Wagner- und Verdijahr 2013

dass Wagner ein Antisemit, Rassist, Stiesel und Unsympath war, stand hier eigentlich niemals zur Debatte. Dass die Nazis hier ihre Anknüpfungspunkte hatten, ist auch logisch. Nur kann man deshalb Wagner nicht die Nazis vorwerfen. Es kommt ja auch niemand auf die Idee, Darwin die Schuld am Sozialdarwinismus zu geben.
:yes::yes:
Was die eigentliche Empörung einiger User gegen Gerd hervorgerufen hat, das ist, dass er aufgrund Wagners Einstellungen sein musikalisches Werk in Bausch und Bogen verworfen hat.
eigentlich nicht Empörung, was mich betrifft, und auch die Ablehnung in Bausch und Bogen ist nicht empörend oder verwerflich, so lange es sich um ein privates Geschmacksurteil handelt - vielmehr elendig ist das permanente repetieren unbewiesener und obendrein dümmlicher*) Behauptungen (z.B., dass Wagners Musikdramen zum Antisemitismus missionieren würden und antisemitische Subtexte enthielten etc.)

In den Literaturwissenschaften ist es zum Teil geradezu verpönt, biographische Details aus dem Leben der Autoren für die Interpretation ihrer Werke heranzuziehen. Ich halte das im Grunde für eine Form des Ausschüttens des Kindes mit dem Bade, kann es aber nach dieser Diskussion viel besser verstehen.
Jean Paul war Alkoholiker, Max Reger auch - weder die Flegeljahre noch die Bachvariationen riechen nach Fusel oder animieren zum saufen :)

Auch wenn Text- und Musikproduktion noch mal zwei völlig andere Arten der Informationen sind. Musik kann im Prinzip nur Stimmungen, aber keine Inhalte transportieren. Text transportiert zumindest im Regelfall Inhalte, wohingegen die transportierte Stimmung häufig missverstanden wird.
ganzso reduziert sich das Ausdrucksvermögen von Musik nicht auf bloße Stimmungsbilder (nur ein Stichwort: Programmmusik), aber das würde hier zu weit führen.

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*) sic! diese Behauptungen speisen sich aus den Libretti - nun kann man Texte lesen, auseinander nehmen, interpretieren: noch ist es niemandem gelungen, den entsprechenden Beweis aus den Texten heraus zu führen (also textimmanent) ((und ich bin es etwas leid, das ständig wiederholen zu müssen)) -- stattdessen werden von außen Bedeutungen in die Texte hineingetragen. Auf diese Weise kann ich die Bibel zum ärgsten menschenverachtenden Machwerk rabulieren, weil da am Ende alle Menschen vom Weltenrichter gestäupt werden und überhaupt: wer gibt dem das Recht, alle Leute post mortem zu richten?... usw. könnte das blabla gehen =)
 
In meiner Schulzeit habe ich ein Arbeit darüber geschrieben (gut ein Jahrzehnt her) und bin damals – zur Zufriedenheit meines Lehrers – auch zum Schluss gekommen, dass der Pangermanismus und Antisemitismus in den Werken von Wagner sichtbar sind und somit Hitlers Weltbild abrundeten und ihn in seiner Seele sowohl ansprachen als auch formten.
ich nehme an, dass sich diese Schularbeit weder in den Regalen der Musikwissenschaft noch in den Regalen der Musikgeschichte befindet und dass sie ebenfalls in kulturhistorischen sowie literaturhistorischen Regalen nicht vorhanden ist - aus diesem Grund bevorzuge ich, was u.v.a. Kurt Pahlen, Egon Voss, Werner Breig über Wagner, Wagnerrezeption usw. veröffentlicht haben.
 
eigentlich nicht Empörung, was mich betrifft, und auch die Ablehnung in Bausch und Bogen ist nicht empörend oder verwerflich, so lange es sich um ein privates Geschmacksurteil handelt - vielmehr elendig ist das permanente repetieren unbewiesener und obendrein dümmlicher*) Behauptungen (z.B., dass Wagners Musikdramen zum Antisemitismus missionieren würden und antisemitische Subtexte enthielten etc.)

Es ist selbstverständlich jedem freigestellt, in bestimmten Figuren von Wagneropern jüdische Inkarnationen zu sehen (z.B. Mime, Alberich, Beckmesser usw.). Und es gibt ja auch einige Autoren, die diese Meinung vertreten und entsprechende Bücher verfasst haben. So z.B.

