Wagner- und Verdijahr 2013

Die ganze Diskussion führt eigentlich nur zu einem weiteren Versuch "Hitler" zu erklären.
Das sehe ich auch so. Könnte es nicht einfach so sein, dass ein schrecklicher Typ sowohl gute Musik als auch gutes Musiktheater kreiert hat unabhängig davon, ob die Musik samt Theater nun gefallen und aus welchen Beweggründen auch immer Leute auch heute noch nach Bayreuth pilgern?
 
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Die ganze Diskussion führt eigentlich nur zu einem weiteren Versuch "Hitler" zu erklären.

Bei Kershaw (Hitler. 1889-1945) findet sich eine ausführliche Darstellung der Beziehung von Hitler zu Wagner. Für Overy und sein Verständnis von Hitler ist dieser Aspekt so zweitrangig, dass er nicht auf diesen Aspekt systematisch eingeht (Overy: The Dictators).

Im wesentlichen wird bei Kershaw die Faszination des jungen Hitlers am Heroismus und dem Germanenmythus in den Vordergrund gestellt.

Sofern die Musik von Wagner einen Einfluss auf die Politik Hitlers hatte, lag sie eher in der dramatischen Inszenierung, in einer gewissen Vorliebe für das gigantische und die Dramatisierung des Scheiterns.

In diesem Sinne waren germanische Helden, Gut und Böse, Hinterlist, edle Gesinnung, Nilbelungen Treue oder Kampf bis in den Untergang die kulturelle Botschaft der Kunst eines Wagners. Und diese Botschaft hat sein Verständnis für seine "historische Mission" und die des "germanischen Volkes" definitiv geprägt.

Eine direkte kausale Beziehung der Person des Antisemiten Wagners, über seine Musik zur Rassenideologie von Hitler erscheint konstruiert. Silesia wies bereits darauf hin.

Wenn nicht, kann man die behauptete Kausalkette wohl ad acta legen.
 
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In diesem Sinne waren germanische Helden, Gut und Böse, Hinterlist, edle Gesinnung, Nilbelungen Treue oder Kampf bis in den Untergang die kulturelle Botschaft der Kunst eines Wagners.
insgesamt stimme ich dir zu, d.h. was den Tenor deines Beitrags betrifft :yes:

im Detail aber ergeben sich ein paar Fragen:
1. was ist an dramatischen Bühnenkonstellationen mit Helden, gerne auch germanischen Helden*, welche Gut und Böse**), edle Gesinnung (des Helden, wo sonst) und Hinterlist***) enthalten, verdächtig?
2. die als tragisch aufbereitete Situation des selbstgewählten bzw. bewußten heroischen Untergangs, kennt man die nicht schon aus der antiken Literatur?
3. wo findet sich speziell - du verwendest die Wortzusammenstellung - auf Wagners Opernbühne bzw. in seinen Operntextbüchern (Lbretti) die Nibelungentreue?? Speziell hier wäre ich für einen Hinweis dankbar, denn mir ist die ominöse Nibelungentreue samt ihrer späteren Konnotationen bislang nirgendwo in Wagners Musikdramen aufgefallen (auch nicht im Ring des Nibelungen)

