Gegen Polemik hätte ich nichts einzuwenden, wenn Sie frei von Verdrehungen und Fehlern wäre, und zur Sache irgendetwas Substanzielles brächte.
Und es ist höchst ärgerlich, so ein Durcheinander von Verdrehungen und Fehlern für die Faktenbasis der Diskussion über die Bedeutung der Getreideimporte richtig stellen zu müssen.
Wie absurd die Argumentation zur Negation der zu Kriegbeginn bestehenden Abhängigkeit ist, zeigt folgender Beitrag: ...
Ein treffliches Beispiel "quellenkritischer" Betrachtung.
Zunächst einmal zu den angeführten "7 Mio. Tonnen ... allein Bier".
Die übliche Bestellung für Bier lautet sicher nicht "Ein Pfund oder kg Bier", also könnte man annehmen, dass es sich um Brauereigerste handelt, die üblicherweise in Tonnen angegeben wird.
1. "Die übliche Bestellung für Bier" an der Theke ... tut hier nichts zur Sache, weil es um die mengenmäßige Bestimmung des dafür notwendigen Getreide-Importbedarfes geht (Tonnenangabe ist übrigens abseits der Stammtheke auch bei den Exportstatistiken 1910/13 zu finden, hl nur bei Fässern. Aber wer bestellt schon ein Faß an der Theke).
2. Wenn ich von Bierproduktion rede, dann meine ich auch Bierproduktion, nichts anderes, und auch nicht Gerste.
Offenbar fehlt das Verständnis zur Umrechnung des Raummaßes von 70 Mio. hl in eine Tonnage, die für den Gersteneinsatz relevant ist. Der Dreisatz:
10 Hektoliter = 1000 Liter entsprechen hier ca. 1 Tonne.
70 Mio. Hektoliter Bier entsprechen ca. 7 Mio. Tonnen Bier.
7 Mio. Tonnen Brauereigerste kommen weder in diesem Dreisatz noch bei Hoffmann, S. 651 vor, und sind daher eine polemische Verdrehung meiner Aussage oben.
Da Du keine Fachliteratur zu 14/18 zitierst: Dafür wurden brutto ca.
1,7 Mio. Tonnen Gerste aufgewendet (oder genauer: 1,68 Mio. to. Vorkriegsdurchschnitt), unbeachtlich der Tatsache, dass man rechnerisch-netto nur rund 1,4 gebraucht hätte. Zitat schenke ich mir, wird ja eh nicht nachgelesen.
Den Hinweis "
allein Bier" hast Du auch nicht verstanden. Darin liegt - kennt man sich in der Problematik etwas aus - der Hinweis auf Branntwein verborgen, der mit 1,9 Mio. Tonnen reinen Alkohols (konsumierbar: das 2-3fache der Menge, bevor wieder wilde Berechnungen gegoogelt werden) weitere rd. 400.000 Tonnen Gerstenverbrauch bedeutete, übrigens neben weiteren 10% der Netto-Kartoffelproduktion p.a.
Bedeutet in Summe und Klartext:
rd. 2 Mio. Tonnen Gerste für Bier und Branntwein.
Das wäre aber mal eben das Doppelte der Vorkriegsjahresproduktion an Gerste und würde genügen um rund 5,25 Mio. Tonnen Malz zu erzeugen, was wiederum für eine Produktion von ca. 250 Mio. hl Lagerbier [1] genügte - weit über der deutschen Vorkriegs-Brauproduktion von rund 70 - 80 Mio. hl [2] und nahe der damaligen Weltproduktion von rund 300 Mio. hl [3]. Also doch Freibier für alle? Natürlich nicht!
So ein Unsinn ist höchst ärgerlich, weil er auf der mir untergeschobenen Falsch-Behauptung über Gersteneinsatz/Alkohol beruht (7 Mio. Tonnen entstammen deiner Verdrehung).
