der Klang der Vergangenheit

beetle

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Der Philosoph Theodor Lessing proklamierte 1908 sehr polemisch "ein Recht auf Stille".
Wird das Leben lauter? Sogar Vögel zwitschern mittlerweile in Stadt-Bereichen lauter:
Vögel singen lauter im Menschen-Lärm der Städte -- Wissenschaft und Technologie -- Sott.net


Ein Interview mit dem Historiker Gerhard Paul über den Klang der Vergangenheit: Gerhard Paul: Mitten ins Herz der Zuhörer | ZEIT ONLINE

(Falls das Thema hier nicht passt, bitte verschieben. Ich wußte nicht, wo ich es einstellen sollte)
 
Wenn ich an meine Kindheit denke, fallen mir zwei Geräusche ein, die es heute quasi kaum noch gibt. Als erstes die der Dampflokomotiven, die in den 70ern (DDR) noch reichlich fuhren. Dann der Überschallknall der sowjetischen Jagdflugzeuge. Manchmal schepperten sogar die Scheiben.
 
Neben dem Lärm sehe ich - als vermutlich recht neuzeitliches Phänomen - das Sich-Zududeln. Offenbar versuchen viele Menschen den Zustand der Stille zu vermeiden und decken sich selbst permanent mit Geräuschen aller Art ein. Neben Musik können diese elektronischen Medien entstammen oder aber eigenen Wortbeiträgen sowie anderen, nicht-akustischen Aktivitäten.
 
Es gibt aber auch wirklich Geräusche, bei denen möchte man nur in die Knie gehen. Der 8-Zylinder-V-Motor des Chevrolet Camaro. So etwas hört man heute nicht mehr.
 
Neben dem Lärm sehe ich - als vermutlich recht neuzeitliches Phänomen - das Sich-Zududeln. Offenbar versuchen viele Menschen den Zustand der Stille zu vermeiden und decken sich selbst permanent mit Geräuschen aller Art ein. Neben Musik können diese elektronischen Medien entstammen oder aber eigenen Wortbeiträgen sowie anderen, nicht-akustischen Aktivitäten.


Passt zwar nicht zum Thema "Klang". Aber was mir dabei noch einfällt, ist das allgegenwärtige Licht heutzutage. Nirgends mehr ist es nachts dunkel, da muss man schon sonstwohin in die Pampa.
Und viele Leute müssen ständig überall Licht brennen, je greller, je besser.
Furchtbar! Schon der Gedanke an Neonröhren lässt mich gruseln.
 
Neben dem Lärm sehe ich - als vermutlich recht neuzeitliches Phänomen - das Sich-Zududeln. Offenbar versuchen viele Menschen den Zustand der Stille zu vermeiden und decken sich selbst permanent mit Geräuschen aller Art ein.

Ja, das stimmt. Ich ertappe mich auch manchmal dabei, dass der Fernseher einfach "nebenher" læuft.
Dabei ist es wirklich etwas sehr schønes, richtige Stille zu haben. Ich habe es einmal bewusst erlebt und denke gerne daran zurueck:in Finnland, mit dem Boot auf einem See; sogar Vøgelgezwitscher war nicht zu høren. Erholung pur...
Davon sind wir sogar in Norwegen weit weg als manch einer glauben mag: Kreischende Møwen, gelangweilte Dorfjugend, die ihre Autos mit aufgedrehter Musik im Ort herumkutschieren muessen, Hubschrauber-Einsætze, Schwertransporte, Spikes-reifen auf Asphalt, usw. usw.
Also richtig ruhig ist's hier auch nicht, da muss man wirklich in die Wildnis gehen.
Andererseits, sogar Polizei und Krankenwagen verzichten in 99% der Fælle auf Sirenen, die Elche kuemmert's eh nicht und fuer alle anderen Strassenverkehrsteilnehmer reicht das Blaulicht.

Gruss, muheijo
 
Ich verstehe dieses Thema mal von der Seite der Geräuschbelästigung.

Mein Großvater zitierte in den 50igern gern R. Koch der gesagt hat: „Eines Tages wird der Mensch den Lärm genauso bekämpfen müssen wie Cholera und Pest“.

Nach der Wende hat in meinem Wohnbereich die Geräuschbelästigung deutlich zugenommen. Einhergehend mit einer deutlichen Zunahme der Staubbelästigung.
Ich wohne an einer Nebenstraße am Rande der Stadt.
Konnte ich noch in den 70igern und auch 80igern gemütlich abends im Sommer auf den Balkon sitzen, so geht das seit den 90igern überhaupt nicht mehr. Ein Glück das wir inzwischen entsprechende Fenster haben.

