Warum feiert Frankreich immer noch den 11.November 1918?

Turgot

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Ich frage mich eigentlich, weshalb Frankreich eigentlich immer noch den 11.November 1918, also der sogenannten Waffenstillstand zwischen den Alliierten des Ersten Weltkrieges und dem Deutschen Reich, feiert? Habt ihr eine vernünftige Erklärung dafür?

Ich meine oder ich hoffe es zumindest, dass auch den Franzosen mittlerweile bewusst ist, dass sie einen nicht gerade unerheblichen Anteil am Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu schultern haben. Die ganze mittlerweile erstklassig wissenschaftlich erschlossene Vorgeschichte des grauenhaften Weltkrieges zeigt doch ganz klar, dass alle beteiligten Großmächte Schuld auf sich geladen haben und die alleinige Hauptschuld nicht mehr nur Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich angelastet werden kann. Insofern finde ich diese Feier, gerade unter Freunden, ganz gewiss nicht mehr zeitgemäß, ja sogar unangemessen, da meinen könnte, die Franzosen denken, sie seien Opfer und hätten sich den bösen Deutschen erfolgreich widersetzt; aber nur mit massiver Unterstützung von Großbritannien und den USA.
 
Ich finde das absolut nicht erstaunlich. Außerhalb Deutschlands und Österreichs ist es doch (immer noch) ganz normal, dass Staaten ihrer Siege gedenken - und dabei ausblenden, inwieweit sie auf fremde Hilfe angewiesen waren oder inwieweit sie am Ausbruch des Krieges selbst mitschuld waren. Im Rückblick hat jeder Sieger seinen Sieg durch seine eigenen Leistungen und Opfer erkauft* und war der Krieg unverschuldet oder zumindest "gerecht".
(* Ich vermute mal, dass auch in Russland bei den alljährlichen Feiern zum Sieg im Großen Vaterländischen Krieg nicht der massiven Hilfslieferungen durch die westlichen Alliierten gedacht wird.)

Es fällt immer schwer, sich von der eigenen Geschichte zu distanzieren. Deutschland und Österreich blieb zumindest hinsichtlich des 1. und 2. WKs nichts anderes übrig, aber für andere Staaten besteht dafür keine echte (über allfällige moralische Erwägungen hinausgehende) Notwendigkeit. Das ist doch auch beim Kolonialismus so: Zwar distanzieren sich mittlerweile die meisten europäischen Staaten, die einst Kolonien besaßen, zaghaft davon, aber zu einer echten Entschuldigung für die Unterjochung fremder Völker ringen sie sich nach wie vor nicht durch. (Was allerdings auch daran liegt, dass man Entschädigungsforderungen nicht durch ein Schuldeingeständnis eine Grundlage geben will. Unberechtigt ist diese Befürchtung nicht, vor allem auf den Karibikinseln wird seit Jahren intensiv über Entschädigungsforderungen gegenüber den ehemaligen Kolonialmächten diskutiert.)

Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: Einen Sieg über Deutschland (und Österreich) zu feiern, fällt vermutlich auch insofern leicht, als es in Hinblick auf den nachfolgenden Nationalsozialismus relativ leicht ist, sich als der moralisch Überlegene zu fühlen, der somit nur einen gerechten Krieg geführt hat gegen Gegner, die zu solchen Gräueln fähig waren, die sie erst nach dem 2. WK überwunden haben.

Außerdem haben Deutschland und Österreich den 1. WK klar verloren, insofern gibt es bei uns freilich nichts zu feiern. Einer Niederlage kann man nur verschämt gedenken (es sei denn, man empfindet sich als der zu Unrecht Angegriffene, der trotz heroischen Widerstands dem übermächtigen Gegner erlegen ist -> daraus kann man dann moderne Heldenmythen spinnen). Ein Sieg aber wird naturgemäß positiv empfunden und kann auch identitätsstiftende Funktion haben, also fällt es umso schwerer, von Feiern abzulassen oder zumindest auch die Schattenseiten zu berücksichtigen.

