heidnische Bestattung um 1100?

dekumatland

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Im frühen Mittelalter sind Gußformen nachgewiesen, mit denen sich sowohl pagane Thorshammeramulette als auch Kreuze gießen ließen - dass im jahrhundertelag dauernden Prozess der Christianisierung Europas in den angelsächsischen Reichen, bei den Merowingern und noch bei den Karolingern das Heidentum noch nicht gänzlich verschwunden war, dass es auch religiösen Synkretistismus gab, ist bekannt und nicht allzu verwunderlich. Dass am Rand des karolingischen und des byzantinischen Kaiserreichs ganze Landstriche, ganze Ethnien noch heidnisch waren - man denke an die frühmittelalterlichen Slawen, an die Nordmänner - ist auch nicht verwunderlich: das alles betrifft den Zeitraum vom 6.-9./10. Jh.

Was mich aber sehr erstaunt hat, da es so spät datiert ist und da es eben nicht in einem Randgebiet gefunden wurde, ist eine als heidnisch eingeordnete Frauenbestattung auf Jersey aus dem späten 11. bzw. frühen 12. Jh. - siehe Anhang. (die Fotos sind aus dem Museum in St. Helier)

Was ist daran das speziell pagane?
Welche heidnische Religion kann man da ablesen?
...zu diesen Fragen fanden sich im Museum leider keine Antworten.
 

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Die Beschriftung auf dem zweiten Bild besagt meiner Meinung nach nicht zwingend, dass es sich um eine "heidnische Bestattung" oder gar einen Beweis für ein Fortleben einer "heidnischen Religion" handelt. Da steht doch nur, dass die Knochen auf "heidnische Art" angeordnet waren. Ich habe zwar keine Ahnung, was damit konkret gemeint ist, aber man wird es wohl auch ganz zwanglos damit erklären können, dass auch nach der Christianisierung die alte Form der Körper-/Knochenanordnung beibehalten wurde. Warum auch nicht? Diese Art der Anordnung muss doch von den Zeitgenossen gar nicht als heidnisch konnotiert empfunden worden sein, sondern einfach als die Art, wie man bestattet. Die Verstorbene kann trotzdem eine lupenreine Christin gewesen und unter Beisein eines christlichen Priesters bestattet worden sein.
 
Da steht doch nur, dass die Knochen auf "heidnische Art" angeordnet waren. Ich habe zwar keine Ahnung, was damit konkret gemeint ist, aber man wird es wohl auch ganz zwanglos damit erklären können, dass auch nach der Christianisierung die alte Form der Körper-/Knochenanordnung beibehalten wurde.
mag sein - aber wenn das eine ganz normale bzw. gängige Bestattungsweise gewesen wäre, dann müsste man einerseits Vergeichsmöglichkeiten haben (also viele solche "Arrangements") und andererseits im Fall der alltäglichen Normalität wäre das museale Ausstellen mit dem spezifischen Hinweis "in a pagan manner" nicht nötig.
Diese "Knochenanordnung" - wenn sie denn original so ist - kann nur etliche Zeit nach dem Ableben angeordnet worden sein, und das setzt eine Exhumierung voraus nebst dann eben dem arrangieren der Knochen. Derart makabre Praktiken im christlichen Mittelalter? Nach meiner Kenntnis wenn überhaupt, dann nur im Kontext mit Reliquien (Graböffnungen heiliger Gräber etc)
Eine "Körperanordnung" vor der Skelettierung erscheint mir gar zu unwahrscheinlich.

Wo gibt es und in welchem Kontext vergleichbare "Arrangements"?
 
mag sein - aber wenn das eine ganz normale bzw. gängige Bestattungsweise gewesen wäre, dann müsste man einerseits Vergeichsmöglichkeiten haben (also viele solche "Arrangements") und andererseits im Fall der alltäglichen Normalität wäre das museale Ausstellen mit dem spezifischen Hinweis "in a pagan manner" nicht nötig.
Das kommt wohl auch darauf an, wie viele Gräber man aus dieser Zeit auf der Insel überhaupt gefunden hat.

