Warum waren die Bauernkriege keine Revolution?

H

huhuhuhuh

Gast
Hallo wir haben in geschichte folgende aufgaben bekommen, bei dessen beantwortung ich mich etwas schwertue...

Warum waren die Bauernkriege keine Revolution?
Welche Forderungen hätte aufgestellt werden müssen, damit es eine Revolution ist?

über eine antwort würde ich mich sehr freuen :)
 
Die Frage impliziert, dass ihr einen strukturellen Vergleich von Revolutionen gemacht habt und auch schon mindestens Infomaterial zu den Bauerkriegen bekommen habt.
Fang doch mal damit an, was zu einer Revolution gehört und klopfe dann die Bauernkriege darauf ab, ob diese Kriterien erfüllt werden, oder nicht.
 
Ersteinmal ein Tipp vorab, ohne Berücksichtigung der Reformation bzw. der reformatorischen Bewegung die einigermaßen zeitgleich ablief, wirst Du Dich einer Antwort wohl nicht nähern können.

Vergl.:

Reformation ? Wikipedia

Dann lies mal diese Artikel über T. Münzer:

Thomas Müntzer ? Wikipedia

Thomas Münzer

Vergl. auch hier:

Bundschuh-Bewegung ? Wikipedia

Eventuell auch diesen:

Täuferreich von Münster ? Wikipedia

Dann versuche folgende Fragen zu beantworten:

Waren die Intentionen der aufständischen Bauern auf einen Umsturz des politischen und sozialen Systems gerichtet w.z.B. in der Französischen Revolution, der Russischen Revolution (?), oder bewegten sich ihre Forderungen nach einer "gerechten Gesellschaft/Welt" nicht innerhalb der gegebenen Systemgrenzen (spätmittelalterlich/frühneuzeitlich)?

War die Programmatik der aufständischen Bauern (vergl. hierzu insbesondere die Links zu T. Münzer) innerhalb des gegebenen Systems erfüllbar oder hätte das gegebene System hierzu grundlegend umgewälzt werden müssen?

Ist die grundlegende Forderung nach "Gerechtigkeit", was auch immer jemand darunter versteht bzw. verstand, innerhalb eines politischen, religiösen resp. ökonomischen Systems erfüllbar oder nicht?

Wie verhielt sich die städtische Gesellschaft gegenüber dem Konflikt, Bauern <=> Fürsten?

M.
 
Hallo wir haben in geschichte folgende aufgaben bekommen, bei dessen beantwortung ich mich etwas schwertue...

Warum waren die Bauernkriege keine Revolution?
Welche Forderungen hätte aufgestellt werden müssen, damit es eine Revolution ist?

über eine antwort würde ich mich sehr freuen :)

Ein Teil der Lehre sieht das aber anders: Den "Bauernkrieg" 1525 kann man sehr wohl als eine Revolution sehen, ich kann dir auch sagen warum. Die "Zwölf Artikel" (Die zwlf Artikel im Deutschen Bauernkrieg) waren nämlich das erste verfassungsgebende Dokument auf deutschem Boden! Also quasi das deutsche Pendant einer Magna Charta. Dank dem um 1500 entstandenen Buchdruck konnten die Artikel auch auf dem gesamten Reichsgebiet mittels Flugschriften verteilt werden!
Die Zwölf Artikel sind daher klar von den teilweise utopischen Konzeptionen eines Wendel Hipler oder Thomas Münzer abzugrenzen.

(Siehe hier: Herrschende, aktuelle Lehrmeinung zum Bauernkrieg - http://books.google.de/books/about/Die_Revolution_von_1525.html?hl=de&id=qDe_2qbwW6MC)

So weit so gut: Aus Schulzeiten habe ich folgende Definition von Revolutionen im Kopf: "Eine Revolution ist eine radikale, meist gewaltsame Veränderung der politischen, kulturellen oder religiösen Verhältnisse."

