Russland 1914: Historische Voraussetzung und der Eintritt in den WW1

Danke euch beiden.

Ich werde versuchen es zu verstehen,
und vielleicht auch in Auszügen zu übersetzen.

Grüße hatl
 
..
Vor diesem Hintergrund trägt Russland im Rahmen seiner Rolle als Großmacht und als Teilnehmer an einem europäischen Wettrüsten seinen Anteil an den langfristigen Ursachen für den WW1. Hinsichtlich der kurzfristigen Faktoren für den Juli 1914 liegt der Anteil seiner Verantwortung eher unter dem anderer Mächte.

Ich denke es ist erwähnenswert, dass der von Dir erwähnte Trachtenberg in diesem Punkt die genaue Gegenposition vertritt.
Folgt man seiner Darstellung war die Haltung des DR "reaktiv" und nicht aktiv, und könne dergestalt kaum als "destabilisierend" betrachtet werden. Nach Trachtenberg sind sowohl die Mobilisierung Russlands, als auch die vorangegangenen Vorbereitungen dazu, nicht etwa als Kriegsvermeidungsstrategien zu sehen, sondern als Handlungen, die sich aus der Einschätzung ergaben, dass der große europäische Krieg unvermeidlich sei, und es deshalb ein Gebot der Stunde sei, sich diesem, im vollen Bewußtsein der unvermeidbaren gesamteuropäischen Ausweitung, zu stellen.
 
Ich denke es ist erwähnenswert, dass der von Dir erwähnte Trachtenberg in diesem Punkt die genaue Gegenposition vertritt.

Das ist so sicherlich nicht korrekt. Er schreibt: "Their strategy was not preemtive but reactive: for political resaons, they were conceding the first move to their adversaries." (Trachtenberg: The coming of the firste world war. in : ders: History & Strategy,S. 95)

Das bezieht sich im wesentlichen auf die enge zeitliche Abfolge der Mobilisierungen, aber nicht auf die strategische Entscheidung von Moltke, der russischen finalen Rüstung des Jahres 1916 zu "prävenieren".
 
Das ist so sicherlich nicht korrekt. Er schreibt: "Their strategy was not preemtive but reactive: for political resaons, they were conceding the first move to their adversaries." (Trachtenberg: The coming of the firste world war. in : ders: History & Strategy,S. 95)

Das bezieht sich im wesentlichen auf die enge zeitliche Abfolge der Mobilisierungen, aber nicht auf die strategische Entscheidung von Moltke, der russischen finalen Rüstung des Jahres 1916 zu "prävenieren".

