Die britische Fernblockade 1914-1918

@El Quijote

das schreib ich doch auch in # 31 "Lebensmittel waren keine absolute Konterbande."
Relative Konterbande durfte nur dann beschlagnahmt werden, wenn es als erwiesn galt, das diese für die Armee bestimmt waren.

Davon einmal abgesehen, hat das die Briten eh nicht interessiert, da sie mit Fortgang des Krieges ihr eigenes Recht schufen.

Du fasst hier und weiter oben Schröder zusammen, der sowohl hinsichtlich Konterbande als auch hinsichtlich Blockaderäumen falsch liegt, und nicht dem Stand des Völkerrechts/Kriegsrechts/Neutralitätsrechts entspricht. Die Darstellung von Schröder ist ungeachtet einiger Alibi-Zitate, ausschließlich den deutschen Darstellungen (zT auch der Kriegs- und Nachkriegspropaganda) entnommen. Schröder beachtet außerdem nicht den völkerrechtlichen Unterschied zum Repressionsrecht, sowie die vorherige deutsche und internationale Praxis.

Außerdem ist hier in der Diskussion, soweit ich das anderen Beiträgen entnommen habe, offenbar das Bild der tatsächlich realisierten Warenströme unbekannt.

Später zu Beidem mehr, ich bin im Moment zeitlich knapp.
 
Du fasst hier und weiter oben Schröder zusammen, der sowohl hinsichtlich Konterbande als auch hinsichtlich Blockaderäumen falsch liegt, und nicht dem Stand des Völkerrechts/Kriegsrechts/Neutralitätsrechts entspricht. Die Darstellung von Schröder ist ungeachtet einiger Alibi-Zitate, ausschließlich den deutschen Darstellungen (zT auch der Kriegs- und Nachkriegspropaganda) entnommen. Schröder beachtet außerdem nicht den völkerrechtlichen Unterschied zum Repressionsrecht, sowie die vorherige deutsche und internationale Praxis.

Außerdem ist hier in der Diskussion, soweit ich das anderen Beiträgen entnommen habe, offenbar das Bild der tatsächlich realisierten Warenströme unbekannt.

Später zu Beidem mehr, ich bin im Moment zeitlich knapp.

Quelle für meine Definition hinsichtlich der Konterbande und der entsprechenden Seerechtsdeklarationen ist Kielmannsegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg.
 
Quelle für meine Definition hinsichtlich der Konterbande und der entsprechenden Seerechtsdeklarationen ist Kielmannsegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg.

Danke sehr.

Und Kielmannsegg bringt

- diese falsche Darstellung bezüglich relativer Konterbande,
- unter Vernachlässigung der Durchfahrtsregelung,
- läßt die bekannte Repressionsproblematik außer Acht,
- und liegt außerdem hinsichtlich des Blockaderaumes falsch?

Kannst Du dann bitte noch einmal darstellen, wie genau und mit wem er diese Darstellung genau begründet?
 
Kielmannsegg sein Werk hat keinen Anmerkungsapparat. Sehr bedauerlich!

Im Literaturverzeichnis finden sich folgend Werke zur Blockade:

Guichad: Histoire du blocus naval 1914-1918
Martini: Blockade im Weltkrieg
Bell: A History of the Blockade of Germany an of the Countries Associated with Her in teh Greet War

Kielmannsegg schreibt über das von mir bereits erwähnte hinaus, das der Blockadekrieg durch die Erklärung vom 02.November 1914 die Nordsee zum Sperrgebiet (Kriegsgebiet) mit dem Blockaderecht unvereinbar sei. In der praxis bedeute die, das die Briten, vor allem in der südlichen Nordsee reichlich Minen legten, auf die Sicherheit der Neutralen keine Rücksicht nahmen. Anmerkung von mir: Das ist sicher übertrieben, denn es wurde ja eine Rute benannt, die aber von den Briten kontrolliert wurde und natürlich wurden die Schiffe im Sinne der Briten kontrolliert.

An Stelle des herkömmlichen Prisenrechts trat eine immer umfassendere und drastischere Kontrolle. Die Freiliste der Konterbande wurde aufgehoben und die Londoner Deklaration für hinfällig erklärt. So weit Kielmannsegg.


Ich habe jetzt auch einmal bei Stevenson nachgeschlagen.
David Stevenson, Der Erste Weltkrieg, S.300 schreibt sinngemäß das Gleiche wie Kielmannsegg. erführt unter anderem aus:

"Indessen hatte das britische Oberhaus die Ratifizierung der Londoner Erklärung verweigert, und 1914 wollten sie England und Frankreich nur unter gravierenden Einschränkungen akzeptieren. Man untergrub den Staus der bedingten (relativen) Konterbande, indem man auf sie das prinzip des Weiterschubs anwendete, das heisst, das man für einen neutralen hafen bestimmte Lebensmittel einbehalten durfte, wenn der Verdacht bestand, das eigentliche Bestimmungsland Deutschland war. Das, durch Vorwände verschleierte, eigentliche Ziel war, eine Vorratshaltung der Deutschen für einen längeren Krieg zu verhindern." Im Klartext der Hunger.

Ich hoffe, das ist ausführlich genug.:)
 
Wie weit waren das DR/ÖU überhaupt von Lebensmittelimporten abhängig?

Was denn jetzt? 33,3 % oder 10,0 %???:confused:

Im Jahr 1913 mussten 30% des Weizens und 46% der Gerste eingeführt werden. Bei Roggen und Hafer war man nicht auf Einfuhren angewiesen.

Zu Mais, Reis, und Ölsaaten habe ich keine Eigenproduktionen gefunden, speziell bei Reis und Palmkernen dürfte sie aber wohl eher gering sein.

Quelle für Anhang: Stat. Jahrbuch 1915
 

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eine allgemeine Bemerkung, die nicht direkt mit dem Thema 1.WK zu tun haben:
was überlebt man eher: ein paar Wochen strenge Diät plus paar Tage richtig Kohldampf oder ein von Bleikugeln verursachtes Loch im Bauch?

das "aushungern" ist nach meiner Kenntnis kaum je "auf die Spitze getrieben" worden*) (oder gibt es irgendeine Burg, irgendein Kastell oder irgendeine Festung, die erst erobert war, nachdem sämtliche Verteidiger verhungert waren?) - ja im Mittelalter gab es sogar noch die Verschärfung durch Durst, indem man bei Belagerungen nicht nur den Nachschub des Verteidigers abschnitt, sondern auch noch versuchte, dessen Zisternen zu vergiften (indem man Kadaver und Müll katapultierte)

umgekehrt ist mir allerdings aus keiner einzigen Belagerung bekannt, dass der Angreifer jemals nach abgeschlossener Zirkumvallation gesagt hätte "ach wie unfair, die haben hinter ihren Mauern nichts mehr zu knabbern, also schicken wir denen mal paar Wagenladungen Vorräte", und das scheint zu keinem Zeitpunkt irgendwelche moralischen Bedenken verursacht zu haben.
___________
*) wohl Leningrad - das waren die Nazis, die immer wieder inhumane Maßnahmen ergriffen

So, ohne nachzuschlagen, aus dem Handgelenk: Die britische Seeblockade hat ca. 700.000 Deutschen das Leben gekostet.
 