Rezeptionshistorische Angelegenheiten wie "Beethoven, der einsam trutzige Titan" oder "Mozart, der Götterliebling" und gar "Chopin, der androgyne Klaviersylphe der Romantik" sind primär Phänomene der Wahrnehmung seitens der Rezipienten - und die können, auch wo sie bewundern, gewaltig irren. Dennoch haben solche Bilder von den verschiedenen Künstlern ihren Platz in der Rezeptionsgeschichte - freilich kritisch betrachtet kann man wissen, dass es einerseits faktisch immer den virtuosen akribischen Konstrukteur Chopin gab und gibt und parallel dazu in erstaunlicherweise populär gewordenen Bildern (welche bei weitem nicht von den damaligen Kennern wie Liszt oder Saint-Saens herrühren!) den melancholisch-sanften Klavierlyriker Chopin: letzterer ist eine rezeptionshistorische Projektion, ersterer ist faktisch. Ich führe das an, weil es nicht anders um die Musik von Wagner bestellt ist: auch da gibt es auf der einen Seite die musikhistorischen bzw. musikologischen Fakten, auf der anderen Seite diverse Bilder bzw. Projektionen. Zum Beispiel der von dir genannte Heroismus und Gigantismus: das ist typisches 19. Jh.!! Das ist nichts "wagnerspezifisches" oder "wagnertypisches". Das gewaltige Wagnerorchester ist eine Erfindung von Hector Berlioz (Sinfonie fantastique, Instrumentationslehre, Martyrium, Trojaner u.a. Werke) und Liszt (Les Preludes, Dantesinfonie, heilige Elisabeth) und sowohl monumentale Klangorgien als auch patriotische Gefühlsaufwallung finden sich bei vielen Komponisten der zweiten Hälfte des 19. Jhs. (Brahms 1. Sinfonie beispielsweise, Verdi Aida u.a.) -- mag sein, dass Wagners Orchesterbehandlung bzgl. des großen spätromantischen Orchesterapparats besonders gelungen ist (wie bei Bruckner, Tschaikowski und Verdi ebenfalls!!!), aber das bietet keine Grundlage dafür, die inkrimierten Begriffe Gigantismus, Patriotismus und Monumentalismus allein Wagner anzulasten. Die spätromantische Musik ist nun mal, egal ob auf deutschen, russischen, italienischen oder französischen Opernbühnen voll von solcher Musik - mal gelungen, mal weniger gelungen. ==> die Konsequenz aus dieser Darstellung: wenn irgendwelche Nazis Wagner geschätzt haben und als emotionalen Ideenliferanten nannten, dann nicht, weil dergleichen genuin in Wagners Opern drin steckt (oder gar deren Mission ist), sondern weil sie Wagners Werk als Projektionfläche missbrauchten (!) Man sieht das ja sehr schön an Verwendungen (Liszt statt Wagner in der Wochenschau) und Aufführungszahlen (im Dritten Reich wurde weitaus häufiger Johann Strauß als Wagner aufgeführt)... Die Stilisierung und Instrumentalisierung Wagners als quasi "Kulturstandarte" des Dritten Reichs ist eine Projektion von außen in das Werk Wagners!

Insofern ist rezeptionsgeschichtlich der wirre Unsinn, den Hitler zu Wagner mitteilte (horribile dictu: er mochte das schwache Frühwerk Rienzi am meisten, mit Tristan oder Parsifal konnte er nicht so viel anfangen...), bestenfalls für eine Biografie Hitlers interessant, sagt aber absolut nichts sachlich sinnvolles zum Werk Wagners aus.

ok :) ich bin mir recht sicher, dass wir da nicht weit auseinander liegen - mir war gerade danach, das noch ein wenig zu präzisieren.

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*) solche finden wir z.B. sehr pathetisch bei Hebbel und Kleist, zwei doch ansonsten "unverdächtigen" Literaten, des weiteren bei Fouque, Freytag u.a.
**) finden wir explizit in Goethes Faust
***) Schiller, Kabale und Liebe
 
sondern weil sie Wagners Werk als Projektionfläche missbrauchten (!)

Meine Aussagen bezogen sich auf die Zeit von Hitler in Wien. Und Kershaw schildert die hohe Faszination, die Hitler für Wagner hat. Und Kershaw schildert ebenfalls die weiterhin bestehende extrem!!!! hohe Wertschätzung von Wagner während der anschließenden Zeit in München. Und sein Zugang zur Wagner-Familie durch seine zwei "Gönnerinen" in München.

Und in diese Zeit fallen dann auch wichtige Entscheidungen über die politische Ausrichtung und Symbolik der NS-Bewegung.

Ob Wagner als Projektionsfläche mißbraucht wurde kann ich nicht beurteilen, aber zumindest Kershaw weist auf den Zusammenhang des regelmäßigen Besuchs von Wagneraufführungen (auf Stehplätzen nach stundenlangem Anstehen) und der zunehmenden Aversion gegen das "Völkergemisch" in Wien bei Hitler hin.

Und der nächste Abschnitt war dann die politische Radikalisierung in München.
 
Sofern die Musik von Wagner einen Einfluss auf die Politik Hitlers hatte, lag sie eher in der dramatischen Inszenierung, in einer gewissen Vorliebe für das gigantische und die Dramatisierung des Scheiterns ...

