Ursprünge des griechischen Pantheon

Chan

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Auf die Schnelle zwei Zitate von Fachleuten. Mehr dann wieder morgen (oder so).

Prof. Beate Pongratz-Leisten, New York, über das wichtigste religiöse Fest des babylonischen Reiches, das sog. Akitu-Fest (Neujahrsfest):

(Territorialer Führungsanspruch und religiöse Praxis in Assyrien, 8-9)

Die Intention sowohl von Mythos wie auch Ritual liegt im Neujahrsfest zu Babylon in der Erklärung und Re-etablierung der bestehenden Ordnung, d.h. in der wiederholten Ausrufung Marduks zum König der Götter und der Bestimmung der Stadt Babylon zum Kultort Marduks. Auf der rituellen Ebene ist die wesentliche zweite Kompomente die Legitimation des Königtums.
(...)
Neben der Möglichkeit, das akitu-Fest und seine Götterprozession als Mittel zur Darstellung königlicher Macht und königlichen Reichtums sowie göttllicher Gunst zu nutzen, ist dieser Rechenschaftsbericht (des Königs gegenüber dem Hohepriester im Rechenschaftsritus, Anm. Chan) der eigentliche Faktor, der auf der einen Seite die Sakralisierung und damit die Immunisierung des Königtums alljährlich neu bewirkt, gleichzeitig aber auch eine Kontrolle des Königtums durch die babylonische Elite gewährleistet.


Prof. G. Selz, Wien (ein Follower meiner academia.edu-Seite), über den sumerischen Stadtgott-Kult:

(Reallexikon der Assyriologie, Art. Stadtgott, 76)

Die theologisch zu diesen (dem obersten Götterpaar eines Stadtpantheons, Anm. Chan) gehörenden Götter bilden mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung die irdischen Herrschaftsverhältnisse ab. Die Feste des Stadtgottes sind entsprechend religiös-politische Machtfeiern und spielen im gesellschaftlichen Leben eine herausragende Rolle.
(...)
Im 3. Jt. sind Herrscher nicht nur irdische Stellvertreter des Stadtgottes, sondern sie übernehmen auch (rituell) seine Funktionen, sie sind eine Art "earthly alter ego".

Das bestätigt auch mein Statement, dass die "Henne" (irdische Hierarchie) dem "Ei" (göttliche Hierarchie) logisch vorausgeht, letzteres das erstere also abspiegelt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dennoch halte ich den Begriff egalitär für durchaus zutreffend, zumindest für manche vorschriftliche Gesellschaften.
Wie paläo-, meso- und frühneolithische Gesellschaften verfasst waren, darüber erlaube ich mir kein Urteil. Ob hierarchisch oder egalitär, ob patri- oder matrilinear, ob patri- oder matriarchalisch. Wenn ich mich gegen bestimmte Deutungen so dezidiert ausspreche, sollte man nicht den falschen Schluss ziehen, dass ich eine andere Deutung favorisiere. Täte ich das, würde ich mich auf dasselbe Glatteis begeben, vor dem ich so warne: Aufgrund spärlicher archäologischer Funde viel zu weitreichende Konsequenzen zu ziehen und diese dann auch noch als Grundkonstituente zu generalisieren.

Streifende Jäger und Sammler haben mE keinen Bedarf an Sklaven. Wie diese kontrollieren, wie ihre Arbeitskraft ausbeuten? Die Tuareg als Viehzüchter dürften bspw eine andere Vorstellung von Besitz gehabt haben als Wildbeuter.
Darum ging es in dem Beispiel gar nicht. Die Twareg sind für mich bestimmt keine Schablone für eine prä- oder protoneolithische Gesellschaft. Da die Twareg bis in die Gegenwart existieren und ihre gesellschaftlichen Verhältnisse bekannt sind, eignen sie sich nur besonders gut das Problem des archäologischen Befundes aufzuzeigen. Die existierenden sozialen Schranken zwischen den Twareg kann man vor allem am Verhalten der Menschen untereinander erkennen, kaum aber in ihrer Materialkultur. Im archäologischen Befund - und nichts anderes haben wir vor der Bronzezeit, für viele Gesellschaften erst noch viel später - schlägt sich die soziale Differenzierung der Twareg nicht erkennbar nieder. Die Archäologie hat hier ein methodisches Problem, wenn sie glaubt, bei jeder Kultur soziale Schranken erkennen zu können.
Das heißt wiederum im Umkehrschluss nicht, dass es gar nicht möglich wäre, in Gesellschaften soziale Schranken zu erkennen, wobei auch Freiheit, soziale Sicherheit, Reichtum und Adel in sozial differenzierten Gesellschaften nicht immer korrelieren. Einem römischen Sklaven konnte es besser gehen, als manch einem freien Bürger, wenn er nur an der richtigen Stelle eingesetzt wurde. Der reichste Mann Athens konnte ein Metoike sein, der bei politischen Entscheidungsprozessen keinerlei Mitspracherecht hatte (und es sich allenfalls erkaufen konnte), ein Fugger konnte eine Burg erwerben und zum Renaissanceschloss ausbauen und Kaiserwahlen finanzieren, er blieb trotzdem ein Krämer und wurde dadurch kein Adeliger.
 
Das bestätigt auch mein Statement, dass die "Henne" (irdische Hierarchie) dem "Ei" (göttliche Hierarchie) logisch vorausgeht, letzteres das erstere also abspiegelt.

Die "Reihenfolgehypothese" für den Kontext gruppenspziologisch wirkender Religionen wird darin überhaupt nicht angesprochen, folglich bestätigen die zitierten Textstellen weder eine Hypothese noch verwerfen sie andere.

Der Zeitbezug ist im Übrigen falsch, und der Fachdisput über die Reihenfolgenhypothese prosozialer Religionen, Katalysator oder Folge, ("Big Gods and Big Groups"?) setzt viel früher an:

Göbekli Tepe suggests the idea that early stirrings to worship Big Gods motivated people to take up early forms of farming, and not the other way around. An analysis of the blades made of volcanic ash found on the site suggests that it attracted pilgrims from a wide range of locations. This raises the possibility that the temple was an early cosmopolitan center. Schmidt argues that the initial religious impulse to periodically congregate and worship among at least some hunter-gatherer groups in the Middle East might have led to semipermanent settlements around the sacred area. People likely continued to lead a hunter-gatherer existence, possibly for a long time. Eventually, however, settlements swelled. Hunting and gathering cannot feed large populations. This might have created the impetus for experimentation with an agricultural lifestyle in addition to hunting. Animal and plant domestication, in turn, would have led to food surpluses, and larger population sizes. In turn, this demographic growth, along with conquest or absorption of smaller groups, would have facilitated the cultural spread of these peculiar religious beliefs.