Diese "Knochenanordnung" - wenn sie denn original so ist - kann nur etliche Zeit nach dem Ableben angeordnet worden sein, und das setzt eine Exhumierung voraus nebst dann eben dem arrangieren der Knochen. Derart makabre Praktiken im christlichen Mittelalter? Nach meiner Kenntnis wenn überhaupt, dann nur im Kontext mit Reliquien (Graböffnungen heiliger Gräber etc)
So pietätvoll war der Umgang mit Leichen und Knochen nicht. In vielen Gegenden wurden früher oder später die Skelette auch exhumiert und in Beinhäuser verfrachtet. Dabei kam und kommt es regional auch zu durchaus makabren Sitten wie dem Bemalen von Schädeln.
 
Falls die Präsentation in der Vitrine die in-situ-Lage nachahmen soll, dann wurde der Leichnam offenbar zerteilt, eventuell auch die Knochen vom Fleisch gelöst (müsste man mehr über die Fundumstände wissen). Das war bei christlichen Körperbestattung unüblich, wobei es auch hier Ausnahmen gibt (man denke z.B. an Beinhäuser).
 
Falls die Präsentation in der Vitrine die in-situ-Lage nachahmen soll,
davon gehe ich aus (warum sollte ein Museum solche Knochen willkürlich arrangieren?)
dann wurde der Leichnam offenbar zerteilt, eventuell auch die Knochen vom Fleisch gelöst (müsste man mehr über die Fundumstände wissen).
eine makabre Praxis, den/die Verstorbene/n zu zerteilen, zu entfleischen und dann die Knochen zu arrangieren - ist das irgendwo in Europa nachgewiesen (also praktiziert worden) und in welcher Kultur, zu welcher Zeit?
Das war bei christlichen Körperbestattung unüblich, wobei es auch hier Ausnahmen gibt (man denke z.B. an Beinhäuser).
die Aufschichtungen von Knochen und Schädeln in Beinhäusern geschah allerdings nirgendwo in der Weise, dass man den quasi "frischen" Leichnam zerteilt, entfleischt und arrangiert hätte.
auch ist mir ein christliches Begräbnis mit nachträglicher Bestattung irgendwie arrangierter Knochen/Skelettteile in der Erde (!) nicht bekannt (freilich weiß ich nicht, ob so etwas vielleicht doch praktiziert wurde: deswegen frage ich hier ja nach)
 
eine makabre Praxis, den/die Verstorbene/n zu zerteilen, zu entfleischen und dann die Knochen zu arrangieren - ist das irgendwo in Europa nachgewiesen (also praktiziert worden) und in welcher Kultur, zu welcher Zeit?

In vor- und frühgeschichtlichen Kulturen ist es immer mal wieder zu beobachten.
Einige der bekanntesten Beispiele finden sich in Gallien. In Ribemont-sur-Ancre, einem Heiligtum aus der Zeit von 300 v. Chr., fand sich ein Gebäude, wohl eine Art Empore, in der mehrere hundert Leichen ohne Köpfe und in Rüstungen platziert wurden. In dem Buch "Heiligtümer und Opferkulte der Kelten" wird dies als "Wacht der kopflosen Krieger" bezeichnet. Noch berühmter ist das Beispiel von Entremont, wo sich in einem Oppidum in Nischen platzierte Schädel befanden.

Das Entbeinen menschlicher Körper wurde bereits im Neolithikum praktiziert. Als besonders spektakulär wurde dabei der Fundplatz von Herxheim wahrgenommen, wohl wegen seiner Größe:
Die Kannibalen von Herxheim: Mordermittlung an Opfern aus der Steinzeit | ZEIT ONLINE

Aber kleinere jungsteinzeitliche Bestattungen mit entbeinten Knochen sind schon viel länger bekannt. Dabei ist die Frage umstritten, ob diese Befunde sogar als Ausdruck eines rituellen Kannibalismus zu interpretieren sind oder die Leichen aus anderen Gründen entbeint wurden (was meines Wissens unter Fachwissenschaftler mehrheitlich für wahrscheinlicher gehalten wird).

