Einwanderung USA - 19. Jh. Motive

kisuki589

Neues Mitglied
Hallo zusammen,

auch wenn es zu diesem Thema bereits ein paar Beiträge gibt, würde ich dennoch gern eine neue Runde starten.

Gestern habe ich mich mit einem Kommilitonen über die Einwanderungsgeschichte der USA unterhalten. Vornehmlich im Rahmen der sog. "mass migration"im 19. Jh. bis zum 1. WK in etwa.

Nun haben wir uns nicht ganz einig darüber werden können, inwiefern aus religiösen Motiven auch wirtschaftliche Motive wurden, wobei ich ganz klar die Stellung vertrete, dass beispielsweise bei der jüdischen Migration aus Osteuropa zunächst religiöse Motive dazu führten, dass jüdische Bürger zunehmend unterdrückt und ihrer Privilegien beraubt wurden. (Zulassung zu höheren Schulen blieb ihnen verwehrt, Rechtslaufbahn war ebenfalls ausgeschlossen, sie wurden aus den Städten verbannt und mussten in ihren zugeschriebenen Ansiedlungsgebieten bleiben, mehr Steuern zahlen etc,) --> -Zum Beginn des 20. Jh war die Verarmung so weit fortgeschritten, dass ¼ der jüdischen Bevölkerung von der Fürsorge lebte. Bis 1914 verließ 1/5 der osteuropäischen Juden ihre Heimat Richtung Vereinigte Staaten. Natürlich war das "Schlüsselmotiv" die religiöse Verfolgung, Stichwort Pogrome, aber dennoch kann man in dem Fall auch von einer Koexistenz zweier Motive sprechen, oder?
 
Man spricht in der Migrationssoziologie von sogenannten Push- oder Pullfaktoren, zu deutsch auch Sog- und Schubfaktoren (es gibt einige Soziologen, welche die deutschen Begriffe ablehnen, ich habe aber nie ganz verstanden, warum).
Push- oder Schubfaktoren sind Missstände oder als solche wahrgenommene Sachverhalte, also Armut, Unfreiheit, Naturkatastrophen etc.
Pull- oder Sogfaktoren sind i.d.R. positive Dinge, also beispielsweise ein angenehmes Klima, Arbeit, Freiheit... aber auch, dass Freunde/Familienangehörige irgendwo leben.
Es ist in der Regel ein Zusammenspiel der Push- und Pullfaktoren, welches zu der Auswanderungsentscheidung führt. Wenn das Herkunftsland sehr viele Pushfaktoren vereinigt (religiöse Ausgrenzung, wirtschaftliche Armut, mangelnde Entfaltungsmöglichkeit, Polizeistaat...) und ein Zielland sich anbietet, in dem all das nicht vorzuherrschen scheint oder man sogar das Gegenteil erlebt, dann sind das wichtige Pullfaktoren. Wenn schon Teile der eigenen Gruppe vorgegangen sind, dann fällt das Nachkommen umso leichter. Man spricht hier auch von Migrationsnetzwerken. Das Problem ist z.T. auch, dass aus Scham missglückte Migration als geglückt nach Hause kommuniziert wird.
Wenn also die Pushfaktoren im Heimatland und die Pullfaktoren im Zielland die Pullfaktoren im Heimatland und die Pushfaktoren im Zielland aus Sicht des Migranten überwiegen, dann wird er, sobald es ihm möglich erscheint, losziehen. Wobei die Pushfaktoren im Heimatland dann schon einen Grad an Unerträglichkeit erreicht haben müssen. Aber auch hierfür ist die Wahrnehmung individuell.
 
Anfangs waren die Vereinigten Staaten nicht das beliebte Auswanderungsland. Wer in den Anfängen also im 17. Jahrhundert dorthin auswanderte, tat dies hauptsächlich wegen religiöser Unterdrückung.
Später, als schon viele Deutsche in den USA lebten setzte durch die Briefe und Postkarten an die Daheimgebliebenen ein sehr starker Pull-Effekt ein. Mit den USA wurde alles Glück der Erde und viel Romantik verbunden. Die Darstellung von verschneiten Landschaften aus dem Mittleren Westen, die deutsche Auswanderer nach Hause geschickt haben, hat auch hier die Romantik von verschneiten Winterlandschaften ausgelößt. Dabei waren die Winter in Deutschlan nur in Außnahmefällen so schneereich. Das mal ein kleines Beispiel, wie stark die Briefe der Auswandere die Vorstellungen der Daheimgebliebenen geprägt haben und in ihnen den Wunsch auch in das gelobte Land auszuwandern erweckt haben.
 
Nicht zu vergessen, dass während des amerikanischen Bürgerkriegs m.W. Freiwilligen aus Europa auf Seiten der Union Land im Westen versprochen wurde, nach dem Waffengang ;)
 
Nicht zu vergessen, dass während des amerikanischen Bürgerkriegs m.W. Freiwilligen aus Europa auf Seiten der Union Land im Westen versprochen wurde, nach dem Waffengang ;)

ich weiß nicht ob das so stimmt. Hast du da Quellen? Ich hab mal folgendes gelesen:

Die US-Armee nach dem Bürgerkrieg rekrutierte massiv unter Einwanderern, da der Armeedienst generell schlecht angesehen war. Für die Einwanderer war die Armee oft nur ein Ticket in das Wunderland des Westens.

Ein bedeutender Teil der frischangeworbenen Soldaten desertierte dann, kaum im Westen angekommen, und nutzte die Möglichkeiten zum billigen Landerwerb, die sich dort jedem boten.