Gegen eine Revolution spricht nun in diesem Fall, dass der Bauernaufstand niedergeschlagen wurde und die Forderungen der Bauern zum großen Teil nicht erfüllt wurden. Aber haben sich die bestehenden Verhältnisse dadurch wirklich nicht geändert? Das ist nun Auslegungssache und ich will das hier gar nicht weiter vertiefen, aber als Vergleich kann man die 68er Bewegung in der Bundesrepublik heranziehen: Auch diese Bewegung, die ja letzten Endes in der RAF gipfelte und dann schließlich abflaute, bewirkte kurzfristig keine große Änderung der bestehenden Verhältnisse. Langfrist jedoch hat sie unsere Gesellschaft und Kultur so nachhaltig und gravierend verändert (positiv wie negativ), dass man sie in der neueren Geschichtswissenschaft als Revolution! definiert. (Bitte korrigieren wenn ich falsch liege)

Das mal als kleiner Denkanstoß :grübel:
 
Zuletzt bearbeitet:
Die "Zwölf Artikel" (Die zwlf Artikel im Deutschen Bauernkrieg) waren nämlich das erste verfassungsgebende Dokument auf deutschem Boden!
Kann mir mal jemand erklären, wieso die "Zwölf Artikel" so gerne als "verfassungsgebendes Dokument" oder dergleichen bezeichnet werden? Sie waren ein reiner Forderungskatalog, wobei sich die meisten Forderungen auf die Beziehungen zwischen Grundherren und Bauern bezogen. Weder regelten sie die Grundlagen des Staates noch die Rechtserzeugung. (Letzteres ist das eigentliche Wesen einer Verfassung.) Es würde auch niemand auf die Idee kommen, heutzutage einen Forderungskatalog von Streikenden an ihre Arbeitgeber als Verfassungsdokument zu bezeichnen.

Und was das mit dem Ersten auf deutschem Boden betrifft: Die "Goldene Bulle" z. B. hat wesentlich mehr Verfassungscharakter.
 
Kann mir mal jemand erklären, wieso die "Zwölf Artikel" so gerne als "verfassungsgebendes Dokument" oder dergleichen bezeichnet werden?

Mein Vorschlag wäre, die Begrifflichkeiten als auch die Superlative doch erst einmal nicht überzubewerten.

Die 12 Artikel können als eine Art Verfassung angesehen werden, wie auch nicht. Warum das nicht erörtern? Und noch etwas anderes vorneweg, wenn eine Revolution nur dann eine Revolution ist, wenn sie erfolgreich war, erübrigte sich wohl die Diskussion, wenigstens ein Stück weit, - kein Umsturz ohne Umsturz.

Merkwürdig fände ich es, ein Scheitern, und etwaige katastrophale Konsequenzen vorzurechnen, was ja fast wie eine Vorhaltung wirkt. (Das in Bezug auf Beiträge weiter oben.)


Aber vielleicht hatten sich ja doch etwas verändert?


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Auf der Seite historicum.net, gibt es einen Aufsatz von Carl-Josef Virnich.
Daraus hier einige Zitate, - nur einmal als Diskussionsgrundlage:

Heute wird die Formulierung von der "Revolution des gemeinen Mannes" (Peter Blickle) bevorzugt. […]


[Unter:] 3. Ereignisse und Zusammenhänge

In der ersten, von Mai 1524 bis Anfang 1525 dauernden Phase glichen die Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Obrigkeit in vielem noch früheren Widerstandsaktionen um "Altes Recht" und Herkommen.