Thane, da muss ich Dir doch widersprechen.
Trachtenberg stellt in "The Meaning of Mobilization in 1914" ganz eindeutig seine Einschätzung dar, dass die russische Entscheidung zu mobilisieren als Kriegsentscheidung zu verstehen war und von den Entscheidern auch genau so verstanden wurde.
Auf der anderen Seite drängten die russischen Generäle auf eine frühe Mobiliserung. Doch dies geschah nur weil sie aus politischen Gründen den Krieg für unausweichlich hielten, eine Sicht die auch von der zivilen Regierung geteilt wurde. Eine Entscheidung für die Generalmobilmachung war ganz bewußt auch eine Entscheidung für den Krieg: Es war nicht der Fall, dass Sazanov, und die politische Führung als solche, während sie verzweifelt versucht hätten den Frieden zu wahren, durch den „Sog der militärischen Zielvorgaben“ in den Abgrund gezogen wurden.
(PDF-Seite 30 oben - Übersetzung durch mich)
Es ist richtig, dass das DR aus politischen Gründen den ersten Schritt nicht selbst tun wollte, wie Du oben Trachtenberg zitierst.
Nur gibt das ja noch keine Verschärfung der Kriegsgefahr, denn hätte Russland es ebenso gesehen wär wohl nichts weiter passiert.
Daher meine ich, dass Deine Sicht:
"Hinsichtlich der kurzfristigen Faktoren für den Juli 1914 liegt der Anteil seiner [Russlands] Verantwortung eher unter dem anderer Mächte."
von Trachtenberg nicht geteilt wird. Sondern es nach seiner Darstellung vielmehr so ist, dass Russland gerade bei der Eskalierung in der Schlussphase eine hervorgehobene Rolle spielte.
Sazonov ging weder in die Falle seiner eigenen Ignoranz, noch wurde er durch den Druck der Generäle überwältigt. Er hatte seine Entscheidungen sehenden Auges gefällt; er wurde nicht in eine Panikreaktion gedrängt.
Um es also zusammenzufassen: obwohl Präemption [die Absicht Anderen durch den ersten Schritt zuvorzukommen] offenkundig 1914 einen Einfluss hatte, so wird diese in einem großen Teil der Literatur stark übertrieben. Sie [die Präemption] spielte in den letzten Stunden der Krise auf russischer Seite eine Rolle, und selbst hier nur deshalb weil es der politischen Einschätzung entsprach, dass der Krieg unausweichlich sei. Beim Entstehen dieses Urteil, spielte sie [die Präemption] eine sehr geringe Rolle im Vergleich zu all den anderen Faktoren die an erster Stelle standen. Auf Seiten der Deutschen war sie minimal. Die Deutschen wollten, dass die Russen als die Ersten eine Mobilmachung anordneten, und wären hocherfreut gewesen, wenn nach dieser die Franzosen als erste angegriffen hätten. 94) Ihre Strategie war nicht präemptiv sondern reaktiv: aus politischen Gründen überließen sie den ersten Schitt ihren Widersachern. In gegewärtiger Terminologie war dies eher eine „Zweitschlag-“ als eine „Erstschlagstrategie“ und kann in diesem Sinn kaum als „destabilisierend“ betrachtet werden.
(PDF-Seite 29 - Übersetzung durch mich)

Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass Trachtenberg sich hier nicht mit den vorgelagerten Gründen der Kriegsentstehung beschäftigt, sondern mit der Frage ob dieser Krieg versehentlich entstanden sei (man insbesondere durch vorhandene militärische Systeme 'hineinschlitterte') und ob eine solche Vorstellung historisch begründbar ist.
 
Gerade gefunden:

Im Zuge Lemberg-Offensive nahmen k.u.k. Truppen Einheiten aus Sibirien und dem Kauskasus gefangen. Aufgrund der enormen Tiefe des russischen Raumes gelangt Manfried Rauchensteiner zu dem Schluß, das Russland bereits viel früher als bisher bekann, nämlich im letzten Drittel des Juli 14, begonnen haben muss zu mobilisieren und sich systematisch auf dem Krieg vorzubereiten.

Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburger-Monarchie, S.248
 
Gerade gefunden:
Im Zuge Lemberg-Offensive nahmen k.u.k. Truppen Einheiten aus Sibirien und dem Kauskasus gefangen. Aufgrund der enormen Tiefe des russischen Raumes gelangt Manfried Rauchensteiner zu dem Schluß, das Russland bereits viel früher als bisher bekann, nämlich im letzten Drittel des Juli 14, begonnen haben muss zu mobilisieren und sich systematisch auf dem Krieg vorzubereiten.

Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburger-Monarchie, S.248

Die Angabe mit den Gefangenen stammt originär mW aus dem offiziellen Kriegswerk "Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914-18",* und ist ansonsten nicht belegt.

Die russische Mobilmachung ist ja nun faktenbezogen gut aufgeklärt.

Selbst wenn es -Nachweise fehlen - voll zutreffen würde, so liegt in "sibirischen Gefangenen" nichts Besonderes, da solche geringfügigen Durchmischungen aktiver Korps (auch Reservistenkorps, da sich einen Grundstock stehender Truppen als Beimischung hatten, somit auch "Sibirier" oder "Kaukasier") mit verschiedenen ethnischen Gruppen Russlands schon durch die "Militärkarrieren" bereits in Friedenszeiten vorhanden waren.