So, ohne nachzuschlagen, aus dem Handgelenk: Die britische Seeblockade hat ca. 700.000 Deutschen das Leben gekostet.

Die Wiki schreibt dazu:
In Deutschland starben von 1914 bis 1918 insgesamt etwa 800.000 Menschen an Hunger und Unterernährung.

aus: Steckrübenwinter ? Wikipedia

Als Quelle wird dazu Gustavo Corni: Hunger. In: Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich und Irina Renz (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Schöningh (UTB), Paderborn 2009, S. 565 angegeben.

Mit Kriegsausbruch dürfte auch der Lebensmittelimport aus Rußland zum Erliegen gekommen sein. Die Seeblockade dürfte nicht alleine für die Hungertoten verantwortlich sein. Auf der anderen Seite hatte man durch die weiten Gebietsgewinne im Osten im Verlaufe des Krieges auch Zugriff auf deren Ernteflächen. Ohne das jetzt nachgeprüft zu haben, aber ich könnte mir vorstellen, dass auch da einiges konfisziert wurde.
 
Im Jahr 1913 mussten 30% des Weizens und 46% der Gerste eingeführt werden. Bei Roggen und Hafer war man nicht auf Einfuhren angewiesen.
Zu Mais, Reis, und Ölsaaten habe ich keine Eigenproduktionen gefunden, speziell bei Reis und Palmkernen dürfte sie aber wohl eher gering sein.
Quelle für Anhang: ...

Mit den auch hier im Forum verlinkten Statistiken
http://www.geschichtsforum.de/665656-post56.html
ist das komplexe Thema nicht abschließend zu greifen, und googeln hilft hier auch nicht weiter. Einige Anmerkungen zum Verständnis der Nahrungsmittelversorgung des Deutschen Reiches in der Blockadesituation:

1. Die Zahlen sind erstmal grundsätzlich falsch (-> Huegel). Diese Feststellung ergibt sich, wenn man quellenkritisch herangeht.

2. Die Zahlen sind im Kontext zu deuten und keinesfalls "selbsterklärend", ein prägnantes Beispiel, für das ich vereinfachend das betragsmäßig größte Beispiel herausgreife: den "Gerstensaldo" von 2,8 Mio. Tonnen. Dieser Importüberschuß ist durch das deutsche Bierbrauen bedingt, es handelt sich hier größtenteils um Importe der Brauereien. Nun wird es politisch: während des Krieges war man aus politischen Gründen nicht geneigt, Umverteilungen zu Lasten der Bierproduktion und zugunsten von anderen "Nahrungsmitteln" ( ;) ) vorzunehmen. Um es vorwegzunehmen: der volkstümliche Einwand "Bier ist ein Nahrungsmittel" wäre wiederum ein Kurzschluß und zieht hier nicht wegen der unterschiedlichen Kalorienbasis/Kalorienverlusten und der verhinderten Umwidmung von Anbauflächen. Konklusion: der Importüberschuß war ausgleichbar.

3. 1914/17 erfolgte ein Ausgleich über die "Drainagekanäle" der neutralen skandinavischen Länder und der Niederlande, bei denen sich zT die Importmengen verdoppelten und verdreifachten (so auch als "indirekte" Importe aus den USA und Südamerika).

4. Verwendet man die Bilanzen im Kontekt der Beurteilung der Wirksamkeit der See-Blockade, sind die russischen Lieferungen herauszurechnen, die aufgrund der Eigenschaft als Kriegsgegner herausfallen. Umgekehrt sind Umsteuerungen der Mittelmächte und Neutralen zu berücksichtigen, die die Importbilanzen wieder "auffüllen".

5. Der Faktor "Transport" und "Arbeitsleistung" ist nicht berücksichtigt. Siehe Beitrag oben zu den genauen Ursachen der Defizite in der Nahrungsmittelversorgung. Erhebliche Ernteanteile 1915/17, so auch beachtliche Teile der Kartoffelernte vor dem "Steckrübenwinter" verdarben aufgrund mangelnder Verarbeitungsmöglichkeiten, Lagerung, Transport. Es geht hier im Kern um die Zuschußgebiete wie städtische Ballungsräume, nicht um die Situation beim Erzeuger vor Ort. Das sind kriegsbedingte Schäden/Folgen, die nichts mit Blockade oder Importmengen zu tun haben.

Auf diesen einfachen Ursachenkontext sollte man auch gestoßen werden, wenn man sich die Halbierung der Kartoffelernte 1915->1916 anschaut und "Fehlmengen" von 7 Mio. Tonnen problematisieren muss.

6. Das Hantieren mit "Bruttomengen" liegt neben der Sache, relevant ist die Nettoproduktion. Bekanntermaßen wird dabei u.a. die Verfütterung abgezogen (-> Hoffmann) . Dieses Verfahren dient dazu, den "Kalorienverlust" durch die Fleischproduktion zu greifen. Beispiel Kartoffel mit einer Verfütterungsquote von 38%. Obwohl der "Schweinemord" 1915 zT auf fehlgeschätzten Erzeugermengen zurückzuführen war (1 Mio. to. zu niedrig), kommt dem Faktor Verfütterung erhebliche Bedeutung zu. Bei Kartoffeln zum Beispiel galt ein Quotient von 1kg Fleisch = 14 kg Kartoffeln.


Dazu noch wiederholend:
Um das nochmal zu präzisieren: die Hungerproblematik ist Folge der deutschen Kriegswirtschaft, kaum der Blockade. Genau darauf zielt ElQs Hinweis ab: die deutsche "Souveränität", Krieg zu führen, gleichzeitig die eigene Bevölkerung zu strangulieren.