Wer mal die sinfonische Seite eines Straßenverkehrs hören möchte, dann bitte diesen Link und dann die jeweilige Stadt aussuchen.

Und noch ein paar Geräuschbelästigungen aus meiner Sicht die inzwischen verschwunden oder zumindest fast verschwunden sind:

· Das laute knattern der Trabis und deren Geruch.

· Wer in einer Stadt wohnt die über eine Straßenbahn verfügt und dann auch noch in der Nähe oder direkt an einer Kurve wohnt, wird sicher das Geräusch, besser Quietschen der Straßenbahn vermissen.

· Dann das Geräusch zum 1. Mai. Ich meine den Weckruf der Fanfarenzüge, damit man nicht zu spät zum marschieren kommt (FDJ – Marsch, Steigermarsch u.a.).
 
Ich fände es sehr interessant wie laut es vor der Zeit der Eisenbahn in solchen Metropolen wie London war, wo ja auch das Stadtzentrum noch ganz anders als heute bewohnt wurde.

Es ist ja auch seltsam heutzutage. Zum einen wird seit einigen Jahrzehnten von vielen Menschen jede Möglichkeit nicht durch Musik berieselt zu werden vermieden, auf der anderen Seite gibt es eine ungekannte Geräuschempfindlichkeit. Selbst in unserem verhältnismäßig ruhigen Freiburg wird sich über angeblichen Lärm vor Kneipen etc. aufgeregt und das obendrein natürlich vor allem an Orten, wo es garnicht so heikel ist. Neben dem restriktiven, auch behördlichen Vorgehen gegen feiernde, "lärmende" Studenten oder andere Leute, wird mit lärmmindernden Asphalt, Lärmschutzwänden und -wällen sowie Unterstützung zum Einbau von lärmmindernden Fenstern bei betroffenen Gebäuden soviel gegen den Verkehrslärm getan wie wohl noch nie. Außerdem sind die Autos, wie Ralf.M schon sagte, generell leiser geworden, dass eher die Gefahr daher rührt, dass man ein heranfahrendes Auto eben nicht hört.

Ich denke, dass das mit dem dauernden Musikkonsum per Kopfhörer z.B. in der Straba sicherlich auch was mit einer zunehmend auf Singles bzw. nicht dauerhaften Partnerschaften hinauslaufenden Gesellschaft zu tun hat. Außerdem waren früher die Menschen stärker in der Region verhaftet, inniger in ein soziales Netzwerk ihres Dorfes, ihrer Gemeinde, Stadtteils, ihrer Stadt eingebunden. Gutes Beispiel die früher florierende Gasthauskultur - auf jedem noch so kleinen Dorf bis hin zum Weiler mit 5-6 Häuschen gab es zumindest sowas wie einen Dorfkrug.
Mir scheint, dass die Menschen sich oftmals mit dem Musikkonsum der Problematik entheben wollen, die Umwelt auf sich einwirken zu lassen oder sich ihrer Einsamkeit bewusst zu werden oder auch einfach nur ins Grübeln zu kommen. Wenn ich mal nichts höre um mich herum, wird mir das auch bewusst und ich stelle dazu meine Betrachtungen an.

Seit wann umgibt man sich schon so emsig mit Musik? Seit dem Gramophon oder gehört das sich selbst vorgesummte Lied des Landmannes bei der Feldarbeit mit hinein?:grübel:
 
Seit wann umgibt man sich schon so emsig mit Musik? Seit dem Gramophon oder gehört das sich selbst vorgesummte Lied des Landmannes bei der Feldarbeit mit hinein?:grübel:

Eine wirklich interessante Frage. Man kann da nur spekulieren, zumindest habe ich bislang von keiner Studie zu dieser Thematik gehört - aber sicher wird's eine geben!

Auf jeden Fall wissen wir von zahlreichen Bildern aus dem Mittelalter, dass in Wirtshäusern und auf dörflichen Festen - z.B. Kirchweih, Erntedankfeste - kräftig gedudelt und getanzt wurde. Auch kann ich mir denken, dass beim Einbringen der Ernte gesungen wurde und natürlich in der Kirche. Ob allerdings die Gläubigen im katholischen Gottesdienst damals sangen, weiß ich nicht.