Was Rauchensteiner auf S. 248 aufführt ist, dass die (geschlossenen) Sibirischen Truppeneinheiten (!, nicht: "Sibirier") ab dem 60. Tag im Westen eintrafen, die Kaukasischen Einheiten früher. Das sind "im Ganzen" verlegte Divisionen bzw. Korps, die aus den östlichen Militärbezirken stammten und dort versammelt worden sind. Wie auch umgekehrt der Fall, wird man in diesen Einheiten auch "westliche" russische Militärangehörige an (nämlich aus den "Stämmen" der Reservisten-Truppenkörper).

Den "Schluss", man habe schon etwas früher mobilisiert, zieht Rauchensteiner mW aus dem frühen Auftreten der ersten Reservistenverbände ab Ende August 1914:

"Der russische Aufmarsch hatte etwas länger gebraucht als der österreichisch-ungarische und der deutsche. Nichtsdestoweniger war er, wie dann auch der k. u. k. Kriegsminister Baron Krobatin im September zugab, rascher als erwartet vonstattengegangen. Die Reservedivisionen waren schon Ende August mobilisiert gewesen, was darauf schließen ließ, dass die Russen ihre Mobilmachung schon früher eingeleitet und sich systematisch auf den Krieg vorbereitet hatten. Wenn etwas den russischen Aufmarsch zu verzögern mochte, dann der Eisenbahntransport. Am 15. Mobilmachungstag, das war der 15. August, war ein Drittel der russischen Truppen konzentriert gewesen. Am 30. Tag, also erst nach dem Beginn des Vormarsches der österreichisch-ungarischen Truppen, waren zwei Drittel versammelt. Zwischen dem 30. und dem 60. Mobilmachungstag begannen Kavallerie und Infanterie des zweiten Aufgebots aus den westlichen Militärbezirken einzutreffen. Und schließlich, nach dem 60. Mobilmachungstag, also ab Oktober, trafen die Truppen aus Sibirien ein."


* Die Stelle habe ich noch nicht gefunden, aber auf S. 324 (ÖULK, Band 1) wird als Entschuldigung für die Niederlage in den Grenzschlachten wie folgt argumentiert:

"Nun ist die immer wiederkehrende Behauptung, Rußland habe schon kürzere oder längere Zeit vor dem 30. Juli 1914 eine Reihe von Armeekörpern, zumal die sibirischen, auf Kriegsfuß gesetzt, wohl nicht aufrecht zu erhalten. Diese Gerüchte wurden durch die häufigen ,,Probemobilisierungen", zum Teil auch durch den im Frühjahr 1914 verspätet durchgeführten Mannschaftswechsel hervorgerufen. Aber auch ohne solchen übermäßigen Zeitgewinn erzielte Rußland dadurch, daß es nach großzügigen vorbereitenden Maßnahmen schon am 30. Juli mobilisierte, gegenüber dem habsburgischen Heere einen Vorsprung von nahezu einer Woche."
 
Zuletzt bearbeitet:
silesia schrieb:
"Nun ist die immer wiederkehrende Behauptung, Rußland habe schon kürzere oder längere Zeit vor dem 30. Juli 1914 eine Reihe von Armeekörpern, zumal die sibirischen, auf Kriegsfuß gesetzt, wohl nicht aufrecht zu erhalten

Wie kommt Rauchensteiner denn bloß dazu, so eine These aufzustellen?
 
Mal etwas ganz anderes! Die Frage interessiert mich, weil ich es nicht weiß. Die k. k. Armee erlitt ja in den Schlachten um Lemberg hohe Verluste, vor allem an aktiven Berufsoffizieren. Was ist eigentlich von der These zu halten, dass die Armee durch das Material, das Alfred Redl den Russen verkaufte, stark geschädigtz wurde. ist da wirklich etwas dran, oder war das bloß eine Schutzbehauptung, um Fehlentscheidungen der Führung zu kaschieren? Wusste man innerhalb des Generalstabs um das volle Umfang der Informationen, die weitergegeben wurden und wenn ja, welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?
 
thanepower schrieb:
1. In vorangegangenen Krisen zwischen 1905 und 1913 hat Russalnd als Großmacht dem DR bei politischen Konflikten nachgegeben wie 1908 besonders deutlich.