Eine direkte kausale Beziehung der Person des Antisemiten Wagners, über seine Musik zur Rassenideologie von Hitler erscheint konstruiert. Silesia wies bereits darauf hin.

Das sehe ich ganz ähnlich. Dass Wagners Bühnenwerk auf Hitler eine große Faszination ausübte, ist sicher unbestreitbar. Aber die erschöpfte sich in der Germanenwaberei, in den "heldischen" Schicksalen, im Pomp der zeitgenössischen Inszenierungen und natürlich in der typischen wagnerischen Musik, die bei einem mit 200 Musikern besetzten Festspielorchester (bei Mozart sind's etwa 40) eindrucksvoll den Raum füllte.

Die "Götterdämmerung" schließlich stand sowohl für Wagners Ring-Oper als auch für den Untergang des Dritten Reichs zusammen mit der ganzen Nazi-Elite. Ob sich Hitler in seinem Berliner Führerbunker mit Wotan und den untergehenden Göttern verglich? Wer weiß!
 
Und Kershaw schildert die hohe Faszination, die Hitler für Wagner hat.
der russische Lyriker und Schriftsteller Maxim Gorki Maxim Gorki ? Wikipedia - der nun wirklich kein Nazi war, sondern stattdessen das Gegenteil :) - war ebenfalls von Wagners Musik, speziell dem Siegfried [sic!]*), fasziniert und führte seine revolutionäre Anschauung u.a. auf Wagner zurück.

ist Wagner deswegen in gewissem Sinn nun auch noch ein Vordenker der russ. Revolution?

der ab dem 13. Februar 1883 mausetote Komponist konnte sich nie aussuchen, wer seine Werke und warum im 20. Jh. schätzte, missverstand oder missbrauchte - der mausetote Wagner hatte da keinerlei Einfluß drauf.

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*) die Schmiedelieder aus dem Siegfried sind sogar Gegenstand mehrerer Gedichte von Gorki
 
Das spitzt es doch hervorragend zu.

Faszination ist eins, Prägung iS eines dadurch adaptierten Antisemitismus ein anderes.

Auch Kershaw bleibt da völlig im Diffusen, und belegt nichts außer dem von Wagner-Opern faszinierten Hitler.

Was ist mit weiteren Biographien iSd der behaupteten kausalen Zusammenhangs?
 
Es ist doch recht erstaunlich, dass unter dieser Überschrift "Wagner- und Verdijahr 2013" dauernd über den Wagner gestritten wird.

Gibts auch was zum Verdi zu sagen?

hatl
 
Unserem Wagner-Hasser Gerd Franke scheint's die Sprache verschlagen zu haben - er ist still in sich gegangen. :D
 
Um mal auf Verdi zu kommen.<?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:eek:ffice:eek:ffice" /><o:p></o:p>
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Mein erster Kontakt mit Verdi war der Film zur Oper „Aida“.<o:p></o:p>
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Aida wurde gespielt von Sophia Loren. Gesungen hat aber Renata Tebaldi. Kam in der DDR so um 1955 in die Kinos.<o:p></o:p>
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Ein paar Jahre später habe ich den Roman „Kameliendame“ von Duma gelesen. Etwas später erlebte ich die Oper dazu von Verdi. Ich glaube, es ist die Oper die ich am häufigsten bisher erlebt habe. So gar in der Semperoper. Wagner hingegen in der Wiener Staatsoper.<o:p></o:p>
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Hätte eine Frage zu Nabucco, genauer Gefangenchor.<o:p></o:p>
Könnte allerdings sein, diese Frage hat einen zu aktuellen Bezug und passt hier nicht so recht rein, ich lass es deshalb lieber :).<o:p></o:p>
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Unserem Wagner-Hasser Gerd Franke scheint's die Sprache verschlagen zu haben - er ist still in sich gegangen. :D

Dafür habe ich gestern was in der Hessenschau gesehen, woran er sicher seine Freude gehabt hätte. Ist jetzt nicht als meine Position aufzufassen, aber als treuer Leser des Fadens hier musste ich lachen:

War ein Bericht über die Ausstellung eines Karikaturisten. Eine seiner Karikaturen wurde gezeigt: Steht ein Ehepaar mit Frack und Abendkleid gekleidet und Sektgläschen i. d. Hand vor einem ebenso feinen Gesprächspartner. Über dem Mann eine Sprechblase: "Meine Frau und ich haben erst über den Antisemitismus zu Wagner gefunden."=)
 