This hypothesis, which sees prosocial religions with Big Gods as a contributing factor (rather than merely as a side-effect of settled agriculture), fits better with the other observations discussed in this book. It is consistent with the psychological evidence that supernatural monitoring, and credible displays of faith to watchful deities, encourage cooperation, contribute to trust, and enable collective action among groups of strangers. It is also consistent with the historical evidence from the written record pointing to the role that these belief-ritual religious complexes played in the establishment of long-distance trade. This hypothesis accounts for the cultural spread of prosocial religions at the dawn of the agricultural revolution by assuming that, at the very least, Big Gods were one critical causal factor that contributed to the rise of large groups unleashed by agriculture. It would also explain the glaring absence of evidence for domesticated grains and animals in Göbekli Tepe."

Norenzayan, Big Gods - How Religion Transformed Cooperation and Conflict, 2013.

Zusammenfassend: der Disput ist offen, bestätigte Hypothesen gibt es nicht, folglich sind auch keine definitiven Antworten auf die Frage abzugeben. Beide Hypothesen, Huhn und Ei, werden vertreten.

Siehe auch (habe ich schon häufiger drauf verwiesen) zur sozio-anthropologischen Forschung:

Dubreuil, Human Evolution and the Origins of Hierarchies, 2010
 
...oh... gibt es hier eines? Die alten Griechen samt ihrem Pantheon sind ja sinnigerweise seit längerem von der heilsbringenden Praehistorie vereinnahmt worden, die ganz gewiß egalitären oder sonstigen Aufschluß über die alten Griechen bringen wird... :D:D:D

In der Tat!

Einige griechische Götter wie Artemis, Demeter oder Aphrodite werden einer vorgriechischen altmediterranen Bevölkerung zugeschrieben. Wackelt da der Olymp oder haben die ollen Griechen nur im Sinne des Feminismus gewirkt? :frauenpower:
 
Auf die Schnelle zwei Zitate von Fachleuten. Mehr dann wieder morgen (oder so).

Prof. Beate Pongratz-Leisten, New York, über das wichtigste religiöse Fest des babylonischen Reiches, das sog. Akitu-Fest (Neujahrsfest):

(Territorialer Führungsanspruch und religiöse Praxis in Assyrien, 8-9)

Die Intention sowohl von Mythos wie auch Ritual liegt im Neujahrsfest zu Babylon in der Erklärung und Re-etablierung der bestehenden Ordnung, d.h. in der wiederholten Ausrufung Marduks zum König der Götter und der Bestimmung der Stadt Babylon zum Kultort Marduks. Auf der rituellen Ebene ist die wesentliche zweite Kompomente die Legitimation des Königtums.
(...)
Neben der Möglichkeit, das akitu-Fest und seine Götterprozession als Mittel zur Darstellung königlicher Macht und königlichen Reichtums sowie göttllicher Gunst zu nutzen, ist dieser Rechenschaftsbericht (des Königs gegenüber dem Hohepriester im Rechenschaftsritus, Anm. Chan) der eigentliche Faktor, der auf der einen Seite die Sakralisierung und damit die Immunisierung des Königtums alljährlich neu bewirkt, gleichzeitig aber auch eine Kontrolle des Königtums durch die babylonische Elite gewährleistet.

Prof. G. Selz, Wien (ein Follower meiner academia.edu-Seite), über den sumerischen Stadtgott-Kult:

(Reallexikon der Assyriologie, Art. Stadtgott, 76)

Die theologisch zu diesen (dem obersten Götterpaar eines Stadtpantheons, Anm. Chan) gehörenden Götter bilden mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung die irdischen Herrschaftsverhältnisse ab. Die Feste des Stadtgottes sind entsprechend religiös-politische Machtfeiern und spielen im gesellschaftlichen Leben eine herausragende Rolle.
(...)
Im 3. Jt. sind Herrscher nicht nur irdische Stellvertreter des Stadtgottes, sondern sie übernehmen auch (rituell) seine Funktionen, sie sind eine Art "earthly alter ego".

Das bestätigt auch mein Statement, dass die "Henne" (irdische Hierarchie) dem "Ei" (göttliche Hierarchie) logisch vorausgeht, letzteres das erstere also abspiegelt.

Beeindruckend, hat sich das Nobelpreiskomitee schon bei dir gemeldet?
 
Beeindruckend, hat sich das Nobelpreiskomitee schon bei dir gemeldet?

Für eine solche Erkenntnis bedarf es keiner nobelpreiswürdigen Denkleistung, ein klarer Blick auf die Dinge reicht. Nicht jeder hat diesen. Wenn z.B. EQ der Auffassung ist, dass sich Systeme selbst erschaffen und die herrschenden Eliten nur willenlose Marionetten sind (Eliten sind "Teil des Systems" und mehr nicht), dann hat das meiner Meinung nach mit Klarblick nichts und mit apologetischer Ideologie viel zu tun.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber etwas Lesevermögen vorausgesetzt, kann man bemerken, dass es laut Überschrift und #1 hier - innerhalb der Rubrik Antikes Griechenland - Geschichtsforum.de - Forum für Geschichte - nicht um assyrische Spezialitäten oder noch ältere Angelegenheiten geht. Sondern?

Es ist ja nicht das erste Mal, dass in einem Thread zwischendurch ein Thema durchgekaut wird, das nicht unmittelbar mit dem Hauptthema zu tun hat. Ich erinnere an die ewig breite Rassismusdebatte auch unter Beteiligung des MOD-Teams im letzten Jahr in einem Thread, der mit diesem Thema gar nichts zu tun hatte. Ich könnte auch andere Beispiele nennen.

Und was "mein" Thema mit dem Untergang der griechischen Religion zu tun haben könnte?

