Synagogen-Architektur

Mashenka

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In Bezug auf die Formensprache des Modernismus bin ich bei mir auf eine Wissenslücke gestoßen: traditionelle jüdische Ästhetik bei der Gestaltung von Bauten.

Habe dazu zwei Fragen:

1. Der Orientalismus des 19. Jahrhunderts war ein willkommener Stil bei der Synagogen-Architektur. Gab es in Deutschland Synagogen davor (also vor ca. 1840), die in orientalisierendem Stil gebaut waren?

2. Gibt es eine traditionelle jüdische Ornamentik in der Architektur (v.a. bei Friesen), die sich klar von arabischen und europäischen unterscheidet? Wurden etwa bestimmte Referenzen mit Vorliebe herangezogen? Dabei denke ich weniger an konkrete Symbole, wie die Menora, dem siebenarmigen Leuchter, sondern an mögliche Vorlieben für Formen. Im Fokus hab ich v.a. dichte, zackige Strukturen, kombiniert mit vegetabilischen Dekorformen bei Friesen, ohne wirklich deren Ursprünge gefunden zu haben.
 
Ich würde den "orientalisierenden" Stil mit dem Historismus in Beziehung setzen, wobei ich glaube, dass du mit dem Stichwort orientalisieren den andalusisch-sephardischen Stil vor Augen hast, wie man ihn von der Mezquita in Córdoba kennt (aber auch von einigen Marienkirchen in Spanien, die ursprünglich mal Synagogen waren).

Allerdings habe ich erst vor wenigen Tagen, wenn ich bloß noch wüsste, wo, von einem askenaschen Juden einen Bericht über einen Shabbeth in Hamburg gelesen, der eben berichtet, wie angenehm das sephardische Hebräisch klänge, das man in der Hamburger Synagoge höre und dass man dort in der Gemeinde überhaupt vieles auf Ladino (Sephardisch, Judenspanisch) bzw. die offiziellen Verkündigungen auf Portugiesisch tätige. Hier wäre evtl. ein Anlass mal zu schauen, ob die Hamburger Synagoge einen sephardischen Ursprung hat und ob sie evtl. vor dem Historismus gebaut wurde und orientalisierende Elemente hatte, der quasi importiert wurde.
 
Danke für die Antwort, El Quijote.

Eben. Ich war mir nicht 100% sicher, ob der Orientalismus bei Synagogen voll und ganz dem Historismus zugeschrieben werden kann, oder ob Juden bereits vorher orientalische Formen verwendet haben, quasi als ›ureigenene‹ Formensprache. Unterdessen bin ich mir fast ganz sicher, dass dies in Europa (außerhalb von Spanien und Istanbul) nicht so ist. Der Baustil der Synagogen vor 1840 folgte genauso dem jeweilig angesagten Geschmack, wie alle andere Bauten. Es gab genauso klassizistische und barocke Synagogen, wie christliche Kirchen. (obwohl – mal unabhängig vom Thema – mir aufgefallen ist, dass eigentlich in ganz Europa um die Mitte des 19. Jahrhunderts, im Gegensatz zu früher besonders viele Synagogen entstanden sind. Dessen Grund ist mir geschichtlich nicht so ganz klar.)

Die Fotos von alten Hamburger Synagogen geben kein einheitliches Bild und wollen leider ganz und gar nicht zu meinen Annahmen passen.


Bei meiner Frage zur jüdischen Bau-Ästhetik geht es um die Referenzen der US-amerikanischen Moderne, insbesondere des First Chicago School, das von exzessiver Ornamentalik geprägt war. Viele Vertreter des Stils waren deutsch-jüdische Emigranten der ersten Generation. Der Stil beinhaltet einerseits die selbe Motivation, wie die diversen ›Jugendstil‹-Bewegungen in Europa (allerdings bereits etwas früher), zeigt aber andererseits eine recht eigenständige Formensprache (selbstverständlich auch hier, nicht ohne, auf historische Vorbilder zu verzichten).