Um die Probleme der Nahrungserzeugung anhand der Detailliteratur nach Prioritäten zusammenzufassen:

1. Arbeitskräfte -> Mobilisierung
2. Mangel an Zugtieren -> Mobilisierung
3. Saatgutmangel -> Kriegswirtschaft und Folgeprobleme
4. Mangel an Kunstdünger (Drittelung) -> Munitionsproduktion
5. Mangel an Ausrüstungsgegenständen -> Kriegsbewirtschaftung, Zuteilungen
6. Mangel an qualifizierten Mechanikern für Reparaturen in der Verarbeitungsindustrie -> Mobilisierung
7. Keine Erneuerungen und Reparaturen im der Nahrungsindustrie -> Kriegsbewirtschaftung
8. Mangel an Beleuchtungsmaterialien, eingeschränkte elektrische Versorgung -> Kriegsfolgen siehe oben
 
Mit den auch hier im Forum verlinkten Statistiken
http://www.geschichtsforum.de/665656-post56.html
ist das komplexe Thema nicht abschließend zu greifen, und googeln hilft hier auch nicht weiter. Einige Anmerkungen zum Verständnis der Nahrungsmittelversorgung des Deutschen Reiches in der Blockadesituation:

1. Die Zahlen sind erstmal grundsätzlich falsch (-> Huegel). Diese Feststellung ergibt sich, wenn man quellenkritisch herangeht.

Da wären nähere Ausführungen hilfreich, insbesondere die "richtigen" Zahlen!

Ferner wird wahrscheinlich nicht nur mit interessieren, welche Jahrgänge der statistischen Jahrbücher "falsche" Zahlen ausweisen. Ein entsprechender Hinweis in der Verlinkung wäre da hilfreich.



2. Die Zahlen sind im Kontext zu deuten und keinesfalls "selbsterklärend", ein prägnantes Beispiel, für das ich vereinfachend das betragsmäßig größte Beispiel herausgreife: den "Gerstensaldo" von 2,8 Mio. Tonnen. Dieser Importüberschuß ist durch das deutsche Bierbrauen bedingt, es handelt sich hier größtenteils um Importe der Brauereien. Nun wird es politisch: während des Krieges war man aus politischen Gründen nicht geneigt, Umverteilungen zu Lasten der Bierproduktion und zugunsten von anderen "Nahrungsmitteln" ( ;) ) vorzunehmen. Um es vorwegzunehmen: der volkstümliche Einwand "Bier ist ein Nahrungsmittel" wäre wiederum ein Kurzschluß und zieht hier nicht wegen der unterschiedlichen Kalorienbasis/Kalorienverlusten und der verhinderten Umwidmung von Anbauflächen. Konklusion: der Importüberschuß war ausgleichbar.

Das hätte dann wohl für Freibier für alle - inkl. der Alliierten gereicht!

Ein Anteil der Brauereien von 100%, zumal die separat im Jahrbuch ausgewiesene Malzgerste nicht einmal enthalten ist, ist doch sehr zweifelhaft. Das gegenwärtige Verhältnis bei der Verwendung von Gerste (10. Mio. t) für Brauerei : Futter liegt bei rund 20 : 75.

Über das damalige Verhältnis wirst Du uns bestimmt gerne informieren!:)

Der Rest der Ausführungen (Punkt 3. ff) hat mit einer Abschätzung zur ursprünglichen Frage, ob 10% oder 33% der Lebensmittel eingeführt wurden, nichts zu tun.
 
Da wären nähere Ausführungen hilfreich, insbesondere die "richtigen" Zahlen!

Ferner wird wahrscheinlich nicht nur [...mich] interessieren, welche Jahrgänge der statistischen Jahrbücher "falsche" Zahlen ausweisen. Ein entsprechender Hinweis in der Verlinkung wäre da hilfreich.

Statt Verlinkung, ...Fachliteratur:

Wie oben unter 6. erklärt, sind die "richtigen" Zahlen nicht bekannt. Das bezieht sich auch nicht auf einen Jahrgang, wie von dir nachgefragt, sondern ist ein grundsätzliches Problem: das sind geschätzte Anbauflächen*geschätzte Hektarerträge ./. geschätzer Abzüge zur Nettoproduktion wie Verfütterung oder Aussaat oder Schwund. Jede seriöse wirtschaftshistorische Untersuchung berücksichtigt das, auf die Schätzungsfehler wird bei Hoffmann hingewiesen.

Deshalb das instruktive Beispiel einer Millionen-Unterschätzung für 1914/1915 beispielhaft für Kartoffeln, mit ursächlich für den so genannten Schweinemord 1915.

Es geht hier nicht um "falsche" Zahlen speziell in den Kriegsjahrgängen oder kurz davor, sondern um fundamentale Schätzprobleme. Erste Regel, wenn man solche Zahlen in gebastelten Rechnungen verwendet: den Kontext recherchieren. Darauf habe ich hingewiesen.


Das hätte dann wohl für Freibier für alle - inkl. der Alliierten gereicht!
Rund 7 Mio. Tonnen (1911/13, Hoffmann, S. 651) allein Bier. Damit klärt sich wohl die Frage.

Ein Anteil der Brauereien von 100%, zumal die separat im Jahrbuch ausgewiesene Malzgerste nicht einmal enthalten ist, ist doch sehr zweifelhaft. Das gegenwärtige Verhältnis bei der Verwendung von Gerste (10. Mio. t) für Brauerei : Futter liegt bei rund 20 : 75.

Über das damalige Verhältnis wirst Du uns bestimmt gerne informieren!:)
Einen Anteil von 100% habe ich nicht behauptet, das ist eine Verdrehung von Dir, daher nochmal klarstellend der Satz:
Importüberschuß ist durch das deutsche Bierbrauen bedingt, es handelt sich hier größtenteils um Importe der Brauereien.
Die Tonnagen gingen abseits der Alkoholproduktion in die Verfütterung, mit Quoten von 15:1 je kg Fleisch, waren also steuerbar, kompensierbar und eine (teilweise) Berechtigung für Schweinemord&Co.

Der Nettoproduktion Gerste vor 1914 war negativ, ca. 1,2 Mio. Tonnen.

Zur teilweisen Reaktion der Politik: 1915 und 1916 wurde die Einsteuerung in die Brauereien jeweils reduziert, so dass man Ende 1916 bei 2/3 des Vorkriegsniveaus für Bier und Spirituosen ankam. Eine zu geringe Reduktion, man hatte den Alkoholverbrauch nicht einmal halbiert.


Ergo:

Den Faktor Gerste für Importabhängigkeiten der Nahrungsversorgung des Deutschen Reiches zu erwähnen, wie sich das auch häufig in der 1920er-Literatur findet, liegt wirtschaftshistorisch völlig neben der Sachfrage "Abhängigkeiten".
 
Zuletzt bearbeitet:
1. Die Zahlen sind erstmal grundsätzlich falsch (-> Huegel). Diese Feststellung ergibt sich, wenn man quellenkritisch herangeht.