Indirekt sehr viel. Der klassische griechische Polytheismus war eine regionale Variante der altorientalischen königsideologischen Himmelshierarchie mit einem - im Alten Orient ab dem 3. Jt. verbindlichen - männlichen Königsgott an der Spitze, wobei die Patriarchalisierung des ursprünglich sohnhaften Zeus (von den Mykenern importiert aus Kreta als zunächst jugendlicher Sohn der lokalen minoischen Muttergöttin) sich entweder von der Patriarchalisierung der griechischen Familie herleitet (so G.M. Calhoun) oder von dem Bestreben der mykenischen Elite, ihrem Hegemonialanspruch über Griechenland durch die Besetzung der Pantheonspitze mit dem mykenischen Zeus Ausdruck zu verleihen (so Martin Persson Nilsson). Jedenfalls zeigt der Wandel des Zeus vom Sohngott zum Vatergott sehr gut die systemprägende Macht der herrschenden Elite, um die es mir in meinen letzten Beiträgen hier ging.

Insofern also der klassische Polytheismus Ausdruck einer autokratischen und im 3. bis 1. Jt. BCE allgemein verbreiteten Königsideologie war, musste die seit dem 6. Jh. in Griechenland einsetzende relative Demokratisierung zu einer ersten Schwächung eines solchen theologischen Systems führen, flankiert durch das Aufkommen aufklärerischer Philosophie sowie der einflussreichen Erlöser-Mysterienkulte, die im Unterschied zum griechischen Polytheismus eine lebendige und authentische Religiosität manifestierten. Die Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg im 4. Jh. schwächte das klassische athenische Pantheon ebenfalls, das nun seine Glaubwürdigkeit verloren hatte, weil seine Götter Athen nicht hatten beschützen können.

Es waren also diese vier Faktoren: (1) die Niederlage Athens und die damit verbundene Entzauberung der Polisreligion, (2) die (relative) attische Demokratisierung, die allerdings Mitte des 3. Jh. ein Ende fand, (3) die anti-polytheistische Philosophie sowie (4) die vitalen und einflussreichen Erlöser-Mysterienkulte, die dem klassischen Polytheismus nach und nach den Boden entzogen. Den Rest gab ihm dann das zu staatlicher Macht gelangte Christentum.

Im Zusammenhang mit meinem "Offtopic"-Thema spielen dabei vor allem Punkt (3) und (4) eine Rolle, da diese die Relevanz eines hierarchischen Pantheons für den Machterhalt einer autokratischen Elite systematisch untergraben haben.

Dass das Christentum schließlich diese Machterhaltungsrolle übernehmen konnte im Zuge einer persönlichen Entscheidung Konstantins, liegt u.a. daran, dass die beiden Aspekte (3) und (4), also Philosophie und Erlöser-Mysterium, integrale Bestandteile des christlichen Systems waren, die es den klassischen polytheistischen Systemen überlegen erscheinen ließen.

Zu (4): Das Christentum ist entweder aus einem hellenistisch-judäischen Mysterienkult hervorgegangen oder es hat früh Aspekte aus zeitgleichen Mysterienkulten übernommen, vor allem das Motiv der Gottessohnschaft, des Erlösers, der Taufe und der Eucharistie. Zu (3): Dass das Christentum ein Amalgam aus Erlöser-Religion und hellenistischer Philosophie ist, braucht nicht weiter erläutert zu werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn z.B. EQ der Auffassung ist, dass sich Systeme selbst erschaffen und die herrschenden Eliten nur willenlose Marionetten sind (Eliten sind "Teil des Systems" und mehr nicht), ...

Da hast du etwas falsch verstanden oder falsch verstehen wollen. Religionen sind ja nicht plötzlich da und werden geglaubt. Sie entwickeln sich. Ich stelle mir das recht primitiv vor. Am Anfang beindruckt die Menschen die Sonne oder sie benötigen Regen oder es erschreckt sie ein Vulkan oder ein Gewitter. Sie sehen einen Geist in den Dingen. Um etwas zu bekommen, muss man etwas geben. Und so entwickelt sich ganz allmählich und fortschreitend eine Religion, erst dinglich, dann ganz allmählich eine zugehörige Mythologie. Bis man dann irgendwann bei den Geschichten sind, die wir von ägyptischen, griechischen, römischen und anderen Göttern überliefert haben. Wir reden hier von Gesellschaften die in Personenverbänden agieren und sich erst ganz allmählich zu komplexen Zivilisationen entwickeln.
 
Indirekt sehr viel. Der klassische griechische Polytheismus war eine regionale Variante der altorientalischen königsideologischen Himmelshierarchie mit einem - im Alten Orient ab dem 3. Jt. verbindlichen - männlichen Königsgott an der Spitze, wobei die Patriarchalisierung des ursprünglich sohnhaften Zeus (von den Mykenern importiert aus Kreta als zunächst jugendlicher Sohn der lokalen minoischen Muttergöttin)

Soweit mir bekannt, haben zahlreiche griechische Götter indoeuropäische Ursprünge (z.B. Zeus) oder altmediterrane (z.B. Aphrodite oder Artemis). Was Zeus betrifft lese ich im "Lexikon der Antike":

"Wie bei keinem anderen olympischen Gott sind bei Zeus die indogermanische Etymologie und Bedeutung und damit bereits vormediterrane, aus indogermanischer Religion stammende Ursprungs- und Wesensmerkmale zweifelsfrei."

Zu einer Verehrung des Zeus auf Kreta kam es erst in griechischer Zeit, d.h. mach der Besetzung Kretas durch mykenische Griechen etwa ab 1450 v. Chr. In minoischer Zeit gab es einen Sonnengott unter verschiedenen Namen wie Atymnos in Gortyn, Talos in Phaistos oder Hyakinthos in Tylissos. Später ersetzten die Griechen diese minoische Gottheit durch ihren höchsten Gott Zeus oder Zan.
 
Aber etwas Lesevermögen vorausgesetzt, kann man bemerken, dass es laut Überschrift und #1 hier - innerhalb der Rubrik Antikes Griechenland - Geschichtsforum.de - Forum für Geschichte - nicht um assyrische Spezialitäten oder noch ältere Angelegenheiten geht. Sondern?

Ich muss eine Begriffsklärung nachreichen. "Assyriologie" (du spielst dabei auf den Namen des von mir zitierten Lexikons an) meint nicht nur die Beschäftigung mit assyrischer Kultur usw., sondern bezieht sich auf das Altorientalische im Allgemeinen. Ein synonymer Begriff ist Altorientalistik.