P.L. Rose: Wagner und der Antisemitismus

Marc Weiner: Marc A. Weiners neuer Blick - Richard Wagners antisemitische Fantasien : literaturkritik.de

Jens Malte Fischer: Richard Wagner als Vorläufer der Nazis? - Jens Malte Fischer über Wagners Antisemitismus : literaturkritik.de

Diese Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass sich in Wagners musikalischem Werk antisemitische Stereotype finden, und man muss ihnen immerhin zugestehen, dass sie sich ernsthaft mit diesem Thema befasst haben. Auch die Resonanz war beträchtlich.

In diesem Zusammenhang vertreten besonders P.L. Rose und Marc A. Weiner die Hypothese unseres Wagner-Hassers Gerd Franke.

Die Frage ist nur, ob sich solche Behauptungen wirklich stichhaltig begründen lassen und wie die Mehrzahl der Musikwissenschaftler darüber denkt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist selbstverständlich jedem freigestellt, in bestimmten Figuren von Wagneropern jüdische Inkarnationen zu sehen (z.B. Mime, Alberich, Beckmesser usw.). Und es gibt ja auch einige Autoren, die diese Meinung vertreten und entsprechende Bücher verfasst haben. So z.B.

P.L. Rose: Wagner und der Antisemitismus

Marc Weiner: Marc A. Weiners neuer Blick - Richard Wagners antisemitische Fantasien : literaturkritik.de

Jens Malte Fischer: Richard Wagner als Vorläufer der Nazis? - Jens Malte Fischer über Wagners Antisemitismus : literaturkritik.de

Wobei diese Formulierung zumindest im Hinblick auf Fischer doch etwas zu verkürzt formuliert ist. Er erkennt eine antisemitische Kontextebene in den Figuren, sieht sie aber nicht darauf beschränkt und übersieht auch nicht, daß es sich um Charaktere handelt, für die ihr Schöpfer durchaus auch Sympathien mitbringt und sie nicht alleine ins Unrecht setzt. Wesentlich prägnanter ist der Fall nun beim Fliegenden Holländer und bei Kundry, die aber nun definitiv nicht als Negativfiguren gezeichnet sind. http://www.amazon.de/Ahasvers-Erlös...&qid=1386681698&sr=8-5&keywords=frank+halbach
 
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@Masada,

..Es kommt ja auch niemand auf die Idee, Darwin die Schuld am Sozialdarwinismus zu geben.
...

Die These scheint mir ein Kühne zu sein und widerspricht der Begriffsbildung selbst.
Wie könnte es denn sein, dass man "Sozialdarwinismus" sagt, ohne den Bezug zu Darwin herzustellen?
Ob der Bezug bezüglich Darwins zutreffend ist, ist ja eine ganz andere Frage.

Das kann man analog zum Wagner auch so sehen.
Es bleibt mir aber schon rätselhat, warum man den Wagner in teutschen Landen so überschwänglich feiert.
Warum diese geschichtsvergessenen kultischen Prozessionen der deutschen Creme de la Creme in Frack und Abendkleid nach Bayreuth?
Findet sich hier wahre Liebe zur Musik?

Haben sich die Befrackten und Geschmückten vorher den Verdi, den Donizetti oder den Bellini angehört?
Wissen die wessen Geistes Kind der Gefeierte war und wessen Geist er beflügelte?
 
Zuletzt bearbeitet:
Es kommt ja auch niemand auf die Idee, Darwin die Schuld am Sozialdarwinismus zu geben.

Ich fande ebenfalls genau diesen einen von dekumatland gefeierten Satz wenig durchdacht; allerdings wahrscheinlich aus anderen Gründen als hatl:

Es sind in meinen Augen einfach zwei ungleiche Paare:
1. Paar: Antisemitismus Wagners <–> Antisemitismus der Nazis
2. Paar: Biologisch-naturwissenschaftl. Lehre Darwins <–> Sozialdarwinismus

Es leuchtet sofort ein, dass man den naturwissenschaftlichen Gedanken und Äußerungen eines Biologen nicht die „Schuld“ an späteren sozialdarwinistischen Theorien geben kann. Daraus allein folgt doch aber für die Frage, ob man den antisemitischen Gedanken und Äußerungen Wagners „Schuld“ an späteren antisemitischen Theorien geben kann, überhaupt nichts. Die beiden Fälle sind zu wenig verwandt, als dass man das Urteil zum Pärchen „Darwinismus~Sozialdarwinismus“ kasuistisch auf das Pärchen „Wagner-Antisemitismus~NS-Antisemitismus“ übertragen könnte – so meine ich zumindest.
 