Bei der bosnishen Annektionskrise ist aber zu beachten, das Iswolsky hier ein ziemlich trübe Rolle gespielt. Als er in Paris zur Kenntnis nhemen musste, dass das Abkommen von Buchlau öffentlich geworden war, begann er schlicht dreist zu lügen. Und das Serbien Ansprüche auf Kompensation erhob, war nach damaligen Maßstäben auch eine Unverschämtheit. Und iswolsky unterstützte die Serben tüchtig bei ihren Ansinnen. Es ist Iswolsky Fehler, wenn er sich nicht im Vorfelde mit seinen Freunden, Frankreich und Großbritannien, abgestimmt und deren Zustimmung für die Dardanellenfrage eingeholt hat. Und Iswolsky wollte in dieser Krise ja auch einfach keine Ruhe geben, dabei war er es, der einen Anfall von Amnesie bekommen hatte und seine Zusagen ableugnete. Das ausgerechnet dieser Mann später Botschafter Petersburg in Paris wurde, das war sicher alles andere als eine gute Wahl.
 
Ich denke es ist erwähnenswert, dass der von Dir erwähnte Trachtenberg in diesem Punkt die genaue Gegenposition vertritt.
Folgt man seiner Darstellung war die Haltung des DR "reaktiv" und nicht aktiv, und könne dergestalt kaum als "destabilisierend" betrachtet werden. Nach Trachtenberg sind sowohl die Mobilisierung Russlands, als auch die vorangegangenen Vorbereitungen dazu, nicht etwa als Kriegsvermeidungsstrategien zu sehen, sondern als Handlungen, die sich aus der Einschätzung ergaben, dass der große europäische Krieg unvermeidlich sei, und es deshalb ein Gebot der Stunde sei, sich diesem, im vollen Bewußtsein der unvermeidbaren gesamteuropäischen Ausweitung, zu stellen.


Ganz genauso verstehe ich Trachtenberg auch. Seine Ausführungen, lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Dort steht zu lesenn, das die Vorstellung, das die Russen im Glauben einer Abschreckung, eben durch ihre Maßnahme der Mobilisierung, handelten, jeder Grundlage entbehrt. Am 25.07. hat der britische Botschafter Sasnow eine deutliche Warnung zukommen lassen, welche fatalen Folgen eine russische Mobilmachung in Bezug auf die Reaktion auf das Deutsche Reich haben würde. Sasnow parierte mit dem Hinweis der sicheren französischen Unterstützung und sich somit allen Risikien des Kieges stellen würde.
Sasnow räumt selbst in seinen geschönten Memoiren aus, das er von Pourtales eine entsprechende Warnung erhalten hätte, was eine deutsche Mobilmachung bedeute. Darüber hinaus hat Bethmann die Russen auch entdeutig gewarnt, was das Voranschreiten der militärischen Maßnahmen Russlands für Konsequenzen, letzten Endes eben die deutsche Mobilmachung, haben würde. In einen weitere Gespräch zwischen Sasnow und Pourtales wird deutlich, das Sasnow den Wink Bethmann verstanden hatte. Selbst Grey verstand was es für negative Folgen, Aufgabe des Zeitvorteils, wenn die Deutschen ruhig sitzenbleiben, während die Russen mobilisieren. Und trotzdem riet Sasnow den Zaren Generalmobilmachung in voller Kenntnis der fatalen Folgen. Nikolaus hatte Sasnow auch entsprechend ermahnt, an die grauenhaften Folgen, die Abertausenden von Toten, zu bedenken.
 
Was ich in dem gegebenen Kontext für nicht ganz unwichtig halte, ist der französische Präsident Poincare. Er wandelte das Bündnis mit Russland in ein offensives um. So versicherte Poincare im März des Jahres 1912 des russischen Botschafter Iswolsky, der das umgehend seinen Außenminister Sasonow mitteilte, das Frankreich zwischen einen lokalen Konflikt auf dem Balkan und seinen übergeordneten strategischen Interessen keinen prinzipiellen Unterschied mehr mache.
Nachzulesen bei Clark und Leonhard.
Poincare erteilte damit den Russen schon mehr oder weniger einen Blankoscheck und er verrengte vollkommen unnötig die französischen Handlungsoptionen um im Falles eines Falles mäßigend auf Petersburg einwirken zu können. Das war aber wohl auch Poincare Absicht; er Anhänger einer starken Politik gegenüber dem Deutschen Reich. Das Ende vom Lied ist ja hineichend bekannt.