Altorientalistik ? Wikipedia

Die Altorientalistik ist die Wissenschaft von Sprachen, Geschichte und Kulturen des Alten Orients vom Auftreten der ersten Keilschrifttexte im späten 4. Jahrtausend v. u. Z. bis zum Erlöschen der Keilschrift um die Zeitenwende. Da die ersten größeren Ausgrabungen im antiken Assyrien stattfanden, wurde die Altorientalistik früher und traditionell bisweilen bis heute als Assyriologie bezeichnet.


Religionen sind ja nicht plötzlich da und werden geglaubt. Sie entwickeln sich. Ich stelle mir das recht primitiv vor. Am Anfang beindruckt die Menschen die Sonne oder sie benötigen Regen oder es erschreckt sie ein Vulkan oder ein Gewitter. Sie sehen einen Geist in den Dingen. Um etwas zu bekommen, muss man etwas geben. Und so entwickelt sich ganz allmählich und fortschreitend eine Religion, erst dinglich, dann ganz allmählich eine zugehörige Mythologie. Bis man dann irgendwann bei den Geschichten sind, die wir von ägyptischen, griechischen, römischen und anderen Göttern überliefert haben. Wir reden hier von Gesellschaften die in Personenverbänden agieren und sich erst ganz allmählich zu komplexen Zivilisationen entwickeln.

Daraus ersehe ich aber nicht, wie du dir das Verhältnis zwischen religiösem System und Herrscherelite vorstellst, das ich - angeregt durch Erik Eriksons von Dieter kritisierte Bemerkung - thematisiert habe. Meine Auffassung von der Entwicklung des religiösen Denkens habe ich in diversen Artikeln öfters dargelegt. Ich fasse es nochmals grob zusammen: Religiöses Denken entstand im Paläolithikum als Glaube an eine mit der Natur verschmolzenen parthenogenetischen ´Urmutter´ und wurde im Neolithikum um die Kategorie eines Sohn-Geliebten dieser Urmutter (ab dann die anthropomorphe Große Göttin) erweitert, der zunächst als fruchtbarer Stier symbolisiert wurde, was auch noch in späterer Zeit oft ein Merkmal männlicher Götter war (z.B. Zeus, Baal, Apis, Enlil und deutlich auf die archaische Mutterbeziehung hinweisend der Sonnengott Re = Kamutef = Stier seiner Mutter).

(siehe dazu auch: "The Cult of the Mother-Goddess" von Prof. E.O. James / Universität London)

Im Zuge der Ausdifferenzierung der Sozialsysteme kamen weitere "spezialisierte" Gottheiten hinzu. Die männlichen Gottheiten gewannen im Zuge der Patriarchalisierung ab dem 5. Jt. im Verhältnis zu den Göttinnen immer mehr Bedeutung und dominierten die Panthea schließlich ab dem 3. Jt., in Mesopotamien Enlil (der in Assyrien zu ´Assur´ wurde) und in Ägypten Horus und Re (in differenten Funktionen).

(Zur Dominanz weiblicher Gottheiten in den sumerischen Panthea des 4. Jt. siehe die Arbeiten von P. Steinkeller und P. Espak, zwei international renommierte Altorientalisten, letzterer ein Follower meiner academia.edu-Seite)

Die Strukturierung der Panthea, immer ein dynamischer Prozess, wurde ausschließlich durch die herrschende Elite (Könige und Priester) vorgenommen, und zwar im machtpolitischen Kontext. Der sumerische Himmelsgott An z.B. wurde im Zuge stark patriarchalisierender Tendenzen gegen Mitte des 3. Jt. (siehe auch Gesetzgebung von Urukagina) ´erfunden´, um die Macht der dahin den Himmel allein ´beherrschenden´ Inanna (=Herrin des Himmels) zu brechen, und in Götterlisten als deren ´Großvater´ gekennzeichnet, um seine Überlegenheit auch genealogisch zum Ausdruck zu bringen. Das schwächte indirekt, aber effektiv, auch die soziale Stellung der Frauen. Dass An schon um 3000 in Uruk verehrt wurde, ist zwar eine verbreitete Meinung, aber durch nichts belegt (siehe dazu auch G. Selz, "Religiöse Praktiken im Alten Orient der Frühzeit").

In anderen Mythen mutiert Inanna zur Enkelin des Enlil, obwohl auch dieser Gott später in das sumerische Pantheon eintrat als Inanna. Das waren alles bewusste Modifikationen des theologischen Systems mit dem Zweck, bestimmte sozialpolitische Ziele durchzusetzen, in diesem Fall in Bezug auf die soziale Stellung der Frau. Ähnliches geschah in Griechenland, als die Indoeuropäer ihren Himmelsgott in eine Region mitbrachten (siehe auch Antwort an Dieter), in deren Kult bis dahin die Große Göttin Hera bzw. deren archaische Frühform im Zentrum stand, welche später aufgrund priesterlicher Mythenumschreibung zur untergeordneten Ehefrau dieses Himmelsgottes (Zeus) mutierte. Auch diese theologische Neuerung hatte macht- bzw. sozialpolitische Motive.

Es ist also reduktionistisch zu behaupten, dass die Herrscherelite nur ein "Teil des Systems" war. Die Realität war komplexer und dialektischer: Die Elite wurde zwar in Systeme hineingeboren, hatte aber immer auch die Macht, das System zu verändern, wenn sie das aus meistens machtpolitischen Gründen für opportun hielt. Diese Dynamik war von dem Moment an wirksam, als der Übergang von flachen zu "steilen" machtorientierten Hierarchien stattfand (so wird das Gegenteil von flacher Hierarchie genannt). Diesen Übergang kann man im 5. Jt. ansetzen, erkennbar vor allem an den zunehmenden Statusdifferenzen bei der Bestattung.

Man sollte bei der Betrachtung dieses Themas übrigens Fallbeispiele liefern (wie ich es tue), statt, wie du, nur allgemeine Thesen zu präsentieren ohne Bezug zu konkreten religionshistorischen Phänomenen.

Ich will das Thema an dieser Stelle aber nun wirklich nicht mehr weiter verfolgen, vielleicht kann man irgendwann einen separaten Thread daraus machen.