Ich habe ein wenig suchen müssen, bis ich "Huegel" gefunden habe:

Geht es um das Deutsche Reich, oder ist das weiter gefasst?

Für Deutschland gibt es ein sehr umfangreiches Standardwerk mit vielen Datenangaben:

Huegel, Arnulf, Kriegsernährungswirtschaft Deutschlands während des Ersten und Zweiten Weltkriegs im Vergleich

Vorkriegsphase:
Heidel, Wolfgang, Ernährungswirtschaft und Verbrauchslenkung im Dritten Reich 1936-1939 (Dissertation 1986).

sowie die Statistischen Jahrbücher 1939/41 und das von den Besatzungsmächten zusammengestellte statistische Konvolut (Statistisches Jahrbuch 1928/44).

Darüber hinaus findet man auch Aspekte zur Ernährungswirtschaft in den vielen regionalen Studien zum Dritten Reich während des Weltkriegs.


Hier ist eine kurze Beschreibung des Werkes: Huegel
 
@Carolus: Danke für den Link!

Statt Verlinkung, ...Fachliteratur:

Wie oben unter 6. erklärt, sind die "richtigen" Zahlen nicht bekannt. Das bezieht sich auch nicht auf einen Jahrgang, wie von dir nachgefragt, sondern ist ein grundsätzliches Problem: das sind geschätzte Anbauflächen*geschätzte Hektarerträge ./. geschätzer Abzüge zur Nettoproduktion wie Verfütterung oder Aussaat oder Schwund. Jede seriöse wirtschaftshistorische Untersuchung berücksichtigt das, auf die Schätzungsfehler wird bei Hoffmann hingewiesen.

:grübel:

Das Fach heißt Ausländischer Handel.

Da gab es einen Zoll und entsprechende Erklärungen:
... Die Waren werden nach dem Statistischen Warenverzeichnisse bezeichnet und nach der Gattung, Menge, Herkunfts- und Bestimmungsland angemeldet. ...
 
Das Fach heißt Ausländischer Handel
Da gab es einen Zoll und entsprechende Erklärungen:

Den Name eines Faches und die Effektivität des deutschen Zolls auch niemand bestritten.:winke:

Zurück zur Sachdiskussion und noch etwas Kontext: Fakt ist die katastrophale Unterversorgung mit Nahrungsmitteln während der Kriegszeit, die Ursachen waren wie aufgezeigt vielschichtig (bis ihn zur Regel: Munition statt Brot, staatlich vorgegeben) und standen nicht in keiner zwingenden Kausalkette zu Importabhängigkeiten/Blockade. Wie das Beispiel Gerste zeigt, sind hier behauptete Abhängigkeiten sogar absurd. Was natürlich noch nie daran hinderte, so etwas zu kolportieren.+

Logischerweise geriet dieses Thema damit auch in den Untersuchungsausschuss und in die Literatur. Es wurde auch vielfach unreflektiert abgeschrieben, unhaltbare Berechnungen wurden "weitergereicht". Kritische Betrachtungen des deutschen Organisationschaos gingen dabei weitgehend unter. Man suchte Verantwortliche für mangelnde Kriegsvorbereitung, das Reichsarchiv behandelte das in einem Band. Es blieb im Wesentlichen der instrumentalisierte Aspekt "Aufrechnung" im Rahmen der Kriegsschuld-/Reparationsdiskussion mit den Siegermächten.

Neuere deutsche Untersuchungen, auch Regionalstudien, sind hier im Forum schon zitiert worden. Interessant ist auch die Entwicklung in einigen englischen Darstellungen: während früher die Blockade - nicht belegt, sozusagen in einfacher Übernahme der deutscherseits behaupteten Zusammenhänge - als entscheidend angesehen wurde, wird nunmehr die Wirksamkeit vor Eintritt der USA in den Weltkrieg 1917 bezweifelt.* Auch in der älteren englischen Literatur wurde voneinander abgeschrieben: bereits während des Krieges bezog man die Nachrichten aus Deutschland auf die Wirksamkeit der eigenen Blockade. Sorgfältige, belastbare Analysen waren indes nicht vorhanden.

Die beschriebenen Legenden dazu halten sich bis heute.

* so zum Beispiel Osborne, Britains Economic Blockade of Germany 1914-1919.
+ Gegenteiliges ist dagegen eher selten zu finden, so zB die zusätzlichen Fischimporte oder etwa die 1,5 Mio. Tonnen Weizen, die 1916 von Rumänien zusätzlich eingeführt worden sind (zuzüglich knapp 1,0 Mio. Tonnen für ÖU)
 
Zuletzt bearbeitet:
Also doch Freibier für alle?

... Wie das Beispiel Gerste zeigt, sind hier behauptete Abhängigkeiten sogar absurd. Was natürlich noch nie daran hinderte, so etwas zu kolportieren.+

Wie absurd die Argumentation zur Negation der zu Kriegbeginn bestehenden Abhängigkeit ist, zeigt folgender Beitrag:

Statt Verlinkung, ...Fachliteratur:

Rund 7 Mio. Tonnen (1911/13, Hoffmann, S. 651) allein Bier. Damit klärt sich wohl die Frage.

...Der Nettoproduktion Gerste vor 1914 war negativ, ca. 1,2 Mio. Tonnen.

Den Faktor Gerste für Importabhängigkeiten der Nahrungsversorgung des Deutschen Reiches zu erwähnen, wie sich das auch häufig in der 1920er-Literatur findet, liegt wirtschaftshistorisch völlig neben der Sachfrage "Abhängigkeiten".

Ein treffliches Beispiel "quellenkritischer" Betrachtung.

Zunächst einmal zu den angeführten "7 Mio. Tonnen ... allein Bier".

Die übliche Bestellung für Bier lautet sicher nicht "Ein Pfund oder kg Bier", also könnte man annehmen, dass es sich um Brauereigerste handelt, die üblicherweise in Tonnen angegeben wird.

Das wäre aber mal eben das Doppelte der Vorkriegsjahresproduktion an Gerste und würde genügen um rund 5,25 Mio. Tonnen Malz zu erzeugen, was wiederum für eine Produktion von ca. 250 Mio. hl Lagerbier [1] genügte - weit über der deutschen Vorkriegs-Brauproduktion von rund 70 - 80 Mio. hl [2] und nahe der damaligen Weltproduktion von rund 300 Mio. hl [3]. Also doch Freibier für alle? Natürlich nicht!

