Säulenordnungen und Eckkonflikt

MiraMara

Neues Mitglied
Hallo zusammen! :)

Ich habe eine Frage - Bei Säulen dorischer Ordnung kommt es ja zum sogenannten "Eckkonflikt".
Wie kann begründet werden, dass dieser bei anderen Säulenordnungen nicht vorkommt?
 
Vorneweg: Ich weiß es nicht, hätte aber eine Idee.

Im Grunde genommen ist die dorische Säuleordnung ja die früheste der griechischen Säulenordnungen, was echte Säulen angeht. Ich würde daher einfach mal annehmen, dass bei der Entwicklung späterer Säulenordnungen der Eckkonflikt einfach schon gelöst war und man auf die entsprechenden Erfahrungen zurückgreifen konnte. Wobei ich zugeben muss, dass ich noch nicht ganz verstanden habe, wie es überhaupt zum Eckkonflikt kam.
 
Hat das nicht etwas damit zu tun, dass es bei der dorischen Ordnung die triglyphen gibt, die zum problem werden, weil sie einmal direkt über den Säulen sein sollen, zum anderen aber auch in der ecke sein sollen - da dann aber nicht mehr über der säulenmitte sein können.

Und bei anderen ordnungen: gibt da noch triglyphen? Da sind da doch eher Friese, so dass da das Problem nicht entsteht.
 
Jetzt müsstest du eine kunsthistorisch-klassischarchäologische Lücke bei mir schließen: Was ist eine Triglyphe?
 
dor. Eckkonflikt

Hallo


Wie kann begründet werden, dass dieser bei anderen Säulenordnungen nicht vorkommt?

Weil Triglyphen nur bei dorischer Ordnung vorkommen, wenn mich nicht alles täuscht, bei korinthischer udn ionischer Ordnung hat der Architrav horizontale Kanneluren, oder einen Fries.

mfg
schwedenmann
 
Hoppla, hier muß man kurz einiges berichtigen. Tela hat schon richtig auf den Kern des Problems verwiesen, mir bleiben noch einige Anmerkungen.

Im Grunde genommen ist die dorische Säuleordnung ja die früheste der griechischen Säulenordnungen, was echte Säulen angeht.

Die dorische ist nicht die älteste Orndung, auch wenn dies bis heute gern in den Schulen gelehrt wird. Der Unterschied zwischen dorischer und ionischer Ordnung ist topographisch, nicht chronologisch. Beide Ordnungen gehen um 600 v. Chr. von der hölzernen Vorgängerarchitektur in erste steinerne Formen über.
Was wäre denn eine unechte Säule?:D


Weil Triglyphen nur bei dorischer Ordnung vorkommen, wenn mich nicht alles täuscht, bei korinthischer udn ionischer Ordnung hat der Architrav horizontale Kanneluren, oder einen Fries.

Der Eckkonflikt ist vor allem in der Archaik und der Klassik ein Problem, im Hellenismus gibt es Triglyphenfriese auch in ionischen Ordnungen, und die proportionalen Regeln werden nicht mehr so ernst gesehen.
Ein Architrav hat übrigens weder Kanneluren, er kann im ionischen oder korinthischen zwei oder drei Fascien, d.h. Stufen, aufweisen, und ein Architrav hat auch keinen Fries, sondern er trägt ihn.
 
Der Eckkonflikt ist vor allem in der Archaik und der Klassik ein Problem, …
Nicht unbedingt belanglos beim Thema Dorischer Eckkonflikt, dass die Verteilung der Triglyphen über den Säulen (oder auch umgekehrt) erst von der Nachwelt als Problem dargestellt wurde. Vetruv beschrieb das ›Zusammenziehen‹ des Säulenabstandes zur Ecksäule als (Not-)Lösung für die Fehlerhaftigkeit und Disharmonie der dorischen Bauart, wobei er zwar auf griechische Architekten verwies, die aber bei der Ausbildung der dorischen Baukunst nicht dabei waren und selber mit dieser Bauweise nicht mehr so richtig zurechtkamen (da sich nicht nur der Geschmack verändert hatte, sondern womöglich auch die Idee hinter der Gestaltung nicht mehr vorhanden war).

Die Frage ist also ob die Eckjochkontraktion auch von ihren Erfindern nur als Anpassung an das Gebälksystem gedacht war? Könnte das ›Zusammenstauchen‹ der Ecken nicht ebenso einer völlig anderen Idee entsprungen sein?

Oder etwas hypotetischer gefragt: könnte die Kontraktion der Ecksäulenjoche auf ähnlich rätselhaften Überlegungen beruhen, wie jene, die zur aufwendigen Kurvatur des Gesamtbaus führten?

Dazu zwei mögliche Gründe für die Kurvatur:

1. Eine leichte Abschwächung der von Menschenhand erschaffenen, künstlichen Optik; ähnlich wie man heute bei virtuellen Nachbauten alter Häusern die Wände krümmt, um sie realer erscheinen zu lassen. Hiergegen spricht die Gleichmäßigkeit der Kurvatur, da unregelmäßige ›Kurven‹ für solch eine Wirkung besser geeignet wären.

2. Eine bewusst kaum wahrnehmbare optische Vergrößerung des Gebäudes, was eine gewisse Kenntnis der Perspektive voraussetzt (überliefert in der Skenographie, später in der Scheinarchitektur in Pompeji). Steht man vor den Stufen eines Tempels mit Kurvatur, erscheinen die Ecken etwas weiter weg, da die vermeintlich horizontalen Linien sich leicht nach unten krümmen und die Fluchtlinien der Perspektive (minim) verfälschen. Für diese Annahme spricht die zusätzliche Inklination der Säulen, die das Gebäude aus der Nähe etwas höher wirken lässt, indem es beim Blick nach oben die Fluchtlinien der Lotrichtung dramatisiert. Dieser durch seine Geringfügigkeit verschleierte Trick ›bläht‹ den Tempel leicht auf, ähnlich einer tonnenförmigen Verzeichnung, als würde man den Tempel durch eine Lupe betrachten.