Frühere Siege Deutschlands (und Österreichs) werden wohl durch die Niederlagen im 1. und 2. WK überdeckt. Wer will schon noch die Siege in den Napoleonischen Kriegen feiern, wenn es dann im 20. Jhdt. dermaßen schief gelaufen ist? (Wozu noch kommt, dass in Deutschland und Österreich jegliche Form von militärisch bedingtem Nationalstolz ohnehin verpönt ist, was in anderen Staaten auch nicht der Fall ist.) Frankreich hingegen stand im gewaltigen 1. und 2. WK zumindest auf Seiten der Sieger, dagegen verblassen vermutlich die nachfolgenden Debakel in Indochina und Algerien bzw. lassen sie sich leicht mit den Siegen in den viel größeren Weltkriegen beiseite wischen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich frage mich eigentlich, weshalb Frankreich eigentlich immer noch den 11.November 1918, also der sogenannten Waffenstillstand zwischen den Alliierten des Ersten Weltkrieges und dem Deutschen Reich, feiert? Habt ihr eine vernünftige Erklärung dafür?
Ich halte die Erleichterung über den zwischendurch nicht immer sicheren Sieg für sehr tiefgreifend. Die Schuldfrage mag zu Beginn noch wichtig gewesen sein, aber da dürfte die Entwicklung voran schreiten.

In Deutschland ist die Erinnerung an den 1. Weltkrieg stark von den Ereignissen des 2. Weltkriegs überlagert worden. In anderen Ländern ist das nicht so sehr der Fall. In Nordfrankreich war die Zerstörung im wesentlichen durch den Stellungskrieg im 1. Weltkrieg gegeben, in Deutschland durch den Bomberkrieg im 2.
 
Der Sieg in der Völkerschlacht über die französischen Truppen wird doch auch gefeiert, oder zumindest regional, diese Jahr wohl mit mehr Resonanz, weil 200 Jahr Feier.

Der Sedanstag hingegen, war schon bei seiner Einführung im Kaiserreich nie ein von der gesamten Gesellschaft getragener Gedenktag ... Und schon nur wenige Jahre nach 1871, wurden auf Rücksicht zur französischen Beziehung, deutsche Kriegsschiffe umbenannt, so der Kreuzer SMS exSedan Prinz Adalbert.
 
Der Sieg in der Völkerschlacht über die französischen Truppen wird doch auch gefeiert, oder zumindest regional, diese Jahr wohl mit mehr Resonanz, weil 200 Jahr Feier.
Wird der Sieg wirklich gefeiert (im Sinne von: Hurra, damals haben wir's den französischen Aggressoren gezeigt) oder handelt es sich eher um Gedenkveranstaltungen (im Sinne von: So viele Tote, lasst uns dafür sorgen, dass so etwas nie wieder passiert)?
 
Es fällt immer schwer, sich von der eigenen Geschichte zu distanzieren. Deutschland und Österreich blieb zumindest hinsichtlich des 1. und 2. WKs nichts anderes übrig, aber für andere Staaten besteht dafür keine echte (über allfällige moralische Erwägungen hinausgehende) Notwendigkeit. Das ist doch auch beim Kolonialismus so: Zwar distanzieren sich mittlerweile die meisten europäischen Staaten, die einst Kolonien besaßen, zaghaft davon, aber zu einer echten Entschuldigung für die Unterjochung fremder Völker ringen sie sich nach wie vor nicht durch. (Was allerdings auch daran liegt, dass man Entschädigungsforderungen nicht durch ein Schuldeingeständnis eine Grundlage geben will. Unberechtigt ist diese Befürchtung nicht, vor allem auf den Karibikinseln wird seit Jahren intensiv über Entschädigungsforderungen gegenüber den ehemaligen Kolonialmächten diskutiert.)

Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: Einen Sieg über Deutschland (und Österreich) zu feiern, fällt vermutlich auch insofern leicht, als es in Hinblick auf den nachfolgenden Nationalsozialismus relativ leicht ist, sich als der moralisch Überlegene zu fühlen, der somit nur einen gerechten Krieg geführt hat gegen Gegner, die zu solchen Gräueln fähig waren, die sie erst nach dem 2. WK überwunden haben.

Außerdem haben Deutschland und Österreich den 1. WK klar verloren, insofern gibt es bei uns freilich nichts zu feiern. Einer Niederlage kann man nur verschämt gedenken (es sei denn, man empfindet sich als der zu Unrecht Angegriffene, der trotz heroischen Widerstands dem übermächtigen Gegner erlegen ist -> daraus kann man dann moderne Heldenmythen spinnen). Ein Sieg aber wird naturgemäß positiv empfunden und kann auch identitätsstiftende Funktion haben, also fällt es umso schwerer, von Feiern abzulassen oder zumindest auch die Schattenseiten zu berücksichtigen.