Die Lösung: Hoffmann wird falsch wiedergegeben:
Hoffmann spricht auf S. 651 vom Bierverbrauch (das ist schon einmal etwas anderes als Produktion!) und gibt für das Jahr 1913 68.820 Tausend hl an, also rund 70 Mio. hl!

Die "negative" Nettoproduktion von Gerste ist dann nur noch das Tüpfelchen auf dem i einer absurden Argumentation. Hat man sich darunter vorzustellen, dass die Landwirtschaft 1,2 Mio. t Gerste wieder eingegraben hat oder dass 1,2 Mio. t Gerste mehr vergammelten als vorhanden waren?

Von den 1913 produzierten und per Saldo importierten insgesamt 6,75 Mio. t Gerste gingen weniger als 1,5 Mio. t an die deutschen Brauereien. Über 5 Mio. t. dienten der Viehfütterung - letztlich ähnliche Verhältnisse wie sie sich noch heute wiederfinden.

Wenn also ca. 60% der Futtergerste importiert wurden, ist es schon gerechtfertigt von Abhängigkeit zu sprechen!

Auf die fettgesetzten Schlussfolgerung muss man angesichts der Faktenlage wohl nicht mehr eingehen.

[1] Vom Brauerhandwerk zur Bierbrauindustrie, S. 420 ff.
[2] The Economics of Beer, Figure 1.1 (bitte auf Seiten > klicken)
[3] Das Lebensmittelgewerbe ca. S. 250 ff.
[4] Der Verbrauch an Genussmitteln und Anhang
 

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Gegen Polemik hätte ich nichts einzuwenden, wenn Sie frei von Verdrehungen und Fehlern wäre, und zur Sache irgendetwas Substanzielles brächte. Und es ist höchst ärgerlich, so ein Durcheinander von Verdrehungen und Fehlern für die Faktenbasis der Diskussion über die Bedeutung der Getreideimporte richtig stellen zu müssen.

Wie absurd die Argumentation zur Negation der zu Kriegbeginn bestehenden Abhängigkeit ist, zeigt folgender Beitrag: ...

Ein treffliches Beispiel "quellenkritischer" Betrachtung.

Zunächst einmal zu den angeführten "7 Mio. Tonnen ... allein Bier".
Die übliche Bestellung für Bier lautet sicher nicht "Ein Pfund oder kg Bier", also könnte man annehmen, dass es sich um Brauereigerste handelt, die üblicherweise in Tonnen angegeben wird.

1. "Die übliche Bestellung für Bier" an der Theke ... tut hier nichts zur Sache, weil es um die mengenmäßige Bestimmung des dafür notwendigen Getreide-Importbedarfes geht (Tonnenangabe ist übrigens abseits der Stammtheke auch bei den Exportstatistiken 1910/13 zu finden, hl nur bei Fässern. Aber wer bestellt schon ein Faß an der Theke).

2. Wenn ich von Bierproduktion rede, dann meine ich auch Bierproduktion, nichts anderes, und auch nicht Gerste.
Offenbar fehlt das Verständnis zur Umrechnung des Raummaßes von 70 Mio. hl in eine Tonnage, die für den Gersteneinsatz relevant ist. Der Dreisatz:

10 Hektoliter = 1000 Liter entsprechen hier ca. 1 Tonne.
70 Mio. Hektoliter Bier entsprechen ca. 7 Mio. Tonnen Bier.
7 Mio. Tonnen Brauereigerste kommen weder in diesem Dreisatz noch bei Hoffmann, S. 651 vor, und sind daher eine polemische Verdrehung meiner Aussage oben.

Da Du keine Fachliteratur zu 14/18 zitierst: Dafür wurden brutto ca. 1,7 Mio. Tonnen Gerste aufgewendet (oder genauer: 1,68 Mio. to. Vorkriegsdurchschnitt), unbeachtlich der Tatsache, dass man rechnerisch-netto nur rund 1,4 gebraucht hätte. Zitat schenke ich mir, wird ja eh nicht nachgelesen.

Den Hinweis "allein Bier" hast Du auch nicht verstanden. Darin liegt - kennt man sich in der Problematik etwas aus - der Hinweis auf Branntwein verborgen, der mit 1,9 Mio. Tonnen reinen Alkohols (konsumierbar: das 2-3fache der Menge, bevor wieder wilde Berechnungen gegoogelt werden) weitere rd. 400.000 Tonnen Gerstenverbrauch bedeutete, übrigens neben weiteren 10% der Netto-Kartoffelproduktion p.a.

Bedeutet in Summe und Klartext: rd. 2 Mio. Tonnen Gerste für Bier und Branntwein.

Das wäre aber mal eben das Doppelte der Vorkriegsjahresproduktion an Gerste und würde genügen um rund 5,25 Mio. Tonnen Malz zu erzeugen, was wiederum für eine Produktion von ca. 250 Mio. hl Lagerbier [1] genügte - weit über der deutschen Vorkriegs-Brauproduktion von rund 70 - 80 Mio. hl [2] und nahe der damaligen Weltproduktion von rund 300 Mio. hl [3]. Also doch Freibier für alle? Natürlich nicht!
So ein Unsinn ist höchst ärgerlich, weil er auf der mir untergeschobenen Falsch-Behauptung über Gersteneinsatz/Alkohol beruht (7 Mio. Tonnen entstammen deiner Verdrehung).

Die Vorkriegs-Brauproduktion von 80 Mio. hl in der Spitze ist außerdem falsch, da der deutsche Verbrauch von 68 bis knapp unter 70 Mio. hl nur um rd. 0,8 Mio. hl um den Exportsaldo zu erhöhen ist. Es bleibt also in der Diskussion über angebliche Importabhängigkeiten und dem Beispiel Gerste/Alkohol bei den von mir angegebenen rd. 70 Mio. hl bzw. rd. 7 Mio. Tonnen Bier als Endprodukt.

Den Unsinn von Freibier etc., der vermutlich das googeln ergänzen soll, müsste man nicht kommentieren, enthielte die Bemerkung nicht einen weiteren sachlichen Fehler und eine weitere Verfälschung meiner Aussage.

Die Lösung: Hoffmann wird falsch wiedergegeben:
Hoffmann spricht auf S. 651 vom Bierverbrauch (das ist schon einmal etwas anderes als Produktion!) und gibt für das Jahr 1913 68.820 Tausend hl an, also rund 70 Mio. hl!
Nichts wird falsch wiedergegeben. Der Exportsaldo ist nämlich betragsmäßig irrelevant, und für den Unterschied zwischen Produktion und Verbrauch hier völlig unmaßgeblich, wenn man sich vorher kundig macht. (Netto-/Saldo-)Import zusätzlich Rd. 800 T-hl, damit bleibt es bei rund 70.000 T-hl bzw. 7 Mio. Tonnen.