Die zweite Erklärung der Kurvatur könnte z.B. auch ein Grund für die Reduktion des äußersten Jochs sein (analog zu den scheinbar schrumpfenden Baumabständen beim Betrachten einer Allee), wobei sich zugegeben die Frage aufdrängt, warum nur selten mehrere Joche stufenweise reduziert worden sind (Doppelkontraktion), während z.B. beim Parthenon nur das Eckjoch kürzer ist.

Doch gerade beim Parthenon ist die Kontraktion so stark, dass der Triglyphenfries zu den Ecken hin ebenfalls gestaucht werden musste, was eigentlich deutlich gegen die Absicht einer Korrektur zugunsten des Frieses spricht, und die Jochkontraktion per se als gestalterisches Mittel vermuten lässt.(Ist die Spekulation wirklich glaubhaft, dass bei der extrem schwierigen Konstruktion des Parthenons mit all der Kurvatur, die Säulen falsch hingestellt wurden und der Fries korrigiert werden musste?)

Vielleicht war es also nur der gesteigerte Ordnungssinn der Nachwelt, der die ungleichmäßige Verteilung der Säulen als Schummelei empfinden ließ…
 
Nicht unbedingt belanglos beim Thema Dorischer Eckkonflikt, dass die Verteilung der Triglyphen über den Säulen (oder auch umgekehrt) erst von der Nachwelt als Problem dargestellt wurde. Vetruv beschrieb das ›Zusammenziehen‹ des Säulenabstandes zur Ecksäule als (Not-)Lösung für die Fehlerhaftigkeit und Disharmonie der dorischen Bauart, wobei er zwar auf griechische Architekten verwies, die aber bei der Ausbildung der dorischen Baukunst nicht dabei waren und selber mit dieser Bauweise nicht mehr so richtig zurechtkamen (da sich nicht nur der Geschmack verändert hatte, sondern womöglich auch die Idee hinter der Gestaltung nicht mehr vorhanden war).

Nun ja, wir wissen ja nicht mehr so genau, auf welche Quellen sich Vitruv stützen konnte, und woraus die wiederum ihrerseits schöpften. es war in der griechischen Antike eine lange Tradition, daß Architekten wie auch andere "Handwerker" Bücher über ihre Arbeiten schrieben, und so wird die Idee der Eckkontraktion sicher noch vorhanden gewesen sein - wie sonst hätte Vitruv davon berichten können. Warum die griechischen Architekten nicht mehr mit der dorischen Baukunst zurechtkamen, erschließt sich mir nicht gleich, und man wird auch, bei aller Geschlossenheit der dorischen Ordnung, nicht von einer Ausbildung der dorischen Ordung sprechen können, die dann als fertiges system dastand, vielmehr war sie eine über mehrere Jahrhunderte hinweg lebendige Traditionen entwickelnde Aufgabe, an der sich der jeweilige Architekt immer neu messen mußte - es scheint also nicht so zu sein, als ob da ein Architekt einen alten Formenkanon, den er nicht mehr verstanden hat, umsetzen mußte.
Und dafür, daß der Eckkonflikt nicht erst von der "Nachwelt" als ein Problem inszeniert wurde, sprechen ja die vielfältigen und auch schon recht frühen Ansätze zu seiner Lösung.


Die Frage ist also ob die Eckjochkontraktion auch von ihren Erfindern nur als Anpassung an das Gebälksystem gedacht war? Könnte das ›Zusammenstauchen‹ der Ecken nicht ebenso einer völlig anderen Idee entsprungen sein?

Klar, so etwas könnte immer sein. Aber welche andere, völlig andere Idee sollte das sein, die ja so anders sein müßte, daß bisher noch kein Mensch - und auch die antiken Zeitgenossen nicht - einen Hinweis auf diese Idee gefunden hat.


Oder etwas hypotetischer gefragt: könnte die Kontraktion der Ecksäulenjoche auf ähnlich rätselhaften Überlegungen beruhen, wie jene, die zur aufwendigen Kurvatur des Gesamtbaus führten?

So rätselhaft sind ja die Überlegungen zur Kurvatur gar nicht, wenn man einmal die optischen Gegebenheiten erkannt hat. Auch hier kann man durch das Studium vieler erhaltener Tempel gut erkennen erkennen, wie man sich an Lösungen herangearbeitet hat und wo manchmal auch etwas schiefging.



Doch gerade beim Parthenon ist die Kontraktion so stark, dass der Triglyphenfries zu den Ecken hin ebenfalls gestaucht werden musste, was eigentlich deutlich gegen die Absicht einer Korrektur zugunsten des Frieses spricht, und die Jochkontraktion per se als gestalterisches Mittel vermuten lässt.(Ist die Spekulation wirklich glaubhaft, dass bei der extrem schwierigen Konstruktion des Parthenons mit all der Kurvatur, die Säulen falsch hingestellt wurden und der Fries korrigiert werden musste?)