Die zweite zwischen Februar/März und Juli 1525 war die eigentliche Hauptphase, für die noch am ehesten der Begriff Bauernkrieg oder zumindest "Krieg" anwendbar ist. […]

Anlässe wie Verlauf der Unruhen waren im Einzelnen sehr verschieden. […]

Diese erste Phase zielte von Seiten der Aufständischen noch ausschließlich auf eine Verhandlungslösung ab. Darauf ging die Gegenseite zunächst ein, vor allem um Zeit zu gewinnen. […]

Die Untätigkeit der Herren und Verschleppung der Prozesse führte zur ersten Ausbreitung des Protests, der aber aufgrund einer mangelnden, einheitlichen programmatischen Basis noch begrenzt blieb. […]

Hier wurden mit der "Bundesordnung" als einer Art Verfassungsentwurf und vor allem den "Zwölf Artikeln" als Verhandlungsgrundlage die beiden wichtigsten Dokumente des bäuerlichen Protests verabschiedet. […]

Wesentlich war, dass sich 1. das "Göttliche Recht" als religiös-politisches Prinzip endgültig durchsetzte, 2. statt Wiederherstellung des "Alten Rechts" nun eine im Kern revolutionäre Umgestaltung der Herrschafts- und Gesellschaftsordnung angestrebt wurde und 3. die frühere Vielzahl der Forderungskataloge auf wenige prägnante, allgemein anerkannte "Artikel" reduziert wurden, […]
historicum.net



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Dann gibt es noch einen anderen Beitrag von einem Hans Günter Hockerts

Der Bauernkrieg 1525 — frühbürgerliche
Revolution, defensive Bauernerhebung oder Revolution des „gemeinen Mannes"?
(1979)


Im allgemeine lässt dieser den „Revolutionsgedanken“, speziell den Begriff „Frühbürgerliche Revolution“ nicht gelten. Er räumt allerdings an mehreren Stellen ein, dass noch umfassender Forschungsbedarf bestünde. Meine Stellung hierzu, die ich hier anfügen möcht, Hockerts Ausführungen sind für mich in vielen Punkten nicht wirklich nachvollziehbar.

In meinen Augen lohnt es sich auch, sich mit den jeweiligen Historikern einmal auseinanderzusetzen. Denn auch das kann mitunter Sichtweisen begründen.



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Am Ende möchte ich noch einen 3. Beitrag aus dem Magazin “Geschichte“ vorstellen:
Der Bauernkrieg in der DDR-Geschichtsschreibung Die „Deutsche Revolution“?

Eine Recherche zu Chefredakteur Dr. Klaus Hillingmeier brachte folgendes Statement von ihm hervor:
Fachhistoriker sind nicht unbedingt willkommen, so Klaus Hillingmeier von Geschichte: "Leider fehlt es vielen wissenschaftlichen Autoren an der Fähigkeit, spannend und dramatisch zu schreiben und den Leser in den Text hineinzuziehen. Anders als in Großbritannien werden unsere Historiker ja auf einen knochentrockenen Schreibstil dressiert und zudem sind bei uns die Anmerkungen in der Regel oft wichtiger als gut formulierte Informationen."
Geschichte boomt im Alltag: Bringt sie ein Jobwunder für Historiker?

Etwas ironisch, - der spannende und dramatische Schreibstil? :
Für die DDR ist der Bauernkrieg ein gefundenes Fressen
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Bei der Beurteilung geschichtlicher Erscheinungen sind für mich eigentlich die Haltungen der Menschen wichtig. Was in meinen Augen für das Lernen aus Geschichte unerlässlich ist. Ist nicht auch hier die Frage, welche Werte man damals vertrat, und ob wir uns dabei wieder erkennen oder auch nicht? In meinen Augen sind die Ereignisse damals sehr wohl ein Schritt, der in unsere Gegenwart weist, und nicht einfach mit „Rechtsstreitigkeiten“ abzutun.
 
@Diago

Ich sehe das wie Ravenik. Die zwölf Artikel sind, in der Übertreibung liegt die Anschauung, eher konservativ. Sie zielen auf die Einhaltung der Gerechtsamen. Die Forderungen bewegen sich innerhalb der Systemgrenzen, des spätmittelalterlichen/frühneuzeitlichen Wirtschafts- bzw. Wertesystems, sicherlich mit religiös reformatorischen Impetus.

Die Kategorie der "frühbürgerlichen Revolution" ist m.E. eine marxistische Mißinterpretation, die selbst der ml Revolutionstheorie zuwiderläuft, da hat der gute Engels einfach über das Ziel "hinausgeschossen", als er Zimmermann interpretierte.