Die "negative" Nettoproduktion von Gerste ist dann nur noch das Tüpfelchen auf dem i einer absurden Argumentation. Hat man sich darunter vorzustellen, dass die Landwirtschaft 1,2 Mio. t Gerste wieder eingegraben hat oder dass 1,2 Mio. t Gerste mehr vergammelten als vorhanden waren?
Nicht wild googeln, sondern nachlesen. Hoffmann enthält auch Textteile, die den Unterschied und die Berechnungen sowie sämtliche Statistiken erläutern. Abweichend von der Literatur steht es natürlich frei, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen.

Von den 1913 produzierten und per Saldo importierten insgesamt 6,75 Mio. t Gerste gingen weniger als 1,5 Mio. t an die deutschen Brauereien. Über 5 Mio. t. dienten der Viehfütterung - letztlich ähnliche Verhältnisse wie sie sich noch heute wiederfinden.
Wenn also ca. 60% der Futtergerste importiert wurden, ist es schon gerechtfertigt von Abhängigkeit zu sprechen!

Warum mit 1,5 Mio. ungenau arbeiten, wenn die zutreffenden 1,7 Mio. oben angegeben worden sind. 1,7 (bzw. 2,0 inkl. Branntwein) sind bekanntlich der größte Teil von 3.

zur Abhängigkeit:
Fleisch-Äquivalenz der Gerste maximal 300.000 Tonnen/p.a., eher weniger (zu einer genauen Berechnung habe ich keine Lust), gerechnet nur bei einer Halbierung der Alkoholproduktion und ausfallenden Importen.
Gesamtkonsum im Reich 1912/13 (Rind, Schwein, Schaf) rund 3.400.000 Tonnen/p.a.
Das sind keine 10%
, und die Substitutionsmöglichkeit der Gerste sowie die freiwerdende Kartoffelproduktion ist noch nicht einmal eingerechnet. Ebenso sind die weiterlaufenden Importe (inkl. "Durchhandelns") über NL und Skandinavien nicht gerechnet.

Die "Abhängigkeit" von den Gersteimporte, auf die oben herumgeritten wurde, entspricht maximal 13 Gramm Fleisch pro Tag/Person.

Aus dem Vorkriegs-Getreideimport und trotz damit verbundener Weltkriegslegenden ergibt sich somit auch keine mittelbare, dramatische "Fettlücke".

Zu den eigentlichen Ursachen gemäß Fachliteratur siehe oben #109.

Auf die fettgesetzten Schlussfolgerung muss man angesichts der Faktenlage wohl nicht mehr eingehen.
Wenn sich ein ähnlicher Aufwand zur Richtigstellung der Fakten und zur Korrektur von Verdrehungen meiner Aussagen oben ergibt, habe ich dafür keinen Bedarf mehr.
 
Teil 1

Gegen Polemik hätte ich nichts einzuwenden, wenn Sie frei von Verdrehungen und Fehlern wäre, und zur Sache irgendetwas Substanzielles brächte. Und es ist höchst ärgerlich, so ein Durcheinander von Verdrehungen und Fehlern für die Faktenbasis der Diskussion über die Bedeutung der Getreideimporte richtig stellen zu müssen.
Kommentar überflüssig, der Beitrag spricht für sich selbst.
1. "Die übliche Bestellung für Bier" an der Theke ... tut hier nichts zur Sache, weil es um die mengenmäßige Bestimmung des dafür notwendigen Getreide-Importbedarfes geht (Tonnenangabe ist übrigens abseits der Stammtheke auch bei den Exportstatistiken 1910/13 zu finden, hl nur bei Fässern. Aber wer bestellt schon ein Faß an der Theke).
Nur jemand, der großen Durst hat :pfeif:, ansonsten bleibt es bei der Maß, dem Halben oder den nordischen und kölschen Kleingrößen. Die Angabe in einer Gewichtseinheit findet sich in der Exportstatistik wieder, aber nur für Flaschenbier und nur dort.

In den Produktions- und Verbrauchsstatistiken lautet die maßgebliche Größe Hektoliter oder Liter, wovon sich jeder selber leicht ein Bild machen kann:

[1] Stat. Jahrbuch 1915 - Auswärtiger Handel - Spezialhandel S. 199
[2] Stat. Jahrbuch 1915 - Gewerbe - Biergewinnung S. 104
[3] Stat. Jahrbuch 1915 - Verbrauchsberechnungen - Bierverbrauch S. 308
[4] Stat. Bundesamt 2013 - Bierexport

2. Wenn ich von Bierproduktion rede, dann meine ich auch Bierproduktion, nichts anderes, und auch nicht Gerste.
Offenbar fehlt das Verständnis zur Umrechnung des Raummaßes von 70 Mio. hl in eine Tonnage, die für den Gersteneinsatz relevant ist. Der Dreisatz:

10 Hektoliter = 1000 Liter entsprechen hier ca. 1 Tonne.
70 Mio. Hektoliter Bier entsprechen ca. 7 Mio. Tonnen Bier.
7 Mio. Tonnen Brauereigerste kommen weder in diesem Dreisatz noch bei Hoffmann, S. 651 vor, und sind daher eine polemische Verdrehung meiner Aussage oben.

Eine mengenmäßige Ableitung der Getreide-Importmenge aus der Bierproduktion ist darüberhinaus
1. völlig überflüssig, da die ein- und ausgeführten Getreidemengen unmittelbar erfasst wurden;
2. auf Grund der zu berücksichtigenden Randbedingungen höchst fraglich und damit fehlerbehaftet.

Die Zollbehörden verfügten Richtwerte zur Plausibilitätskontrolle der Biersteuer. 1906 rechnete man mit folgenden Werten:

100 kg Gerste ergeben 75 kg Malz
100 kg Malz ergeben
8 - 11 hl Einfachbier mit 1 bis 1,6 Vol. Prozenten Alkohohl oder
4,1 - 5,5 hl Lagerbier mit 3,8 Vol. Prozenten Alkohohl oder
4,2 - 6,0 hl Böhmisch Bier mit 1,8 bis 3,5 Vol. Prozenten Alkohohl oder
3,4 - 4,5 hl Münchener Bier mit 4,3 Vol. Prozenten Alkohohl oder
3,5 hl Bockbier und Ritterbräu mit 4,5 Vol. Prozenten Alkohohl.
Die Quelle wurde im Beitrag #115 benannt:
[5] Vom Brauerhandwerk zur Bierbrauindustrie, S. 420 ff.