Vielleicht war es also nur der gesteigerte Ordnungssinn der Nachwelt, der die ungleichmäßige Verteilung der Säulen als Schummelei empfinden ließ…


Gerade der Parthenon ist ein schönes Beispiel für völlig entgegengesetzte Sachverhalte. Auf der einen Seite ein Paradebeispiel für die Kurvatur, ist er auf der anderen Seite eine solche Ausnahme, die sich sowohl aus seiner verwickelten Vorgeschichte als auch aus der besonderen und einmaligen Grundrißgestaltung ergibt. Besonders die Frage der Metopen und Triglypghen ist abhängig von der Frage, inwiefern Bauteile der Vorgängerphasen wiederverwendet wurden und durch ihre abweichenden Maße Kompromisse erzwangen.
 
Nun ja, wir wissen ja nicht mehr so genau, auf welche Quellen sich Vitruv stützen konnte, und woraus die wiederum ihrerseits schöpften. es war in der griechischen Antike eine lange Tradition, daß Architekten wie auch andere "Handwerker" Bücher über ihre Arbeiten schrieben, und so wird die Idee der Eckkontraktion sicher noch vorhanden gewesen sein - wie sonst hätte Vitruv davon berichten können.
Immerhin waren es 500 Jahre her, worüber Vitruv berichtete. Und auf einen allzu großen Fundus an Fachbüchern über Architektur konnte er kaum zurückgreifen; er selbst klagt, dass seine Arbeit das erste Werk über Architektur in lateinischer Sprache sei.

Was wir ebenfalls von ihm wissen, sind seine Quellen, auf die er sich bei seiner Kritik über die dorische Architektur stützt:
Nonnulli antiqui architecti negaverunt dorico genere aedes sacras oportere fieri, quod mendosae et disconvenientes in his symmetriae conficiebantur. Itaque negavit Arcesius, item Pythius, non minus Hermogenes. Nam is cum paratam habuisset marmoris copiam in doricae aedis perfectionem, commutavit ex eadem copia et eam ionicam Libero Patri fecit. Sed tamen non quod invenusta est species aut genus aut formae dignitas, sed quod inpedita est distributio et incommoda in opere triglyphorum et lacunariorum distributione.

Drei Namen: Arcesius, Pythius, Hermogenes

Hermogenes steigt bez. dorischer Kompetenz gleich mal aus, da er einen dorischen Bau gleich am Anfang aufgegeben hatte. Wer weiß, was da schiefgelaufen war um etwa 200 v.Chr.

Dann haben wir den Arcesius, den aus heutiger Sicht, allein nur Vitruv kennt. Er kann aber kaum vor Hermogenes gewirkt haben, da Vitruv an einer anderen Stelle über ihn schreibt, dass er auch im korinthischen Stil baute.

Und schließlich wäre noch Pythius aus Priene, vmtl. der älteste der Drei. Er war der Architekt des Athenatempels in Priene, dessen Bau nach 350 v. Chr. begann. (und für gut 300 Jahre nicht enden wollte)

Geschmäcker ändern sich. Oder würdest Du Dich auf das Wort eines Architekten des 19. Jahrhunderts verlassen, der über Barockarchitektur pöbelt; beides eigentlich weniger lange her, als bei Vitruvius.

Und dafür, daß der Eckkonflikt nicht erst von der "Nachwelt" als ein Problem inszeniert wurde, sprechen ja die vielfältigen und auch schon recht frühen Ansätze zu seiner Lösung.
Dass jede Änderung einer Konstruktion gleich die Lösung eines Problems darstellen muss, entspricht eher dem Fortschrittglauben der Moderne des 20. Jahrhunderts. Es gibt viel naheliegendere Steigerungskriterien für die Architektur als eine regelmäßige Konstruktion. Fortschritt ist nicht Ordnen; ganz im Gegenteil. Ordnung ist Künstlichkeit, eine Verdrängung der Natur und damit des Todes. Da waren die Dorer weit weniger belastet als Vetruv zu seiner Zeit, oder wir heute.

Klar, so etwas könnte immer sein. Aber welche andere, völlig andere Idee sollte das sein, die ja so anders sein müßte, daß bisher noch kein Mensch - und auch die antiken Zeitgenossen nicht - einen Hinweis auf diese Idee gefunden hat.
Das werde ich Dir nicht zufriedenstellend beantworten können. Wofür lernen wir denn, wenn nicht für die Suche nach neuen Erkenntnissen?

So rätselhaft sind ja die Überlegungen zur Kurvatur gar nicht, wenn man einmal die optischen Gegebenheiten erkannt hat. Auch hier kann man durch das Studium vieler erhaltener Tempel gut erkennen erkennen, wie man sich an Lösungen herangearbeitet hat und wo manchmal auch etwas schiefging.
Macht neugierig!
 
Immerhin waren es 500 Jahre her, worüber Vitruv berichtete. Und auf einen allzu großen Fundus an Fachbüchern über Architektur konnte er kaum zurückgreifen; er selbst klagt, dass seine Arbeit das erste Werk über Architektur in lateinischer Sprache sei.

Eben nicht. Es ist ja nicht so, daß vor Vitruv schon 500 Jahre niemand mehr dorisch gebaut hat, und viele bedeutende Tempel, wenn wir uns mal darauf konzentrieren, standen ja zu seiner Zeit noch vollständig und in Benutzung da. Er stand also mit seinem Thema mitten in seiner Zeit.
Die Klagen von Autoren muß man immer erstmal hinterfragen. Es ist ein gängiger Topos, wenn behauptet wird, man sei der Erste, der etwas im Lateinischen versuchen würde. Vitruv hatte gewiß umfangreiche Bibliotheken zur Verfügung und es düfte für ihn kein Problem gewesen sein, die umfangreiche griechische Literatur zu rezipieren, und auch lateinische Zeitgenossen wie zum Beispiel Varro haben über Architektur geschrieben.