"Wie bei keinem anderen olympischen Gott sind bei Zeus die indogermanische Etymologie und Bedeutung und damit bereits vormediterrane, aus indogermanischer Religion stammende Ursprungs- und Wesensmerkmale zweifelsfrei."
Zu einer Verehrung des Zeus auf Kreta kam es erst in griechischer Zeit, d.h. mach der Besetzung Kretas durch mykenische Griechen etwa ab 1450 v. Chr.

Mir fehlt leider die Zeit, um in dieses Thema vertieft einzusteigen. Soweit ich das überblicke, gibt es zwei Ursprungstheorien - indogermanisch und kretisch -, welche triftige Argumente für sich haben, wobei auch eine Synthese denkbar ist. Auch der syrische Wettergott Baal hat Wichtiges zur klassischen Zeusvorstellung beigesteuert (Blitzeschleudern). Dass auf Kreta Zeus in minoischer Zeit nie verehrt wurde, wäre mir neu. Ich habe wiederholt gelesen, dass Zeus dort in Form eines jugendlichen Sohngeliebten der Großen Göttin verehrt wurde, z.B. in einer Arbeit von Prof. Robert Koehl: "Sacred Marriage in Minoan Religion and Ritual"...

Zitat:
The form and significance of the worship of Zeus on Crete is best characterized by the so-called Diktaian Hymn, also from the Eteocretan town of Palaikastro.

(bezogen auf die spätminoische Zeit)

... und dass das minoische Kreta, worauf die Zeusmythologie deutlich hinweist, der historische Ursprungsort der Zeusvorstellung war, freilich eines noch, wie gesagt, jugendlichen Zeus, der erst in Griechenland zum Vatergott transformiert wurde.

Dazu Wiki:

https://en.wikipedia.org/wiki/Zeus#Zeus_Velchanos

With one exception, Greeks were unanimous (=stimmten darin überein) in recognizing the birthplace of Zeus as Crete. Minoan culture contributed many essentials of ancient Greek religion: "by a hundred channels the old civilization emptied itself into the new", Will Durant observed,[32] and Cretan Zeus retained his youthful Minoan features. The local child of the Great Mother, "a small and inferior deity who took the roles of son and consort",[33] whose Minoan name the Greeks Hellenized as Velchanos, was in time assumed as an epithet by Zeus, as transpired at many other sites, and he came to be venerated in Crete as Zeus Velchanos ("boy-Zeus") often simply the Kouros.

Ein anderes Beispiel für die Beziehung zwischen einer Muttergöttin und ihrem parthenogenetisch empfangenen Sohngeliebten ist Gaia / Uranos.

Wenn du darüber Fragen an Koehl hast, schreib ihm doch; erfahrungsgemäß dauert es aber einige Zeit, bis dieser vielbeschäftigte Archäologe - einer der weltbesten Experten für ägäische Kulturen - antwortet.

+++

Auf Dekumatlands Antwort gehe ich aus Zeitgründen erst morgen ein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Meine Auffassung von der Entwicklung des religiösen Denkens habe ich in diversen Artikeln öfters dargelegt. Ich fasse es nochmals grob zusammen: Religiöses Denken entstand im Paläolithikum als Glaube an eine mit der Natur verschmolzenen parthenogenetischen ´Urmutter´ und wurde im Neolithikum um die Kategorie eines Sohn-Geliebten dieser Urmutter (ab dann die anthropomorphe Große Göttin) erweitert, der zunächst als fruchtbarer Stier symbolisiert wurde, was auch noch in späterer Zeit oft ein Merkmal männlicher Götter war (z.B. Zeus, Baal, Apis, Enlil und deutlich auf die archaische Mutterbeziehung hinweisend der Sonnengott Re = Kamutef = Stier seiner Mutter).

(siehe dazu auch: "The Cult of the Mother-Goddess" von Prof. E.O. James / Universität London)

Das ist doch alles an den Haaren herbeigezogen! Eine altsemitische bereits schriftliche Kultur mag sich vielleicht heranziehen lassen, um die ältesten Schichten der Religion ihrer direkten Vorgängerkulturen versuchsweise zu rekonstruieren. Aber das kann man doch nicht auf alle Kulturen generalisieren!

Im Zuge der Ausdifferenzierung der Sozialsysteme kamen weitere "spezialisierte" Gottheiten hinzu. Die männlichen Gottheiten gewannen im Zuge der Patriarchalisierung ab dem 5. Jt. im Verhältnis zu den Göttinnen immer mehr Bedeutung und dominierten die Panthea schließlich ab dem 3. Jt., in Mesopotamien Enlil (der in Assyrien zu ´Assur´ wurde) und in Ägypten Horus und Re (in differenten Funktionen).
Auch das: Reine Spekulation! Im Übrigen hast du mir vor wenigen Tagen noch vorgeworfenn, ich würde dich falsch wiedergeben, wenn ich schriebe, dass du ein paläohistorisches Matriarchat behauptest. Letztendlich, wenn man zu Ende denkt, was du hier schreibst, tust du aber nichts anderes als ein paläohistorisches Matriarchat zu behaupten.

(Zur Dominanz weiblicher Gottheiten in den sumerischen Panthea des 4. Jt. siehe die Arbeiten von P. Steinkeller und P. Espak, zwei international renommierte Altorientalisten, letzterer ein Follower meiner academia.edu-Seite)
Eine Professorin meiner ehemaligen Uni ist auch Followerin meiner academia.edu-Seite. Zu bedeuten hat das allerdings gar nichts. Im Übrigen kommst du hier schon wieder mit Titeln und Renommee von Personen, nicht mit eigentlichen auf überprüfbaren Fakten basierenden Argumenten. Zu schreiben: "Weil zwei international renommierte Wissenschaftler X behaupten muss X stimmen", ist nichts anderes als protoreligiöser Dogmatismus.