Das Problem der Zuordnung dieser Formensprache ist nicht belanglos bei der amerikanischen Moderne, deren Haupt-Akteur u.A. das Architektur-Duo Adler & Sullivan war. Dankmar Adler, ein als Kind ausgewanderter deutscher Jude mit vornehmlich jüdischem Klientel gilt heute zwar als genialer Konstrukteur, viele der Bauten des Büros werden aber seinem Partner Louis Sullivan zugeschrieben, soviel ich weiß, nicht jüdischer Abstammung. Dennoch vermute ich in (angeblich) Sullivans Formensprache eine jüdische Tradition, dessen Grund mir schleierhaft ist.

Es ist schwierig, mögliche Referenzen, z.B. für Adlers Traditionsempfinden aufzustöbern, da die meisten Synagogen in Deutschland zerstört worden sind. Hier aber ein Vergleichsbeispiel, geographisch eher an den Haaren herangezogen:
Das Portal einer Synagoge in Budapest (erbaut 1854–1859), und hier das Portal vom Stock Exchange Building in Chicago (erbaut) 1893–1894) (Zwar beide mit Elementen der Romanik, aber auffällig ähnlich interpretiert)

Inwieweit es im Ästhetikbewusstsein eines deutschen Emigranten das Bild der wuchtigen Überreste der ›Ur-Synagoge‹ von Kafr Bir'im eingeprägt haben, ist natürlich fraglich (obwohl er als Architekt die Formen gekannt haben mag): Synagoge bei Kafr Bir'im (aus dem 3. Jh.)


Liebend gern würde ich reichverzierte Synagogen in Spanien als mögliche Referenz heranziehen, fürchte aber, dass dies bei US-Architekten des 19. Jahrhunderts dann doch etwas gesucht wirken könnte. Hier z.B. das Wandrelief an der Sinagoga de Córdoba und Dekoration am Wainwright Building in Chicago von Adler & Sullivan aus 1890–1892.
 
(obwohl – mal unabhängig vom Thema – mir aufgefallen ist, dass eigentlich in ganz Europa um die Mitte des 19. Jahrhunderts, im Gegensatz zu früher besonders viele Synagogen entstanden sind. Dessen Grund ist mir geschichtlich nicht so ganz klar.)
Sind wirklich mehr Synagogen entstanden oder hat sich nicht viel eher die Synagogenarchitektur emanzipiert? Das vorher Synagogen eher unscheinbar waren und mit den Umwälzungen im Zuge der Französischen Revolution und ihren Folgen in Europa, welche u.a. die rechtliche Gleichstellung der Juden gegenüber der Restbevölkerung bedeutete sich das änderte?

Das Portal der Budapester Synagoge lehnt sich im Übrigen durchaus an andalusisch-sephardische Vorbilder an (wobei andalusisch hier das Adjektiv von al-Andalus, nicht von der südspanischen Autonomie Andalusien ist).
Spontane Assoziation des inneren Bogens: Aljafería (Zaragoza).

Inwieweit es im Ästhetikbewusstsein eines deutschen Emigranten das Bild der wuchtigen Überreste der ›Ur-Synagoge‹ von Kafr Bir'im eingeprägt haben, ist natürlich fraglich (obwohl er als Architekt die Formen gekannt haben mag): Synagoge bei Kafr Bir'im (aus dem 3. Jh.)
Ich sehe hier, bei Kafr Bir'im eher eine Anpassung an die römische Architektur, weshalb ich eine architektonische Tradition von Kafr Bir'im zu den beiden anderen Beispielen eher ausschließen möchte.


Liebend gern würde ich reichverzierte Synagogen in Spanien als mögliche Referenz heranziehen, fürchte aber, dass dies bei US-Architekten des 19. Jahrhunderts dann doch etwas gesucht wirken könnte.
Ich dachte auch ganz speziell an Synagogen im Neomudejarstil, wie bsps.weise die Synagoge von Köln vor 1938.
 
Synagogen durften beispielsweise in Mitteleuropa erst im Zuge rechtlicher Gleichstellung andere, benachbarte Bauten überragen. In diesem Zusammenhang sind z.B. Bauten wie die Berliner und Dortmunder Synagoge zu nennen. Ich habe irgendwo einmal gelesen, dass der Orientalismus einen Bezug zu Cordoba herstellen sollte, finde aber die Stelle nicht mehr...