Frühere Siege Deutschlands (und Österreichs) werden wohl durch die Niederlagen im 1. und 2. WK überdeckt. Wer will schon noch die Siege in den Napoleonischen Kriegen feiern, wenn es dann im 20. Jhdt. dermaßen schief gelaufen ist? (Wozu noch kommt, dass in Deutschland und Österreich jegliche Form von militärisch bedingtem Nationalstolz ohnehin verpönt ist, was in anderen Staaten auch nicht der Fall ist.) Frankreich hingegen stand im gewaltigen 1. und 2. WK zumindest auf Seiten der Sieger, dagegen verblassen vermutlich die nachfolgenden Debakel in Indochina und Algerien bzw. lassen sie sich leicht mit den Siegen in den viel größeren Weltkriegen beiseite wischen.

Finde ich ganz und gar nicht. Denn immerhin sind gerade Deutschland und Frankreich nunmehr seit 50 Jahren eng freundschaftlich verbunden. Angesichts der Tatsache, dass Frankreich ebenso viel Schuld zutragen hat wie die anderen Protagonisten des Ersten Weltkrieges, finde ich es persönlich eher peinlich. Die französische Außenpolitik war eben nicht per se passiv und friedfertig. Immerhin wurde das Ende dieses Krieges mit einen Friedensvertrag besiegelt, der nicht gerade versöhnlich und den Rechten im Deutschen Reich reichhaltig Propagandamaterial lieferte und moralisch aus heutiger Sicht durchaus angezweifelt werden darf.

Was wohl die lieben Freunde sagen würden, wenn hier wieder Sedanstag gefeiert werden würde?
 
Zunächst einmal ist es ein gesetzlicher Feiertag in Frankreich seit den 20er Jahren. Der letzte französische Veteran der Grande Guerre ist erst 2008 im Alter von 110 Jahren verstorben (Lazare Ponticelli - Wikipédia). Darüber hinaus wird auch seit einigen Jahren auch der französischen Gefallenen anderer Konflikte am 11. November gedacht.

In Frankreich scheint mir auch die Erinnerung an die Grande Guerre wesentlich präsenter zu sein als hierzulande: in jedem noch so kleinen Dorf findet man irgendwo ein Mémorial für die Gefallenen. Ohne die Opfer des 2. Weltkriegs in Frankreich (menschliche oder materielle) kleinreden zu wollen, im Vergleich zum 1. Weltkrieg war Frankreich weniger betroffen.

Ich habe den Eindruck, dass Frankreich weniger seinen Sieg feiert, als dass man der Millionen Tote gedenkt.
 
Der Sieg in der Völkerschlacht über die französischen Truppen wird doch auch gefeiert, oder zumindest regional, diese Jahr wohl mit mehr Resonanz, weil 200 Jahr Feier.

Der Sedanstag hingegen, war schon bei seiner Einführung im Kaiserreich nie ein von der gesamten Gesellschaft getragener Gedenktag ... Und schon nur wenige Jahre nach 1871, wurden auf Rücksicht zur französischen Beziehung, deutsche Kriegsschiffe umbenannt, so der Kreuzer SMS exSedan Prinz Adalbert.


Und das Ende des Ersten Weltkrieges ist immerhin schon fast 100 Jahr her. Ein Sieg im Kriege, an dessen Ausbruch man nicht gerade unbeteiligt war, also ich weiß nicht........................

Es gibt, wenn ich nicht irre, auch keine lebenden Teilnehmer in Frankreich und Deutschland mehr.
 
Das ist doch auch beim Kolonialismus so: Zwar distanzieren sich mittlerweile die meisten europäischen Staaten, die einst Kolonien besaßen, zaghaft davon, aber zu einer echten Entschuldigung für die Unterjochung fremder Völker ringen sie sich nach wie vor nicht durch. (Was allerdings auch daran liegt, dass man Entschädigungsforderungen nicht durch ein Schuldeingeständnis eine Grundlage geben will. Unberechtigt ist diese Befürchtung nicht, vor allem auf den Karibikinseln wird seit Jahren intensiv über Entschädigungsforderungen gegenüber den ehemaligen Kolonialmächten diskutiert.)