Poincare sah die Möglichkeit des heraufziehenden 1.Balkankrieges, war wahrscheinlich von den Russen über das Bündnis informiert worden, und sah sich in vorauseilenden Gehorsam veranlasst, die französische Position für den Fall von Verwicklungen mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich schon einmal klarzustellen. Das ist sicher auch als Ermutigung zu begreifen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie kommt Rauchensteiner denn bloß dazu, so eine These aufzustellen?

Wobei es ja die Frage ist, welche These Rauchensteiner hier (Der Erste Weltkrieg - Und das Ende Der Habsburger Monarchie - Seite 248) aufstellt.
Denn wie Silesia korrekt zitiert schreibt er "Die Reservedivisionen waren schon Ende August mobilisiert gewesen, was darauf schließen ließ, dass die Russen ihre Mobilmachung schon früher eingeleitet und sich systematisch auf den Krieg vorbereitet hatten." (Hervorhebung durch mich)
Er bezieht sich möglicherweise (oder naheliegend) eher auf die Wahrnehmung der k.u.k-Seite zur fraglichen Zeit. Denn er schreibt ja nicht 'was darauf schließen lässt'.
Wollte man hier eine These Rauchensteiners sehen, so ginge diese nicht notwendigerweise aus der Betrachtung auf Seite 248 hervor, sondern es bräuchte eine weitere Begründung.
 
Wobei es ja die Frage ist, welche These Rauchensteiner hier (Der Erste Weltkrieg - Und das Ende Der Habsburger Monarchie - Seite 248) aufstellt.
Denn wie Silesia korrekt zitiert schreibt er "Die Reservedivisionen waren schon Ende August mobilisiert gewesen, was darauf schließen ließ, dass die Russen ihre Mobilmachung schon früher eingeleitet und sich systematisch auf den Krieg vorbereitet hatten." (Hervorhebung durch mich)
Er bezieht sich möglicherweise (oder naheliegend) eher auf die Wahrnehmung der k.u.k-Seite zur fraglichen Zeit. Denn er schreibt ja nicht 'was darauf schließen lässt'.
Wollte man hier eine These Rauchensteiners sehen, so ginge diese nicht notwendigerweise aus der Betrachtung auf Seite 248 hervor, sondern es bräuchte eine weitere Begründung.

Ich schätze Rauchensteiner (auch seine Darstellungen zum Kriegsende 1945) im Übrigen sehr, aber - um das mal auf den Punkt zu bringen - hier schwafelt er herum. Die MOB-Phase der russischen Seite ist reichlich geklärt, man kann die Divisionen mit Zeit und Ort des Auftretens durchdeklinieren. Daran ist nichts Mysteriöses, was der bekannten Dramaturgie der letzten Juli-Dekade widersprechen würde.

Bemerkenswert ist höchstens das organisatorische Desaster der österreichischen Mobilisierung, nachdem man diesen Krieg und diese Front seit dem 7.7.1914 vorsätzlich auf dem Schirm hatte, und hineinstolperte, als wäre man kalt erwischt worden.
 
Ich schätze Rauchensteiner (auch seine Darstellungen zum Kriegsende 1945) im Übrigen sehr, aber - um das mal auf den Punkt zu bringen - hier schwafelt er herum. Die MOB-Phase der russischen Seite ist reichlich geklärt, man kann die Divisionen mit Zeit und Ort des Auftretens durchdeklinieren. Daran ist nichts Mysteriöses, was der bekannten Dramaturgie der letzten Juli-Dekade widersprechen würde.

Bemerkenswert ist höchstens das organisatorische Desaster der österreichischen Mobilisierung, nachdem man diesen Krieg und diese Front seit dem 7.7.1914 vorsätzlich auf dem Schirm hatte, und hineinstolperte, als wäre man kalt erwischt worden.