Wie unbrauchbar die aufgemachte Rechnung 1 l Bier = 1 kg ist, belegt ein Blick auf die Ausfuhr aus dem dt. Zollgebiet im Spezialhandel 1912 in [6]:

Bier in Fässern = 1.008.299 dz. = 100.830 t = 629.769 hl

Bier scheint doch dicker als Wasser zu sein! ;)

Das Handbuch für Nahrungsmittelchemiker, Vertreter von Gewerbe und Handel, Apotheker, Ärzte, Tierärzte, Verwaltungsbeamte und Richter
[6] Das Lebensmittelgewerbe ca. S. 245 ff.
wurde ebenfalls schon in #115 angeführt. Es erschien 1919 in Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H., herausgegeben von Prof. Dr. K. von Buchka, Vorstand der Technischen Prüfungsstelle in Berlin.

Damit ist auch
Da Du keine Fachliteratur zu 14/18 zitierst: Dafür wurden brutto ca. 1,7 Mio. Tonnen Gerste aufgewendet (oder genauer: 1,68 Mio. to. Vorkriegsdurchschnitt), unbeachtlich der Tatsache, dass man rechnerisch-netto nur rund 1,4 gebraucht hätte. Zitat schenke ich mir, wird ja eh nicht nachgelesen.
unzutreffend.

Dr. G. Bode, der für den Abschnitt Bier in [6] verantwortlich zeichnet, äußert sich auf S. 251 zum Rohstoffverbrauch folgendermaßen:
Die deutschen Brauereien verbrauchen an Rohstoffen jährlich rund 15 Millionen dz. Gerste, 120.000 dz Hopfen, ebensoviel Brauweizen und 160.000 dz Zucker.
Diese Aussage deckt sich mit den diesbezüglichen Angaben in [2].

Den Hinweis "allein Bier" hast Du auch nicht verstanden. Darin liegt - kennt man sich in der Problematik etwas aus - der Hinweis auf Branntwein verborgen, der mit 1,9 Mio. Tonnen reinen Alkohols (konsumierbar: das 2-3fache der Menge, bevor wieder wilde Berechnungen gegoogelt werden) weitere rd. 400.000 Tonnen Gerstenverbrauch bedeutete, übrigens neben weiteren 10% der Netto-Kartoffelproduktion p.a.

Bedeutet in Summe und Klartext: rd. 2 Mio. Tonnen Gerste für Bier und Branntwein.

Dass "allein Bier" mit "ein Bier und nen Kurzen" gleichzusetzen ist war mir nicht klar. Mea culpa. Die angegebenen Zahlen decken sich allerdings nicht mit dem Rohstoffverbrauch in den Brennereien:

1912/13 ist dort bspw. von 366.000 Tonnen "Getreide und alle übrigen mehligen Stoffe" die Rede. Es geht dabei überwiegend um Roggen und Weizen und nicht um Gerste. Auf Gerste, Hafer sowie Buchweizen entfällt ein geringer Anteil.

Im Nordhäuser Reinheitsgebot von 1789 ist z. B. von wenigstens zwei Dritteln Roggen und Weizen und höchstens einem Drittel Gerste oder Malz die Rede.

[7] Stat. Jahrbuch 1915 - Gewerbe - Rohstoffverbrauch Brennereien S. 106
 
Teil 2

Unter Bezug auf
1. Die Zahlen sind erstmal grundsätzlich falsch (-> Huegel). Diese Feststellung ergibt sich, wenn man quellenkritisch herangeht.
2. Die Zahlen sind im Kontext zu deuten und keinesfalls "selbsterklärend", ein prägnantes Beispiel, für das ich vereinfachend das betragsmäßig größte Beispiel herausgreife: den "Gerstensaldo" von 2,8 Mio. Tonnen. Dieser Importüberschuß ist durch das deutsche Bierbrauen bedingt, es handelt sich hier größtenteils um Importe der Brauereien.
schrieb ich u. a.
Das hätte dann wohl für Freibier für alle - inkl. der Alliierten gereicht!
worauf
Rund 7 Mio. Tonnen (1911/13, Hoffmann, S. 651) allein Bier. Damit klärt sich wohl die Frage.
erwidert wurde. Was zu meiner Darstellung
Die übliche Bestellung für Bier lautet sicher nicht "Ein Pfund oder kg Bier", also könnte man annehmen, dass es sich um Brauereigerste handelt, die üblicherweise in Tonnen angegeben wird.
Das wäre aber mal eben das Doppelte der Vorkriegsjahresproduktion an Gerste und würde genügen um rund 5,25 Mio. Tonnen Malz zu erzeugen, was wiederum für eine Produktion von ca. 250 Mio. hl Lagerbier [1] genügte - weit über der deutschen Vorkriegs-Brauproduktion von rund 70 - 80 Mio. hl [2] und nahe der damaligen Weltproduktion von rund 300 Mio. hl [3]. Also doch Freibier für alle? Natürlich nicht!

Die Lösung: Hoffmann wird falsch wiedergegeben:
Hoffmann spricht auf S. 651 vom Bierverbrauch (das ist schon einmal etwas anderes als Produktion!) und gibt für das Jahr 1913 68.820 Tausend hl an, also rund 70 Mio. hl!
führte. Es folgt
So ein Unsinn ist höchst ärgerlich, weil er auf der mir untergeschobenen Falsch-Behauptung über Gersteneinsatz/Alkohol beruht (7 Mio. Tonnen entstammen deiner Verdrehung).

Die Vorkriegs-Brauproduktion von 80 Mio. hl in der Spitze ist außerdem falsch, da der deutsche Verbrauch von 68 bis knapp unter 70 Mio. hl nur um rd. 0,8 Mio. hl um den Exportsaldo zu erhöhen ist. Es bleibt also in der Diskussion über angebliche Importabhängigkeiten und dem Beispiel Gerste/Alkohol bei den von mir angegebenen rd. 70 Mio. hl bzw. rd. 7 Mio. Tonnen Bier als Endprodukt.

Den Unsinn von Freibier etc., der vermutlich das googeln ergänzen soll, müsste man nicht kommentieren, enthielte die Bemerkung nicht einen weiteren sachlichen Fehler und eine weitere Verfälschung meiner Aussage.
Nun, dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass ich versucht habe, den ominösen 7 Mio. Tonnen auf den Grund zu gehen.