Was wir ebenfalls von ihm wissen, sind seine Quellen, auf die er sich bei seiner Kritik über die dorische Architektur stützt:
Drei Namen: Arcesius, Pythius, Hermogenes

Das sind drei, die er nennt. Wie schon oben angedeutet, kann man ein solches Werk über Architektur nicht nur mit drei Quellen schreiben.
Und ich würde die Kompetenzen von hermogenes nicht gleich bezweifeln. So mancher weiß mehr, als er in seiner Arbeit auch umsetzen kann.


Geschmäcker ändern sich. Oder würdest Du Dich auf das Wort eines Architekten des 19. Jahrhunderts verlassen, der über Barockarchitektur pöbelt; beides eigentlich weniger lange her, als bei Vitruvius.

Naja, ich hoffe ja auch, daß mir jemand glaubt, wenn ich etwas über römische Architektur schreibe. :pfeif:


Dass jede Änderung einer Konstruktion gleich die Lösung eines Problems darstellen muss, entspricht eher dem Fortschrittglauben der Moderne des 20. Jahrhunderts. Es gibt viel naheliegendere Steigerungskriterien für die Architektur als eine regelmäßige Konstruktion. Fortschritt ist nicht Ordnen; ganz im Gegenteil. Ordnung ist Künstlichkeit, eine Verdrängung der Natur und damit des Todes. Da waren die Dorer weit weniger belastet als Vetruv zu seiner Zeit, oder wir heute.

Hm, den letzten Teil verstehe ich nicht so ganz. Im ersten Teil würde ich - ganz ohne Absolutheitsanspruch - sagen, daß ich in der Regel bei einer Konstruktion etwas verändere (im Verhältnis zu einer älteren Konstruktion), weil ich etwas verbessern will oder etwas machen will, was mir nun besser gefällt. Beides fällt in meiner Vorstellung unter die Kategorie Problemlösung. Sicher gibt es Ausnahmen, wie es ja auch Redundanzen gibt, aber die sind wohl eher selten.


Wofür lernen wir denn, wenn nicht für die Suche nach neuen Erkenntnissen?

Im Prinzip ja, aber für die neue Erkenntnis nutzt der menschliche Geist stets einen bereits vorhandenen Ausgangspunkt, einen Ansatz, eine Anregung etc. So völlig ins Blaue hinein funktioniert normalerweise nicht. Und für die Idee einer völlig anderen Erklärung des Zusammenhangs Eckkonflikt und Eckkontraktion sehe ich bisher keinen Ansatz. Kommt mal einer daher, bin ich auch neugierig.
 
Und für die Idee einer völlig anderen Erklärung des Zusammenhangs Eckkonflikt und Eckkontraktion sehe ich bisher keinen Ansatz. Kommt mal einer daher, bin ich auch neugierig.
Das hab ich Dir doch in diesem Thread angeboten… so groß kann also Deine Neugierde nicht sein. :winke:

Dass aber Du die Katze nicht aus dem Sack lassen willst, halte ich für…, sagen wir »verschwiegen«.

Habe übrigens erst kürzlich gesehen, dass ich mit meiner Theorie ganz und gar nicht alleine bin. Die Glaubwürdigkeit von Vitruv in dieser Sache wird auch anderswo bezweifelt. Vielleicht werde ich dazu noch etwas posten, wenn Du etwas mehr zu bieten hast (ein Link wird da nicht genügen :) )
 
Das hab ich Dir doch in diesem Thread angeboten…

Vollkommen unberücksichtigt bei deiner Hypothese bleibt allerdings der Umstand, dass die Eckkontraktion eben nicht der einzige Eingriff (ich nenne es jetzt erstmal nicht Lösungsansatz) in den natürlichen Rhythmus von Metope und Triglyphe darstellte. Gerade an frühen dorischen Tempeln in der Magna Grecia (frühes 6. Jh. v. Chr.) findet sich nämlich anstelle dessen eine Verbreiterung der Eckmetopen. Die Varianz - auch eine Verbreiterung der Ecktriglyphe war möglich - macht deutlich, dass die Eckkontraktion nicht zu den optischen Verfeinerungen der Tempelarchitektur gerechnet gerechnet werden darf, wie von dir vorgeschlagen, sondern dass beide Ansätze auf ein grundsätzlich konstruktives Problem zurückgehen.
 
Das hab ich Dir doch in diesem Thread angeboten… so groß kann also Deine Neugierde nicht sein. :winke:

Dass aber Du die Katze nicht aus dem Sack lassen willst, halte ich für…, sagen wir »verschwiegen«.

Habe übrigens erst kürzlich gesehen, dass ich mit meiner Theorie ganz und gar nicht alleine bin. Die Glaubwürdigkeit von Vitruv in dieser Sache wird auch anderswo bezweifelt. Vielleicht werde ich dazu noch etwas posten, wenn Du etwas mehr zu bieten hast (ein Link wird da nicht genügen :) )



Huch, welche Katze denn? Die von Schrödinger etwa? :D

Meinst Du mit Deinem Angebot die Erklärung, daß der Ordnungssinn der Nachwelt ein Problem konstruiert, welches die Antike so gar nicht hatte. Das überzeugt mich aber eben nicht, weil ich die Korrekturversuche der Antike eben doch als Lösungsansätze eines Problems verstehe.

Die Glaubwürdigkeit antiker Autoren ist ein grundsätzliches Problem, das weit über Vitruv hinausgeht. Ich weiß, daß es da sehr angespannte Kontroversen gibt. Ich allerdings wähle den Weg, daß ich erstmal jede Quelle ernst nehme, schließlich steht mir da ein antiker Zeitgenosse gegenüber, und ich hinterfrage seine Aussage dann, wenn ich einen konkreten Widerspruch entdecke.