Dafür habe ich gestern was in der Hessenschau gesehen, woran er sicher seine Freude gehabt hätte. Ist jetzt nicht als meine Position aufzufassen, aber als treuer Leser des Fadens hier musste ich lachen:

War ein Bericht über die Ausstellung eines Karikaturisten. Eine seiner Karikaturen wurde gezeigt: Steht ein Ehepaar mit Frack und Abendkleid gekleidet und Sektgläschen i. d. Hand vor einem ebenso feinen Gesprächspartner. Über dem Mann eine Sprechblase: "Meine Frau und ich haben erst über den Antisemitismus zu Wagner gefunden."=)

Hier der Link dazu, ist zwar ein wenig lang, aber das Bild finde ich gelungen:<?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:eek:ffice:eek:ffice" /><o:p></o:p>
Einfach Video starten.<o:p></o:p>
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Bei 1.56 kann man sich dieses Bild ansehen.<o:p></o:p>
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http://www.hr-online.de/website/fernsehen/sendungen/index.jsp?key=standard_document_50226565&jmpage=1&type=v&rubrik=5300&jm=6&mediakey=fs/hessenschau/2013_11/131130195847_hs_kassel_17991
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Ich vermisse Franke auch schon - diese mit so großer Verve und Detailverliebtheit geschriebenen Apologien waren sehr erfrischend, erinnerten sogar an den Gottfried Wagnerschen Selbsthass. Schreibens bitte wieder was, Herr Franke....sonst wirds fad!
 
Goldmarks Königin von Saba

Letzten Sonntag hab ich mir das neugestaltete Jüdische Museum in Wien angesehen. Eine fabelhaft gemachte Ausstellung, großes Kompliment an die Kuratoren. (Derzeit wird auch eine spannende Wagner-Ausstellung gezeigt, Ursi hat diese schon erwähnt, ich bin aber nur durchgelaufen da ich nach einem dreitstündigen, begeisterten Besuch der neuen Dauerausstellung zu müd war....dies aber nur am Rande).

Eine der Stationen in der neuen Dauerausstellung ist dem wohl bedeutendesten jüdischen Komponisten der Spätromantik gewidmet: Karl Goldmark (1830-195). Er war Sohn eines Kantors und ein Superstar des späten 19. Jahrhunderts, Sibelius sprach sogar von einem "Goldmark-Kult". Er verehrte Richard Wagner und galt nach 1883 als sein "Nachfolger" bzw. wurde er von Kritikern als Wagner-Epigone verunglimpft. Vor allem der Hanslick befehdete ihn und bezeichnete seinen größten Erfolg "Die Königin von Saba" als wagnerianisch.

Im Museum gibts Hörproben dazu - und ich muss sagen die "Ankunft der Königin von Saba" klingt wirklich wie ein Werk des Leipziger Bayreuthers. Ist Goldmark nun ein musikalischer Weininger?
Ich sage nein - er ist ein zu Unrecht vergessener Komponist der sich vom Wagnerschen Genie inspirieren liess.
 
Goldmarks Königin von Saba

Da muß ich immer an eine hübsche Geschichte denken. Goldmark, der recht eitel war, fuhr einmal mit einer hübschen Dame im Zug. Er stellte sich vor: "Gestatten, mein Name ist Goldmark, ich bin der Komponist der "Königin von Saba". Die Dame lächelte zurück: "Ach, das ist doch sicher ein sehr interessanter Posten!"
 
Ein Hinweis für Wagner-Fans

Es gibt den Reprint des Buchs "Walhall. Die Götterwelt der Germanen" aus dem Jahr 1900, großformatig, mit schönen Jugendstilillustrationen. Der Band hat 64 Seiten, schildert Sagen und Mythen der germanischen Götter und ist für nur 9,95 Euro im Buchversand zu erwerben.

Der Band (Nachdruck von 2013) ist soeben frisch bei mir eingetroffen und wer Buchkunst mag und sich darüber hinaus für die germanische Götterwelt interessiert, dem kann ich ihn empfehlen. Dass der Text die Diktion seiner Zeit hat, dürfte klar sein und natürlich ist das kein wissenschaftliches Werk. :winke:
 
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