Es war m.E. eine "Empörung" gegen vermeintliche oder vermeintlich empfundene Mißstände.

M.
 
Die Forderungen bewegen sich innerhalb der Systemgrenzen, des spätmittelalterlichen/frühneuzeitlichen Wirtschafts- bzw. Wertesystems, sicherlich mit religiös reformatorischen Impetus.
@Melchior, also um „Systemgrenzen“ zu verstehen, müsste man diese charakterisieren, vielleicht wäre es dabei wichtig zu erörtern, aus wessen Sicht sich dieses „System“ wie darstellte.



- Die Forderungen bewegten sich innerhalb des zeitgenössischen Wertesystems?

Offenbar muss doch aber eine Seite diesen „Werten“ nicht entsprochen haben, was ihr entweder bewusst oder unbewusst war. War es ihr bewusst, ist der Fall klar, weil man dann wohlwissentlich dagegen verstieß. In dem Fall müsste man ja auch von einem insgeheimen Einvernehmen aller Parteien über gewisse Wertvorstellungen ausgehen. War es einer Seite aber unbewusst, und fühlte sie sich im Recht, etwa wenn man Abgabenlasten („dann eigentlich nicht wertkonform“) erhöhte, welches „Wertesystem“ legt man dann zugrunde? Hängt das nicht davon ab, wer die Deutungshoheit in jener Zeit besaß?

Wo ist dann der Rahmen in dem man sich bewegte, bzw. den man verlassen hatte, bzw. auf dem man aufbauend einen „konservativen Zustand“ wiederherstellen wollte?

Wird somit die Unterdrückung zum „Revolutionären“?



Es war m.E. eine "Empörung" gegen vermeintliche oder vermeintlich empfundene Mißstände.

Hm, - also gab es diese Mißstände gar nicht, - „vermeintlich“?

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Ich habe einige verschiedene Sachen dazu gelesen, kann aber gerade nicht viel schreiben, denke aber, ich bin einigermaßen im Bilde über verschiedene Ansätze. An die „gesetzmäßigen Entwicklungen“ á la Marx und Engels glaube ich zwar nicht, allerdings haben wir genauso wenig das „Ende der Geschichte“ erreicht, wie das die beiden Denker des 19.Jh. in ihren Theorien zur Gesellschaft annahmen, oder vorauszusehen glaubten.

D.h. Veränderungen finden immer statt, wenn auch nicht linear. Und ob der Bauernkrieg dabei keine Rolle gespielt haben soll, ist für mich zunächst noch nicht entschieden. Ob man den Begriff „Revolution“ verwenden möchte oder nicht, oder Versuch, finde ich zudem ersteinmal nachrangig.


Statements erwünscht …
 
@Diago

Lassen wir einmal die ersten Artikel, in denen es u.a. um den Zehnten, die Gemeindeverfassung und Armenfürsorge etc., also im wesentlichen reformatorische Ansätze geht, außen vor.

Artikel VI und VII:

" Der sechst Artikel.
Zum sechsten ist unser hart Beschwerung der Dienst halben, wölche von Tag zu Tag gemehrt werden und teglich zunehmen. Begehren wir, daß man ein ziemlich Einsehen darein tu, uns dermaßen nit so hart beschweren, sonder uns gnedig hierinnen ansehen, wie unser Eltern gedient haben allein nach Laut des Wort Gotts.

[SIZE=+3]Der siebent Artikel.[/SIZE]
Zum siebenten. Daß wir hinfüro uns ein Herrschaft nit weiter wöllen lassen beschweren, sonder wies ein Herrschaft ziemlicher Weis eim verleiht, also soll ers besitzen laut der Vereinigung des Herren und Bauren. Der Herr soll ihn nit weiter zwingen noch dringen, mehr Dienst noch anders von ihm umsunst begehren, darmit der Baur solich Gut ohnbeschwert also rüeblich brauchen und nießen müg. Ob aber dem Herren Dienst vonnöten weren, soll ihm der Baur willig und gehorsam für ander sein, doch zu Stund und Zeit, daß dem Bauren nit zu Nachteil dien und ihme um einen ziemlichen Pfenning Dienst tun. ..."