Was soll ich übrigens verlinken? Ich stehe da gerade etwas auf der Leitung.
 
Die Varianz - auch eine Verbreiterung der Ecktriglyphe war möglich - macht deutlich, dass die Eckkontraktion nicht zu den optischen Verfeinerungen der Tempelarchitektur gerechnet gerechnet werden darf, wie von dir vorgeschlagen, sondern dass beide Ansätze auf ein grundsätzlich konstruktives Problem zurückgehen.

Ich möchte Dir da aber gern widersprechen. Die Tatsache, daß es ja Tempel ohne Kontraktion gibt, zeigt, daß diese nicht konstruktiv nötig war. Und der Triglyphenfries ist ja auch nicht konstruktiv bedingt, man hätte, wie die von Dir benannten Möglichkeiten der Breitenvarianz der Metopen zeigt, das auch einfach so lösen können. Ich halte die Eckkontraktion also durchaus für eine optische Korrektur.
 
Wir meinen, denke ich, dasselbe. Es ist natürlich eine optische Korrektur, die sich aber aus den konstruktiven Vorgaben der dorischen Ordnung ergibt. Unter optische Verfeinerungen habe ich stillschweigend dagegen die Sahnehäubchen wie Inklination oder Kurvatur subsummiert.

Wie weit die persönliche Anschauung von Vitruv, was griechische Architektur anbelangte, reichte, finde ich im Einzelfall schwierig nachvollziehbar. Vollkommen abwegig ist etwa seine Beschreibung, dass man an griechischen Mauern für die Lagerfugen der Werksteine Mörtel verwendet habe.
 
Huch, welche Katze denn? Die von Schrödinger etwa? :D
Mit »Katze« meinte ich natürlich Deinen bescheidenen Ratschlag zur Feldforschung.:cry:
So rätselhaft sind ja die Überlegungen zur Kurvatur gar nicht, wenn man einmal die optischen Gegebenheiten erkannt hat. Auch hier kann man durch das Studium vieler erhaltener Tempel gut erkennen erkennen, wie man sich an Lösungen herangearbeitet hat und wo manchmal auch etwas schiefging.
der zwar viel Wissen über die Kurvatur durchblicken lässt, aber nichts über das Ergebnis jenes erfolgreichen »Studiums vieler erhaltener Tempel« verraten will.


Mein Beitrag zum Eckkonflikt ist natürlich spekulativ, kann nichts anderes sein, basiert aber auf der m.E. einzig nachvollziehbaren Erklärung der Kurvatur und führt sie weiter. Selbstverständlich hinterfragt man dabei Vitruvs Ausführungen und auch den Hintergrund seines Beitrags zur Architekturgeschichte.

Vitruv war ein alter Mann, ein Pensionär, als er seine Bücher schrieb, was bei mir zugegeben immer gleich die Frage aufwirft, ob da nicht jemand Regel aufstellen will, um schnell noch was Bleibendes zu hinterlassen. Dass er damit Glück hatte, wissen wir; zwar haben zur Römerzeit seine Normen nicht groß interessiert(1), aber sein Werk blieb erhalten und wurde zur Grundlage eines rechthaberischen Klassizismus, dessen anbiedernde Vorschriftskultur heute noch nachwirkt. Diese Sichtweise macht natürlich keineswegs objektiver, versucht aber berechtigt die Glorifizierung zu relativieren.

Dazu gehört das Hinterfragen der Attestierung von architektonischen Problemen, die über Jahrhunderte problemlos angewendet wurden. Vitruv konnte unmöglich wissen, was die Urväter der dorischen Architektur dazu bewegt hatte, die Kurvaturen zu erfinden. Darüber kann er keine Schriftrollen zur Verfügung gehabt haben; das braucht auch nicht, bewiesen zu werden – vielmehr müsste eine gegenteilige Behauptung bewiesen werden, da es reine Spekulation ist. Die von Vitruv erwähnten Architekten haben ebenfalls Jahrhunderte nach der Einführung des dorischen Stils gebaut, und soweit bekannt, hat keiner von denen dorisch gebaut (einer hat es versucht und war enttäuscht). Vergleichen kann man das (wieder) mit dem Architekten des 19. Jhs., der nicht unbedingt imstande gewesen sein muss, die ›Seele‹ des Barock, die ursprünglich zum Stilwandel vom Klassizismus zu organischeren Formen geführt hat, zu begreifen, geschweige denn nachzuempfinden (obwohl hier halb soviel Zeit vergangen und sehr viel mehr Literatur vorhanden war)

Hermann Büsing, der sehr viel Feldarbeit geleistet hat (!), und an den (um es mal korrekt auszudrücken) visuellen Korrekturen interessiert war, schreibt bereits 1984 von drei unterschiedlichen Positionen bei der Interpretation der Kurvatur(2):
1. Vitruv Glauben schenken bzgl. der als durchhängend empfundenen Horizontale [aus meiner Erfahrung mit optischen Verzeichnungen und visuellen Täuschungen kann ich nur sagen: entbehrt jeder Grundlage]
2. Vitruvs Begründung nicht akzeptiert, da Blickwinkel des Betrachters meist unterhalb des Stylobats, weshalb die Kurvatur nicht einer Verzerrung entgegenwirkt, sondern sie noch verstärkt.
3. Vitruvs Begründung sei irreführend; vielmehr gehe es, um der Langeweile gerader Linien entgegenzuwirken; frei nach Aristoteles, der auf eine einfache, aber nicht flache künstlerische Form plädiert.[dass dies nicht der Fall sein kann, hab ich bereits in meinem ersten Post erklärt]