Frag mal im deutschen Außenministerium nach den Herero... :pfeif:...mindestens im Amt ist das außerhalb Namibias immer noch ein Politikum.
 
Und das Ende des Ersten Weltkrieges ist immerhin schon fast 100 Jahr her. Ein Sieg im Kriege, an dessen Ausbruch man nicht gerade unbeteiligt war, also ich weiß nicht........................

Es gibt, wenn ich nicht irre, auch keine lebenden Teilnehmer in Frankreich und Deutschland mehr.

Im 1. Weltkrieg gab es aber noch französiche militärische Erfolge und ´Heldentum zu feiern. "Verdun, Voie sacre´, Ils ne passeront pas, Courage on il aurait", das ist doch was.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde bekam Frankreich zwar eine Besatzungszone, aber keiner wird ernsthaft behaupten können, dass Frankreich den 2. Weltkrieg gewonnen hat. Die Kolaboration ist ein eigenes Kapitel, da bietet sich der 1. Weltkrieg eher an.

Bei den Briten ist es anders, da wird jede Woche der 2. Weltkrieg erneut gewonnen, aber trotz allen Ruhmes wurde GB zum Juniorpartner der USA, und das schöne Empire hatte auch bald Ladenschluss. Der 1. Weltkrieg ist romantischer, es gab auch mehr Tote als im 2. Weltkrieg und so wird heute noch am Menentor in Ypern getutet, und im nach dem Weltkrieg komplett detailgetreu wiederaufgebauten Ypern sind heute noch fast alle Straßen nach britischen Heerführern benannt, die kräftig dafür sorgten, dass die zahlreichen Soldatenfriedhöfe gut belegt sind und es reichlich Tote zu betrauern gibt.

Ieper ist übrigens eine sehr schöne Stadt, wie die Franzosen die Kathedrale von Reims, bauten die Belgier die St. Martinskathedrale und die Tuchhalle originalgetreu wieder auf. In der Lakenhalle ist heute ein renommiertes Weltkriegsmuseum unterfgebracht, das den Namen "In Flanders Fields" trägt. Eine Erinnerung an ein Gedicht:

"In Flanders Fields
The poppies grow,
between the crosses
row an row,
that mark our place...."

Westbelgien zieht heute noch viele Touristen aus GB, Canada, Australien und NZ an, und Englisch wird dort mehr gesprochen als Französisch. Manchmal verwirrend für Leute, die das erste Mal in Westflandern sind. Wer nach Lille weiterfahren möchte, muss sich an Hinweisschilder halten, die den Weg nach "Rijssel" markieren.
 
Zunächst einmal ist es ein gesetzlicher Feiertag in Frankreich seit den 20er Jahren.
...
Ich habe den Eindruck, dass Frankreich weniger seinen Sieg feiert, als dass man der Millionen Tote gedenkt.
Ich weiß nicht, ob die Franzosen es sich gefallen lassen würden, wenn ihnen so mir nichts dir nichts ein Feiertag - der zudem auch emotional bedeutend ist - gestrichen würde. Daran würden auch neueste Erkenntnisse über die Schuld der damals Verantwortlichen nichts ändern. Dies ändert ja nichts an den vielen Opfern, denen gedacht wird.

Vllt. kann Isleifson mehr dazu sagen.

Grüße
excideuil
 
Der 11.11. wird übrigens nicht nur in Frankreich begangen, sondern auch in Belgien (das ja unter dem 1. WK sehr gelitten hat).

In Großbritannien und dem Commenwealth ist der 11.11. ein Erinnerungstag ("Remembrance Day").

In den USA heißt dieser Tag "Armistice Day" und ist gesetzlicher Feiertag. Erst war es zum Gedenken der im 1. WK Gefallenen, inzwischen aber für die US-Gefallenen aller Kriege (ähnlich wie bei uns der Volkstrauertag, der auch ursprünglich nur für die Toten des 1. WK begannen wurde, inzwischen aber auf alle Opfer aller Kriege ausgeweitet wurde. Allerdings ist dieser Tag nicht der 11.11. sondern der 2. Sonntag vor dem 1. Advent).
 