Wichtig ist - v.a. im Hinblick auf Hamburg (wie EQ schon erwähnte) - dass es dort eine große portugiesische, also sephardische Gemeinde gab, die sich auch durch abgewanderte ehemalige Maranen gebildet hatte. Für die Wirtschaft der Stadt Hamburg stellte diese Gemeinde einen nicht unbedeutenden Faktor dar (Handelsbeziehungen), weswegen die Synagoge vermutlich auch recht prächtig ausfallen konnte trotz nicht erfolgter rechtlicher Gleichstellung. Der Baustil, was die innere Aufteilung und Ausschmückung betraf, war also anders als der der askenasischen Gemeinden. (Auch das habe ich gelesen, weiß aber nicht mehr wo, sorry, gelobe Besserung...)
 
Zuletzt bearbeitet:
Sind wirklich mehr Synagogen entstanden oder hat sich nicht viel eher die Synagogenarchitektur emanzipiert? Das vorher Synagogen eher unscheinbar waren und mit den Umwälzungen im Zuge der Französischen Revolution und ihren Folgen in Europa, welche u.a. die rechtliche Gleichstellung der Juden gegenüber der Restbevölkerung bedeutete sich das änderte?
Mit den Folgen der Französischen Revolution hast Du sicherlich recht, obwohl ich dann die Zunahme von Synagogen bereits anfangs des 19. Jhs. erwarten würde. Da spielt sicherlich auch meine nur grob gemachte Recherche eine Rolle, bei der ich mich v.a. auf Abbildungen konzentriert habe…


Das Portal der Budapester Synagoge lehnt sich im Übrigen durchaus an andalusisch-sephardische Vorbilder an (wobei andalusisch hier das Adjektiv von al-Andalus, nicht von der südspanischen Autonomie Andalusien ist).
Spontane Assoziation des inneren Bogens: Aljafería (Zaragoza).
Ich nehme an, Du meinst den wuchtigen Torbogen mit den extrem breiten Rahmen des Stufenportals (?)

Genau diesen breiten Rahmen zus. mit abgestuften Portalen findet man fast durchgehend auch bei den Adler & Sullivan Bauten. Sullivans künstlerisches Ende war übrigens genau das Festhalten an diesem Stil, als in den USA bereits ein ›Neoclassicism revival‹ (die Wiederbelebung des Klassizismus gegen Ende des 19. Jhs., auch in Europa) in Mode kam. Der Beginn seines Niedergangs: die Weltausstellung von Chicago 1893, der Eingang vom Transportation Building, Stufenportal ad extremum.

Zum Orientalismus in Ungarn: die waren natürlich schwer auf Identitätssuche, sodass sich auch der Jugendstil in Ungarn generell stark an die byzantinische Architektur der Spätantike anlehnt. Inwieweit sich aber jüdischer Geschmack in Europa auf Spanien bezogen hat, weiß ich ehrlich gesagt überhaupt nicht. Vorstellbar ist ein Solz auf die dortige großartige Architektur.


Ich sehe hier, bei Kafr Bir'im eher eine Anpassung an die römische Architektur, weshalb ich eine architektonische Tradition von Kafr Bir'im zu den beiden anderen Beispielen eher ausschließen möchte.

Stimmt natürlich. Gemeint war aber eher das Wuchtige des Bogens, das vielleicht als typisch gelten könnte.


Ich dachte auch ganz speziell an Synagogen im Neomudejarstil, wie bsps.weise die Synagoge von Köln vor 1938.

Auch die Synagoge von Köln stammt leider aus 1861, genau aus dem Jahr, als Dankmar Adler aus Deutschland ausgezogen war. Der Mann war in Lengsfeld (heute: Stadtlengsfeld, Thüringen) geboren. Wie ich es erst gestern herausgefunden habe, hat sein Vater in Eisenach studiert (unweit von Lengsfeld). Die Synagoge in Eisenach sah etwa so aus: Bild 1, Bild 2. Adlers erstes bedeutende Gebäude (mit dem er berühmt wurde): das Central Music Hall in Chicago, an dem Sullivan nachweislich noch nicht beteiligt war. Interessant ist die lisenen-artige Struktur und v.a. das duochrome Mauerwerk am hinteren Theater-Teil.