Dass die Dorer nicht einmal zwingend über die Konstruktion der einfachen Zentralperspektive bescheid wissen mussten, kann man mit der Beobachtung des Augapfels erklären:

Der Dorer stellt sich das Bild des Tempels auf dem gewölbten Augapfel vor und bemerkt, dass sich gerade Linien vom Mittelpunkt aus nach außen wölben. Gleichzeitig weiß er aber, dass man keine Verzeichnung sieht, und folgert, dass das Auge diese Verzeichnung ausgleicht. Also kommt er auf die Idee, diese Kurve zu manipulieren, indem er dem Betrachter eine leichte Torsion hinstellt, im Glauben, das Auge werde dies ausgleichen und einen größeren Bau empfinden lassen. Dies stimmt tatsächlich (wenn auch aus einem etwas anderen Grund), wie ich es ebenfalls in meinem ersten Post beschrieben habe.

Da sich damit aus meiner Sicht die Kurvatur und die Inklination erklären lässt, führe ich die Überlegung weiter zur Kontraktion des Eckjochs. Dass dabei die Struktur des oberen Ornaments einfacher zu handhaben ist, betrachte ich als ›Kollateralvorteil‹, setze also keine zwingende gegenseitige Kausalität voraus.

Beim sog. Eckkonflikt handelt es sich im Prinzip um das Priorisieren einer gestalterischen Absicht, oder genauer gesagt um das angebliche Dillemma der Favorisierung, sofern man Vitruv glaubt:

Was ist mir wichtiger: Triglyph in der Ecke, Triglyph über der Säule, oder gleiche Jochweiten?
Prio 1 ist sicherlich der Triglyph in der Ecke, da sonst die Ecke leer bleibt, bzw die Abfolge des Ornaments unfertig aussieht, da sie nicht abgeschlossen ist. Prio 2 ist eine mehr oder weniger gleichmäßige Verteilung der Triglyphen, damit ein Rhythmus entsteht, eine Voraussetzung des Ornamentalen. Setze ich aber auch die Kontraktion als Priorität, muss ich dies auch begründen. Ein »ach, das ist weniger schlimm« ist m.E. unglaubwürdig im Hinblick auf den Aufwand und Präzision, mit der Kurvaturen ausgeführt wurden.

Wie wichtig Leerräume für die Griechen waren, zeigt auch Büsing bei seinen Studien mit konstanten Maßeinheiten, durch die sich auch die Säulenabstände teilen lassen, d.h. dass eine Jochweite einen guten Grund hatte und nicht der Friesordnung unterstellt war, ansonsten wäre sie nicht den selben Maßeinheiten unterworfen.

Daraus kann man folgern (muss nicht), dass die Kontraktion ein selbständiges Gestaltungsmittel, unabhängig von der Anordnung des Frieses war, d.h. nicht zur Lösung eines vermeintlichen Eckkonflikts diente (auch wenn sie die Verteilung der Triglyphen vereinfachte).



1. Hanno-Walter Kruft, History of Architectual Theory, Princeton Architectural Press, 1994, S. 30ff → books.google.
2. Hermann Büsing, »Optische Korrekturen und Propyläen-Fronten – Vitruvs Empfehlungen, verglichen mit dorischer Architektur der attischen Klassik«, Jahrbuch Dt Archaeologischen Instituts, Bd. 99, Walter de Gruyter, 1984, S.44.
 
Wir drehen uns im Kreis, wenn du die nachweisliche Verbreiterung der Eckmetopen oder -triglyphen nicht zur Kenntnis nehmen möchtest.

Empfehle: E.-W. Osthues, Studien zum dorischen Eckkonflikt, JdI 120, 2006, 1–154.
 
Mit »Katze« meinte ich natürlich Deinen bescheidenen Ratschlag zur Feldforschung, der zwar viel Wissen über die Kurvatur durchblicken lässt, aber nichts über das Ergebnis jenes erfolgreichen »Studiums vieler erhaltener Tempel« verraten will.

Okay, mein Fehler, ich habe mich mißverständlich ausgedrückt. Hier nochmal korrekter: Es hat bereits so viele Untersuchungen zu vielen griechischen Tempeln mit dem Augenmerk auf die Fragen zum Eckkonflikt und zur Kurvatur gegeben, daß ich nicht glaube, daß man die Kurvatur noch als rätselhaft bezeichnen kann. Allein die Literatur zum Parthenon füllt Regalmeter. Ich werde jetzt allerdings nicht anfangen, diese ganze Literatur hier zu exzerpieren - das ginge doch etwas zu sehr über dieses Freizeitvergnügen hinaus.

Wenn Du aber erlaubst, würde ich gern Deine Ausführungen etwas zerpflücken, um zu verdeutlichen, warum ich nicht überzeugt bin:


Vitruv war ein alter Mann, ein Pensionär, als er seine Bücher schrieb, was bei mir zugegeben immer gleich die Frage aufwirft, ob da nicht jemand Regel aufstellen will, um schnell noch was Bleibendes zu hinterlassen.

Ist das ein Argument, seine Theorie zu verwerfen? Dann sollten alte Männer - ab wann ist man denn alt? - nichts mehr schreiben? Könnte es nicht sein, daß diese alten Männer vielleicht etwas mitzuteilen haben? Ist das eine menschliche Konstante, schnell noch Regeln aufzustellen, um etwas Bleibendes zu hinterlassen, passiert so etwas also häufiger? Ich weiß ja nicht.