Die Strukturierung der Panthea, immer ein dynamischer Prozess, wurde ausschließlich durch die herrschende Elite (Könige und Priester) vorgenommen, und zwar im machtpolitischen Kontext. Der sumerische Himmelsgott An z.B. wurde im Zuge stark patriarchalisierender Tendenzen gegen Mitte des 3. Jt. (siehe auch Gesetzgebung von Urukagina) ´erfunden´, um die Macht der dahin den Himmel allein ´beherrschenden´ Inanna (=Herrin des Himmels) zu brechen, und in Götterlisten als deren ´Großvater´ gekennzeichnet, um seine Überlegenheit auch genealogisch zum Ausdruck zu bringen. Das schwächte indirekt, aber effektiv, auch die soziale Stellung der Frauen. Dass An schon um 3000 in Uruk verehrt wurde, ist zwar eine verbreitete Meinung, aber durch nichts belegt (siehe dazu auch G. Selz, "Religiöse Praktiken im Alten Orient der Frühzeit").
Mag ja alles sein, sagt aber allenfalls etwas über sumerische Religion in bereits verschriftlichen Zeiten aus, nichts über Religionen anderer Völker und schon gar nichts über die Religionen des Paläolithikums.

In anderen Mythen mutiert Inanna zur Enkelin des Enlil, obwohl auch dieser Gott später in das sumerische Pantheon eintrat als Inanna. Das waren alles bewusste Modifikationen des theologischen Systems mit dem Zweck, bestimmte sozialpolitische Ziele durchzusetzen, in diesem Fall in Bezug auf die soziale Stellung der Frau.
Und genau da sind wir wieder beim Problem des Vulgärmarxismus. Könige und Priester werden vom Betrachter aus dem System herausgelöst gesehen. Das missachtet, dass sie immer ein Teil ihrer Gesellschaft waren, in ihr aufgewachsen sind...


Ähnliches geschah in Griechenland, als die Indoeuropäer ihren Himmelsgott in eine Region mitbrachten (siehe auch Antwort an Dieter), in deren Kult bis dahin die Große Göttin Hera bzw. deren archaische Frühform im Zentrum stand, welche später aufgrund priesterlicher Mythenumschreibung zur untergeordneten Ehefrau dieses Himmelsgottes (Zeus) mutierte. Auch diese theologische Neuerung hatte macht- bzw. sozialpolitische Motive.
Auch das ist alles reine Spekulation.

Es ist also reduktionistisch zu behaupten, dass die Herrscherelite nur ein "Teil des Systems" war. Die Realität war komplexer und dialektischer: Die Elite wurde zwar in Systeme hineingeboren, hatte aber immer auch die Macht, das System zu verändern, wenn sie das aus meistens machtpolitischen Gründen für opportun hielt.
Das ist es ja gerade! Die Komplexität des Systems wird ja gerade dadurch verleugnet, dass man die Eliten eben nicht dem System zugehörig betrachtet. Dass man unterstellt, dass die Eliten bei der Veränderung einer Religion nach eigenem Gusto schalten und walten konnten und das "dumme" Volk so knechtete.
Es gibt einen Grund, warum man diese Art der oberflächlichen Religionsbetrachtung allgemein als vulgärmarxistisch bezeichnet.

Diese Dynamik war von dem Moment an wirksam, als der Übergang von flachen zu "steilen" machtorientierten Hierarchien stattfand (so wird das Gegenteil von flacher Hierarchie genannt). Diesen Übergang kann man im 5. Jt. ansetzen, erkennbar vor allem an den zunehmenden Statusdifferenzen bei der Bestattung.
Auch das ist von der archäologischen Methodik her wieder sehr grenzwertig. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass man anhand von archäologischen Zeugnissen nur bedingt etwas über den Status einer Person sagen kann. Beispiel: In den drei monotheistischen Religionen wird der Glaube vertreten, dass irdische Güter nicht ins Jenseits mitgeführt werden können. In der Orthopraxis wird daher auf Grabbeigaben verzichtet, die Orthodoxie dieser Religionen lehnt sie ab. Idealerweise sollte man also auf einem Gräberfeld keine soziale Differenzierung ausmachen können. Auf der anderen Seite hatte ich das Beispiel vom Metoiken in Athen gebracht, der nicht einmal das Bürgerrecht hatte, aber reichster Bewohner der Stadt war. Oder die großen oberdeutschen Handelsfamilien, welche mehr Reichtum erwirtschafteten als sie ausgeben konnten, die lassen sich auch im materialkulturellen Bereich nicht im Status unterscheiden - die Fugger haben sogar ein Burg erworben und zum Schloss ausgebaut - und trotzdem gab es die entsprechenden Standesunterschiede. Also noch mal: Aus archäologischen Befunden lassen sich bzgl. des Status allenfalls Tendenzen ermitteln, Indizien für einen Sachverhalt, nicht viel mehr. Ohne Kenntnis literarischen Überlieferung wüssten wir nichts von den Statusunterschieden eines Fuggers vom Bewohner einer anderen Burg oder von den Statusunterschieden des Athener Metoiken und eines Vollbürgers. Wir würden sie aus dem archäologischen bzw. materialkulturellen Befund schlicht falsch erschließen.


Man sollte bei der Betrachtung dieses Themas übrigens Fallbeispiele liefern (wie ich es tue), statt, wie du, nur allgemeine Thesen zu präsentieren ohne Bezug zu konkreten religionshistorischen Phänomenen.
Dann nenne ich sie jetzt:
Sonne: Helios/Sol/Mithras
Wetter: Donar/Thor/Jupiter/Zeus/Iškur
Naturgewalten: Poseidon/Neptun/Hephaistos/Vulcanos
Krieg: Mars/Ares/Athene
Es handelt sich nur um eine unvollständige Liste, aus der Lamäng.
Hinzu kommen Reisegötter, Jagdgötter etc.

Konkrete religionshistoirsche Phänomene: Unerklärliche Wetterphänomene oder erschröckliche ;) Naturphänomene etc. die Göttern wurden.

Auch der syrische Wettergott Baal hat Wichtiges zur klassischen Zeusvorstellung beigesteuert (Blitzeschleudern).

Ist das so? Ist es nicht eher so, dass Blitz und Donner weltumspannende und für den voraufgeklärten Menschen erschröckliche ;) Phänomene sind?

Man denke an den Investiturstreit, der war eigentlich schon für die Kaiserlichen entschieden. Da schlägt während der Predigt des Utrechter Bischofs, eines Parteigängers der kaiserlichen Seite, in den Dom ein Blitz ein, wenige Wochen später ist er tot: Der Investiturstreit war wieder in vollem Gange und kann schließlich von der päpstlichen Seite erfolgreich beendet werden.
Ein weltumspannendes Phänomen auf einen Gott zu reduzieren und die Abhängigkeit aller anderen von diesem zu unterstellen, ist schon ziemlich fragwürdig.
 