Es handelt sich bei dem "Unsinn" um eine Optionsabwägung in Anlehnung an "The Economics of Beer", die von mir selber verworfen wurde und die man sich hätte sparen können, wenn nachvollziehbare Aussagen getätigt würden.
Nichts wird falsch wiedergegeben. Der Exportsaldo ist nämlich betragsmäßig irrelevant, und für den Unterschied zwischen Produktion und Verbrauch hier völlig unmaßgeblich, wenn man sich vorher kundig macht. (Netto-/Saldo-)Import zusätzlich Rd. 800 T-hl, damit bleibt es bei rund 70.000 T-hl bzw. 7 Mio. Tonnen.
Die Formulierung "Rund 7 Mio. Tonnen (1911/13, Hoffmann, S. 651) allein Bier." erweckt den Eindruck, dass hier Hoffmann zitiert wird.

Das ist nicht der Fall wie ja vom Verfasser ausführlichst dargelegt wurde. Also bleibt es dabei: Hoffmann wurde falsch wiedergegeben!
Nicht wild googeln, sondern nachlesen. Hoffmann enthält auch Textteile, die den Unterschied und die Berechnungen sowie sämtliche Statistiken erläutern. Abweichend von der Literatur steht es natürlich frei, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen.
Wäre es nicht einfacher diese einfach darzulegen statt sie zu beschwören?
Warum mit 1,5 Mio. ungenau arbeiten, wenn die zutreffenden 1,7 Mio. oben angegeben worden sind. 1,7 (bzw. 2,0 inkl. Branntwein) sind bekanntlich der größte Teil von 3.
Rund 3 Mio. t Gerste wurden 1912 netto importiert. Davon ging aber nur ein kleiner 'Teil an die Brauereien:

Aus Russland wurde der Löwenanteil von 2,1696177 Mio. t bezogen (ich soll ja genau sein ;)).
Davon waren nur 0,0253049 Mio. t Malzgerste, der Rest war Futtergerste. Insgesamt wurden 0,2124899 Mio t. Malzgerste eingeführt. Dazu kamen noch einmal 0,454613 Mio. t. Malz, ganz überwiegend aus Österreich-Ungarn. siehe [6] S. 244 bzw. Anhang.
zur Abhängigkeit:
Fleisch-Äquivalenz der Gerste maximal 300.000 Tonnen/p.a., eher weniger (zu einer genauen Berechnung habe ich keine Lust), gerechnet nur bei einer Halbierung der Alkoholproduktion und ausfallenden Importen.
Gesamtkonsum im Reich 1912/13 (Rind, Schwein, Schaf) rund 3.400.000 Tonnen/p.a.

Das sind keine 10%, und die Substitutionsmöglichkeit der Gerste sowie die freiwerdende Kartoffelproduktion ist noch nicht einmal eingerechnet. Ebenso sind die weiterlaufenden Importe (inkl. "Durchhandelns") über NL und Skandinavien nicht gerechnet.

Die "Abhängigkeit" von den Gersteimporte, auf die oben herumgeritten wurde, entspricht maximal 13 Gramm Fleisch pro Tag/Person.

Aus dem Vorkriegs-Getreideimport und trotz damit verbundener Weltkriegslegenden ergibt sich somit auch keine mittelbare, dramatische "Fettlücke".
Zu den eigentlichen Ursachen gemäß Fachliteratur siehe oben #109.

Wenn sich ein ähnlicher Aufwand zur Richtigstellung der Fakten und zur Korrektur von Verdrehungen meiner Aussagen oben ergibt, habe ich dafür keinen Bedarf mehr.
Die angeführten Berechnungen mag jeder für sich überprüfen oder glauben. Bzgl. des "Durchhandelns" über die NL und Skandinavien sind Zweifel angebracht: NOT!

Bei der NOT ( = Nederlandsche Overzee Trustmaatschappij od. Netherlands’ Overseas Trust Company) handelte es sich um eine Organisation zur Kontrolle des niederländischen Aussenhandels, die auf Druck der Entente gegründet werden musste. Anzumerken ist noch, dass die Niederlande für Ihre Selbstversorgung auf Getreideimporte angewiesen waren. Zu den Kontrollen der deutschen Importe durch die niederländische Armee und Marine findet sich etwas auf S. 130 ff in [8] und allgemein in [8] und [9].

[8] The Art of Staying Neutral The Netherlands in the First World War, 1914 - 1918
[9] N.O.T. The Netherlands Oversea Trust

Und zum Abschluss noch eine Anmerkung zu Hoffmann und der negativen Nettoproduktion. Bei Hoffmann geht es weniger um die mengenmäßige, als um die wertmäßige Darstellung der Produktion zu Preisen von 1913. Dazu verwendet er als Hilfsgröße den Nettoproduktionswert, der folgendermaßen definiert ist:

Produktionswert der Landwirtschaft
+ Mietwert der Eigenwohnung
+/- Veränderung im Viehbestand
- Verbrauch an Kunstdünger
- Ausgaben für Hilfs- und Betriebsstoffe

Damit kann man zwar Wirtschaftswachstum untersuchen, für eine Bewertung der tatsächlichen Situation einer Volkswirtschaft ist dieser Ansatz allerdings nicht brauchbar - schließlich kann man seine Eigenwohnung - bis auf eine Ausnahme - in der Regel nicht essen!

[10] Studienbeschreibung aufklappen.

Lesen ist erst der Anfang - dann ist sapere aude angesagt, wenn man mehr will. :winke:
 

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Bier in Fässern = 1.008.299 dz. = 100.830 t = 629.769 hl
Das klingt für mich so, als ob beim Gewicht die Fässer mit gerechnet wurden, was für die Beförderung per Schiff oder Eisenbahn ja auch wichtig ist. Die Volumenangabe der Flüssigkeit hingegen ist steuerlich wichtig und wird deshalb separat ausgewiesen.
 
Das klingt für mich so, als ob beim Gewicht die Fässer mit gerechnet wurden, was für die Beförderung per Schiff oder Eisenbahn ja auch wichtig ist. Die Volumenangabe der Flüssigkeit hingegen ist steuerlich wichtig und wird deshalb separat ausgewiesen.

Bedenkenswerter Hinweis, vor allem in Hinblick auf die Flaschenbiere. Dort hatte man die damals noch schwere Glasflasche, im Vergleich zum Inhalt, nebst eines Holz-Transportkastens.

Leider geht aus den Jahrbüchern nicht hervor - oder ich habe es nicht gefunden - ob bei dem gewogenen Bier nur der Inhalt oder auch die Verpackung im Gewicht enthalten ist.

Bei der Besteuerung gibt es eine Entwicklung von der gewichtsbezogenen Besteuerung der Zutaten (ca. um 1870) zur Besteuerung des Endproduktes nach Volumeneinheiten, Beispiel http://www.goeppingen.de/site/Goeppingen-Internet/get/2937172/1906 Biersteuer.pdf
 
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