Finde ich ganz und gar nicht. Denn immerhin sind gerade Deutschland und Frankreich nunmehr seit 50 Jahren eng freundschaftlich verbunden.
Ich glaube, Freundschaft und Siegesfeiern schließen einander nicht aus. Könnte die französische Denkweise nicht einfach sein: "Die Deutschen haben endlich eingesehen, dass sie uns immer so viel Unrecht getan haben, darum können wir jetzt Freunde sein"? Dann wäre der Sieg über die Deutschen von damals natürlich trotz jetziger Freundschaft noch feiernswert.
Außerdem müssen offizielle Freundschaftsbekundungen nicht zwangsläufig der inneren Haltung entsprechen.

Angesichts der Tatsache, dass Frankreich ebenso viel Schuld zutragen hat
Das sieht man in Frankreich vermutlich anders. (Ich habe keine Ahnung, wie das die heutige französische Geschichtsschreibung sieht, aber selbst wenn sie ein differenziertes Geschichtsbild vertritt, muss das nicht unbedingt auf die in Politik und Gesellschaft verbreitete Geschichtswahrnehmung Einfluss haben - und die sind es, die darüber entscheiden, was feiernswert ist, nicht die Historiker.*)

Was wohl die lieben Freunde sagen würden, wenn hier wieder Sedanstag gefeiert werden würde?
Das ist nicht dasselbe: In Frankreich und auch sonst international würde man vermutlich die Wiederkehr des deutschen Nationalismus herbeischreiben und dabei völlig undifferenziert alles Mögliche von preußischem Militarismus über Revanchismus bis hin zum Nationalsozialismus zusammenmixen mit dem Ergebnis: "Die Deutschen sind wieder wie früher und stolz auf ihre früheren Missetaten". Frankreich hingegen kann für sich in Anspruch nehmen, sich doch nur gegen die wiederholte deutsche Aggression verteidigt - und im 1. und 2. WK letztlich gewonnen - zu haben. Denn egal wie man die Kriegsschuldfragen der einzelnen Kriege wissenschaftlich bewertet: Für den Durchschnittsfranzosen zählt vermutlich nur, dass 1870 und 1914 und 1940 die Deutschen in Frankreich eingedrungen sind und auf französischem Boden gekämpft wurde, nicht umgekehrt. Somit sind - wenn man diese vereinfachende Sichtweise zugrundelegt - natürlich die Deutschen immer die Aggressoren, während sich die Franzosen immer nur verteidigt haben. Ein Sieg in einem Verteidigungskrieg ist natürlich eher moralisch vertretbar feiernswert als ein Sieg in einem Angriffskrieg.

* Das ist nämlich der entscheidende Punkt: Darüber, was feiernswert ist oder wessen gedacht wird, entscheiden letztlich nicht Historiker, sondern in erster Linie die Politik, in zweiter Linie die Bürger. Historiker können beliebig oft wiederholen, dass man auch selbst nicht schuldlos sei. Wenn die Politik das nicht hören will, kann sie trotzdem weiterhin Feiern durchführen lassen. Die normalen Menschen werden erst recht nicht hören wollen, dass der Krieg, in dem ihre Urgroßväter gekämpft und gelitten haben, vielleicht doch nicht ganz unverschuldet war. Die Politik wiederum richtet sich meist nach dem, was die Menschen hören wollen.

In Frankreich scheint mir auch die Erinnerung an die Grande Guerre wesentlich präsenter zu sein als hierzulande: in jedem noch so kleinen Dorf findet man irgendwo ein Mémorial für die Gefallenen.
Ist das in Deutschland etwa nicht so? In Österreich steht auch in jedem Dorf ein Kriegerdenkmal, auf dem die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege aus diesem Dorf namentlich aufgelistet sind. (Oft wurden diese Denkmäler bereits nach dem 1. WK errichtet und nach dem 2. nur ergänzt.)

Ich weiß nicht, ob die Franzosen es sich gefallen lassen würden, wenn ihnen so mir nichts dir nichts ein Feiertag - der zudem auch emotional bedeutend ist - gestrichen würde.
Wohl kaum. Vermutlich hätten sie das Gefühl, dass ihre Ahnen und deren Leistungen nachträglich herabgewürdigt und beschmutzt (wenn man die Streichung mit der Kriegsschuldfrage begründen würde) würden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ravenik schrieb:
Das sieht man in Frankreich vermutlich anders. (Ich habe keine Ahnung, wie das die heutige französische Geschichtsschreibung sieht, aber selbst wenn sie ein differenziertes Geschichtsbild vertritt, muss das nicht unbedingt auf die in Politik und Gesellschaft verbreitete Geschichtswahrnehmung Einfluss haben - und die sind es, die darüber entscheiden, was feiernswert ist, nicht die Historiker.*)

Vermute ich auch und deshalb würde mich einmal interessieren, was in Frankreich den Kindern und Jugendlichen in den Schulen über die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges vermittelt wird.


