Frühe Neuzeit - Priesterweihe mit angeborener Behinderung?

Mischa

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Hallo :)

ich beschäftige mich gerade (mal wieder) mit dem französischen Staatsmann Talleyrand.

Der musste ja wegen einer körperlichen Behinderung höchst unwillig Priester werden. Wobei nicht klar ist, ob die Behinderung nun - wie Talleyrand selbst immer behauptete - Folge eines Unfalls oder angeboren war. (Heutige Biographen tippen auf Marfan oder ein verwandtes Syndrom)

Was mich jetzt daran interessiert: Ich habe vage in Erinnerung, dass zumindest zu Talleyrands Zeiten niemand mit einer angeborenen körperlichen Deformation zum Priester geweiht werden durfte. Stimmt das oder irre ich mich?
 
Es gibt im Alten Testament eine entsprechende Vorschrift:

... Und der HERR redete mit Mose und sprach:
17 Sage zu Aaron: Wenn einer deiner Nachkommen in künftigen Geschlechtern einen Fehler hat, der soll nicht herzutreten, um die Speise seines Gottes zu opfern.
18 Denn keiner, an dem ein Fehler ist, soll herzutreten, er sei blind, lahm, mit einem entstellten Gesicht, mit irgendeiner Missbildung
19 oder wer einen gebrochenen Fuß oder eine gebrochene Hand hat
20 oder bucklig oder verkümmert ist oder wer einen weißen Fleck im Auge hat oder Krätze oder Flechten oder beschädigte Hoden hat.
3.Mose 21 - Luther 1984 :: Bibleserver.com


Für die Priesterweihe in der katholischen Kirche ist diese Vorschrift aber nicht von Bedeutung.
(Kann sie auch zu Talleyrands Zeiten nicht gewesen sein.)
 
Ich lese in wiki, dass er einen "Klumpfuß" hatte. Schätze ich ähnlich ein wie Sepiola. Das dürfte kein Hindernis zur Weihe gewesen sein. Man müsste im ziemlich unübersichtlichen Corpus Iuris Canonici suchen, wenn man's schwarz auf weiß haben wollte. Im heutigen Codex Iuris Canonici wird das Thema, soweit ich das überblicke, nur in einem Satz angerissen:
"Can. 1029: Weihen sind nur jenen zu erteilen, die [...] sowie über andere der zu empfangenden Weihe entsprechende physische und psychische Eigenschaften verfügen."
Die erforderlichen "physischen Eigenschaften" werden nicht näher erläutert. Ich könnte mir vorstellen, dass z. B. jemand, der extrem gebrechlich ist oder eine schwere Behinderung hat, so dass er von vorneherein gehindert ist, gottesdienstliche Handlungen zu vollziehen, Sakramente zu spenden usw., den Anforderungen an die Weihebewerber nicht entspricht. Ich weiß das aber nicht genau. Jedenfalls wurde in der Kirche körperliche Unversehrtheit m. W. nie zur Bedingung des Weiheempfangs gemacht, wie das etwa bei den jüdischen Hohepriestern noch bis Ende des Zweiten Tempels der Fall gewesen war.

Edit:
Hab gerad noch Can. 1051 gefunden, woraus hervorgeht, dass heute auch "eine gehörige Untersuchung" über "den physischen und psychischen Gesundheitszustand" des Weihebewerbers erforderlich ist, die "seine Eignung für die Ausübung des Dienstes" bestätigt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Fürst Talleyrand schreibt in seinen Memoiren, dass "ich wegen meines zu kurzen Fusses nicht in die Armee eintreten konnte, und dass mithin für einen jungen Mann meines Namens und meiner Geburt nur der geistliche Stand als der passendste übrig blieb." (Memoiren, Bd. I, Seite 15)
Auf die Zeit um 1770 bezogen, als dies für ihn klar wurde, bedeutete dies, dass für den zweitgeborenen Sohn eines Adelshauses oft nur der geistliche Weg blieb, um seine Zukunft zu sichern. Denn die Talleyrands gehörten zwar dem Hochadel an, waren aber materiell eher gar nicht vermögend.

Aus seinen Worten und aus der Historie ergibt sich, dass seine Behinderung kein Hindernis war, Priester und später Bischof zu werden. Ich kenne auch die Vermutungen/Erkenntnisse von Biografen, dass T. Behinderung möglicherweise angeboren war. In keinem mir bekannten Fall allerdings wird darüber spekuliert, dass eine angeborene Behinderung vertuscht werden sollte, um seine Karriere als Kirchenmann nicht zu gefährden.

Grüße
excideuil
 
Hab gerad noch Can. 1051 gefunden, woraus hervorgeht, dass heute auch "eine gehörige Untersuchung" über "den physischen und psychischen Gesundheitszustand" des Weihebewerbers erforderlich ist, die "seine Eignung für die Ausübung des Dienstes" bestätigt.

Can. 1040 — Vom Empfang der Weihen sind fernzuhalten, die mit irgendeinem Hindernis behaftet sind, sei das Hindernis ein dauerndes, das als Irregularität bezeichnet wird, sei es ein einfaches; es wird jedoch kein Hindernis zugezogen, das in den folgenden Canones nicht enthalten ist.Can. 1041 — Irregulär für den Empfang der Weihen ist:
1° wer an irgendeiner Form von Geisteskrankheit oder an einer anderen psychischen Erkrankung leidet, aufgrund derer er nach dem Rat von Sachverständigen als unfähig für die ordnungsgemäße Erfüllung des Dienstes beurteilt wird,
2° wer die Straftat der Apostasie, der Häresie oder des Schismas begangen hat,
3° wer eine Eheschließung, sei es auch nur eine bürgerliche, versucht hat, obwohl entweder er selbst durch ein bestehendes Eheband oder die heilige Weihe oder das öffentliche ewige Gelübde der Keuschheit an einer Eheschließung gehindert war oder die Frau in gültiger Ehe verheiratet oder an das gleiche Gelübde gebunden war;
4° wer vorsätzlich einen Menschen getötet oder eine vollendete Abtreibung vorgenommen hat, sowie alle, die positiv daran mitgewirkt haben;
5° wer sich selbst oder einen anderen schwerwiegend und vorsätzlich verstümmelt oder wer einen Selbstmordversuch unternommen hat,
6° wer eine Bischöfen oder Priestern vorbehaltene Weihehandlung vorgenommen hat, obwohl er entweder die betreffende Weihe nicht empfangen hat oder an deren Ausübung durch eine festgestellte oder verhängte kanonische Strafe gehindert war.
CIC - Buch 4


Fürst Talleyrand schreibt in seinen Memoiren, dass "ich wegen meines zu kurzen Fusses nicht in die Armee eintreten konnte, und dass mithin für einen jungen Mann meines Namens und meiner Geburt nur der geistliche Stand als der passendste übrig blieb." (Memoiren, Bd. I, Seite 15)
Damit war er wohl kein Einzelfall:
Hilarion-François de Boischollet wurde 1746 auf Schloss Bois Cholet in bei L’Herbergement geboren. Die altadelige Familie hatte mehrere bedeutende Marineoffiziere hervorgebracht. Da Hilarion-François wegen einer leichten Körperbehinderung für eine militärische Karriere nicht infrage kam, schlug er eine kirchliche Laufbahn ein.
Hilarion-François de Chevigné de Boischollet ? Wikipedia
 
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