(so zitiert aus dem Link w.o.)

Die "Obrigkeit" wird da nicht infrage gestellt, sondern aufgefordert die Dienste nicht zu vermehren, sondern aufgefordert Recht und Billigkeit walten zu lassen. Dieses würde ich mir erlauben, als grundsätzliche Systemkonformität zu bezeichnen. Ähnlich systemkonform sind die folgenden Artikel IX, X und XI. Revolutionär ist etwas anderes. Revolutionär wären, wie auch immer formuliert, Forderungen nach Aufhebung der Grundherrschaft, Gerichtsherrschaft, sonstiger persönlicher Verpflichtungen etc.

Der Terminus "frühbürgerliche Revolution" für die Bauernkriege zu verwenden ist irritierend, da das Bürgertum in den Städten sich absent hielt. Die riefen eher das Reichskammergericht an, was übrigens die Bauernschaft vorher und auch nachher tat.

Du hast Recht, es ist unerheblich, ob eine Revolution Erfolg hatte oder nicht, wenn nur die Ziele revolutionär und nicht systemimmanent waren. Ansonsten sind es m.E. Aufstände, Empörungen, was auch immer.

"...Und ob der Bauernkrieg dabei keine Rolle gespielt haben soll, ist für mich zunächst noch nicht entschieden. ..."

Wenn Du da einige Beispiele hättest, inwiefern der Bauernkrieg irgend etwas an der ökonomischen und juristischen Situation der Bauern im HRR geändert haben sollte, wäre es schön, wenn Du sie benennen könntest, mir fällt entweder mangels Wissen oder historischer Phantasie nichts ein.

"...Ich habe einige verschiedene Sachen dazu gelesen, kann aber gerade nicht viel schreiben, denke aber, ich bin einigermaßen im Bilde über verschiedene Ansätze. An die „gesetzmäßigen Entwicklungen“ á la Marx und Engels glaube ich zwar nicht, allerdings haben wir genauso wenig das „Ende der Geschichte“ erreicht, wie das die beiden Denker des 19.Jh. in ihren Theorien zur Gesellschaft annahmen, oder vorauszusehen glaubten. ..."

Marx und Engels wollten nicht, daß man an ihre Theorie glaubt, vielmehr meinten sie, im dialektischen und historischen Materialismus, als Wissenschaft, eine allgemeingültige Deutungshoheit über die historische Entwicklung gefunden zu haben. Da geb ich Dir recht, cooler Versuch. ;)

M.
 
Und wo siehst Du den Verfassungscharakter?

Wenn man von dem juristischen Verfassungsbegriff ausgeht, den wir heutzutage verwenden, dann wird es wirklich sehr schwer, in den Artikeln/Forderungen der Bauern so etwas wie eine Verfassung sehen zu können.

Ich bin mir auch nicht sicher, wie derjenige, der den Verfassungscharakter erstmals postuliert hat, darauf gekommen ist. Möglicherweise hat er einfach nicht gewusst oder bedacht, was eine Verfassung für den modernen Juristen ausmacht. Vielleicht hat es sich aber auch tatsächlich Gedanken gemacht.

Ich glaube, dieser Frage kann man sich nur nähern, wenn man das mittelalterliche Staatsgebilde des HRR analysiert (Bauernkriege waren zwar nach heutiger Einteilung in der Neuzeit, aber die tatsächlichen Übergänge waren fließend).