Die Frage bleibt aber nach den Referenzen von Sullivans Dekorationen, inwieweit diese tatsächlich seiner eigenen Eingebung entsprungen waren, und ob sie ursprünglich nicht doch etwa vom, heute zum reinen Bauingenieur degradierten Adler stammen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Synagogen durften beispielsweise in Mitteleuropa erst im Zuge rechtlicher Gleichstellung andere, benachbarte Bauten überragen. In diesem Zusammenhang sind z.B. Bauten wie die Berliner und Dortmunder Synagoge zu nennen. Ich habe irgendwo einmal gelesen, dass der Orientalismus einen Bezug zu Cordoba herstellen sollte, finde aber die Stelle nicht mehr...

Wichtig ist - v.a. im Hinblick auf Hamburg (wie EQ schon erwähnte) - dass es dort eine große portugiesische, also sephardische Gemeinde gab, die sich auch durch abgewanderte ehemalige Maranen gebildet hatte. Für die Wirtschaft der Stadt Hamburg stellte diese Gemeinde einen nicht unbedeutenden Faktor dar (Handelsbeziehungen), weswegen die Synagoge vermutlich auch recht prächtig ausfallen konnte trotz nicht erfolgter rechtlicher Gleichstellung. Der Baustil, was die innere Aufteilung und Ausschmückung betraf, war also anders als der der askenasischen Gemeinden. (Auch das habe ich gelesen, weiß aber nicht mehr wo, sorry, gelobe Besserung...)
Vielen Dank, Hulda! Dem unterschiedlichen Baustil der askenasischen Gemeinden werde ich auf jeden Fall nachgehen.
 
Ich nehme an, Du meinst den wuchtigen Torbogen mit den extrem breiten Rahmen des Stufenportals (?)

Nein, nicht den Hufeisenbogen.
Dies hier: 297-30-711-15.jpg
Das korrespondiert mit dem inneren Bogen auf deinem Budapester Bild.

Das Gemäuer der Budapester Synagoge, der Wechsel von rotem und hellen Stein, erinnert an die Mezquita von Córdoba und an die Palaststadt von Medina Azahara. Ganz ähnlich eben auch die Kölner Synagoge.
 
Was Wien betrifft (allerdings ist hier natürlich zu fragen, ob es in Deiner Frage nur um das heutige Deutschland) geht, hatten zumindest die Synagoge in der Leopoldstadt (heute Wien, 2. Bezirk) und der Turnertempel in Fünfhaus (heute Wien, 15. Bezirk, errichtet von einer Israelitischen Kultusgemeinde, die sich von ihrem Mutterhaus in Wien getrennt hatte), der sich an der Synagoge in der Leopoldstadt orientiert haben dürfte, eher Ähnlichkeit mit den christlichen Kirchen des 19. Jahrhunderts (Historismus).
 
Was Wien betrifft (allerdings ist hier natürlich zu fragen, ob es in Deiner Frage nur um das heutige Deutschland) geht, hatten zumindest die Synagoge in der Leopoldstadt (heute Wien, 2. Bezirk) und der Turnertempel in Fünfhaus (heute Wien, 15. Bezirk, errichtet von einer Israelitischen Kultusgemeinde, die sich von ihrem Mutterhaus in Wien getrennt hatte), der sich an der Synagoge in der Leopoldstadt orientiert haben dürfte, eher Ähnlichkeit mit den christlichen Kirchen des 19. Jahrhunderts (Historismus).
Danke, Teresa! Die Frage betrifft eigentlich ganz Europa, da es um die Tradition jüdischer Bauästhetik geht, also um die Referenzen eines jüdischen Architekten, die ihn auf einer ganz bestimmten Weise ein Gebäude gestalten lässt, wenn er das Judentum hervorheben will (die meisten Architekten des First Chicago School haben auch Synagogen gebaut).