Auch heute ist das noch nicht ganz vom Tisch, zumindest gibt es bei einigen zentralasiatischen Völkern eine Bestattungsform, die zumindest partiell in eine ähnliche Richtung geht: http://de.wikipedia.org/wiki/Himmelsbestattung

die Aufschichtungen von Knochen und Schädeln in Beinhäusern geschah allerdings nirgendwo in der Weise, dass man den quasi "frischen" Leichnam zerteilt, entfleischt und arrangiert hätte.
Das ist richtig; mit Ausnahme des "Arrangierens" vielleicht. Das kennt man natürlich aus dem Reliquienkult, aber auch aus einigen der Beinhäuser. Hier besonders das Ossuarium von Sedletz: Google-Ergebnis für http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/ea/Mistail_Beinhaus_innen.jpg

Mindestens ein Fall von religiös bedingter Leichenfledderei ist mir bekannt. Das war beim Tod von Elisabeth von Thüringen, wo etliche Menschen Kleidung, Haare, sogar einen Finger abrissen, weil sie sich davon Heilung versprachen (wohlgemerkt, vor der Heiligsprechung).
 
Zuletzt bearbeitet:
eine makabre Praxis, den/die Verstorbene/n zu zerteilen, zu entfleischen und dann die Knochen zu arrangieren - ist das irgendwo in Europa nachgewiesen (also praktiziert worden) und in welcher Kultur, zu welcher Zeit?

Friedrich Barbarossa. Und irgendein schottischer König, dessen Herz von seiner Witwe mitgeführt und dann in ihrem Grab bestattet wurde.
 
Friedrich Barbarossa. Und irgendein schottischer König, dessen Herz von seiner Witwe mitgeführt und dann in ihrem Grab bestattet wurde.
;) so gesehen auch Frederic Chopin, dessen Körper fast komplett in Paris begraben wurde, dessen Herz allerdings in einer Kirche zu Warschau gelagert wird.

allerdings sehe ich da die Ähnlichkeit oder Vergleichbarkeit mit der Frauenbestattung "in heidnischer Weise" aus dem St. Helier Museum nicht so deutlich, wie es dir offenbar deutlich ist - das könntest du noch ein wenig erläutern (zu beachten, dass weder Barbarossa, noch irgendein schottischer König und Chopin Heiden waren :D und alle drei wurden auch nicht "entfleischt" und anschließend "in a pagan manner (?) arrangiert")
 
Die Beschriftung des Museums sagt, die Knochen des Skeletts hätten in "paganer Weise" gelegen.

Heidnische Bestattungen erfolgten nach unterschiedlichen Mustern. So gab es z.B. das Hockergrab, bei dem der Leichnam mit angewinkelten Armen und Beinen niedergelegt wurde. Ferner finden sich Bestattungen, bei denen dem Toten Arme und Beine gefesselt wurden, was einen "Wiedergänger" verhindern sollte, der Lebenden Schaden zufügte.
 
allerdings sehe ich da die Ähnlichkeit oder Vergleichbarkeit mit der Frauenbestattung "in heidnischer Weise" aus dem St. Helier Museum nicht so deutlich, wie es dir offenbar deutlich ist - das könntest du noch ein wenig erläutern (zu beachten, dass weder Barbarossa, noch irgendein schottischer König und Chopin Heiden waren :D und alle drei wurden auch nicht "entfleischt" und anschließend "in a pagan manner (?) arrangiert")

Doch, doch, Barbarossa wurde nach "deutscher Sitte" (mos teutonicus) entfleischt.
 
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auch ist mir ein christliches Begräbnis mit nachträglicher Bestattung irgendwie arrangierter Knochen/Skelettteile in der Erde (!) nicht bekannt (freilich weiß ich nicht, ob so etwas vielleicht doch praktiziert wurde: deswegen frage ich hier ja nach)

Nicht in der Erde, aber eine Bestattung in zwei Phasen fand z.B. in der königlichen Gruft im Escorial statt. Dort sind neben der Eingangstreppe zwei kleine (belüftete!) Kammern, die der uns seinerzeit führende Mönch als "Pudrideros" (Fauler) bezeichnete, in denen die Leichen erst einmal abgestellt wurden. Nach der Verwesung wurden dann die Knochen in die relativ kleinen Steinsarkophage umgebettet.
 