Das HRR war ebenso wie die anderen europäischen Staaten nicht unbedingt ein Staat wie wir ihn heute kennen. Heutzutage sind Verfassung und Gesetze die Grundlage, aufgrund derer die Organe der Staaten handeln (sollte jedenfalls so sein). Im Mittelalter waren "formale" Gesetze eher von untergeordneter Bedeutung. Der Staat zeichnete sich vielmehr durch ein Geflecht persönlicher Beziehungen mit Rechten und Pflichten, egal ob nun zwischen Kaiser und Reichsfürsten, Lehnsherr und Lehnsmann, Grundherr und Bauer, Ehemann und Ehefrau usw. aus.

Diese über die Jahrhunderte gewachsenen Beziehungen machten sozusagen einen wesentlichen Teil der Staatsorganisation aus. Wenn man nun versucht, diese Beziehungen bzw. zumindest zum Teil generell zu regeln und die gegenseitigen Rechte und Pflichten übergreifend (d. h. über die bislang gelebten persönlichen Verpflichtungen hinaus) schriftlich zu fixieren und für allgemeingültig zu erklären, dann könnte man diesem Vorgehen durchaus so etwas wie einen Verfassungscharakter zugestehen (natürlich auf der Basis einer durch persönliche Rechtsbeziehungen geprägten Gesellschaft).

Ich muss gestehen, dass ich im Staats- und Verfassungsrecht nicht mehr so fit bin, aber in die Richtung dürfte das gehen. Da müsste ich mich aber erst mal intensiver damit beschäftigen. :grübel:

Viele Grüße

Bernd
 
"Revolution" will Altes abschaffen und Neues errichten.

"Widerstand" sträubt sich gegen Neuerungen von oben zugunsten des altgewohnten Modells, d.h. hier:
im Bauerkrieg boten die vielen aufgezählten Punkte die einigermaßen breitenwirksam-überzeugenden Anlässe, gegen die sukzessive Entmachtung der lokalen Herrschaftsträger durch den landesherrlich-zentralistischen Arm Widerstand zu leisten. Vom Modell ähnlich wie heute der Prozess der Machtproben zwischen EU, National- und Föderalregierungen heute, nur eben auf den unteren Ebenen.

Deshalb wurde das eigentlich-prinzipielle Streitthema schnell der Bereich der Widerstandsrechtslehre, wo dann der Kalvinismus einen Eigenweg gehen wird (politisches Widerstandsrecht) gegen die ja verheerend-lang nachhallende Obrigkeitenhörigkeit der katholischen wie lutherisch-orthodoxen Doktrinen (naturrechtliches Widerstandsrecht).

Lg
 
Zuletzt bearbeitet:
im Bauerkrieg boten die vielen aufgezählten Punkte die einigermaßen breitenwirksam-überzeugenden Anlässe, gegen die sukzessive Entmachtung der lokalen Herrschaftsträger durch den landesherrlich-zentralistischen Arm Widerstand zu leisten. Vom Modell ähnlich wie heute der Prozess der Machtproben zwischen EU, National- und Föderalregierungen heute, nur eben auf den unteren Ebenen.

Diese Sichtweise überdehnt meines Erachtens ein wenig die tatsächlichen Geschehnisse. Es ging den Bauern vor allem darum, die drückenden Abgaben und Lasten zu erleichtern, nicht aber um das Verhältnis vom Landesherrn zur regionalen Grundherrschaft. Selbst wenn alle Forderungen der Bauern erfüllt worden wären, wäre es nicht zu einer Neudefinition dieser Beziehungen gekommen.

Eine Beeinträchtigung hätte allerdings die Position der Grundherren insofern erfahren, als durch Aufhebung der Leibeigenschaft, die Minderung der Frondienste, die Senkung des Zehnt und die Reform des Gerichtswesens eine Machteinbuße erfolgt wäre. Und natürlich ein Sinken der grundherrlichen Erträge aus der Landwirtschaft und somit finanzielle Einbußen.
 
Jein,

1.
ja bestimmt im Bewusstsein der Masse in der Bauerbewegung.

2.
nein, wenn gefragt wird, warum die Sammlung der typischen Missstände in den 12 Artikeln gerade ab 1524 so breit "von unten" skandalisiert werden konnte.