Die Synagoge in der Leopoldstadt hatte auch ich im Visier, nur ihr Enstehungsjahr erschien mir nicht allzu aussagekräftig (1854–1858), um orientalisierende Formen als jüdische Tradition hinzustellen. (Der Turnertempel in Fünfhaus war dann wieder eher Neubarock oder neo-klassizistisch.)

Was man aber auch an den Synagogen in Österreich häufig sieht, ist das sich horizontal abwechselnde zweifarbige Mauerwerk; dieses auf die Romanik verweisende Element scheint bei Synagogen besonders beliebt gewesen zu sein (wie es auch El Quijote schreibt).


Nein, nicht den Hufeisenbogen.
Dies hier: Anhang anzeigen 14969
Das korrespondiert mit dem inneren Bogen auf deinem Budapester Bild.

Das Gemäuer der Budapester Synagoge, der Wechsel von rotem und hellen Stein, erinnert an die Mezquita von Córdoba und an die Palaststadt von Medina Azahara. Ganz ähnlich eben auch die Kölner Synagoge.
Ok, das hab ich übersehen. Hab mich schon gewundert, was Du so ähnlich findest, und fieberhaft gesucht. :schau: Auch der Muqarnas-Bogen kommt in der Architektur der US-Moderne vor. Gebaut interessanterweise von einem ehemaligen Angestellten von Dankmar Adler, der ihm dann Louis Sullivan als Talent vorgestellt hatte: Decker Building, NYC, 1893, entworfen von John Herman Edelmann.

Möglicherweise gibt es also tatsächlich den ›spanischen Link‹ in der jüdischen Ästhetik des 19. Jhs., genauso wie in der Sprache, dem »Judenspanisch«. (»Hintergrund«, Jüdische Woche Dresden, 2015)
 
Einer der bedeutendsten Architekten von Synagogen im Neumaurischen Stil war Wilhelm Stiassny - in ganz Österreich-Ungarn entstanden seine Bauten:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Stiassny
Danke! Wobei Stiassny eben auch nur ein Kind des Historismus war, dessen neumaurische Werke nicht unbedingt das traditionell Jüdische wiederspiegeln müssen. (natürlich können sie dies tun, nur als Beweis dienen sie wenig).

Es sieht aber tatsächlich schlecht aus für den Orientalismus bei Synagogen (außerhalb von Spanien) vor dem Historismus:

Habe dazu noch folgende Darstellungen gefunden:

Die Auseinandersetzung in der aschkenasischen Kultur mit der sefardischen hat im 19. Jahrhundert im Rahmen der Wissenschaft des Judentums angehoben und hatte gerade im Zusammenhang mit Fragen nach der („eigentlichen“) jüdischen Identität in einer Umgebung, in der Ausgrenzung und Assimilationsdruck ständig erfahren wurden, „neue“ Aktualität. (hbjk.sbg.ac.at)

sowie:

Die Frage des Baustils, seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts im Kontext nationaler Identitätsbildung allgemein diskutiert, wurde im Synagogenbau zu einem besonderen Problem, denn es gab keinen spezifisch jüdischen historischen Synagogenbaustil, auf den man hätte zurückgreifen können. So gaben bei der Wahl des Baustils eher politisches Kalkül und Selbstbewusstsein den Ausschlag als die religiöse Richtung. (Saskia Rohde, »Synagoge(n)«, Das jüdische Hamburg)
 
Mal ein außer-europäisches Beispiel: Synagogen in Iran unterscheiden sich architektonisch wenig von dem, was dort ansonsten zeitgleich entstanden ist. Nach den Bildern zu urteilen, die ich im Netz gesehen habe, sind sie eher weniger stark verziert als beispielsweise Moscheen, was zumindest bei den älteren Gebäuden auch daran liegen wird, dass oft nicht genug Geld für die permanent notwendige Instandhaltung der in Iran üblichen Fliesendeko da war.

Hier mal Bilder einer Teheraner Synagoge (19. Jh.):
???? ?????
Die Anlage entspricht genau der in Iran üblichen Wohnarchitektur.
 