Doch, doch, Barbarossa wurde nach "deutscher Sitte" (mos teutonicus) entfleischt.
Potztausend!!!...
und das - einen schwupps nach dem Ableben entfleischten Rotbart - hat sich Heine (Wintermärchen) entgehen lassen??? kaum zu glauben (bin wirklich erstaunt: denn damit hätte Heine den Rotbart samt Kaisertum noch mehr durch den Kakao gezogen)

Wo findet sich die mos-teutonicus-Entfleischungssitte?
 
Wo findet sich die mos-teutonicus-Entfleischungssitte?
in Ermangelung einer Antwort hab ich selber allerlei nachgeschaut, eine einfache erste Zusammenfassung bietet Mos teutonicus ? Wikipedia

Das hat sich Heinrich Heine tatsächlich entgehen lassen (evtl. wusste er von dieser Praxis nicht) - allerdings: das war überwiegend eine Ausnahme, betraf nur höchst prominente Verblichene und wohl auch nur zum Zweck der Überführung über sehr weite Distanzen (damals ohne Flieger, ohne ICE, ohne Kühlbox etc.) ;) .... dass die in St. Helier ausgestellten Frauengebeine eine prominente, also sehr hochgestellte Kreuzfahrerin präsentieren, erscheint mir recht wenig wahrscheinlich, da keine Quellen auf dergleichen für die Kanalinseln hinweisen. Obendrein hat das Präparieren eines Leichnams zum Transport über sehr weite Distanzen nach mos teutonicus zunächst nichts mit einem arrangieren der Knochen nach heidnischer Manier (in a pagan matter) zu tun.

Mir stellt sich immer noch die Frage, was das pagane am abgelichteten "Arrangement" ist.
 
Vielleicht solltest du erst mal mit dem Museum klären, ob das Arrangement tatsächlich so war, wie in der Virtine ausgestellt. Ob man die Gebeine in situ tatsächlich so wohlgeordnet nebeneinander fand.
 
Vielleicht solltest du erst mal mit dem Museum klären, ob das Arrangement tatsächlich so war, wie in der Virtine ausgestellt.
Auf gar keinen Fall werde ich mich mit Zweifeln an der Seriosität (war das so, wie ihr das präsentiert, oder ist das geschönt oder aufgepeppt?) an ein preisgekröntes Museum wenden - ich gehe davon aus, dass diejenigen, die so etwas präsentieren http://www.geschichtsforum.de/726813-post7.html , ihren Job beherrschen.

Kurzum habe ich keine Zweifel an Vitrine - meine Frage ist da nach wie vor, was die pagane Art und Weise ist. Und genau mit dieser Frage habe ich mich an das Museum gewendet und warte nun auf Antwort per e-mail.

Die ausgestellten Gebeine stammen zwar aus dem Bailiwick (Vogtei) Jersey, nicht aber von der Hauptinsel, sondern von einer Gruppe winziger Inselchen namens Les Ecréhous - theislandwiki . Das Haupt"islet" dieser Gruppe ist gerade mal knapp über 300m lang... Diese felsigen Mini-Eilande zwischen Jersey und dem Festland sind zu historischen Zeiten nie sonderlich dicht bevölkert gewesen ;) Der Name Ecrehous soll aufs nordische zurückgehen (wie zahlreiche Ortsnamen auf den Kanalinseln) Die Datierung der Gebeine weist in die normannische Zeit.

Zwar ist auf dieser Mini-Insel eine Kapelle belegt, sie soll schon vor der Normannenzeit bestanden haben, zwar ist die Kapelle im 12. Jh. erwähnt - allein aufgrund der Winzigkeit des Archipels muss man davon ausgehen, dass sich nie eine größere Anzahl von Bewohnern dort aufgehalten hat. Für das 13. Jh. sind ein Priester, ein Mönch und ein Bediensteter erwähnt.

Das alles macht die um das Jahr 1100 beerdigte Frau, deren Gebeine als "in a pagan matter" arrangiert bezeichnet werden, um so rätselhafter: wer war sie? wie und warum kam sie auf das Mini-Archipel?
 
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