Ich wies oben schon darauf hin, dass besonders Rose und Weiner eine radikale Position vertreten.
die Frage ist dabei, inwieweit die "radikalen Positionen" fachlich gerechtfertigt werden... bzgl. Weiner und seiner mangelhaften Kenntnis musikwissenschaftlichen Arbeitens hatte ich mir schon die Finger wund genug getippt in diesem Faden ;) ansonsten lohnt ein Blick hierin: Marc A. Weiner: Antisemitische Fantasien. Die Musikdramen Richard Wagners - Perlentaucher

populistisch, medienwirksam, gemeinhin "aufsehenerregend" kann allerlei präsentiert werden, egal ob als kurzlebige Zeitungsnotiz oder in Buchform, indes sollte klar sein, dass eine Publikation eo ipso noch keine Wahrheit ist... der fachliche Gegenwind hat Weiner & Co. so sehr gezaust, dass da kaum was übrig ist.

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im Gegensatz zu buschons und hatl finde ich das Bonmot von ElQ nicht beanstandenswert: das war nicht 1 zu 1 wörtlich intendiert, sondern eher metaphorisch. Ähnlich hatte mal (man mag ihn sehen, wie man will) Ex-Bundespräsident Walter Scheel geäußert, dass er nichts gegen deutsche Schäferhunde habe, auch wenn diese Hundesorte bei den Nazis beliebt war - ein treffendes Bonmot in Sachen Rezeptionsgeschichte.
 
Gezaust oder nicht - es ist wohl keine Gotteslästerung, auf diese Autoren hinzuweisen.
nein nein, Blasphemie ist das keine :)

...weißt du, Autoren gibt es wie Sand am Meer...
da gibts sogar welche, die ägyptische Pyramiden als Raumschifflandeplätze bezeichnen, es gibt welche, die ein paar hundert Jahre Geschichte als inexistent bezeichnen - nun stellt sich die Frage, in welchem Kontext man auf sie hinweist: humoristisch bzw. kurioserweise? oder um ihre Autorenschaft als Autorität und ihre Publikationen als wissenschaftlich darzustellen? verschiedene Gründe sind denkbar, aber abgesehen von der Intention der Hinweise, gibt es oft genug auch Fakten zum Inhalt, zur Aussage der Publikationen (und das besonders dann, wenn Themen gestreift werden, die von seriösen Wissenschaften behandelt werden, weil sie zu deren Gegenstand zählen)
tja, und da isses nu so: den Autor Däniken nimmt kein Ägyptologe und kein Archäologe ernst, den Autor Illig (oder so ähnlich) kein Historiker und kein Mediävist, den Autor Weiner kein Musikwissenschaftler.

so betrachtet, bleibt nur die Frage, warum du auf z.B. den Weiner hingewiesen hast :)
 
nein nein, Blasphemie ist das keine :)

...weißt du, Autoren gibt es wie Sand am Meer...

Mir ist schon klar, dass du alle Schriften dieser Autoren am liebsten auf den Index setzen oder - besser noch - verbrennen würdest.

Dennoch ist es für die User dises Forums von Interesse, die Thesen solcher Autoren, die Wagner in einem ganz anderen Licht sehen, zur Kenntnis zu nehmen und sich eine eigene Meinung zu bilden.
 
Mir ist schon klar, dass du alle Schriften dieser Autoren am liebsten auf den Index setzen oder - besser noch - verbrennen würdest.
also Ablehnung aus sachlichen (fachlichen) Gründen halte ich für was anderes als die Installation eines index librorum prohibitorum (du magst das gerne anders sehen...)