Ravenik schrieb:
Das ist nicht dasselbe: In Frankreich und auch sonst international würde man vermutlich die Wiederkehr des deutschen Nationalismus herbeischreiben und dabei völlig undifferenziert alles Mögliche von preußischem Militarismus über Revanchismus bis hin zum Nationalsozialismus zusammenmixen mit dem Ergebnis: "Die Deutschen sind wieder wie früher und stolz auf ihre früheren Missetaten". Frankreich hingegen kann für sich in Anspruch nehmen, sich doch nur gegen die wiederholte deutsche Aggression verteidigt - und im 1. und 2. WK letztlich gewonnen - zu haben. Denn egal wie man die Kriegsschuldfragen der einzelnen Kriege wissenschaftlich bewertet: Für den Durchschnittsfranzosen zählt vermutlich nur, dass 1870 und 1914 und 1940 die Deutschen in Frankreich eingedrungen sind und auf französischem Boden gekämpft wurde, nicht umgekehrt. Somit sind - wenn man diese vereinfachende Sichtweise zugrundelegt - natürlich die Deutschen immer die Aggressoren, während sich die Franzosen immer nur verteidigt haben. Ein Sieg in einem Verteidigungskrieg ist natürlich eher moralisch vertretbar feiernswert als ein Sieg in einem Angriffskrieg

Ja :winke:, es würde wahrscheinlich mit zweierlei Maß gemessen werden. Die eigenen Missetaten waren gar keine, praktisch reine Notwehr, und die des anderen um so ungeheuerlicher. Man sollte meinen, das man im Jahre 2013 zu einer differenzierteren Betrachtung und auch Bewertung der damaligen Ereignisse gelangen könnte.

Wieso führte Frankreich einen Verteidigungskrieg? "Nur" weil deutsche Armeen in Frankreich eingedrungen sind und dort der Krieg zu einem Stellungskrieg verkam? Das hätte genauso gut andersherum kommen können.Poincare hat reichlich Dampf gemacht, damit die Russen und somit auch die Serben "ja hart und standhaft" bleiben. Die Deutschen würden nur diese Sprache verstehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es fällt immer schwer, sich von der eigenen Geschichte zu distanzieren. Deutschland und Österreich blieb zumindest hinsichtlich des 1. und 2. WKs nichts anderes übrig, aber für andere Staaten besteht dafür keine echte (über allfällige moralische Erwägungen hinausgehende) Notwendigkeit. Das ist doch auch beim Kolonialismus so: Zwar distanzieren sich mittlerweile die meisten europäischen Staaten, die einst Kolonien besaßen, zaghaft davon, aber zu einer echten Entschuldigung für die Unterjochung fremder Völker ringen sie sich nach wie vor nicht durch. (Was allerdings auch daran liegt, dass man Entschädigungsforderungen nicht durch ein Schuldeingeständnis eine Grundlage geben will. Unberechtigt ist diese Befürchtung nicht, vor allem auf den Karibikinseln wird seit Jahren intensiv über Entschädigungsforderungen gegenüber den ehemaligen Kolonialmächten diskutiert.).


Die Rezeption der Kolonialzeit und die Gedenkkultur fällt in den ehemaligen Kolonien zuweilen unterschiedlich aus. In Tansania werden einige positive Errungenschaften der deutschen Kolonialzeit durchaus gewürdigt, vor allem dass Kisuaheli als Amtssprache eingeführt wurde, was dazu beitrug, dass sich ein tansanisches gemeinsames Geschichtsbewusstsein entwickeln konnte. In Namibia sehen Vertreter der Herero im Vorgehen der Deutschen Völkermord. Was vergehen gegen die Menschlichkeit betrifft, so waren die Zustände die in König Leopolds Privatkolonie am Kongo herrschten, wohl das Schlimmste, was überhaupt möglich war. Viel änderte sich auch nicht, als nach Leopolds Tod der belgische Staat 1909 die Kolonie übernahm.