Musik gehörte somit stets zum Alltag und natürlich zum Festtag der Menschen - allerdings bei weitem nicht in dem Umfang, wie es heute üblich ist, wo jeder seinen eigenen Konzertsaal zu Hause haben kann.
 
Ich fände es sehr interessant wie laut es vor der Zeit der Eisenbahn in solchen Metropolen wie London war, wo ja auch das Stadtzentrum noch ganz anders als heute bewohnt wurde.

Es ist ja auch seltsam heutzutage. Zum einen wird seit einigen Jahrzehnten von vielen Menschen jede Möglichkeit nicht durch Musik berieselt zu werden vermieden, auf der anderen Seite gibt es eine ungekannte Geräuschempfindlichkeit. Selbst in unserem verhältnismäßig ruhigen Freiburg wird sich über angeblichen Lärm vor Kneipen etc. aufgeregt und das obendrein natürlich vor allem an Orten, wo es garnicht so heikel ist. Neben dem restriktiven, auch behördlichen Vorgehen gegen feiernde, "lärmende" Studenten oder andere Leute, wird mit lärmmindernden Asphalt, Lärmschutzwänden und -wällen sowie Unterstützung zum Einbau von lärmmindernden Fenstern bei betroffenen Gebäuden soviel gegen den Verkehrslärm getan wie wohl noch nie. Außerdem sind die Autos, wie Ralf.M schon sagte, generell leiser geworden, dass eher die Gefahr daher rührt, dass man ein heranfahrendes Auto eben nicht hört.

Ich denke, dass das mit dem dauernden Musikkonsum per Kopfhörer z.B. in der Straba sicherlich auch was mit einer zunehmend auf Singles bzw. nicht dauerhaften Partnerschaften hinauslaufenden Gesellschaft zu tun hat. Außerdem waren früher die Menschen stärker in der Region verhaftet, inniger in ein soziales Netzwerk ihres Dorfes, ihrer Gemeinde, Stadtteils, ihrer Stadt eingebunden. Gutes Beispiel die früher florierende Gasthauskultur - auf jedem noch so kleinen Dorf bis hin zum Weiler mit 5-6 Häuschen gab es zumindest sowas wie einen Dorfkrug.
Mir scheint, dass die Menschen sich oftmals mit dem Musikkonsum der Problematik entheben wollen, die Umwelt auf sich einwirken zu lassen oder sich ihrer Einsamkeit bewusst zu werden oder auch einfach nur ins Grübeln zu kommen. Wenn ich mal nichts höre um mich herum, wird mir das auch bewusst und ich stelle dazu meine Betrachtungen an.

Seit wann umgibt man sich schon so emsig mit Musik? Seit dem Gramophon oder gehört das sich selbst vorgesummte Lied des Landmannes bei der Feldarbeit mit hinein?:grübel:

Für die Sklaven in Nordamerika, der Karibik oder in Brasilien war der Gesang von Spirituals, Arbeitsliedern und Stegreifgesängen fast das einzige Medium, sich mit der eigenen Lage auseinanderzusetzen. Frederick Douglass sagte, selbstgedichtete Songs der Sklaven verieten mehr über das menschenverachtende System der Sklaverei, als eine philosophische Abhandlung darüber, und dass er sich darüber wunderte, dass im Norden ernsthaft Leute den Gesang der Sklaven als Beleg für ihre heitere Gemütslage anzuführen, und dass er niemals verzweifelter gewesen sei, als wenn er gesungen hätte.


Spirituals und Songs waren aber auch ein Medium, Signale, Codes und Informationen weiterzugeben wie Harriet Tubman es häufig tat. Der Spiritual "Follow the drinking gourd" soll Informationen enthalten, die iliteraten Sklaven Informationen für eine mögliche Flucht vermitteln sollte, der Text soll auf einen gewissen "Petleg Joe", zurückgehen, es ist diese Herleitung aber nicht gesichert. Mit "the drinking gourd" ist das Sternbild des Großen Bären gemeint, das einer Schöpfkelle ähnlich sieht und im amerikanischen Englisch "The great dipper" genannt wird.
 