Mal ein außer-europäisches Beispiel: Synagogen in Iran unterscheiden sich architektonisch wenig von dem, was dort ansonsten zeitgleich entstanden ist. Nach den Bildern zu urteilen, die ich im Netz gesehen habe, sind sie eher weniger stark verziert als beispielsweise Moscheen, was zumindest bei den älteren Gebäuden auch daran liegen wird, dass oft nicht genug Geld für die permanent notwendige Instandhaltung der in Iran üblichen Fliesendeko da war.

Hier mal Bilder einer Teheraner Synagoge (19. Jh.):
???? ?????
Die Anlage entspricht genau der in Iran üblichen Wohnarchitektur.
Danke für die Bilder! Die Fensterrahmen mit dem polygonalen Muster hätte ich so um 1940 vermutet (anfangs 20. Jh., wären sie in Europa), aber die Ezra Yaghoub Synagoge in Teheran wurde angeblich 1894–1895 erbaut; fast könnte man sagen: ›Iranischer Jugendstil‹. Bemerkenswert auch die Eigenschaft iranischer Synagogen auch als Kulturzentrum und Schule, ähnlich wie bei Moscheen.


Interessant übrigens auch der Wikipedia Artikel zu Synagogue Archtecture betreffend Synagogen in Polen: According to Louis Lozowick, writing in 1947, the wooden synagogues were unique because, unlike all previous synagogues, they were not built in the architectural style of their region and era, but in a newly evolved and uniquely Jewish style, making them "a truly original folk expression," whose "originality does not lie alone in the exterior architecture, it lies equally in the beautiful and intricate wood carving of the interior.
Der prächtige Holzbau in Polen auf dem beiliegeden Photo erinnert doch stark an russische Architektur des 19. Jhs., sodass ich hier eher auf eine aus Russland stammende Tradition tippen würde.
 
...was zumindest bei den älteren Gebäuden auch daran liegen wird, dass oft nicht genug Geld für die permanent notwendige Instandhaltung der in Iran üblichen Fliesendeko da war.

Bezieht sich das auf einer konkreten Erfahrung oder auf einer Annahme deinerseits? Fliesen sind zwar teuer in der Anschaffung, brauchen danach i.d.R. jedoch kaum Instandhaltung, vor allem in Innenräumen.
 
Im Diaspora-Museum in Tel Aviv werden Modelle von Synagogen aus allen Teilen der Welt gezeigt - sehr spannend fand ich die Synagoge von Kaifeng aus dem 12. Jhdt. die aussah wie ein konfuzianischer Tempel.
 
Tipp: Bet Tfila Forschungsstelle, da müsste einiges zur Synagogenarchitektur zu finden sein.
 
Bezieht sich das auf einer konkreten Erfahrung oder auf einer Annahme deinerseits? Fliesen sind zwar teuer in der Anschaffung, brauchen danach i.d.R. jedoch kaum Instandhaltung, vor allem in Innenräumen.
Diese Fliesen müssen eigentlich alle paar Jahrzehnte erneuert werden. Manche historischen Gebäude in Iran sind praktisch immer Baustelle.
Oft war es auch so, dass in wirtschaftlich schwierigen Zeiten überhaupt nichts instandgehalten wurde und alle Fliesen nach und nach runterfielen. Das wunderschöne Isfahan z.B. war in schlimmem Zustand nach den Machtkämpfen im 18./19. Jh.. Vieles ist dort erst im 20. Jh. wieder restauriert worden.
Dazu kommt noch, dass in solchen Krisenzeiten - wenn sie lange genug dauern - einfach alle Fachleute wegsterben und ihr Wissen kaum noch weitergeben. Wenn dann wieder bessere Jahre gekommen sind, lassen sich die wenigen Experten entsprechend teuer bezahlen.
 
@ Rovere: Deine Anregung mit dem Diaspora Museum hat mir viel geholfen, auch in andere Richtungen zu suchen, v.a. auch nach Rekonstruktionen, aber auch nach erhaltenen Bruchstücken.


@ Hulda: großartiger Tipp! Die Tfila Forschungsstelle ist eine wahre Goldgrube!