Ich kann jetzt nicht erkennen inwiefern Rauchensteiner hier 'herum schwafelt' und nicht etwa, so wie ich es vermute und zu verstehen meine, eine zeitgenössische Sicht der k.u.k.-Seite wiedergibt.
Und es scheint mir doch auch so zu sein, dass sich in der Dynamik der Julikrise das hervorhebt, was Du anderer Stelle so beschrieben hast:
Der Erste Weltkrieg wird von den verschiedenen "beteiligten"/engagierten wissenschaftlichen Disziplinen als eines, oder sogar als das komplexeste Ereignis der Weltgeschichte angesehen.
http://www.geschichtsforum.de/736862-post17.html
 
Ich kann jetzt nicht erkennen inwiefern Rauchensteiner hier 'herum schwafelt' und nicht etwa, so wie ich es vermute und zu verstehen meine, eine zeitgenössische Sicht der k.u.k.-Seite wiedergibt.

Das ist relativ einfach:

Rauchensteiner gibt hier nicht nur zeitgenössische Sicht dar, sondern er stützt sich quellenseitig ohne Prüfung auf ÖUlK Band I und transportiert die dortige Spekulation. Damit kommt er bei seinem Standpunkt an, dass ÖU hier einer längerfristig geplanten russischen Inszenierung erlegen sei, und das Rußland angeblich früher als bekannt mobil gemacht habe.
 
Kaiser Franz-Josepf erließ am 31.Juli die allgemeine Mobilmachung, der sogenannte Kriegsfall R, wobei aber aus eisenbahntechnischen Gründen der 04.August der erste Mobilmachungstag war.
Zu diesem Zeitpunkt aber hatten die Abtransporte der B-Staffel aus Böhmen bereits abzurollen begonnen.

Denn erst am 30.Juli drahete der k.u.k. Militärattchè Prinz Hohenlohe aus Petersburg, Russland hätte ein viel zu großes Machtaufgebot, nämlich die vier an der Monarchie grenzenden Militärbezirke, für einem Krieg um das "kleine" Serbien mobilisiert. Diese schwer eskalierende Maßnahme Russlands ließ den Kriegsminister Feldzeugmeister Krobatin und Außenminister Berchtold nunmehr ernsthaft die Notwendigin Betracht zu ziehen, die noch nicht mobilisierten acht Korps gegen Russland aufzurufen.

Auch die Truppen des IV. und VII. Korps waren schon in Bewegung und mit jeder weiteren Stunden bestiegen weitere Abteilungen die bereitstehenden Waggons.

Die alles entscheidende Frage, ob man die Zugketten auf ihren weg nach Süden anhalten und über die Karpaten nach Gallizien abdrehen sollte, wurde aus bahntechnischen Gründen abgelehnt.
 
Das ist relativ einfach:

Rauchensteiner gibt hier nicht nur zeitgenössische Sicht dar, sondern er stützt sich quellenseitig ohne Prüfung auf ÖUlK Band I und transportiert die dortige Spekulation. Damit kommt er bei seinem Standpunkt an, dass ÖU hier einer längerfristig geplanten russischen Inszenierung erlegen sei, und das Rußland angeblich früher als bekannt mobil gemacht habe.

Das Bündnis zwischen Russland und Frankreich war ja schon balkanisiert worden. Eine wichtige Voraussetzung für Russland aggressives Agieren.
 
Was ich in dem gegebenen Kontext für nicht ganz unwichtig halte, ist der französische Präsident Poincare. Er wandelte das Bündnis mit Russland in ein offensives um. So versicherte Poincare im März des Jahres 1912 des russischen Botschafter Iswolsky, der das umgehend seinen Außenminister Sasonow mitteilte, das Frankreich zwischen einen lokalen Konflikt auf dem Balkan und seinen übergeordneten strategischen Interessen keinen prinzipiellen Unterschied mehr mache.
Nachzulesen bei Clark und Leonhard.
Poincare erteilte damit den Russen schon mehr oder weniger einen Blankoscheck und er verrengte vollkommen unnötig die französischen Handlungsoptionen um im Falles eines Falles mäßigend auf Petersburg einwirken zu können