(Wegen dieser Reisemöglichkeit ist aber sicher niemand ausgewandert)
 
Zuletzt bearbeitet:
Schon vor dem Bürgerkrieg blieb für viele - vor allem irische - Einwanderer nur der Dienst in der US Armee, um überhaupt Arbeit zu haben. Im Krieg gegen Mexiko desertierten dann eine beträchtliche Zahl dieser Einwanderer (weil sie schlechter behandelt wurden, als Amerikaner) und kämpften auf mexikanischer Seite (St. Patrick's Batallion unter John Riley).
 
Im 19. Jahrhundert waren die Einwanderer ja vor allem Iren und Deutsche. Die Gründe der irischen Einwanderer waren weitaus dramatischer, wurde ja bereits hier in einem anderen Thread ausführlich thematisiert. Da ging es ums nackte Überleben.

Die Gründe der Deutschen - Es gab Auswanderer aus politischen Gründen nach der gescheiterten Revolution, die meisten jedoch wollten schlicht und ergreifend in Amerika ein besseres Leben führen. Die waren nicht, wie die Iren, vom Hungertod bedroht, hofften jedoch auf Land und mehr Wohlstand in den USA. Beispiel: Der Opa von Trump.

Ab 1900 wendete sich das Blatt. Nun kamen ganz massiv russische Juden und Süditaliener hinzu. Die russischen Juden kamen wegen der Progrome im Zarenreich, die Süditaliener wollten ebenfalls ein besseres Leben, da Kalabrien und Sizilien damals wirtschaftlich am Ende waren bzw. keine Perspektive boten.
Ohne Geld landeten diese natürlich alle in den berüchtigten New Yorker Vierteln (5 Points etc.), wo die Kriminalität für die meisten der einzige Weg war, zu Geld zu kommen, was auch für Kinder / Jugendliche galt.
 
Die Gründe der Deutschen - Es gab Auswanderer aus politischen Gründen nach der gescheiterten Revolution, die meisten jedoch wollten schlicht und ergreifend in Amerika ein besseres Leben führen. Die waren nicht, wie die Iren, vom Hungertod bedroht, hofften jedoch auf Land und mehr Wohlstand in den USA. Beispiel: Der Opa von Trump.
Hatte die berühmte Missernte nebst Hungernöten nicht aus BaWü (besonders um Hohenlohe herum) zu viel Auswanderung nach Nordamerika geführt?

Wie dem auch sei, es gab auch - demografisch marginal - noch andere kuriose Gründe im 19. Jh. ... ob man diese "literarisch" oder "sozialutopistisch" nennen kann? Den Beginn machte Johann Georg Rapp – Wikipedia aber wie man nachlesen kann, lief da nicht alles so rund und harmonisch, wie der Name "Harmony" glauben machen sollte... Nichtsdestotrotz und auch unabhängig von religiösen bzw. pietistischen Glaubensangelegenheiten wirkte dieses Vorhaben auf einige anziehend. Der prominenteste war niemand geringeres als Nikolaus von Lenau und dessen amerikanische Auswanderungsgeschichte kann hier kurz zusammengefasst nachgesehen werden Nikolaus Lenau – Wikipedia ...immergrün das Lenauzitat "die verschweinten Staaten von Amerika" ;):D Geradezu mordern heutig mutet der Anlaß an: Lenau verlor bei Börsenspekulationen sein halbes Familienkapital - was tut man da klassischerweise? Richtig, man siedelt über ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten... dort gibt es ja sogar sozialutopische Gemeinschaften, oh wie fein, oh wie hochkulturell-gebildet, da muss man als europ. Intelektueller hin ;)

Von durchaus großer Nachwirkung war die literarische Verarbeitung von Lenaus Amerika-Erlebnissen in einem seinerzeit berühmten Roman namens "der amerikamüde" von Ferdinand Kürnberger – Wikipedia - beachtlich, wer alles daraus zitierte und lobte (!)

Die "literarische" Verarbeitung von europ. Auswanderung nach Nordamerika fand freilich nicht nur in dert dt.-sprachigen Literatur statt. Möglicherweise eine Lenau-Kürnberger-Paraphrase ist eine Episode aus Dostojewskis Roman "besy" (böse Geister / die Dämonen) der später slawophile Student Schatow und der spätere Suizidphilosoph Kirillow waren gemeinsam dem Leibeigenschaftsdruck des frühindustriellen Zarenreichs entflohen, hofften glücksritterisch auf sozialen Aufstieg in der Freiheit Amerikas, kamen dort aber unter die harten frühkapitalistischen Räder und mussten mangels Einnahmen die Rückreise nach Russland antreten, finanziert von einer Geldspritze seitens des maroden Adelsbürschleins Stawrogin

Soweit ein kurzer andeutungsweiser Einblick in die literarische Verarbeitung des 19. Jhs. der damals zeitgenössischen Auswanderungswellen und -gründe, ganz anders als die quasi natur- und abenteuerfrömmlerischen Fantasien von Karl May und Friedrich Gerstäcker... ob und inwieweit James Fennimore Cooper und E.A.Poe als amerikanische Autoren des 19. Jhs. die dortige Einwanderung verarbeitet haben, muss ich nachlesen.
 
Es um 1820-22 in der Zeit des sogenannten Pauperismus in Teilen Hessens und der Pfalz eine Kartoffelfäule und damit verbunden eine Hungerkatastrophe, die zwar nich das Ausmaß der von 1770/71 oder der berüchtigten Great Famine in Irland erreichte, aber schlimm genug war und zu einem Massenexodus total verzweifelter Menschen führte. Die Belastungen, für die Armenversorgung mancher Gemeinden war so groß, dass viele es vorzogen, einmalig die Kosten für eine Sammelpassage aller Gemeindearmen zu bezahlen.
 
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