Dass er damit Glück hatte, wissen wir; zwar haben zur Römerzeit seine Normen nicht groß interessiert(1), aber sein Werk blieb erhalten und wurde zur Grundlage eines rechthaberischen Klassizismus, dessen anbiedernde Vorschriftskultur heute noch nachwirkt. Diese Sichtweise macht natürlich keineswegs objektiver, versucht aber berechtigt die Glorifizierung zu relativieren.

Sine ira et studio? Wem biedert sich dieser rechthaberische Klassiszmus denn an?
Eine Sichtweise ist nie objektiv, und ich glaube nicht, daß irgendwer heute noch Vitruv glorifiziert.


Dazu gehört das Hinterfragen der Attestierung von architektonischen Problemen, die über Jahrhunderte problemlos angewendet wurden.

Die Probleme wurden problemlos angewendet? Wie jetzt?


Vitruv konnte unmöglich wissen, was die Urväter der dorischen Architektur dazu bewegt hatte, die Kurvaturen zu erfinden.

Konnte er nicht? Es geht ja nicht um die wörtlichen Gedanken eines dieser Urväter, sondern um die Prinzipien ihrer Architektur, die überliefert wurden. Natürlich durchläuft eine solche Übertragung Veränderungen, das heißt ja aber nicht, daß alles vergessen wird.


Darüber kann er keine Schriftrollen zur Verfügung gehabt haben; das braucht auch nicht, bewiesen zu werden – vielmehr müsste eine gegenteilige Behauptung bewiesen werden, da es reine Spekulation ist.

Warum kann er keine Schriftrollen zur Verfügung gehabt haben? Gab es so etwas damals nicht? Bewiesen werden müßte die Verwendung einer konkreten Quelle, nicht aber die grundsätzliche Verwendung älterer Literatur durch antike Autoren.


Die von Vitruv erwähnten Architekten haben ebenfalls Jahrhunderte nach der Einführung des dorischen Stils gebaut, und soweit bekannt, hat keiner von denen dorisch gebaut (einer hat es versucht und war enttäuscht).

Es geht nicht darum, wie lange nach der Einführung einer Sache jemand etwas tut, sondern wie lange, nachdem diese Sache nicht mehr verwendet wurde. Und wenn die von Vitruv erwähnten Architekten unbedingt einen dorischen Tempel gebaut haben müssen, um kompetent darüber reden zu können, dann müßte ich erst recht schweigen, denn ich habe auch noch keinen gebaut. Wie wird man eigentlich Architekt in der Antike? Gab es eine Ausbildung? Haben die antiken Stararchitekten vielleicht als junge Männer als Gehilfen bei anderen Baumeistern gearbeitet und an Bauten mitgewirkt, die nicht mit ihren Namen verbunden sind?


Vergleichen kann man das (wieder) mit dem Architekten des 19. Jhs., der nicht unbedingt imstande gewesen sein muss, die ›Seele‹ des Barock, die ursprünglich zum Stilwandel vom Klassizismus zu organischeren Formen geführt hat, zu begreifen, geschweige denn nachzuempfinden (obwohl hier halb soviel Zeit vergangen und sehr viel mehr Literatur vorhanden war)

Der Vergleich hinkt. Zum einen muß der Architekt des 19. Jhs. nicht unbedingt, das stimmt, er kann aber Bescheid wissen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Seele des Barock vom Klassiszmus zu organischen Formen geführt hat, und ich denke, daß Schinkel sehr traurig wäre, würde man ihm sagen, daß er als Architekt des 19. Jhs. seine Nase nicht in den Klassizismus stecken soll. Ich weiß aber, daß es heute Leute gibt, die den Klosterplan von Sankt Gallen besser kennen als die meisten Mönche des Mittelalters, insofern möchte ich der These entgegentreten, daß zeitlicher Abstand gleichbedeutend mit Ahnungslosigkiet ist.


Hermann Büsing, der sehr viel Feldarbeit geleistet hat (!), und an den (um es mal korrekt auszudrücken) visuellen Korrekturen interessiert war, schreibt bereits 1984 von drei unterschiedlichen Positionen bei der Interpretation der Kurvatur(2):
1. Vitruv Glauben schenken bzgl. der als durchhängend empfundenen Horizontale [aus meiner Erfahrung mit optischen Verzeichnungen und visuellen Täuschungen kann ich nur sagen: entbehrt jeder Grundlage]
2. Vitruvs Begründung nicht akzeptiert, da Blickwinkel des Betrachters meist unterhalb des Stylobats, weshalb die Kurvatur nicht einer Verzerrung entgegenwirkt, sondern sie noch verstärkt.
3. Vitruvs Begründung sei irreführend; vielmehr gehe es, um der Langeweile gerader Linien entgegenzuwirken; frei nach Aristoteles, der auf eine einfache, aber nicht flache künstlerische Form plädiert.[dass dies nicht der Fall sein kann, hab ich bereits in meinem ersten Post erklärt]

Ich hab den Büsing jetzt nicht zur Hand, aber ich finde es schön, daß er bereits 1984 feststellt, daß es unterschiedliche Meinungen in der Wissenschaft gibt. Hat er sich denn auch für eine seiner Varianten entschieden? Hängt die Horizontale nun durch oder nicht? Wieso ist der Blickwinkel des Betrachters unterhalb des Stylobats? Kann ein Winkel unterhalb sein?