Dennoch ist es für die User dises Forums von Interesse, die Thesen solcher Autoren, die Wagner in einem ganz anderen Licht sehen, zur Kenntnis zu nehmen und sich eine eigene Meinung zu bilden.
...oh... ist deiner Ansicht nach der Nachweis, wie es innerhalb einer Fachdisziplin um vereinzelte Kuriositäten bestellt ist, womöglich hinderlich an der Bildung einer eigenen Meinung???.....
 
du verzeihst mir, dass ich hier http://www.geschichtsforum.de/696433-post388.html deutlich mitgetelt habe, wie es um die fachliche Resonanz auf Weiner und Weiners fachliche Relevanz bestellt ist, nämlich kläglich -- und bitte glaub mir: das mitzuteilen ist weder Blasphemie noch index librorum prohibitorum :):)

Die Bedeutung dieses Satzes ist mir nicht ganz klar.
also:
1. Buch X vertritt eine fachlich falsche Position
2. man kann auf dieses Buch X einfach nur so hinweisen
3. man kann auf Buch X und seine fehlende fachliche Relevanz hinweisen
was nützt beim sich eine Meinung bilden mehr?

Was ich sagen wollte, ist aber doch eindeutig.
weiß ich nicht, ich kann ja nur lesen, was du geschrieben hast (und annehmen, dass du das auch genauso gemeint hast)
 
Ich fande ebenfalls genau diesen einen von dekumatland gefeierten Satz wenig durchdacht; allerdings wahrscheinlich aus anderen Gründen als hatl:

Es sind in meinen Augen einfach zwei ungleiche Paare:
1. Paar: Antisemitismus Wagners <–> Antisemitismus der Nazis
2. Paar: Biologisch-naturwissenschaftl. Lehre Darwins <–> Sozialdarwinismus

Es leuchtet sofort ein, dass man den naturwissenschaftlichen Gedanken und Äußerungen eines Biologen nicht die „Schuld“ an späteren sozialdarwinistischen Theorien geben kann. Daraus allein folgt doch aber für die Frage, ob man den antisemitischen Gedanken und Äußerungen Wagners „Schuld“ an späteren antisemitischen Theorien geben kann, überhaupt nichts. Die beiden Fälle sind zu wenig verwandt, als dass man das Urteil zum Pärchen „Darwinismus~Sozialdarwinismus“ kasuistisch auf das Pärchen „Wagner-Antisemitismus~NS-Antisemitismus“ übertragen könnte – so meine ich zumindest.

Du hast mit deiner Kritik Recht, ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, ob ich das ändern solle, habe gewissermaßen auch Kritik an diesem Paar antizipiert, allerdings Editierungen dann abgebrochen.
Darwin ist nicht Schuld daran, dass seine evolutionsbiologischen Lehren in absurder Weise von Rassisten pervertiert wurden. Wagners Antisemitismus kann man nicht pervertieren. Hier hinkt mein Vergleich also. Aber: Von Wagners Antisemitismus führt kein direkter Weg vor die Gewehrmündungen von Soldaten und Polizisten oder in die Vernichtungsanstalten- und -lager der SS - und von seiner Musik schon gar nicht. Das war in etwa das, was ich hatte ausdrücken wollen.
 
Aber: Von Wagners Antisemitismus führt kein direkter Weg vor die Gewehrmündungen von Soldaten und Polizisten oder in die Vernichtungsanstalten- und -lager der SS - und von seiner Musik schon gar nicht. Das war in etwa das, was ich hatte ausdrücken wollen.

Ich denke, das auch niemand so behauptet. Allerdings heißt es z.B. in einer oben verlinkten Literaturkritik:

"Obwohl von Wagner zu Hitler ebensowenig eine schnurgerade Einbahnstraße führt wie von Luther zu Hitler, so hat er gleichwohl mit dem Gewicht seiner weltweiten Berühmtheit einer schändlichen Gesinnung Umriss und Stimme gegeben und "eine Bierkellerideologie zur Salon- und Kulturfähigkeit geadelt."
 
Dennoch ist es für die User dises Forums von Interesse, die Thesen solcher Autoren, die Wagner in einem ganz anderen Licht sehen, zur Kenntnis zu nehmen und sich eine eigene Meinung zu bilden.

Mich interessieren Argumente.
Aus Thesen bilde ich mir keine Meinung.
Bloße Thesen sind uninteressant.

Das scheinen auch andere User so zu sehen:
Mich beeindruckt nicht, dass schlechte Bücher rezensiert werden - ich halte es da mit El Q, der nicht müde wird darauf hinzuweisen, dass nur Argumente zählen.
 
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