Zum Hintergrund:
was ist neu:
A) v.a. der Effekt der Reichskreisordnungen, auf deren Grundlage die Kreisobristen nach dem Wormser Reichstag 1521 beauftragt wurden, die Steuern einzuholen. Die waren sehr hoch - wegen der immensen Kriegskosten des Türkenkriegs. War kein Geld da, wurden Naturalien abgeholt u zwar nach einer von oben festgelegten Marge (Umlage des Anschlags in der Wormser Reichsmatrikel von 1521). Dem Grundherrn wurden damit die Spielräume zur Anpassung seiner Forderungen gegenüber den Bauern nach den Fähigkeiten seiner Leute entzogen.

B)
Die Reformationsstimmung, die den Obrigkeitsgehorsam bis zur Bauernschicht im Grundsatz infrage stellte, z.B. "Freiheit des Christenmenschen" USW.

C)
Dazu kommt die allgemein übliche u entschiedene Intransparenz im Adel, große politische Zusammenhänge wie die Steuerreformen partout nicht zu kommunizieren, erst recht nicht Bürgern und ganz und gar nicht Bauern, die im Dunkeln tappten und drauf angewiesen blieben, die Übersetzungen der Fakten in religiösen Sprachregelungen zu interpretieren.

So wurden iw. allgemeine Missstände skandalisierbar u nicht nur in Worten... Die extremen Belastungen der Bauern - auch der Bürger - wenn Kriege per Reichskontributionen finanziert werden müssen, waren im Bauernkrieg nicht recht höher als in früheren oder späteren Zeiten.

Lg
 
Zuletzt bearbeitet:
Dieter, ich glaube, das ist so nicht richtig. Den Bauern ging es um die Wiedereinsetzung in alte Rechte. Die Grundherren maßten sich Rechte an und versuchten /setztenn diese auch dem Einzelnen gegenüber durch.
Hörige und Zinspflichtige wie Leibeigene zu behandeln/die Rechte so zu beschneiden, das sie quasi Leibeigene waren...
Auch maßten sich etliche Grundherren an, Zins auf nicht zinspflichtiges Land zu erheben.
Es waren ja nicht die ärmsten, die sich da erhoben haben und eine Abschaffung der Leibeigenschaft kann auch nicht in ihrem Sinne gewesen sein. Die hatten ja wohl z.T. selber Leibeigene.

Es ging eben gerade nicht um eine Revolution der Bauern sondern es war eine Bewegung gegen die Revolutuion des Adels, der einfach mehr Macht haben wollte
 
Dieter, ich glaube, das ist so nicht richtig. Den Bauern ging es um die Wiedereinsetzung in alte Rechte. Die Grundherren maßten sich Rechte an und versuchten /setztenn diese auch dem Einzelnen gegenüber durch.

Die Historiker sind sich bis heute nicht einig über Gewichtung der einzelnen Faktoren, die für den Bauernkrieg ausschlaggebend sind. Das liegt daran, dass die gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen, religiösen und kulturellen Verhältnisse, in denen die Bauern im Vorfeld des Bauernkriegs lebten, zu vielfältig waren. Auf jeden Fall lässt sich festhalten, dass die Herrschaftsträger seit etwa 1500 einen stärkeren wirtschaftlichen und politischen Zugriff nicht nur auf die ländliche, sondern auch auf die städtische Bevölkerung nahmen. Die dörfliche Selbstverwaltung wurde zurückgedrängt zugunsten grundherrlicher Freiheiten, die wirtschaftlichen Grundlagen der bäuerlichen Schicht wurden dadurch gefährdet.

Allerdings ging es den Bauern nicht nur um das "Alte Recht". Seit langem schon war ihr Leben überaus ärmlich, ständig gefährdet von Missernten, Unwettern und Seuchen, zudem seit jeher belastet durch drückende Abgaben und Dienste. Im Zentrum der Beschwerden stand daher die Beschwerdeschrift der "Zwölf Artikel", die das Bestreben ausdrücken, die wirtschaftlichen Handlungsspielräume und politischen Gestaltungsmöglichkeiten auf regionaler Ebene zu behaupten oder auch zu verbessern.