Warum Leonhard hier aufgezählt wird, obwohl er Wertungen nur von Clark abschreibt und keinen eigenen Beitrag zur Klärung bringt, verstehe ich nicht. Es ist bemerkenswert: das Standardwerk zu Frankreich (Keiger, France and the Origins) wird von Leonhard überhaupt nicht verwertet, nicht mal im Literaturverzeichnis aufgezählt (Keiger taucht einmal mit der Poincare-Biografie auf, in der Forschung dürfte man so ein Einzelzitat wohl als Feigenblatt sehen)

Hier sehe das auch inhaltlich anders: es gibt keine Balkanisierung der französischen Außenpolitik im Kontext eines - angeblich! - aufgebohrten frz-russischen Zweiverbandes. Was sich zwischen 1905 und 1914 entscheidend verändert hat, ist der Wert der russischen Beistandsgarantie für Frankreich durch
a) die ökonomische und militärische Entwicklung Russlands
b) die deutschen Drohungen, speziell 1905/1911
c) der Rüstungswettlauf aller Großmächte


Zur Interpretation des Vertrages siehe bei Keiger (France and the Origins of the First World War) und Kennan:

http://www.geschichtsforum.de/f62/r...voraussetzung-und-der-eintritt-den-ww1-48326/

Die Interpretation der vertraglichen Bindungen des Zweiverbandes ist in der Forschung höchst umstritten. Derzeitige Basis und sozusagen Ausgangspunkt des Streits ist die Analyse von George Kennan (siehe auch Schmidt, Julikrise und Keiger, France and the origins..., etc.).

Kennan hat herausgearbeitet, dass der Vertrag im Wortlaut der Artikel 1 und 2 widersprüchlich ist (ironisch mit "gegenseitiger Lüge" bezeichnet), außerdem und unbedingt (Artikel 2) gegenseitigen Beistand für den europäischen Krieg mit den Mittelmächten unabhängig von "Agression" oder Verursachung ansieht.

Anders als die Bedeutung des Vertrages für Russland ist der Vertragswert für Frankreich in einer existentiellen Lebensversicherung gegen den Konflikt mit dem Deutschen Reich einzuschätzen. Die 1912 (und 1909) bereits formulierte politische Linie der französischen Außenpolitik hatte die prinzipielle Vorstellung, dass eine Konfrontation von ÖU und RUS in jedem Fall die deutsche Mobilmachung auslösen würde.

Das ist wiederum der Bündnisfall gemäß Artikel 2.

Wie bereits zwischen FRA und RUS Mittel Juli 1914 formuliert, ging man (zutreffend!) davon aus, dass das Deutsche Reich hinter einem österreichischen Angriff auf Serbien stehen würde, für den Russland (das eigentliche Ziel von Bethmanns Risikopolitik und von Deutschlands Blankoscheck, der eine antirussische Zielrichtung hatte) beistandspflichtig wird.

Ein Teil der Literatur, der im Juli 1914 nun eine Erweiterung der Bündnispflichten FRAs gegenüber Russland sieht, bis hin zu einem französischen Blankoscheck, interpretiert diese Verträge ausschließlich politisch-formal, und übersieht außerdem die geänderten politisch-militärischen Rahmenbedingungen gegenüber 1894. Die Vertragsrealitäten und der materielle Gehalt des Vertrages werden vielmehr - üblich in der juristisch-vertraglichen Auslegung der Verpflichtungen - teleologisch ermittelt: Den europäischen Großmächten war 1914 völlig klar, dass eine Generalmobilmachung die äußerste diplomatische Krise, kurz vor einem möglichen Krieg, bedeutet. Dafür bestand die Beistandsverpflichtung nach Artikel 2 unabhängig vom Anlass.

Die teleologische Auslegung des Vertrages wird aus dem Schriftwechsel 1909 deutlich:

a) Erhaltung des Friedens und des militärischen Gleichgewichts in Europa (durch Abschreckung, eine vergleichbare Grundkonstellation wie die Bündnissysteme im Kalten Krieg)
b) Sicherung der gemeinsamen und dauerenden Interessen der beiden Länder (zu einzelnen Krisenfall definieren!).