Ich fasse mal meine bisherigen Erkenntnisse (möglichst) kurz zusammen:

Auch die Juden waren in Europa um 1830–1840 auf Identitätssuche, einerseits wegen der neuen Freiheit nach der Franz. Revolution, aber andererseits auch aus den genau gleichen Gründen, welche die Menschen generell in der Vergangenheit suchen ließ, was den Historismus bewirkte. Man sagt, zuvor habe es keinen typisch jüdischen Baustil gegeben.

Zu beobachten sind zwei wesentliche Referenzen des Historismus bei Synagogen (anzumerken sei, dass der Historismus auch sonst einigen Gebäudetypen ganz gewisse Stile vorbehielt):
1. die Romanik
2. die maurische Architektur

Generell konnte ich bisher folgende Stilelemente bei Synagogen-Bauten ausmachen:

1. den wuchtigen Rundbogen mit breitem, verziertem Rahmen, meist mit tiefen Kämpfern, manchmal sogar ganz ohne Stützen. Zudem wurde der historische Bezug oft mit einer Ausführung als Stufenportal unterstrichen. (Ref.: Romanik, z.B. die Kirche San Martín de Matalbaniega)

2. die meist bescheidene Größe. Dies stammt zwar sicherlich aus der Unterdrückung vor dem 19. Jh. und wird auch mit der kleineren Anzahl der Juden begründet, ist aber auch später und eigentlich überall die Regel.

3. den Verzicht auf das Nach-oben-Streben, auf das Zum-Himmel-Zeigen, wie es z.B. bei christlichen Kirchen der Gotik besonders ausgeprägt ist. Stattdessen findet man oft (auch wenn mit Turm, der selten spitzig ist) eine massive Erdverbundenheit, eine archaisch anmutende Schwere, die einerseits auf die Bezogenheit auf das Diesseits, aber auch auf die Betonung des Alters des Judentums hindeuten mag. (Ref.: Antike/Proto-Romanik)

4. modular anmutende, zerstückelte Bauweise. Findet man bei Synagogen besonders häufig; dem Hauptbau werden zahlreiche Anbauten (ähnlich den Apsiden) hinzugefügt. Der bewusste Grund mag in der vielseitigen Nutzung liegen, sowie in der Abschwächung der Schwere der massiven Bauweise. Unbewusst mag aber die Zersplitterung des Judentums eine Rolle gespielt haben. (Ref.: Antike/Proto-Romanik/Romanik, aber auch die Maurische Architektur)

5. die Freude am Schmücken.(Ref.: v.a. die maurische Architektur) Dies ist sicherlich auf die Ästhetik des Orientalismus und auf die Vorliebe fürs Spitzenhafte der Belle Époque zurückzuführen. Doch das längere Fortbestehen dieser Vorliebe deutet auf eine tiefere Verankerung, die z.B. auch der Grund für die maurischen Synagogen in Spanien gewesen sein könnte, die nach der Reconquista entstanden waren; d.h. das beharrliche Festhalten an einer Tradition.(während sich selbst die Mudéjares eher an die christliche Bauart anpassten*, Bsp. die Kathedrale von Teruel) Also auch hier der Wunsch nach Wurzeln, was die jüdische Architektur trotz unterschiedlichster Stile und Anpassungen durch die Jahrhunderte trägt.
(*: bin mir nicht 100% sicher bei dieser Verallgemeinerung)


Vielmehr hab ich nicht, vorläufig. Was mir v.a. fehlt, sind die Referenzen für die jüdische Ornamentik, bei der ich aber erstmal die typischen Merkmale herausfiltern muss.
 
Ich bin heute, bei anderweitigen Recherchen, zufällig auch auf zwei Synagogen gestoßen: die große Synagoge von Nürnberg, ein neomudejarer Kuppelbau (man muss dazu allerdings auch wissen, dass Kuppeln, die ja eigentlich nicht zum maghribinisch-andalusischen Stil gehören im frühen 20. Jahrhundert als orientalisierendes Elemente selbst in der Alhambra, beim Patio de Leones verbaut wurden, weil man das in der damaligen Rekonstruktion für angemessen hielt) und auf die Synagoge in Ansbach, die sich knapp 100 Jahre vor dem Historismus architektonisch kaum von sonstigen spätbarocken Bauwerken unterscheidet.
 

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