Betrachtet man den Bauernkrieg aus unverstellter Perspektive, muss man feststellen, dass die bäuerlichen Ziele eine rückwärtsgewandte Utopie darstellen. Der Beginn der Neuzeit bringt neue gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen und auch die Lage der Bauern verbessert in der Zukunft. Der Reichstag in Speyer verabschiedet Beschlüsse, die es den Bauern ermöglichen, ihre Anliegen auf gerichtlichem Wege zur Geltung zu bringen. Im Reich kommt es allmählich zu einer "Verrechtlichung sozialer Konflikte", d.h. zu sich verbessernden Möglichkeiten der Untertanen, gegen ihre Obrigkeiten vor den höchsten Gerichten des Reichs zu klagen.

Dass die Unterdrückung der ländlichen Bevölkerung und der Ausschluss von jeder politischen Teilhabe noch Jahrhunderte anhielt, ist ebenfalls eine Tatsache.
 
... und die Unterdrückung der Bauern wurde darauf ja Propagandamotiv der Zentralgewalten, die via Hofrats- und Hofkammerprozessen unter dem Vorzeichen der Bauerschutzpolitik den Landadel aus Staatsbildungsperspektive sukzessive an ihr Recht banden.

Einen Aufschwung dieser Prozessen gibt es dann übrigens im Zusammenhang der Wiederbelebung des Wallfahrtswesens bis um 1600: der Effekt war, dass sich viele Bauern aus verschiedenen Herrschaften nun einigermaßen regelmäßig zu treffen begannen mit dem Effekt, dass die Herrschaften in pto Gerechtigkeit vergleichbar wurden. Der Horizont der Bauern wurde in der Tendenz vom Schollenbezug auf einen regionalen Bezug gehoben - der Landadel konnte von "unten" diskutiert u juridisch ausgehebelt werden.

Übrigens mehrheitlich mitgetragen u deshalb nach Legitimitätsverständnis z.b. von Franz Suarez zeitbezogen völlig legitim.

Lg
 
Zuletzt bearbeitet:
Für eine Revolution spricht, dass aus der Mitte der Aufständischen politische und ideologische Führer hervorgebracht wurden. Es kamen Ideen auf, die selbst nach der Niederschlagung nicht vergessen waren. Wie bei Gaismair (1490-1532) die Gleichheit aller vor dem Gesetz oder die Abschaffung der weltlichen Macht der Kirche.
Mit dem Ende des Bauernkrieges war auch nicht alles aus. 1525 begann sich z.B. unter Konrad Grebel und Felix Mantz in der Schweiz die Täuferbewegung zu bilden. 1528/29 kam es im oberdeutschen Bereich zu einer Verfolgungswelle. Die Täuferbewegung breitete sich daraufhin vornehmlich im niederdeutschen Raum aus. Höhepunkt war 1534 die Täuferherrschaft in Münster.
 
Für eine Revolution spricht, dass aus der Mitte der Aufständischen politische und ideologische Führer hervorgebracht wurden. Es kamen Ideen auf, die selbst nach der Niederschlagung nicht vergessen waren. Wie bei Gaismair (1490-1532) die Gleichheit aller vor dem Gesetz oder die Abschaffung der weltlichen Macht der Kirche..

Nimmt man den soziologischen Revolutionsbegriff, so handelt es sich bei einer Revolution um einen radikalen und meist auch gewalttägen sozialen Wandel der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Das trifft im wesentlichen auf den Bauernkrieg zu, denn die Zwölf Artikel forderten einen solchen "Wandel". Ob der nun ursprünglich auf dem Weg einer "Reform" vor sich gehen sollte, ist belanglos. Viele Revolutionen begannen zunächst mit einem Forderungskatalog und schlugen in gewaltsame Aktionen um, wenn keine oder unzureichende Zusagen gemacht wurden.
 
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