Dass die Dorer nicht einmal zwingend über die Konstruktion der einfachen Zentralperspektive bescheid wissen mussten, kann man mit der Beobachtung des Augapfels erklären:

Der Dorer stellt sich das Bild des Tempels auf dem gewölbten Augapfel vor und bemerkt, dass sich gerade Linien vom Mittelpunkt aus nach außen wölben. Gleichzeitig weiß er aber, dass man keine Verzeichnung sieht, und folgert, dass das Auge diese Verzeichnung ausgleicht. Also kommt er auf die Idee, diese Kurve zu manipulieren, indem er dem Betrachter eine leichte Torsion hinstellt, im Glauben, das Auge werde dies ausgleichen und einen größeren Bau empfinden lassen. Dies stimmt tatsächlich (wenn auch aus einem etwas anderen Grund), wie ich es ebenfalls in meinem ersten Post beschrieben habe.

Ich würde den Erbauer eines dorischen Tempels nicht automatisch Dorer nennen, aber wir können es ja der Einfachheit halber mal so stehen lassen. Er denkt also, er müßte eine Kurve manipulieren, die sein Auge schon ausgeglichen hat, obwohl es sie gar nicht gibt, und dadurch wird der Tempel größer? Also dafür, daß Vitruv unmöglich wissen konnte, was die griechischen Urväter so dachten, wissen wir heute ziemlich viel über deren Vorstellungen vom Auge.


Da sich damit aus meiner Sicht die Kurvatur und die Inklination erklären lässt, führe ich die Überlegung weiter zur Kontraktion des Eckjochs. Dass dabei die Struktur des oberen Ornaments einfacher zu handhaben ist, betrachte ich als ›Kollateralvorteil‹, setze also keine zwingende gegenseitige Kausalität voraus.

Du leitest die Überlegungen zum Eckkonflickt aus der Kurvatur ab? Ich dagegen behaupte, daß Kurvatur und Eckkonflikt zwei getrennte Probleme sind.


Beim sog. Eckkonflikt handelt es sich im Prinzip um das Priorisieren einer gestalterischen Absicht, oder genauer gesagt um das angebliche Dillemma der Favorisierung, sofern man Vitruv glaubt:

Was ist mir wichtiger: Triglyph in der Ecke, Triglyph über der Säule, oder gleiche Jochweiten?
Prio 1 ist sicherlich der Triglyph in der Ecke, da sonst die Ecke leer bleibt, bzw die Abfolge des Ornaments unfertig aussieht, da sie nicht abgeschlossen ist. Prio 2 ist eine mehr oder weniger gleichmäßige Verteilung der Triglyphen, damit ein Rhythmus entsteht, eine Voraussetzung des Ornamentalen. Setze ich aber auch die Kontraktion als Priorität, muss ich dies auch begründen. Ein »ach, das ist weniger schlimm« ist m.E. unglaubwürdig im Hinblick auf den Aufwand und Präzision, mit der Kurvaturen ausgeführt wurden.

Wie wichtig Leerräume für die Griechen waren, zeigt auch Büsing bei seinen Studien mit konstanten Maßeinheiten, durch die sich auch die Säulenabstände teilen lassen, d.h. dass eine Jochweite einen guten Grund hatte und nicht der Friesordnung unterstellt war, ansonsten wäre sie nicht den selben Maßeinheiten unterworfen.

Daraus kann man folgern (muss nicht), dass die Kontraktion ein selbständiges Gestaltungsmittel, unabhängig von der Anordnung des Frieses war, d.h. nicht zur Lösung eines vermeintlichen Eckkonflikts diente (auch wenn sie die Verteilung der Triglyphen vereinfachte).

Hier verstehe ich jetzt einiges nicht mehr. Die Kontraktion ist doch keine Priorität, sondern zeigt, daß das gleichmäßige Säulenjoch nicht mehr prioritär ist, eben als Folge davon, daß die Triglyphen favorisiert werden.
Warum zeigen konstante Maßeinheiten die Wichtigkeit von Leerräumen? Die Maßeinheiten eines dorischen Tempels, in der Regel in Modulsystemen formuliert, unterstellen doch nicht eine Ebene unter eine andere, sondern leiten die meisten Maße von einem Grundwert ab. Und da die Triglyphen ja in der Norm über der Säulenachse sitzen, folgen sie dieser und nicht umgekehrt. Das scheint ja wohl unstrittig. Und genau da beginnt dann das Problem an der Ecke. Womit wir wieder beim Ei wären.

:fechtduell:
 
Es hat bereits so viele Untersuchungen zu vielen griechischen Tempeln mit dem Augenmerk auf die Fragen zum Eckkonflikt und zur Kurvatur gegeben, daß ich nicht glaube, daß man die Kurvatur noch als rätselhaft bezeichnen kann.
Eine eigenwillige Folgerung! Genau umgekehrt ist es.

Allein die Literatur zum Parthenon füllt Regalmeter. Ich werde jetzt allerdings nicht anfangen, diese ganze Literatur hier zu exzerpieren - das ginge doch etwas zu sehr über dieses Freizeitvergnügen hinaus.
Das stimmt. Und genau deswegen bereue ich es, überhaupt etwas zu diesem Thema gepostet zu haben. Der Eckkonflikt und v.a. die Kurvatur ist sowas, wie der Jheronimus Bosch mit seinen Mahnbildern: alle stürzen sich darauf.

Du leitest die Überlegungen zum Eckkonflickt aus der Kurvatur ab? Ich dagegen behaupte, daß Kurvatur und Eckkonflikt zwei getrennte Probleme sind.
Der Unterschied ist jedoch, dass ich die Wahrheit offen lasse.

Womit wir wieder beim Ei wären.
Na servus, aber eigentlich bist nur Du dort! Ich hingegen stelle die gegenseitige Abhängigkeit in Frage. :fechtduell:
 
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