Im Übrigen hast du mir vor wenigen Tagen noch vorgeworfenn, ich würde dich falsch wiedergeben, wenn ich schriebe, dass du ein paläohistorisches Matriarchat behauptest. Letztendlich, wenn man zu Ende denkt, was du hier schreibst, tust du aber nichts anderes als ein paläohistorisches Matriarchat zu behaupten.
Das ist das Problem bei vielen Äußerungen von Chan:
Wenn man schon Dinge an den Haaren herbeiziehen möchte, muss man das so tun, dass man keine Knoten in den Haarschopf knüpft, dann stockt nämlich das Herbeiziehen. Und die so an der Nase Herumgeführten werden es leid, sich immer und immer wieder damit zu beschäftigen. Konsequentes und in sich schlüssiges an den Haaren herbeiziehen hätte wenigstens Unterhaltungscharakter und es würde dem logischen Denkvermögen und der Fantasie des Herbeiziehers Respekt gezollt werden können. Schade, denn ich glaube, dass Chan auch Anderes drauf hat.

So aber leider nur noch :gaehn:
 
Soweit ich das überblicke, gibt es zwei Ursprungstheorien - indogermanisch und kretisch -, welche triftige Argumente für sich haben, wobei auch eine Synthese denkbar ist.

Soweit ich das überblicke, kenne ich keine Hypothese, die eine minoische Herkunft des Zeus annimmt. Zu einer Verehrung des Zeus auf Kreta kam es erst in griechischer Zeit, d.h. mach der Besetzung Kretas durch mykenische Griechen etwa ab 1450 v. Chr. In minoischer Zeit gab es einen Sonnengott unter verschiedenen Namen wie Atymnos in Gortyn, Talos in Phaistos oder Hyakinthos in Tylissos. Später ersetzten die Griechen diese minoische Gottheit durch ihren höchsten Gott Zeus oder Zan.

Auch in dem von dir verlinkten Wiki-Artikel heißt es eindeutig:

"Zeusis the Greek continuation of *Di̯ēus, the name of the Proto-Indo-European god of the daytime sky, also called *Dyeus ph2tēr ("Sky Father"). The god is known under this name in the Rigveda (Vedic Sanskrit Dyaus/Dyaus Pita), Latin (compare Jupiter, from Iuppiter, deriving from the Proto-Indo-European vocative *dyeu-ph2tēr),[12] deriving from the root *dyeu- ("to shine", and in its many derivatives, "sky, heaven, god").[10] Zeus is the only deity in the Olympic pantheon whose name has such a transparent Indo-European etymology."

Mit dem Untergang der griechischen Religion hat das allerdings wenig oder nichts zu tun.
 
ich überfliege diesen Thread zwar nur gelegentlich, aber ich wundere mich, was die Frage, ob und wie weit der griechische Pantheon (oder der anderer indogermanischer Ethnien) auf altorientalische Gottheiten zurückgeführt werden kann, mit dem Untergang von Zeus & Co. zu tun hat.

Vielleicht sollte dafür ein eigener Thread angelegt werden, ob Zeus, Aphrodite, Wotan, Jupiter und der gesamte Restpantheon der indogermanischen Völkerschaften, aus dem alten Orient von den Babyloniern, Sumerern übernommen oder beeinflußt wurden.
 
Ein paar Takte zu Zeus.

Man kann vermuten, dass der indoeuropäische Proto-Zeus einige Analogien zum Wettergott Teshub hatte, dem obersten männlichen Gott der indoeuropäischen Hethiter, die um 1700 in Anatolien ihr Reich gründeten, nachdem die mit ihnen eng verwandten Achäer um 1900 in Hellas die indigene Population unterwarfen und ihr den eigenen Himmelsgott aufzwangen. Die Hethiter verehrten als Hauptgottheit eine Sonnengöttin, die die Paredra, d.h. Partnerin von Teshub war. Sie hatten ihre Hochgöttin allerdings nicht aus den südrussischen Steppen nach Anatolien mitgebracht, sondern aus dem Magna-Mater-Kult der Anatolier übernommen (Sonnengöttin von Arinna) und zur ihrer obersten Staatsgottheit gemacht. Ähnlich verfuhren auch die Achäer, die ihren Proto-Zeus importierten und früher oder später mit der autochthonen Großen Göttin - Hera oder ihre Frühform – liierten, die dem männlichen Gott aber klar untergeordnet war. Was die Hethiter, die wie alle Indoeuropäer ursprünglich keine eigene Sonnengöttin kannten, bewogen hat, an die Stelle ihres Wettergottes Teshub eine fremde Sonnengöttin an die Spitze ihres Pantheons zu stellen, verdient eine gesonderte Untersuchung (Faszination, Kalkül oder mesopotamisch/ägyptischer Einfluss –die dortigen Himmelsgöttinnen- ?).

Mit der Zeus-Vorstellung der klassischen griechischen Zeit hat die ursprüngliche Zeus-Vorstellung jedenfalls kaum mehr zu tun als die tribale Gottesvorstellung der Israeliten, wie sie in den Mose-Büchern zum Ausdruck kommt, mit der philosophisch elaborierten christlichen Gottesvorstellung im 4. Jh. CE. Charakteristisch für den klassischen Zeus sind:

(1)

Zeus´ Position als König eines (allgemein-griechischen) Pantheons. Diese Führungsposition ist erst seit Hesiods ´Theogonie´ und ´Erga´, d.h. seit dem 8. Jh., fest etabliert. Das restliche Pantheon setzt sich überwiegend oder vollständig aus autochthonen mediterranen Gottheiten zusammen, welche von den Eroberern übernommen wurden.

