfte man für dieses Thema in den Jahrzehnten nach Perikles´ Tod werden, als die Demokratie auf Talfahrt ging und für ein paar Jahre sogar von einer Oligarchie abgelöst wurde. Da war keine charismatische Figur in Sicht, die glaubhaft die Ideale der Demokratie verkörpern konnte. Den Anti-Typ einer solchen Figur gab Alkibiades, ein politisches "Chamäleon" par excellence (Plutarch) und gewiss ein guter Motivator für Politikverdrossenheit.
Eigentlich müsste es eher umgekehrt gewesen sein: Solange Perikles tonangebend war, wurde letztlich meist ja doch das beschlossen, was er wollte. Insofern wäre es relativ sinnlos gewesen, sich überhaupt zur Volksversammlung zu bemühen. Nach seinem Tod aber wurde die athenische Innenpolitik lebendiger, es gab mehrere wichtige rivalisierende Politiker. Was beschlossen wurde, war weniger vorhersehbar, es wurde oft intensiv diskutiert und gestritten. Alkibiades war extrem polarisierend, man konnte ihn lieben oder hassen (das auch abwechselnd), aber wenig dazwischen.

so schleicht sich in meine Überlegungen der Verdacht ein, ob diese klassisch athenischen Volksversammlungen nicht vielleicht doch eher eine Angelegenheit einer vernetzten Elite gewesen waren?... wenn dem so war, so würde das zu einer Verdrossenheit a la " ja ja die Großkopfeten können und dürfen, aber wir kleinen bewirken nix..." geführt haben können.
Das mag für Zeiten mit einer überragenden Führerpersönlichkeit gelten (wenngleich auch Perikles nie so überragend und unangefochten war, wie es heute vereinfachend gerne im Geschichtsunterricht dargestellt wird, auch er musste innenpolitische Niederlagen einstecken). Aber grundsätzlich war die Volksversammlung eine gute Gelegenheit für den einfachen Bürger, seine Macht zu demonstrieren und sich wichtig zu fühlen. Das galt auch für die Außenpolitik: In der Volksversammlung wurden maßgebliche Entscheidungen über den Umgang mit den Bundesgenossen gefällt, also konnte sich auch der kleine Athener einmal so richtig als Herr über ganze Städte aufführen. (Man denke an den Umgang mit den Meliern.) Auch innenpolitisch wischten die Bürger "denen da oben" gerne eins aus, z. B. indem die Volksversammlung beschloss, den - siegreichen! - Strategen der Arginusenschlacht den Prozess zu machen. Schon Perikles hatte das erleben müssen, als die Athener nach dem unglücklichen Start des Peloponnesischen Krieges genug von ihm hatten.
Eine vernetzte Elite, die alles unter sich ausmachte, gab es meist nicht, sondern mehrere rivalisierende Demagogen. (Es gab nicht so etwas wie eine Koalitionsregierung, die mit ihrer Mehrheit das Parlament bzw. die Volksversammlung zu einer Zustimmungsmaschine degradiert hätte.) Wer sich durchsetzte, hing vom stimmenden Bürger ab.
 
Wieso sollte Alkibiades ein Motivator für Politikverdrossenheit sein, wenn doch wenigstens Thuk., der ein Zeitgenosse war, ihn als aktiven Redner darstellt? Politik heißt ja nun nicht unbedingt, dass sie demokratisch sein muss.
 
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