Ich fände es sehr interessant wie laut es vor der Zeit der Eisenbahn in solchen Metropolen wie London war, wo ja auch das Stadtzentrum noch ganz anders als heute bewohnt wurde.
Zumindest im antiken Rom wurde der Lärm bereits als Problem wahrgenommen, auch der nächtliche Lärm. Ein Grund war, dass aufgrund des permanenten Verkehrschaos tagsüber der Warentransport in die Nacht verbannt wurde, d. h. nur nachts durften in Wagen Waren in die Metropole geschafft werden. Die rumpelten dann über die gepflasterten Straßen. Tagsüber war es natürlich noch lauter. Dementsprechend waren die Klagen (Martialis, Iuvenalis ...) über Schlafprobleme und der Wunsch nach einem Haus am Land oder zumindest einem großen Haus in der Stadt, um sich ins Innere zurückziehen zu können.
 
Seit wann umgibt man sich schon so emsig mit Musik? Seit dem Gramophon oder gehört das sich selbst vorgesummte Lied des Landmannes bei der Feldarbeit mit hinein?:grübel:
Heinrich Heine erwähnte spöttisch die "Klaviermanie" des Bürgertums, dass aus allen Fenstern Geklimper herausschalle... Das dt. Kaiserreich hat sich sicherlich nicht bei Heine informiert, aber eine Luxussteuer auf Klaviere und Flügel erhoben (sic!)
Bedenkt man dann, dass der Begriff "Gassenhauer" älter als das Grammophon ist, kann man davon ausgehen, dass es vor dem Grammophon auch schon genug Musikberieselung gab.
 
Wenn ich an meine Kindheit denke, fallen mir zwei Geräusche ein, die es heute quasi kaum noch gibt. Als erstes die der Dampflokomotiven, die in den 70ern (DDR) noch reichlich fuhren. ..

Als ich als Kind (eingeschult 1964) in die Grundschule ging, führte der Weg über einen "wilden" Bahnübergang, mit Hang und buschgesäumt. Und da war ein mechanisches Signal, das von einem "Draht", welches eher eine lange Eisenstange war, klackend gehoben wurde.
Davor stand die hohe schwarze Dampflock, und sie zischte aus den Fugen wie heute der Schnellkochtopf auf dem Herd.
Und dann brüllte sie, langsam anfahrend, dumpf und ohrenbetörend aus ihrem tiefen dunklen Bauch und stieß große weisse Wolken aus dem Schornstein in den hohen Himmel.
Ehrfürchtig waren wir, und jeder Bub hatte einmal im frühen Leben den Wunsch der schwarze Mann zu sein, der aus dem kleinen Fenster des fauchenden Drachen, ihm freundlich auf dem Weg zur kleinen Schule der kleinen Welt zuwinkte.
 
Durch vielerlei Dinge war es früher unter Garantie leiser, als heute;
- das Auto macht unermesslichen Lärm, besonders in Großstädten, aber auch auf auf dem Land hat fast jeder eins,
- in dörflichen Strukturen (vor 400 Jahren war eine Stadt mit 5 000 Einwohnern schon echt groß) war es ganz einfach ruhiger. Nicht nur akustisch, es ging viel gelassener zu. Nicht jeder hatte eine Uhr, außer die an der Kirche und man machte sich noch nicht so die Gedanken um Schnelligkeit, Effizienz und sonstige Termine oder so etwas.
Außerdem gehe ich stark davon aus, dass in einer solchen Stadt fast jeder jeden mindestens vom Sehen irgendwie kannte, weswegen man auch etwas ruhiger und gelassener miteinander umging.
 
Hallo,

den harmonischen Klang der Stihl „Contra“, das nerven zehrende Geräusch der Hacken auf dem Rübenacker und das Knacken des Gabelstieles beim Heuballen gabeln (Niederdruckballen).
 
Während der Arbeit in der Landwirtschaft wurde offenbar gern und viel kollektiv gesungen. In der Industriealisierung wurde das schon durch den Maschinenlärm unmöglich. Stattdessen begann aber der Aufstieg der Gesangvereine, viele von ihnen ideologisch-politisch orientiert - patriotisch, religiös, sozialistisch.
 
Also das "permanente Gedudel" ist keine neue Erfindung! In den 1920ern erfanden Komponisten an der Schwelle von Avantgarde und Unerhaltung (z.B. Erik Satie) die sogenante "Musique d'ameublement". Sie sollte sich in das desingerische Gesamtkonzept von Architektur, Möbeldesign etc. einfügen und diesem eine weiter Dimension verleihen. Ich erinnere mich an einen Auszug aus einem Brief (in einer Radiosendung gehört) in dem einer dieser Komponisten sich ausspinnt, dass eines Tages die ganze Welt in diese Klänge eingehüllt wäre...
Allerdings war das damals wohl eher Theorie und kam nicht in dem Umfang zur Umsetzung.
 
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