Die Vorkriegs-Brauproduktion von 80 Mio. hl in der Spitze ist außerdem falsch, da der deutsche Verbrauch von 68 bis knapp unter 70 Mio. hl
nur um rd. 0,8 Mio. hl um den Exportsaldo zu erhöhen ist. Es bleibt also in der Diskussion über angebliche Importabhängigkeiten und dem Beispiel Gerste/Alkohol bei den von mir angegebenen rd.
70 Mio. hl bzw. rd. 7 Mio. Tonnen Bier als Endprodukt.
Den Unsinn von Freibier etc., der vermutlich das googeln ergänzen soll, müsste man nicht kommentieren, enthielte die Bemerkung nicht einen weiteren sachlichen Fehler und eine weitere Verfälschung meiner Aussage.
Die Lösung: Hoffmann wird falsch wiedergegeben:
Hoffmann spricht auf S. 651 vom Bierverbrauch (das ist schon einmal etwas anderes als Produktion!) und gibt für das Jahr 1913 68.820 Tausend hl an, also rund 70 Mio. hl!
Nichts wird falsch wiedergegeben. Der Exportsaldo ist nämlich betragsmäßig irrelevant, und für den Unterschied zwischen Produktion und Verbrauch hier völlig unmaßgeblich, wenn man sich vorher kundig macht. (Netto-/Saldo-)Import zusätzlich Rd. 800 T-hl, damit
bleibt es bei rund 70.000 T-hl bzw. 7 Mio. Tonnen.
Die "negative" Nettoproduktion von Gerste ist dann nur noch das Tüpfelchen auf dem i einer absurden Argumentation. Hat man sich darunter vorzustellen, dass die Landwirtschaft 1,2 Mio. t Gerste wieder eingegraben hat oder dass 1,2 Mio. t Gerste mehr vergammelten als vorhanden waren?
Nicht wild googeln, sondern nachlesen. Hoffmann enthält auch Textteile, die den Unterschied und die Berechnungen sowie sämtliche Statistiken erläutern. Abweichend von der Literatur steht es natürlich frei, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen.
Von den 1913 produzierten und per Saldo importierten insgesamt 6,75 Mio. t Gerste gingen weniger als 1,5 Mio. t an die deutschen Brauereien. Über 5 Mio. t. dienten der Viehfütterung - letztlich ähnliche Verhältnisse wie sie sich noch heute wiederfinden.
Wenn also ca. 60% der Futtergerste importiert wurden, ist es schon gerechtfertigt von Abhängigkeit zu sprechen!
Warum mit 1,5 Mio. ungenau arbeiten, wenn die zutreffenden 1,7 Mio. oben angegeben worden sind. 1,7 (bzw. 2,0 inkl. Branntwein) sind bekanntlich der größte Teil von 3.
zur Abhängigkeit:
Fleisch-Äquivalenz der Gerste maximal 300.000 Tonnen/p.a., eher weniger (zu einer genauen Berechnung habe ich keine Lust), gerechnet nur bei einer Halbierung der Alkoholproduktion und ausfallenden Importen.
Gesamtkonsum im Reich 1912/13 (Rind, Schwein, Schaf) rund 3.400.000 Tonnen/p.a.
Das sind keine 10%, und die Substitutionsmöglichkeit der Gerste sowie die freiwerdende Kartoffelproduktion ist noch nicht einmal eingerechnet. Ebenso sind die weiterlaufenden Importe (inkl. "Durchhandelns") über NL und Skandinavien nicht gerechnet.
Die "Abhängigkeit" von den Gersteimporte, auf die oben herumgeritten wurde, entspricht
maximal 13 Gramm Fleisch pro Tag/Person.
Aus dem Vorkriegs-Getreide
import und trotz damit verbundener Weltkriegslegenden ergibt sich somit auch keine mittelbare, dramatische "Fettlücke".
Zu den eigentlichen Ursachen gemäß Fachliteratur siehe oben #109.
Auf die fettgesetzten Schlussfolgerung muss man angesichts der Faktenlage wohl nicht mehr eingehen.
Wenn sich ein ähnlicher Aufwand zur Richtigstellung der Fakten und zur Korrektur von Verdrehungen meiner Aussagen oben ergibt, habe ich dafür keinen Bedarf mehr.