Im Geschichtsbewusstsein Belgiens schlugen sich die Kongogrweuel kaum nieder, im Gegenteil, es wurde Schulkindern eingetrichtert, dass es sich um ein philanthropisches Projekt handelte. Forschungen, die sich kritisch mit Belgiens Kolonialgeschichte beschäftigten, wurden teilweise massiv behindert, und auch die Verstrickung des belgischen Königshauses an der Ermordung Lumumbas war ein Tabuthema.

Auf Kritik stießen auch die Abenteuer der Comichelden Tim und Struppi im Kongo, und soweit ich weiß, wurde dieser Band indiziert.

Immerhin hat sich gerade in den letzten Jahren in Belgien einiges getan, und die belgische Kolonialgeschichte wird kritischer beurteilt. So schloss das von Leopold II. höchstpersönlich gegründete Museum für Zentralafrika im Brüsseler Vorort Tervuren 2012 für einige Monate seine Pforten und stellte Herbst 2012(?) eine komplette Neukonzeption vor. Die Museumsleitung verlautbarte, dass man sich prinzipiell der These des Historikers Adam Hochschilds anschließe, dass es sich um bei den Kongogreueln um "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gehandelt habe.
 
Ist das in Deutschland etwa nicht so? In Österreich steht auch in jedem Dorf ein Kriegerdenkmal, auf dem die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege aus diesem Dorf namentlich aufgelistet sind. (Oft wurden diese Denkmäler bereits nach dem 1. WK errichtet und nach dem 2. nur ergänzt.)


Im Mai 1946 hatte der alliierte Kontrollrat beschlossen, sämtliche Denkmäler "kriegsverherrlichender Art" zu beseitigen. Dem ist einiges, auch nicht kriegsverherrlichender Art, zum Opfer gefallen.
 
Wieso führte Frankreich einen Verteidigungskrieg? "Nur" weil deutsche Armeen in Frankreich eingedrungen sind und dort der Krieg zu einem Stellungskrieg verkam? Das hätte genauso gut andersherum kommen können.

Ich denke man sollte hier die Kirche mal schön im Dorf lassen. Das in Frankreich gekämpft wurde und dort ganze Landschaften und Städte umgepflügt wurden ist die historische Tatsache. Und nicht, es hätte auch anders kommen können [was tatsächlich nicht anders gekommen ist]. Selbstverständlich war 1914-1918 für die Franzosen ein Verteidigungskrieg, oder hätten sie ihre Tore für den Aggressor einladend öffnen sollen? Wer also sollte ihnen (und den Belgiern, den Luxemburgern, genauso wie den Polen, Niederländenr, Skandinaviern, Russen ect. für 1939-1945) es verdenken, dass sie den Sieg darüber in Form eines Feiertags erinnern. In Deutschland hat man ja auch seine Völkerschlachtdenkmälern und Kriegersteine stehen.
 
Ich denke man sollte hier die Kirche mal schön im Dorf lassen. Das in Frankreich gekämpft wurde und dort ganze Landschaften und Städte umgepflügt wurden ist die historische Tatsache. Und nicht, es hätte auch anders kommen können [was tatsächlich nicht anders gekommen ist]. Selbstverständlich war 1914-1918 für die Franzosen ein Verteidigungskrieg, oder hätten sie ihre Tore für den Aggressor einladend öffnen sollen? Wer also sollte ihnen (und den Belgiern, den Luxemburgern, genauso wie den Polen, Niederländenr, Skandinaviern, Russen ect. für 1939-1945) es verdenken, dass sie den Sieg darüber in Form eines Feiertags erinnern. In Deutschland hat man ja auch seine Völkerschlachtdenkmälern und Kriegersteine stehen.


Du liebe Güte; die Kirche bleibt schon schön im Dorf. Keine Sorge. Ich mutmaße einmal, dass du meinen Beitrag gründlich missverstanden hast.

Kennst du die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges? Kennst du die historischen Tatsachen? Fehlt nur noch, das du ausführst, das selbstverständlich Deutschland am Ersten Weltkrieg allein schuld war.
 
Kennst du die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges? Kennst du die historischen Tatsachen? Fehlt nur noch, das du ausführst, das selbstverständlich Deutschland am Ersten Weltkrieg allein schuld war.

Was bitte schön hat die Vorgeschichte mit der Tatsache zu tun, dass in Frankreich und nicht in Deutschland gekämpft wurde?
 
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