Sehr auffällig ist die starke Tendenz dieses Gottes, Göttinnen (und einen Gott) zu vergewaltigen (z.B. seine Frau Hera, seine Schwester Demeter, seine Tochter Persephone, seine Tochter Nemesis, die Menschenfrau Europa, den Gott Ganymed, sowie, in der orphischen Mythologie, seine eigene Mutter Rhea, und die Nymphe Kallisto). Diese mythologische Häufung des Vergewaltigungsmotivs beim höchsten Gott der patriarchalischen Griechen kann man nur als Glorifizierung sexueller Gewalt (bis auf eine Ausnahme gegen Frauen) verstehen. Dementsprechend galt die Vergewaltigung minderjähriger Mädchen in der griechischen Antike nur als Eigentumsdelikt (Wertminderung) und wurde mit Geldstrafe (zu zahlen an den Vater) geahndet.

(2)

Zeus´ Position innerhalb einer Götter-Genealogie, deren Glieder ebenfalls überwiegend oder vollständig, abgesehen von Zeus, autochthonen helladischen Ursprungs sind. Dabei ragen heraus:

a) Rhea, die Mutter des Zeus, welche minoische Wurzeln hat und - wie laut Herodot auch Athene - auf jene kretische Berg- und Muttergöttin zurückgeht, die mit einem Sohn-Geliebten in Beziehung stand, welcher mit breitem wissenschaftlichen Konsens als kretische Version des Zeus interpretiert wird (dagegen aber Mark Alonge 2005). Die Integration dieser kretischen Muttergöttin samt ihres Sohn-Geliebten in das griechische Pantheon resultierte in der genealogischen Konstruktion der Mutterbeziehung Rheas zum Götterkönig Zeus.

b) Hera, die Gattin des Zeus, die, wie gesagt, auf helladischem Gebiet in ihrer Frühform zunächst im Zentrum der kultischen Verehrung einer Großen Göttin = Magna Mater stand. (Weitere helladische Varianten der Magna Mater sind: Aphrodite, Demeter, Persephone, Artemis, Athene und Semele, teilweise ebenfalls in das Pantheon integriert). Heras regional-historische Priorität gegenüber Zeus zeigt sich auch dadurch, dass die Göttin im Hera-Tempel auf Samos bereits in vor-indoeuropäischen Zeiten verehrtwurde und dass dieser Tempel lange Zeit der größte griechische Tempel überhaupt war. Auch war der älteste Tempel in Olympia nicht Zeus, sondern Hera geweiht. Auffällig ist beim mythologischen Zeus trotz patriarchalischer Paarbindung an Hera sein notorisches Fremdgehen, das Hera immer wieder auf die Palme bringt. Diese Konstruktion kehrt die Polygamie der archaischen Großen Göttin um, welche ihre Partner im Kontext der rituellen Heiligen Hochzeit - im Unterschied zu Zeus aber legitim - erwählt und wechselt.

c) Dionysos, ein Sohn des Zeus, der ebenfalls bereits seit vor-indoeuropäischen Zeiten im Zentrum eines autochthonen Mysterienkultes stand und mit Verspätung in das Pantheon integriert wurde (anstelle der Göttin Hestia). Die Aufnahme in die griechische Mythologie geschieht durch eine absurde Konstruktion: Zeus tötet mehr oder weniger versehentlich, d.h. aufgrund einer Intrige der eifersüchtigen Hera, die von ihm schwangere Göttin Semele und trägt den überlebenden Embryo, Dionysos, in seinem Oberschenkel aus.

Für die genannten Gottheiten, so wie sie in der klassischen Mythologie erscheinen, gilt natürlich das gleiche wie für Zeus: Sie wurzeln zwar partiell in älteren Vorstellungen, haben mit diesen aber, abgesehen von wenigen elementaren Merkmalen, nichts mehr gemein, wobei sich im Fall der weiblichen Gottheiten diese Merkmale aber genauer bestimmen lassen als beim indoeuropäischen Proto-Zeus, von welchem außer dem Namen und dem nur beschränkt aussagekräftigen Attribut der Himmels- bzw. Wettergottheit gar nichts bekannt ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein paar Takte zu Zeus.

Man kann vermuten, dass der indoeuropäische Proto-Zeus einige Analogien zum Wettergott Teshub hatte, dem obersten männlichen Gott der indoeuropäischen Hethiter, ...

Der proto-indoeuropäische Himmels- und Wettergott findet sich bei vielen analogen indoeuropäischen Völkern wieder. Sei es nun im altgriechischen Ζεύς , im römischen Jupiter (von lat. Iovius pater), im indischen dyaus pita, wo er der vedische Himmelsgott ist, oder auch im germanischen Himmelsgott Ziu, der später von Wotan und anderen Göttern verdrängt wurde.

... die um 1700 in Anatolien ihr Reich gründeten, nachdem die mit ihnen eng verwandten Achäer um 1900 in Hellas die indigene Population unterwarfen und ihr den eigenen Himmelsgott aufzwangen.

Wie eng die Hethiter mit den mykenischen Griechen verwandt waren, lässt sich nicht mehr genau ermitteln. Zwar handelt es sich um Völker mit indoeuropäischer Sprache (beide sprechen zudem Kentumsprachen), doch weichen Kult und Lebensweise der Hethiter beträchtlich von den Mykenern bzw. Achäern ab, da die altanatolische Kultur der autochthonen Hattier die der Hethiter stark überschichtete.

Was die Hethiter, die wie alle Indoeuropäer ursprünglich keine eigene Sonnengöttin kannten, bewogen hat, an die Stelle ihres Wettergottes Teshub eine fremde Sonnengöttin an die Spitze ihres Pantheons zu stellen, verdient eine gesonderte Untersuchung.

Hier zeigt sich vermutlich der Einfluss der altansässigen altanatolischen Hattier, von denen zentrale Riten und Gottheiten übernommen wurden. Der kulturelle Einfluss der Hattier auf die Hethiter ist immens.

Ähnlich verfuhren auch die Achäer, die ihren Proto-Zeus importierten und früher oder später mit der autochthonen Großen Göttin - Hera oder ihre Frühform – liierten, die dem männlichen Gott aber klar untergeordnet war.

Ägäischen bzw. altmediterranen Ursprungs gelten bei den weiblichen Göttinnen vor allem Demeter, Aphrodite und Artemis, die vielleicht Abspaltungen einer Magna mater sind. Die Herkunft der Göttin Hera ist umstritten. In ihr lebt möglicherweise eine alte Palastgöttin aus mykenischer Zeit fort, die wiederum aus Kreta oder der Ägäis importiert sein könnte. Eine Gottheit der Proto-Indoeuropäer war sie vermutlich nicht.
 
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