Der materielle Gehalt des Vertrages bestand damit seit 1894 in einer Abwägung.

FRA hat zuvor in mehreren Krisen in genau dieser Abwägung signalisiert, es sehe den Bündnisfall nicht als gegeben an. Diese Abwägung musste im Juli 1914 anders ausfallen, in dem prognostizierten worst case: Krieg ÖU/RUS und sofortige Beteiligung des DR gegen RUS.

1914 war man sich klar, dass
a) das DR hinter der kriegskalkulierenden Haltung von ÖU "steckt"
b) dass wie 1911 (diplomatische "Blaupause" für die abschreckend-feste Haltung gegen das DR in Form der Mansion-House-Rede), somit ein Signal der Festigkeit gegenüber DR/ÖU den Krieg vermeiden würde
c) die Mittelmächte eine Interessenzone über Südosteuropa bis zu den Meerengen ausdehnen wollten (siehe Rose) und damit das europäische Gleichgewicht verschieben wollen.

In genau dieser Abwägung ist keine Ausdehnung/Erweiterung des Bündnisfalles des Zweiverbandes FRA/RUS gegeben, sondern die Anwendung seines Grundtatbestandes. Wie gesagt, diese Interpretation ist in der Literatur umstritten, ebenso wie die konträre Auffassung, nach dem Wortlaut des Vertrages sei eine Erweiterung des Bündnisregelungen vorgenommen worden.

Es ist daher sicher nichts dagegen einzuwenden, die Position der "Erweiterung der frz. Bündnispflichten" mit Verweis auf einige Autoren zu vertreten (die Position "französischer Blankoscheck" ist mE völlig überzogen, weil hier allein der Vorbehalt einstand, dass GB ebenfalls eine harte Haltung und ggf. Beistand garantieren würde).

Der Position sollte man allerdings der Klarheit halber anfügen, dass sie in den Detailforschungen zu dieser Frage keine herrschende Auffassung darstellt.



oder auch hier:
http://www.geschichtsforum.de/f62/p...d-im-juli-1914-a-31936/index4.html#post483142
 
silesia schrieb:
Warum Leonhard hier aufgezählt wird, obwohl er Wertungen nur von Clark abschreibt und keinen eigenen Beitrag zur Klärung bringt, verstehe ich nicht. Es ist bemerkenswert: das Standardwerk zu Frankreich (Keiger, France and the Origins) wird von Leonhard überhaupt nicht verwertet, nicht mal im Literaturverzeichnis aufgezählt (Keiger taucht einmal mit der Poincare-Biografie auf, in der Forschung dürfte man so ein Einzelzitat wohl als Feigenblatt sehen)
Warum bitteschön soll er denn nicht genannt werden? Es ist ein neues, von der Kritik sehr positiv aufgenommenes, umfassendes Werk zum Ersten Weltkrieg.

Ich schaue nicht bei jedem Zitat oder Fußnote in den wissenschaftlichen Anmerkungsapparat; das stört den Lesefluss ungemein. Und ich bin auch kein wissenschaftlich ausgebildeter Historiker, sondern lediglich Hobbyhistoriker. Ich habe gedacht, das sei hier ein Forum für Menschen, mit dem gleichem Interesse. Oder sind wie hier zu einem wissenschaftlichen Forum mutiert? und ich habe das nur noch nicht mitbekommen.

Und warum ich Keiger nicht gelesen habe, erspare ich mir nunmehr zu erläutern. Ich habe es oft genug getan und du weißt es auch und warum du immer wieder fast ausschließlich nur angelsächsische Literatur gelten läßt, ich weiß es nicht. Sind deutschsprachige Historiker per se nicht in der Lage sich zu diesem Thema einzubringen? Sobald ein deutschsprachiger Historiker oder einer anderer Nationalität, dessen Werk ins deutsche übertragen worden ist, an der fast Unschuld der Triple Entente rüttelt, wird dieser hier zerrissen. Clark, Münkler, McMeekin um nur diese nur zu nennen. Rauchensteiner schwafelt, Leonhard schreibt ab.
 
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